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Der Teufel mit dem Sündenregister

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Academic year: 2022

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MASTERARBEIT

Der Teufel mit dem Sündenregister

und seine mittelalterlichen Darstellungsformen

zur Erlangung des akademischen Grades

„Master of Arts“ im Studiengang Kunstwissenschaft

eingereicht bei

Ao. Univ.-Prof. Dr. Lukas Madersbacher

Institut für Kunstgeschichte Philosophisch-Historische Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

von Tasser Eva, BA

1016440

Innsbruck, August 2020

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2 Danksagung

An dieser Stelle möchte ich besonders jenen Personen danken, ohne deren Mithilfe diese Masterarbeit niemals zustande gekommen wäre.

Mein besonderer Dank richtet sich an Herrn Ao. Univ.-Prof. Dr. Lukas Madersbacher, der meine Masterarbeit betreut und begutachtet hat. Für die allzeit gewährte fachliche Beratung und die hilfreichen Anregungen bei der Erstellung dieser Arbeit bedanke ich mich recht herzlich.

Außerordentlicher Dank gebührt meinen lieben Eltern, die mir immer wieder die Zuversicht gegeben haben, auch in schwierigen Phasen nicht aufzugeben und mein Ziel weiterzuverfolgen.

Dasselbe gilt für meine beiden Geschwister Bernhard und Beate, die stets ein offenes Ohr für all meine Anliegen hatten.

Für die motivierenden und bestärkenden Worte möchte ich meinem Partner Stefan Gröbmer danken, der mir immer eine besondere Hilfe und Stütze war. Meine Tochter Anastasia trug durch ihr sonniges Wesen und ihre erstaunliche Geduld zum Gelingen dieser Arbeit bei.

Großer Dank gebührt nicht zuletzt meiner Kommilitonin Nadia Pichler, mit der ich nahezu jede Prüfung meines Studiums meistern durfte und welche mir immer mit viel Interesse und Hilfsbereitschaft zur Seite stand. Es war sehr wohltuend, sie jederzeit um Rat und Hilfe bitten zu dürfen.

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Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort 5

2. Die Geschichte des Teufels und seine Darstellungsformen 7

2.1 Kulturelle Vorfahren des christlichen Teufels 7

2.2 Die Entstehung und Entwicklung des Teufels vom antiken Judentum zur

mittelalterlichen Kirchengeschichte 9

2.2.1 Satan im Alten Testament 9

2.2.2 Der Teufel vom Neuen Testament bis ins Mittelalter 11

2.2.3 Der gefallene Engel Lucifer 14

2.3 Die vielfältigen Darstellungsformen des Teufels 17

3. Mittagsdämonen und Tutivillus: die Ursprünge des schreibenden Teufels 20

4. Das Sündenregister auf der Kuhhaut 27

4.1 Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum 32

4.2 Beispiele aus den Niederlanden 45

4.3 Beispiele aus Frankreich 46

4.4 Beispiele aus Dänemark 48

4.5 Beispiele aus Schweden 49

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4.6 Der schreibende Teufel als Plastik 51

5. Der Teufel mit dem Sündenregister am Totenbett 54

5.1 Das Partikulargericht am Sterbebett 57

5.2 „Ars moriendi“ und das Sündenregister 60

5.3 Die „Bilder-Ars“ 64

6. Der Teufel mit dem Sündenregister in Bildern des Weltgerichts 70

6.1 Die Seelenwaage in den vorchristlichen Religionen 74

6.2 Die Seelenwaage in der christlichen Religion 78

6.3 Das Buch des Lebens, das Buch der Laster und das Sündenregister 82

6.4 Tutivillus auf Seelenjagd 92

7. Resümee 96

8. Literaturverzeichnis 98

9. Bildnachweis 105

10. Bildanhang 111

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1.Vorwort

Die Gestalt des Teufels hat die Menschen über die Jahrhunderte hinweg immer wieder fasziniert und begeistert, wobei der erste Gedanke meist an ein wildes, lüsternes und geradezu tierisches Wesen denken lässt. Diese Masterarbeit widmet sich einer anderen Seite der mittelalterlichen Teufelsvorstellung, die ihm als schreibenden Teufel eine gewisse Intelligenz zugesteht. Dabei ist es erstaunlich, dass dem Teufel überhaupt die Berechtigung erteilt wurde, die Fähigkeit des Schreibens zu beherrschen. Die Frage warum er das noch dazu in der Kirche macht und was er mit dem Sündenregister im Schilde führt, versucht die vorliegende Arbeit näher zu erläutern.

Bereits im frühen Christentum gehörten die sprachlichen und literarischen Fähigkeiten zu den Attributen der Dämonen. Euagrios Pontikos (345-399) schrieb in seinem Werk „Kephalaia gnostica“ IV, 35 Ende des 4. Jahrhunderts, dass der Teufel alle Sprachen der Erde beherrschen würde, ausgenommen jene des Heiligen Geistes, um so die Menschen in ihrer jeweiligen Landessprache zu verführen. Der Bischof Petrus Damiani (1006-1072) präsentiert im Brief 15 den Teufel als ersten Grammatiker, der Adam und Eva gelernt habe, das Wort „Deus“ entgegen dem Monotheismus in die Mehrzahl zu deklinieren. Diese den Dämonen zugeschriebenen Kompetenzen spiegeln die Macht wider, die Literatur und Sprache im Mittelalter innehatten und welche Gefahr von einem scharfsinnigen, gerissenen Gegner ausgehen konnte.1

Diese Arbeit beabsichtigt nicht eine lückenlose Kontinuität vom Mittelalter bis in die Gegenwart darzustellen, vielmehr soll sie die zeitliche sowie örtliche Verbreitung des Bildtypus des „schreibenden Teufel“ aufzeigen und einen Überblick über die verschiedenen Darstellungstypen anhand einiger Beispiele bieten. Den zeitlichen Rahmen bilden vor allem das Hoch- und Spätmittelalter, da in dieser Zeitperiode die christliche Teufels- und Höllenvorstellungen ihre weiteste Verbreitung hatten.2 Einführend werden sowohl die Vorfahren christlicher Teufelsvorstellungen – etwa der ägyptischen, persischen oder griechischen Kultur – beleuchtet, als auch die Entwicklung innerhalb der christlichen Religion selbst – vom Alten Testament über das Neue Testament bis hin zum Mittelalter. Die vielfältigen, fantasievollen Teufelsbilder werden nur skizzenhaft wiedergegeben. Im Zentrum der Arbeit steht viel mehr die Gestalt des Teufels mit dem Sündenregister beginnend bei seinen Ursprüngen und Wurzeln, welche sich in den Gestalten des Mittagsdämons und des Dämons Tutivillus wiederfinden. Seiner Namensherkunft und -variation wie auch seinem Aussehen und

1 Vgl. Julio Ignacio González Montañés, Titivillus. Il demone dei refusi, Perugia 2018, S. 12-13.

2 Vgl. Hans-Dietrich Altendorf, Die Entstehung des theologischen Höllenbildes in der Alten Kirche, in:

Gesellschaft für das Schweizerische Landesmuseum (Hrsg.), Himmel. Hölle. Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter, Zürich 1994, S. 27-32, hier S. 27.

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6 seinen Attributen, etwa der Sündensack oder das Pergament mit Schreibfeder, kommen besondere Aufmerksamkeit zu. Die Ikonographie des Teufels mit dem Sündenregister auf der Kuhhaut stellt wohl nicht zuletzt aufgrund seiner weiten Verbreitung und der damit einhergehenden recht breiten Quellen- und Literaturlage eines der ausführlichsten Kapitel dar.

Für den deutschsprachigen und französischen Raum liefert insbesondere Peter Halm,3 für Dänemark und Schweden Holger Rasmussen4 einen guten Überblick zur Entwicklung und Verbreitung der Legende vom Sündenregister auf der Kuhhaut.

Davon ausgehend hat sich der Bildtypus des Teufels mit dem Sündenregister vereinzelt auf einige Darstellungen des Partikulargerichts sowie der Sterbeliteratur „Ars moriendi“ verbreitet, wenngleich die Quellen- und Literaturlage recht dünn ist. Vermehrt tritt der Teufel mit dem Sündenregister hingegen in Weltgerichtsbildern auf, wobei die Herkunft der Seelenwaage sowie des Buches des Lebens bzw. des Sterbens näher herausgearbeitet wurde. Ein weiteres interessantes Bildthema, das jedoch immer noch im Zusammenhang mit den Weltgerichtsbildern zu betrachten ist, hat Esperanza Estella Aragonés5 untersucht: der Schreiberteufel auf Seelenjagd. Insgesamt blieb Tutivillus kaum übers Mittelalter hinaus lebendig und findet sich in späteren Beispielen nur selten und meist als humoristische Anspielung.

Die vorliegende Masterarbeit unternimmt den Versuch, verschiedene ikonographische Bildtypen des Teufels mit dem Sündenregister hervorzuheben, wohl wissend, dass eine solche Gliederung künstlich geschaffen ist und dementsprechend nicht streng abgegrenzt zu betrachten ist. Über eine beschreibende Analyse einzelner Bildbeispiele hinaus galt es die Herkunft und Ursprünge einzelner Bildthemen näher zu beleuchten. Die Kapitel wurden im Sinne einer narrativen Abfolge so angeordnet, dass zunächst der Sünden aufschreibende und sammelnde Teufel erörtert wurde, gefolgt vom Sündenregister am Totenbett. Der Teufel mit dem Sündenregister am Jüngsten Gericht schließt die Reihenfolge ab, wobei innerhalb dieser Kapitel weitestgehend versucht wurde, eine Chronologie der einzelnen Bildbeispielen zu bewahren.

3 Siehe Peter Halm, Der schreibende Teufel, in: Enrico Castelli (Hrsg.), Cristianesimo e Ragion di Stato.

L’Umanesimo e il Demoniaco nell’Arte. Atti del II Congresso Internazionale di Studi Umanistici, Rom 1952, S.

235-249.

4 Siehe Holger Rasmussen, Der schreibende Teufel in Nordeuropa. Mit 1 Karte und 8 Abbildungen, in: Edith Ennen / Günter Wiegelmann (Hrsg.), Festschrift Matthias Zender. Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesgeschichte, Bonn 1972, S. 455-464.

5 Siehe Esperanza Estella Aragonés, Visiones de tres diablos medievales, in: De Arte, 5, 2006, S. 15-27.

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2. Die Geschichte des Teufels und seine Darstellungsformen

2.1 Kulturelle Vorfahren des christlichen Teufels

Das personifizierte Böse als Widersacher Gottes bzw. des Guten ist in vielen vorchristlichen und antiken Kulturen genauso präsent, wie im Orient, in Asien und in anderen Religionen. Seit jeher versuchten die Menschen, ihre Angst vor dem Bösen bzw. dem Unerklärlichen in der Tier- und Pflanzenwelt dingfest zu machen6 und ließen sie in Gestalt mächtiger Schadensbringer oder Götter der Unterwelt auftreten. Dennoch sei laut dem Theologen Paul Metzger der Monotheismus eine wesentliche Voraussetzung für die Vorstellung einer übermächtigen Teufelsfigur, denn erst durch die Konzentration des Guten in einem einzigen Gott tritt das Böse in einem Gegenpol – dem Teufel auf. Die antiken Religionen mit ihrer bunten Vielzahl an Göttern beherbergten keinen übermächtigen und zutiefst bösen Teufel, wie er in der christlichen Religion auftritt. Dennoch lassen sich in Ägypten, Kanaan, Griechenland und Persien wichtige kulturelle Vorbilder festmachen: der ägyptische Gott Seth, der für eine schlechte Ernte verantwortlich war – der Herr des Todes Mot7 aus der Götterwelt Kanaans – der griechische Gott Hades mit seiner Frau Persephone – sowie der orientalische Satan Ahriman, der persische Fürst der Finsternis und Widersacher des Ahurmazda, dem Herrn des Lichts.8 Entscheidend für die christliche Teufelsvorstellung ist zum einen ein Spannungsverhältnis zwischen zwei sich bekämpfenden Gottheiten und zum anderen die Deutung des Bösen in der Welt, die auf das Wirken von bestimmten Göttern zurückgeführt wurde. Den Ausgangspunkt der christlichen Hölle findet sich in Ägypten und Kanaan und wurde im besonderen Maße vom griechischen Gott Hades samt seinem Totenreich geprägt. Die antike Unterwelt als ein Ort der körperlosen Schattenwesen, der unsterblichen Seelen gilt als wesentliche Grundlage späterer Höllenvorstellungen.9

Das wohl wichtigste Urbild für das Aussehen der christlichen Teufelsgestalt findet sich in der griechischen Mythologie: Der Hirtengott Pan sowie Faune und Satyrn10 verkörpern eine aggressive Sinnlichkeit sowie rege Sexualität und haben mit ihren Hörnern, Bocksfüßen, der dichten Behaarung und ihrem Gestank das christliche Teufelsbild entscheidend geprägt.

Daneben gilt der griechische Gott des Weines Dionysos als Vorbild Satans. Mit Rausch,

6 Vgl. Gottfried Knapp, Teufel, Teufel… … ein höllisches Vergnügen, München / Berlin / London 2003, S. 13.

7 Vgl. Paul Metzger, Der Teufel, Wiesbaden 2016, S. 13-14.

8 Vgl. Wolfgang Metternich, Teufel, Geister und Dämonen. Das Unheimliche in der Kunst des Mittelalters, Darmstadt 2011), S. 33-34.

9 Vgl. Metzger 2016, S. 15-16.

10 Vgl. Alfonso M. Di Nola, Unser täglich Teufel, in: Anna Maria Crispino / Fabio Giovannini / Marco Zatterin (Hrsg.), Das Buch vom Teufel. Geschichte – Kult – Erscheinungsformen, Bindlach 1991, 33-48), hier S. 39-40.

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8 Ekstase und enthemmten Festen passt er – wie Pan, den Satyrn und den Faunen – nicht in die moralische Welt christlicher Autoren.11 Häufig wurden diese mythologischen Gestalten im sexuell erregten Zustand beim Angriff auf die Weiblichkeit oder gar beim derben Geschlechtsakt mit einer Ziege dargestellt. Die Kirchenväter verurteilten jegliche tierischen Gelüste und nutzten jene Gestalten, um die triebhafte und hemmungslose Natur zu verteufeln.12 Grundsätzlich dient der Teufel als Projektionsfläche für Ängste, Hoffnungen und Unerklärbares. Die Andersartigkeit fremder Kulturen, Ethnien oder Tieren wurde zu teuflischen Gottheiten oder Dämonen überhöht. Daneben stellte Gottfried Knapp quer über die Kontinente und Jahrhunderte hinweg immer wiederkehrende archetypische Modelle und Muster ähnlicher teuflischer Mutationen fest. Die Kapitelle und Tympana in romanischen Kirchen Frankreichs – wie Autun, Vézelay oder Chauvigny – zeigen ihre Dämonen und Teufel mit mächtigen Feuermähnen - ein Motiv, das an die grell bemalten Flammenhaar-Dämonen der chinesischen Kunst erinnert, die seit dem 9. Jahrhundert zähnefletschend ihre Opfer foltern. Zugleich finden sich in den gleichen romanischen Kirchen oder vergleichbaren Bauten kahlköpfige, knochige Teufel.13 Grundlegend lässt sich sagen, dass das Aussehen des Teufels nicht nur von den Vorbildern, der ikonographischen Bildtradition und dem kulturellen Umfeld, sondern ebenso von der Fantasie des Künstlers abhängig ist.

Der Teufel als böser Gegenspieler Gottes hat hingegen seinen direkten Vorläufer in der Religion Altpersiens. Damit sich das Böse so entschieden gegen das Gute richten kann, braucht es ein klares Weltbild, in dem sich Gut und Böse als zwei entgegengesetzte und klar getrennte Prinzipien gegenüberstehen. In der dualistischen, altpersischen Religion des iranischen Propheten Zarathustras stehen sich der böse Gott Ahriman und der Gott des Guten und des Lichts Ahurmazda gegenüber: Ahriman – neidisch auf die Schöpfungen Ahurmazdas – tötete dessen Geschöpfe und übersäte sie mit Gewalt und Chaos. Als er mit einer Armee von Dämonen die Schöpfung der Menschen verhindern wollte, konnte er von Ahurmazda im Kampf besiegt und im Kosmos gefesselt werden. Dennoch schaffte es der böse Gott das erste von Ahurmazda geschaffene Menschenpaar zu verführen, welches durch den daraus resultierenden Sündenfall einerseits kulturelles Wissen erlangte und andererseits von der Schöpfung abfiel. Die Vergleichbarkeit mit der christlichen Schöpfungsgeschichte und dem Sündenfall Adam und Evas, welche vom Teufel im Schlangenkleid verführt wurden, ist offensichtlich. Die Welt stand somit in einem ständigen Konflikt zwischen Gut und Böse, zwischen Verführung und

11 Vgl. Metzger 2016, S. 16.

12 Vgl. Knapp 2003, S. 18.

13 Vgl. Knapp 2003, S. 13.

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9 standhaften Glauben. Erst am Ende der Weltgeschichte wird Ahurmazda mit Hilfe eines Erretters endgültig über Ahriman siegen und dadurch allen Toten die ewige Seligkeit beschaffen. Die Parallelen zwischen dieser altpersischen Mythologie und der jüdisch- christlichen Religion sind augenscheinlich. Insbesondere für die christliche Teufelsfigur kann Ahriman als einer seiner wichtigsten Vorfahren genannt werden, der – nicht wie etwa Seth, Hades oder Pan – gute Wesenszüge besitzt, sondern aufgrund seiner durch und durch bösen Natur im ständigen Kampf gegen das Gute steht. Auf die Frage nach einem einzigen kulturellen Vorfahren gibt es jedoch keine einfache, lineare Antwort. Vielmehr handelt es sich um eine vielfache zum Teil wohl bewusste bzw. unbewusste Beeinflussung der Vorstellung, des Aussehens und des Wesens der christlichen Teufelsgestalt.14

2.2 Die Entstehung und Entwicklung des Teufels vom antiken Judentum zur mittelalterlichen Kirchengeschichte

Der christliche Teufel kann als religiöse-literarische Mischgestalt verstanden werden, die sich gespeist aus verschiedenen Strömungen und Einflüssen erst allmählich zu einer Schreckensgestalt etablierte. In den Büchern des Alten Testaments findet sich eine negativ konnotierte Figur, die als Ankläger der Menschen, Verleumder, Verwirrer oder Erprober auftritt. Das Neue Testament zeichnet dagegen ein viel konkreteres Bild eines ernstzunehmenden, gefährlichen und intelligenten Gegners, der im Laufe des Mittelalters auch als humoristisch befunden oder gar als hintergangener Betrüger verspottet wurde. Im Zeitalter der Renaissance hinterfragten Gelehrte und Theologen weitgehend eine derartig lebendige Teufelsfigur – stattdessen wuchs der Gedanke an ein höchst gesteigertes Symbol der Bosheit immer mehr. Seit dem 18. Jahrhundert kam es in gelehrten Kreisen zum Bedeutungsverlust der religiösen Dimension – zugleich beschäftigte man sich in Theater, Literatur und Film umso mehr mit der Gestalt des Teufels.15

2.2.1 Der Satan im Alten Testament

Der Teufel der europäischen Mentalität entstammt der hebräischen Bibel und findet sich dementsprechend sowohl in der jüdischen, christlichen und islamischen Religion.16 Dennoch

14 Vgl. Metzger 2016, S. 16-17.

15 Vgl. Kurt Flasch, Der Teufel und seine Engel. Die neue Biographie, München 2015, S. 24.

16 Vgl. Flasch 2015, S. 24.

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10 dürfen alttestamentarische Texte nicht als direkte Vorlage für die christliche Teufelsvorstellung herangezogen werden. Zwar lassen sich viele Motive und Figuren mit dem Bösen verbinden, an und für sich wird im Alten Testament jedoch nicht direkt vom Teufel gesprochen.17 Er tritt lediglich als Randfigur unter dem hebräischen Namen „Śāṭān“ auf. Die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, übersetzt den Begriff mit dem Wort

„diabolos“, der im Lateinischen „diabolus“ lautet, wovon sich die deutsche Bezeichnung

„Teufel“ ableitet. „Satan“, „diabolus“ und „Teufel“ können somit als voneinander abgeleitete Begriffe verstanden werden.18

Die genaue Wortherkunft des Begriffs „Śāṭān“ ist nach wie vor unklar, wenngleich eine inhaltliche Annäherung des Begriffes bezeugt, dass diesem etwas Widersprechendes, Opponierendes und Gegensätzliches anhaftet.19 Dementsprechend erhielt das Wort „Satan“

einen allgemeinen Sinngehalt von Feind, Gegner, Widersacher, Ankläger oder Verleumder und war ursprünglich nicht als ein Eigenname des personifizierten Bösen zu verstehen.20 Der alttestamentarische Satan konnte dem Gläubigen zwar Schaden zuführen, aber nicht von seinem Glauben und Seelenheil abbringen. Weit über ihn stand die Autorität des allmächtigen Gottes, der das Böse jederzeit beugen und ihm Einhalt gebieten konnte. Nicht der Teufel bestraft die Ungläubige und Sünder, sondern Gott selbst geht gegen die Feinde Israels, aber auch gegen die seines auserwählten Volkes vor.21 Gott ist es, der für das Gute aber auch für das Böse in der Welt verantwortlich ist: „Ich bin der Herr und sonst niemand. Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel, ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil. Ich bin der Herr, der das alles vollbringt.“(Jes 45, 6-7)22 Das Böse, das den Menschen widerfährt, haben sie selbst zu verantworten, da sie durch ihr Tun oder Unterlassen ihr eigenes Schicksal herbeiführen und somit die gerechte Strafe Gottes auf sich ziehen. Jeder Mensch wird vor die Wahl zwischen Gut und Böse gestellt und kann durch das Befolgen der Gebote Gottes sein eigenes Schicksal in die Hand nehmen. Die Überlieferungen im Alten Testament, die immer wieder mit dem Teufel in Verbindung gebracht werden, sprechen nie spezifisch von ihm.23 Insbesondere drei Bibelstellen – Ijob 1,6-12, Ijob 2,1-7 und Sacharja 3,1-7 – charakterisieren Satan als Ankläger und Gegenspieler: Im Buch Ijob prüft Satan im Auftrag Gottes den Glauben des frommen Ijob.

17 Vgl. Ute Leimgruber, Der Teufel. Die Macht des Bösen, Kevelaer 2010, S. 25.

18 Vgl. Metzger 2016, S. 18-19.

19 Vgl. Metzger 2016, S. 19.

20 Vgl. Flasch 2015, S. 29.

21 Vgl. Metternich 2011, S. 34.

22 Dieses und alle folgenden Bibelzitate wurden der Einheitsübersetzung https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum entnommen.

23 Vgl. Leimgruber 2010, S. 28-30.

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11 Satan stellt dabei nicht dessen Frömmigkeit in Frage, unterstellt Ijob vielmehr, dass er nur deshalb gläubig sei, da er ein gutes Leben habe und aus seiner Frömmigkeit einen Nutzen ziehe möchte. Um dies zu testen, solle nun Satan den Glauben Ijobs prüfen:24

„Nun geschah es eines Tages, da kamen die Gottessöhne, um vor den Herrn hinzutreten;

unter ihnen kam auch der Satan, um vor den Herrn hinzutreten. Da sprach der Herr zum Satan: Woher kommst du? Der Satan antwortete dem Herrn: Die Erde habe ich durchstreift,

hin und her. Der Herr sprach zum Satan: Hast du auf meinen Knecht Ijob geachtet?

Seinesgleichen gibt es nicht auf der Erde, so untadelig und rechtschaffen; er fürchtet Gott und meidet das Böse. Noch immer hält er fest an seiner Frömmigkeit, obwohl du mich gegen ihn

aufgereizt hast, ihn ohne Grund zu verderben. Der Satan antwortete dem Herrn und sagte:

Haut um Haut! Alles, was der Mensch besitzt, gibt er hin für sein Leben. Doch streck deine Hand aus und rühr an sein Gebein und Fleisch; wahrhaftig, er wird dir ins Angesicht fluchen.

Da sprach der Herr zum Satan: Gut, er ist in deiner Hand. Nur schone sein Leben! Der Satan ging weg vom Angesicht Gottes und schlug Ijob mit bösartigem Geschwür von der Fußsohle

bis zum Scheitel.“(Ijob 2, 1-7)

Weitere alttestamentarische Texte sprechen zwar nicht ausdrücklich von Satan, wurden später jedoch umgedeutet und unweigerlich immer wieder mit ihm Verbindung gebracht – wie etwa das Buch der Genesis 6,1-4 und das Buch Jesaja 14,13-14.25 Insgesamt finden sich im Alten Testament nur spärliche Spuren Satans, wobei er immer im Dienst Gottes als Ankläger, Versucher und Anstifter zum Ungehorsam auftritt. Er prüft den Glauben und die Tugend der Menschen, verführte sie zum Bösen, klagte sie an und bestrafte sie nach dem gerechtem Willen Gottes. In diesem Sinne ist er als eine Art Beamter oder Werkzeug der göttlichen Ordnung zu verstehen, der nicht von sich aus willkürlich Menschen quält. Er bleibt eine Randfigur, die dem allmächtigen Gott unzweifelhaft untergeben und unterlegen ist.26

2.2.2 Der Teufel vom Neuen Testament bis ins Mittelalter

Im Alten Testament blieb die Selbstständigkeit des Teufels noch stark beschnitten, während ihm im Neuen Testament immer mehr Macht verliehen wurde und er als mächtiger und ernstzunehmender Widersacher Gottes erscheint. Ausschlaggebend dafür war ein Wandel der

24 Vgl. Metzger 2016, S. 21.

25 Vgl. Metzger 2016, S. 19.

26 Vgl. Anna Maria Crispino, Die Namen des Teufel, in: Anna Maria Crispino / Fabio Giovannini / Marco Zatterin (Hrsg.), Das Buch vom Teufel. Geschichte – Kult – Erscheinungsformen, Bindlach 1991, S. 9-18, hier S. 9.

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12 Gottesvorstellung in den letzten beiden vorchristlichen Jahrhunderten: aus dem alttestamentarischen, strafenden wurde allmählich ein liebender, verzeihender Gott – der seine Strafgewalt an eine Teufelsgestalt abtrat.27 Diesen Wandel lässt sich zugleich in der Begriffsverschiebung der verschiedenen Namen, die je eine besondere Nuance betonen, feststellen: in den frühen Schriften des Neuen Testaments – etwa den Paulusbriefen oder dem Markusevangelium – ist die Bezeichnung „Satan“ vorherrschend. In den späteren Texten – wie dem Matthäus- und Lukasevangelium – ist hingegen häufiger die griechische Übersetzung

„diábolos“ zu finden. Daneben sind andere Namen wie „Beliar“ (2 Kor 6,15), „Beelzebub“(Mt 10,25), „Herrscher dieser Welt“ (Joh 12,31) oder schlicht „der Böse“ (Mt 13,19) anzutreffen.28 Während Gott im Alten Testament noch moralisch bedenkenlos agierte, jenseits von Gut und Böse stand und ohne ethische Bedenken handelte, änderte sich dies im Neuen Testament: Je moralischer und liebevoller Gott wurde, umso mächtiger wurde der Teufel.29 Der Satan des Alten Testaments fungiert als Beamter Gottes – im Neuen Testament tritt er abgenabelt und eigenständig als unberechenbare und ungezügelte Personifikation des Bösen auf.30 Spätestens zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. waren die Rollen klar verteilt: Gott galt als guter Schöpfer, dem der Teufel als böses Wesen entgegen stand.31 Die Theologin Ute Leimgruber sucht die Gründe für diesen Wandel in der jüdischen apokalyptischen Tradition der Zeitwende.

Als 331 v. Chr. Palästina in das Reich Alexander des Großen einverleibt wurde, sah sich die jüdische Bevölkerung mit der hellenistischen Weltanschauung samt ihrer griechischen Sprache, Religion und Kunst konfrontiert. Aufgrund der blutigen Religionsverfolgung unter dem Seleukidenkönig Antiochos IV. Epiphanes (175-64 v. Chr.) fielen viele Juden von ihrem Glauben ab und unterwarfen sich der Fremdherrschaft. Dagegen formierte sich die Bewegung

„Gemeinde der Frommen“, deren wichtigster Gesichtspunkt die Treue zum Gesetz Moses war.

Dieser starke Dualismus prägte zugleich neue Vorstellungen vom Jenseits, den Zeitpunkt der Apokalypse und der Bestrafung der Bösen sowie den Lohn der Gerechten. Leimgruber nennt diesen Einschnitt in die jüdische Geschichte als entscheidendes Ereignis, das das Bild des Teufels nachhaltig beeinflusste und Satan vom Untergebenen zum Widersacher Gottes heranwachsen ließ.32

In seiner neuen Rolle als Gegenspieler Gottes wurde der Teufel seinem göttlichen Vater in seinen Fähigkeiten immer ähnlicher: Beide konnten in beliebiger Gestalt auftreten, Menschen

27 Vgl. Metternich 2011, S. 34.

28 Vgl. Metzger 2016, S. 43-44.

29 Vgl. Flasch 2015, S. 24-25.

30 Vgl. Gerard Messadié, Teufel, Satan, Luzifer. Universalgeschichte des Bösen, München 1999, S. 324.

31 Vgl. Metzger 2016, S. 64.

32 Vgl. Leimgruber 2010, S. 30-32.

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13 und Dinge verwandeln, als metaphysische Alchimisten agieren und herrschten in einem eigenen Reich mit einem eigenen Hofstaat. Zwar befehligt Gott ganze Heere von Engeln, doch auch der Teufel hat seine Untertanen, bestehend aus bösen, gefallenen Engeln – die später als Dämonen bezeichnet wurden. Der Teufel wurde immer mehr zum mächtigen Herrscher einer Welt, die dem Himmelreich entgegengesetzt ist.33 Paulus nennt ihn im zweiten Brief an die Korinther sogar den „Gott dieser Weltzeit“ (2Kor 4,4). Über die Vorstellung wo und wie genau das Reich des Teufels – die Hölle – zu verorten sei oder wie sie aussehe, waren sich die Theologen stets uneins. Der italienische Dichter Dante Alighieri (1265-1321) präsentiert in seiner „Divina Comedia“ eine gänzlich konkrete Beschreibung: Er verortet das Reich des Teufels in Gestalt eines nach unten gerichtetem Trichter ins Innere der Erde. Andere Lokalisierungen verlegen es nach Italien in den Krater des Vesuvs, des Ätnas oder des Strombolis oder gar nach Irland, Großbritannien oder Island. Neben Vulkanen galten ebenso Seen als Zugang zur Hölle, sowie einige dunklen Grotten Frankreichs. Ignatius von Loyola (1491-1556) empfiehlt, sich die Hölle in ihrer ganzen Länge, Breite und Tiefe so vorzustellen, bis man den Schmerz der Verdammten selbst spüren würde.34 Auch auf die Frage, wie viele teuflische Untertanen die Hölle bewohnen, finden sich sehr unterschiedliche Aussagen. Eine vage Auskunft findet sich in der Johannesoffenbarung, in der der Teufel in Gestalt eines Drachen auftritt und ein Drittel der Engel ihm folgten: „Sein Schwanz fegte ein Drittel der Sterne vom Himmel und warf sie auf die Erde herab“ (Offb 12,4). König Salomon habe durch eine List alle Teufelchen in einer Flasche gefangen und 6666 gezählt. Ein Bischof aus Tuscolo errechnete hingegen 133.306.688 Dämonen und Johann Weyer zählte 7.409.688, die er in Fürstentümer und Legionen – vom Erzdämon Baal angeführt – unterteilt.35 Collin und Plancy veröffentlichen 1818 eine Überarbeitung von Weyers „Praestigiis Daemonum“ aus dem Jahr 1568, in der sie eine genaue Beschreibung des satanischen Hofstaates auflisteten: Beispielsweise nennen sie Abbadon als König der Hölle, Adrammelech als Großkanzler und den Dämon Behemoth als Kellermeister und Mundschenk.36 Bis zum Anbruch des Mittelalters war aus dem Diener der göttlichen Ordnung ein mächtiger Gegengott geworden, der nicht nur die Sünder bestrafte, sondern die Menschen zum Bösen verleitete und sich gegen seinen eigenen Schöpfer erhob.37 Die Theologen sind sich nach wie vor uneins, wie sich dieser Wandel vollzogen hat und inwieweit dieser Dualismus zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und dem Teufel reichte. Eine völlige

33 Vgl. Flasch 2015, S. 24-26.

34 Vgl. Crispino 1991, S. 16-17.

35 Vgl. Crispino 1991, S. 11-13; Vgl. Di Nola (1991), S. 34.

36 Vgl. Crispino 1991, S. 12-13.

37 Vgl. Metternich 2011, S. 34.

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14 Gleichberechtigung gab es zwischen den beiden Gegenpolen jedoch nie, denn eine solche hätte den christlichen Schöpfungsbegriff zerstört.38

Seit dem 15. Jahrhundert kam es wiederholt zu einer Umstrukturierung der Macht: die wachsende Bedeutung der Vernunft machte auch vor der Religion kein Halt und tolerierte keinen zweiten Herrscher. Sie beschnitt die Macht Satans und schaffte ihn letztlich ganz ab.

Dagegen erhob sich der Widerstand der orthodoxen Christen, die vor dem Herabstufen eines real existierenden Teufels zum bloßen Symbol des Bösen warnten. Ihre Vorstellung des Bösen als ein reales Individuum lebt bis heute weiter.39

2.2.3 Der gefallene Engel Lucifer

Neben den Begriffen „Satan“ und „Teufel“ zählt „Luzifer“ zu den geläufigen Namen für das personifizierte Böse, wobei diesem eine ganz eigene Bedeutung zukommt. Entgegen dem eigentlichen Wortsinn „Lichtbringer“ bzw. „Lichtträger“ ist damit der aus dem Himmel verstoßene Engel gemeint. Der dazugehörige religiöse Ur-Mythos speist sich aus verschiedenen apokryphen Quellen, 40 findet sich jedoch nicht in der Bibel, sondern in außerkanonischen jüdischen Schriften. Zugleich wurden Texte aus dem Alten und Neuen Testament immer wieder herangezogen, um den Mythos zu festigten. Im ersten Teil des Buches Jesaja (Jes 14,12-15) wird in einem Spottlied der König von Babel als „Helel, Sohn des Schachar“ bezeichnet:41

„Ach, du bist vom Himmel gefallen, du strahlender Sohn der Morgenröte. Zu Boden bist du geschmettert, du Bezwinger der Völker.“ (Jes 14,12) Das hebräische Wort Schachar bezeichnet eine ugaritische Gottheit der Morgenröte, deren Sohn den Namen Helel trägt und in der griechischen Götterwelt sein Pendant in der weiblichen Göttin Eos findet. Helel wird in der Septuaginta als „Eosphoros“ bezeichnet und tritt in der lateinischen Bibelübersetzung als Lucifer auf. Dem Mythos zu Folge stand Helel mit dem mächtigen Göttervater El im Kampf und prahlte damit, den Herrscher des Himmels zu besiegen und zu stürzen. Er verlor allerdings den Kampf und wurde mit dem Sturz ins Totenreich bestraft. Dieser Mythos wurde von den christlichen Kirchenvätern mit dem Lukasevangelium in Verbindung gebracht und der Sturz Satans mit dem Sturz Luzifers gleichgesetzt:42 „Da sagte er zu ihnen: Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen“ (Lk 10,18). Eine ähnliche Beschreibung findet sich in der

38 Vgl. Flasch 2015, S. 24-27.

39 Vgl. Flasch 2015, S. 27-29.

40 Vgl. Knapp 2003, S. 22.

41 Vgl. Leimgruber 2010, S. 26-27.

42 Vgl. Metzger 2016, S. 26-27.

(15)

15 Totenklage des Königs von Tyros aus dem Buch Ezechiel, in der Gott den von Hochmut strotzenden Herrscher entmachtet und bestraft:43

„Ohne Tadel war dein Verhalten seit dem Tag, an dem man dich schuf, bis zu dem Tag, an dem du Böses getan hast. Durch deinen ausgedehnten Handel warst du erfüllt von Gewalttat, in Sünde bist du gefallen. Darum habe ich dich vom Berg der Götter verstoßen, aus der Mitte der feurigen Steine hat dich der schützende Kerub verjagt. Hochmütig warst du geworden, weil du so schön warst. Du hast deine Weisheit vernichtet, verblendet vom strahlenden Glanz.

Ich stieß dich auf die Erde hinab. Den Blicken der Könige gab ich dich preis, damit sie dich alle begaffen. Du hast durch gewaltige Schuld, durch unredliche Handelsgeschäfte deine Heiligtümer entweiht. So ließ ich mitten in dir ein Feuer ausbrechen, das dich verzehrt hat.

Vor den Augen all derer, die dich sahen machte ich dich zu Asche auf der Erde. All deine Freunde unter den Völkern waren entsetzt über dich. Zu einem Bild des Schreckens bist du

geworden, du bist für immer dahin.“ (Ez 28,15-19)

Vor allem die Bibelstellen der Bücher Jesajas und Ezechiels wurden zu mutmaßlichen Belegen für die Existenz des Teufels im Alten Testament, auf der die Geschichte des gefallenen Engels beruht.44 Luzifer – als der bevorzugte Engel Gottes, als glänzender und schönster von allen – wurde stolz und überheblich, sodass er sich Gott ebenbürtig fühlte und ihn zum Kampf herausforderte. Es kam zu einem Aufstand zwischen rebellischen und gottestreuen Engeln, den Gott mit Hilfe des Erzengels Michael zurückschlagen und Luzifer samt seinem Gefolge aus dem Himmel verbannen konnte. Der Benediktinermönch Remigius von Auxerre hat sich mit der Frage beschäftig, warum die Bibel über den Sündenfall der Menschen berichtet, über den Fall des Engels weitgehend schweigt. Er kam zur Schlussfolgerung, dass nur der Mensch Gnade wiedererlangen könne, der gefallene Engel hingegen nicht. Da Letzterer ohne Zwang und aus freiem Entschluss sündigte, sei seine Geschichte in der Bibel verzichtbar. Vor allem mittelalterliche Theologen beschäftigten sich immer wieder mit der Frage nach dem Zeitpunkt, den Ursachen, den Vorgängen und den Folgen der Verbannung Luzifers aus dem Himmel.45 Dem Kirchenvater Augustinus (354-430) sowie dem Erzbischof Hinkmar von Reims (882 gestorben) zu Folge geschah der Engelfall aus Hochmut und Neid des Teufels. Der Benediktinermönch Honorius Augustodunensis (um 1151 gestorben) und die Mystikerin Hildegard von Bingen (1098-1179) nennen ebenso die Superbia als den Grund der Verbannung.

43 Vgl. Metzger 2016, S. 27.

44 Vgl. Metzger 2016, S. 27.

45 Vgl. Hans-Werner Goetz, Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen und hohen Mittelalters. Teil I, Band 2: II. Die materielle Schöpfung: Kosmos und Welt III. Die Welt als Heilsgeschehen, Berlin 2012, S. 177-176.

(16)

16 Nach seinem Fall verlor Luzifer seine Schönheit und wurde zu einer dunklen, verfluchten Gestalt, dazu verbannt die Menschen selbst auf die Probe zu stellen, zu verführen und am Ende mit ihnen im ewigen Feuer zu leiden.46

In der griechischen „Apokalypse des Moses“ und ihrer lateinischen Fassung „Leben Adams und Evas“ wird die Geschichte Luzifers und des Engelsturzes auf eine andere Art dargestellt, wobei der Teufel sogar selbst zu Wort kommen darf. Auf die Frage, warum er Eva und schließlich auch Adam in Versuchung führe und ihre Verbannung aus dem Paradies provozierte, erzählt Luzifer seine Geschichte: Als Gott seinem Ebenbild Adam das Leben einhauchte und seinen Engeln befahl, das neue Geschöpf anzubeten, weigerte er sich, sich einem Wesen zu unterwerfen, das geringer und später als er selbst entstanden sei. Wissend, dass er damit den Zorn Gottes auf sich laden würde, erhob er sich über Gott. Dieser verbannt den rebellischen Engel aus dem Himmelreich, der sich seinerseits an Adam im Paradies rächte. Lucifer gilt damit nicht mehr als ein Werkzeug Gottes – wie Satan im Alten Testament – sondern als ein dem Gott entgegengesetzter, eigenständiger Charakter, der Vergeltung sucht. Um die Menschen vom Glauben abzubringen, ist ihm jedes Mittel recht, weshalb er als Verführer schlechthin gilt. Des Weiteren wurden ihm nun die Fähigkeit, sich zu tarnen oder gar von Tieren oder dem menschlichen Geist Besitz zu ergreifen, zugeschrieben.47

Einen differenzierten Ansatz zur Verbannung der Engel aus dem Himmelreich findet sich im

„Buch der Wächter“ des sogenannten „Äthiopischen Henochbuch“, welches zu den Pseudepigraphen des Alten Testaments gehört, dessen Anfänge bis ins 2. Jahrhundert v. Chr.

zurückreichen und im ersten nachchristlichen Jahrhundert fertiggestellt wurde. Darin findet sich die Vorstellung von Göttersöhnen – meist als Engel gedeutet – die auf die Erde herabstiegen und sich mit menschlichen Frauen vereinigten. Die aus diesen Verbindungen entstandenen, den Zorn Gottes entfachenden, göttlich-menschlichen Mischwesen standen dem Willen Gottes entgegen. Während sie in der Genesis positiv als Helden bezeichnet wurden, wurden sie im Text des äthiopischen Henoch als Riesen benannt. Sie entwickelten sich als Plage und Übel für die Menschheit und Gottes Schöpfung: Sie fraßen die Ernte, Vögel sowie alle anderen Tiere, schließlich sogar sich selbst auf und tranken ihr eigenes Blut. Ausschlaggebend für diese verschiedensten Lucifer-Mythen ist insbesondere die Vorstellung von himmlischen Wesen, die eigenständig und gegen den Willen Gottes handeln. Böses, gotteswidriges Handeln und insbesondere sexuelle Begierde gelten für den Mythos des äthiopischen Henochbuches als entscheidender Grund für die Sündhaftigkeit der Engel. Bemerkenswert ist, dass darin die Engel

46 Vgl. Goetz 2012, S. 181-184.

47 Vgl. Metzger 2016, S. 38-40.

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17 aus freien Stücken auf die Erde hinabsteigen – sie werden nicht aus dem Himmel gestürzt, sondern erst nachträglich kommt es zur Verbannung aus der himmlischen Sphäre. Dennoch finden sich im Ungehorsam und der Verbannung der Engel aus dem Himmel Verbindungen zu den bereits genannten Quellen.48 In den frühen biblischen Überlieferungen wurde das Wort

„Engel“ zugleich für die gottestreuen als auch aufsässigen Himmelsbewohner verwendet und erst später mit dem heidnisch-griechischen Begriff „Daimon“ ersetzt.49 Bei einem Vergleich des Wesens und der Rolle Lucifers zum Alten Testaments lässt sich feststellen, dass der alttestamentarische Satan zwar als Feind und Widersacher auftritt, der die Menschen in Versuchung führt und anklagt, jedoch im Gegensatz zu Lucifer und dem Teufel des Neuen Testaments als Handlanger und Werkzeug Gottes betrachtet werden kann. Der Lucifer-Mythos bezeichnet hingegen ein durch und durch böses Wesen, das als ständiger Antagonist Gottes zu verstehen ist.50

2.3 Die vielfältigen Darstellungsformen des Teufels

So wie der Teufel den Menschen unter seinen vielen Namen Luzifer, Satan, Beelzebub, Leviathan oder Antichrist entgegentrat, so verschieden konnte auch seine äußere Gestalt sein,51 die sich über die Jahrhunderte hinweg ständig wandelte. Verschiedene Berichte und Bilder liefern eine mehr oder weniger klare Vorstellung von der Gestalt und dem Wesen des Teufels.

Je nachdem, welche Aufgabe oder Tätigkeit er nachging, konnte er als sklavenhafter, schuftender Unterteufel auftreten oder als imposantes, geflügeltes Monster.52 Dennoch gibt es künstlerische Vorbilder, die wie so oft in der Kunst der Antike verwurzelt sind: Immer wieder werden Faune oder Satyrn, die Begleiter des griechischen Gottes Dionysos bzw. des römischen Gottes Bacchus, als teuflische Vorlage genannt. Im Zuge der Dämonenlehre des Kirchenvaters Augustinus wurden sie – so wie viele andere antike Götter und Heroen – dämonisiert und ihre tierischen, sexuellen Triebe regelrecht verteufelt.53 Einer bocksfüßigen Gestalt wurden möglichst viele ekelerregende Zusetzte hinzugegeben, um sie so schreckenerregend wie nur möglich aussehen zu lassen. Grausige, aufgerissene Mäuler fanden sich bald nicht mehr nur auf dem Haupt, sondern markieren obszön jede Körperöffnung. Um die negative Sexualität noch

48 Vgl. Metzger 2016, S. 26-30.

49 Vgl. Flasch 2015, S. 29-30.

50 Vgl. Metzger 2016, S. 27.

51 Vgl. Metternich 2011, S. 33.

52 Vgl. Knapp 2003, S. 19.

53 Vgl. Metternich 2011, S. 34.

(18)

18 weiter zu unterstreichen, wuchsen dem Teufel schrumpelige Hexenbrüste oder knotige Riesenbrustwarzen. Die grüne bis schwarze Hautfarbe sollte Ekel hervorrufen, genauso wie ein magerer, knorpliger oder konträr ein schwabbeliger, fetter Körper. Die Füße wurden dem Tierreich entliehen und hatten oft die Gestalt von Hufen oder Krallen. Insgesamt ließen sich alle nur denkbaren anatomischen Deformationen und krankhaften Verunstaltungen auf die Gestalt des Teufels übertragen.54 Einen wesentlichen Einfluss auf die mittelalterlichen Teufelsdarstellungen hatte darüber hinaus die Visionsliteratur. Häufig erhielten einfache, ungebildete Menschen Visionen, die von Klerikern niedergeschrieben wurden und die unsagbare Angst vor der ewigen Verdammnis lebendig veranschaulichten. Dazu gehört die im Mittelalter weit verbreitet Vision des irischen Ritters Tundal (auch Tnugdal), welche ein Mönch 1149 im Schottenkloster in Regensburg aufzeichnete:55

„Es war diese Bestie tiefschwarz wie ein Rabe, hatte von den Füßen bis zum Haupt Menschengestalt, ausgenommen dass sie viele Hände und einen Schwanz besaß. Dieses schreckliche Monster hat nämlich nicht weniger als tausend Hände, und jede Hand ist etwa hundert Ellen lang und zehn breit; die Nägel sind länger als die Lanzen von Rittern und aus

Eisen. Es hat auch einen sehr langen und dicken Schnabel. Und dieses schreckliche Schauspiel liegt flach auf einem Eisenrost, darunter befinden sich glühende Kohlen, die von

einer unzählbaren Menge von Dämonen mit Blasebälgen angeheizt werden.“56

Diese und weitere Visionen haben vor allem das Teufelsbild in der Buchmalerei geprägt, wie etwa die Miniatur der Gebrüder Limburg in den Très Riches Heures de Jean, Duc de Berry (Abb. 1) veranschaulicht. 57

Für die Gestalt des Teufels als Höllenfürst hat Dante Alighieri in seiner „Divina Comedia“ eine geradezu allgemein gültige Form gefunden: Als gefräßiges und strafendes Monster thront er im untersten Kreis des Infernos. Mit den Mäulern seiner drei Gesichtern zermahlt er die drei Höchstsünder Judas, Brutus und Cassius. Seine drei Gesichter stehen für Ohnmacht, Unwissenheit und Hass, die der Macht, der Weisheit und der Liebe Gottes entgegenstehen. 58 Dantes Zeitgenosse Giotto di Bondone (1337 gestorben) verlieh ihm in der Arenakapelle in Padua die Gestalt eines riesigen, fleischigen und menschenfressenden Gorillas (Abb.2). Spätere Künstler haben bis in die Neuzeit Giottos gefräßigen Riesenaffen zum Vorbild genommen –

54 Vgl. Knapp 2003, S. 18-19.

55 Vgl. Metternich 2011, S. 34-35.

56 Metternich 2011, S. 35.

57 Vgl. Metternich 2011, S. 34-35

58 Vgl. Crispino 1991, S. 10.

(19)

19 vom religiösen Dominikanermönch Fra Angelico (1455 gestorben) mit dem Jüngsten Gericht im Kloster San Marco in Florenz bis hin zur Verbildlichung der bösen Mächte im Beethovenfries in der Wiener Secession von Gustav Klimt (1862-1918).59

Häufig trägt der Teufel ein weiteres Gesicht im unteren Körperbereich, entweder auf der Brust, dem Bauch oder im Genitalbereich. Die Wurzeln dafür finden sich sowohl im griechischen Medusenhaupt als auch in der asiatischen Kunst und sollen die Vorherrschaft der niederen Triebe versinnbildlichen. Ungewohntes und unheimliches Aussehen wurden zudem durch die Nähe zur befremdlichen asiatischen und afrikanischen Kunst erzeugt. Anders- oder Fremdartigkeit wurde als etwas Negatives und Abstoßendes wahrgenommen,60 sollte Grauen und Ekel hervorrufen und wurde häufig durch die Verbindung von tierischen menschlichen Merkmalen verstärkt. Ein aggressiv aufgerissener Rachen mit geweiteten Nasenlöchern und scharfen Zähnen sowie übergroße Körperteile von Insekten, Spinnen und anderen Tieren wurden mit ihren hässlichen Fressorganen oder ihren haarigen Beinen zum Alptraum der menschlichen Vorstellungskraft. Am Boden kriechende Tiere mit Schuppen, Warzen oder schleimüberzogener, glänzender Haut - wie etwa Lurche, Frösche, Würmer oder Schlangen – verbanden sich zu menschlichen Hybriden mit Froschmaul, Eidechsenhaut oder Krokodilbeine.

Der niederländische Maler Hieronymus Bosch (um 1450 – 1516) setzte dabei seiner Fantasie keine Grenzen und schreckte nicht davor zurück, alle nur denkbaren Tiere und Mischwesen in seiner höllischen Weltordnung (Abb.3) auftreten zu lassen. In der Teufelssymbolik nimmt die vor allem Schlange eine besondere Rolle ein, die den Menschen zum verbotenen Genuss und zur quälenden Erkenntnis verführt. In der Vision des Johannes wird das schuppige Kriechtier endgültig verteufelt, wobei es häufig als feuerspeiender Drache oder Lindwurm beschrieben und dargestellt wurde:61

„Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie konnten sich nicht halten und sie verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die

Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.“ (Offb 12, 7-9)

Seit dem Hochmittelalter tritt der Teufel in einer einigermaßen gleichbleibenden Form auf: in Menschengestalt mit schwarzer Hautfarbe, Hörnern, Bockfüßen und einem Schwanz.62 Hubert

59 Vgl. Knapp 2003, S. 19-20.

60 Vgl. Metternich 2011, S. 35-37.

61 Vgl. Knapp 2003, S. 14-15.

62 Vgl. Metternich 2011, S. 34.

(20)

20 Gerhard ( um 1620 gestorben) zeigt sein vom Erzengel Michael besiegtes, teuflisches Mischwesen Ende des 16. Jahrhunderts (Abb.4) bereits mit den dämonischen Attributen, die heute noch unser Bild Satans bestimmen: Ein knochig-dürrer oder muskelgeschwollener menschlicher Oberkörper mit hängenden Brüsten, scharfen Krallen und einem gehörnten Kopf mit aufgerissenem Maul und Spitzbart gehören noch immer zu den gängigen Merkmalen Satans. Behaarte Bockbeine und ein fleischiger langer Schwanz, der wohl das Fehlen des Geschlechtsorgans kompensieren soll, bilden den Unterkörper.63

Luca Signorelli (ca. 1450-1523) und Michelangelo Buonarroti (1475-1564) zeigen in ihren Fresken des Jüngsten Gerichts im Dom von Orvieto (Abb.5) und in der Sixtinischen Kapelle in Rom nicht mehr detaillierten Foltergräueln oder groteske Monster, sondern fast schon menschlich wirkende Dämonen, die sich nur mehr hinsichtlich ihrer Hautfarbe oder einigen wenigen Details, wie den Bockhörnern und den Fledermausflügeln, unterscheiden. Nicht die detaillierte Verbildlichung der Qualen, der Folter und der dämonischen Peiniger stehen im Vordergrund – stattdessen veranschaulichen sie, was der Mensch an Schrecken, Ängste, Brutalität und Hölle in sich selbst erfährt.64

In den protestantischen Ländern hat man sich bereits früh vom Teufel als Bildgegenstand verabschiedet oder wurde weiter- bzw. umgedeutet. Seit dem 18. Jahrhundert tritt immer häufiger der sogenannte „arme Teufel“ als hinkende, gehörnte und belustigende Jammergestalt in Karikaturen und Satiren in Erscheinung. In Volks- und Kasperltheatern hat er seinen Schrecken endgültig verloren und löst bei seinem Publikum nur mehr Gelächter aus.65

3. Mittagsdämonen und Tutivillus: die Ursprünge des schreibenden Teufels

Den mittelalterlichen Theologen und Geistlichen war es ein besonderes Anliegen, sowohl göttliche, als auch die dämonischen Wesen zu benennen und ihnen verschiedene Aktivitäten, Aufgabenbereiche und Ämter in der Teufelshierarchie zuzuordnen. Auf diese Weise sollte die Kirchengemeinde vor den heimtückischen Angriffen des Teufels und seiner helfenden Dämonen gewarnt werden, die keine Gelegenheit ausließen, den Menschen zu schaden oder vom gottgefälligen Weg abzubringen.66 Zu diesen hinterhältigen Teufeln gehört der sogenannte Mittagsdämon, vor dessen Anschläge sich die Menschen insbesondere zur Mittagszeit in Acht

63 Vgl. Knapp 2003, S. 17-18.

64 Vgl. Knapp 2003, S. 32.

65 Vgl. Knapp 2003, S. 29.

66 Vgl. Margaret Jennings, Tutivillus. The Literary Career of the Recording Demon, in: Studies in Philology Vol 74.

No. 5, 1977, S. 1-95, hier S. 1.

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21 nehmen mussten. Bereits in den antiken Kulturen konnte die glühende Mittagshitze den Menschen derartig zusetzten, dass dafür nur ein bösartiges Wesen verantwortlich gemacht werden konnte. In Palästina trat der Mittagsdämon in Kalbsgestalt mit einem Horn auf der Stirn auf. In Griechenland galt die Mittagsstunde zwar als religiöse Stunde, zugleich aber auch als Stunde der Toten, in der der von Helios gesandte Mittagsdämon den Lebenden Nachricht von den Toten übermitteln konnte. In der Mark Brandenburg lebte die Vorstellung eines bösen Geistes der Mittagshitze bis ins 20. Jahrhundert weiter: Mit einer Rohrkolbe schlug er den bei der Feldarbeit vom Hitzeschlag Getroffenen auf den Scheitel, bis diese unter krampfhaften Zuckungen, irreredend und blau anlaufend zu Boden sanken. Im steirischen Slowenien galt die Begegnung mit einem als Sichelfrau getarnten Dämon als lebensgefährlich und konnte tödlich enden. Solche und ähnliche Mythen verbanden sich im Christentum zur Vorstellung des

„daemonium meridianum“ – einem Dämon der zur Mittagszeit seine Opfer bis in den Tod trieb oder Bosheit in die Seelen ungläubiger Menschen verbreitete.67 Im monastischen Bereich galten die Angriffe in erster Linie nicht dem physischen Körper sondern dem Seelenheil, wobei die Mönche vor allem zur Mittagszeit vom Laster der „acedia“ befallen wurden, das dementsprechend dem Mittagsdämon zugeschrieben wurde. Die unheilvollen Auswirkungen der „acedia“ konnte zwar alle Gläubigen befallen, dennoch blieben meist die Geistlichen das bevorzugte Opfer – erst später dehnte sich der Geltungsbereich auch auf Laien und deren Verhalten beim Gebet und Gottesdienst aus. Das Laster hat im Laufe der Jahrhunderte eine wohl vielfältigere Veränderung durchlebt als die Übrigen. Ins Deutsche übersetzt könnte es als

„geistliche Trägheit“ bezeichnet werden, da insbesondere die frühchristlichen Theologen es als ein typisches Mönchslaster beschrieben. Vornehmlich im ostkirchlichen Bereich wurde für die monastische Trägheit der bereits bekannte „daemonium meridianum“ oder der „Mittagsdämon“

verantwortlich gemacht, der die Mönche für gewöhnlich zur Mittagszeit befiel, ihn weich und faul machte und eine allgemeine Unruhe sowie Abneigung gegen das eintönige monastische Leben und die Arbeit hervorrief. Die westlichen Theologen schrieben diesem Mittagsgespenst überdies die Erregung unanständiger Gedanken, Verführung und letztlich den Glaubensabfall zu.68 Sein Einwirken äußerte sich etwa in der Beschleunigung oder Abkürzung der Gebete während der Messe, in einer generellen Nachlässigkeit beim Rezitieren sowie im Murmeln oder im lauten Brabbeln anstelle von verständlichen Worten. Abt Hermann von Marienstatt (1150-

67 Vgl. C. Müller / G. Detlef, Von Teufel, Mittagsdämon und Amuletten, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 17, Münster 1974, S. 91-102, hier S. 95-97: Die Jagdgöttin Artemis bzw. Diana wird ebenso immer wieder mit dem christlichen Mittagsdämon in Verbindung gebracht.

68 Vgl.Isabel Grübel, Die Hierarchie der Teufel. Studien zum christlichen Teufelsbild und zur Allegorisierung des Bösen in Theologie, Literatur und Kunst zwischen Frühmittelalter und Gegenreformation, München 1991, S.

214-215.

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22 1225) schrieb über den Dämon, dass er die Mönche dazu veranlasse, Fehler zu machen, allgemeine Verwirrung beim Singen stifte oder sich bösartig zu trägen oder betrunkenen Ordensmänner stellen würde.69 Im womöglich vollständigsten Handbuch zur klösterlichen Dämonologie – dem „Liber revelationum de insidiis et versutiis daemonum adversus homines“

des Zisterzienserabtes Richalm von Schöntal (um 1219 gest.) aus dem 13. Jahrhundert – werden nicht nur Müdigkeit und abschweifende Gedanken während des Gottesdienstes, sondern jegliche Regungen des menschlichen Körpers – wie etwa Völlegefühl nach dem Essen, Husten, Juckreiz, Magenknurren und ähnliches – dem Teufel zuzuschreiben.70 Ein Zeitgenosse Schöntals – der Zisterziensermönch Caesarius von Heisterbach (1180-1240) – berichtete in einer Predigt vom Mönch Macharios, dem der Teufel im Traum die Liste seiner dämonischen Untergebenen vorgeführt habe, zu denen auch jene teuflischen Gehilfen gehören, die die Mönche zum Einschlafen reizen oder sich vor ihren Augen in verführerische Frauen verwandeln würden.71 Im Alexanderroman des niederländischen Erbauungsbuches „Der grosse Seelentrost“ aus dem 14. Jahrhundert wird von einer solchen Teufelsgestalt mit dem Namen

„Tutenillus“ berichtet, die in einem Sack die beim Gebet ausgelassenen, abgebrochenen und somit vor Gott gestohlenen Worte und Silben sammelt:

„Dat geschach in eyneme clostere, dar was eyn hillich broder, de was to eyner tijd an synem bede. Do sach he eynen ouelen geyst ghan in deme clostere, de droch eynen groten sak vppe syneme halse. Dar beswor he en, dat he em seggen scholde, wat he droge in deme sacke. Do antworde he vnde sprak: ʼIk samne hijr in dussen sack alde tobrokene wort, de desse brodere

spreken, wan se ere tide lesen, vnde darto alle de wort vnde bockstaue, de se ouerslan edder vorgeten.ʼ Do sprak de hilge man: ʼWo ys dyn name?ʼ He sprak: ʼIk byn geheten

Tutenillus.ʼ“72

Der Zisterziensermönch Caesarius Heisterbach (um 1180 – um 1240) warnt in seinem Werk

“Dialogus miraculorum“ (um 1230), dass der Sack-tragende Teufel nicht nur im monastischen Bereich zu finden sei, sondern immer dann, wenn Psalmen ohne Demut und Sorgfalt gesungen werden. Diese außerklösterliche Ausdehnung wird im „Liber de septem donis“ von Étienne de Bourbon (um 1190 bis 1261) offensichtlich: Darin erzählt er von einem verstorbenen Priester, der viele seiner Kollegen schwere Säcke tragend und um Beistand flehend gesehen habe. Auf

69 Vgl. Jennings 1977, S. 4-5.

70 Vgl. Jennings 1977, S. 4-5.

71 Vgl. Grübel 1991, S. 215-216.

72 Schmitt, Margarete (Hrsg.), Der grosse Seelentrost. Ein niederdeutsches Erbauungsbuch des vierzehnten Jahrhunderts, Köln / Graz 1959, S. 80.

(23)

23 die Frage nach dem Grund des Elends stellte er fest, dass sie mit den Silben und Wörtern der Psalmen belastet wurden, die sie während des Rezitierens weggelassen oder undeutlich gesagt hatten.73

Im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert erhielt der Sack-tragende Teufel fast überall den Namen „Tutivillus“,74 oder einen ähnlich klingenden, wie Tutenullus 75 Tintillus76, Titelinus, Tinil, Thittwil, Tituillu, Titifillus, Titinellus, Titevullus‚ Titivillus (die Liste scheint endlos) 77 und erlangte im 14. und 15. Jahrhundert große Popularität. 78 Den ursprünglichen Namen könnte man auf einen Absatz in der Komödie „Casina“ II, 5 des Plautus (um 250 – 184 v. Chr.) zurückführen, in der mit dem Wort „titivillitio“ eine Lappalie oder Nichtigkeit bezeichnet wurde. Damit könnte sich der Name auf die Aufgabe des Teufels beziehen, nutzlose Wörter und Silben zu sammeln.79 Jedoch gibt es viele weitere Theorien zur Etymologie des Wortes

„Tutivillus“: John Payne Collier (1789-1883) leitet es von den Worten „totus“ und „vilis“ – das als „völlig wertlos“ übersetzt werden kann – ab,80 während Carl Schroeder81 es um ein Anagramm des Teufels hält. Manche Autoren vermuten einen Zusammenhang zwischen den Namen und der Aktivität des Teufels „Tituli“ zu schreiben – andere glauben, dass der Name schlichtweg nichts zu bedeuten hätte – wie etwa der englische Humanist Sir Thomas Elyot (1490-1546).82 John Carter Allen (1795 – 1872) weist 1842 im „Vestiarium Scoticum“83 darauf hin, dass möglicherweise in manchen Texten Tutivillus eine Personifikation Lollardischer Priester und Prediger sei, die beschuldigt wurden, die lateinische Messe verfälscht zu haben und mit nasalem Ton zu singen.84

Neben dem Sack-tragenden Teufel trat in einer großen Auswahl mittelalterlicher Klosterliteratur ein Dämon auf, der weder als Anstifter zum sündhaften Verhalten zu verstehen ist, noch die beim Gebet und Gesang abgebrochenen Worte und Silben in einem Sack verwahrt, sondern der im Verborgenen hockt, die Menschen beobachtet und belauscht und dabei alle ihre

73 Vgl. Jennings 1977, S. 13-14.

74 Vgl. Jennings 1977, S. 14.

75 Vgl. Schmitt 1959, S. 80.

76 Vgl. Aragonés 2006, S. 22.

77 Vgl. Montañés 2018, S. 11

78 Vgl. Gabriela Signori, Räume, Gesten, Andachtsformen. Geschlecht, Konflikt und religiöse Kultur im europäischen Mittelalter, Ostfildern 2005, S. 42.

79 Vgl. Jennings 1977, S. 38.

80 Siehe John Payne Collier, The History of English Dramatic Poetry of the Time of Shakespeare and Annals of the Stage to the Restoration, London 1831, S. 223.

81 Siehe Carl Schroeder, Redentiner Osterspiel nebst Einleitung und Anmerkungen, Soltau 1893, S. 17.

82 Vgl. Montañés 2018, S. 9-10.

83 Siehe John Sobieski Stuart, Vestiarium Scoticum. From the Manuscript Formerly in the Library of the Scots College at Douay. With an Introduction and Notes, Edinburgh 1842, S. 9: John Sobieski Stuart gilt als Pseudonym für John Carter Allen.

84 Vgl. Montañés 2018, S. 9-10.

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24 Sünden penibel auf ein Pergament aufschreibt. Dieser Schreiberteufel gewann insbesondere in den mittelalterlichen Predigten rasch große Beliebtheit, wobei ganz bestimmte Zwecke verfolgt wurden:85 Das Schlafen und insbesondere das Schwatzen während der Messe und der Predigt gehört wohl zu einem sehr alten Problem, wovon Kirchenversammlungen, Predigten und Unterweisungsliteratur zeugen.86 Daher machten sich wohl die Priester des 13. und 14.

Jahrhunderts die spezifische Funktion des Mittagsteufels zunutze und verliehen ihm in ihren Predigten eine Exempla-Funktion, um die Kirchengemeinde an das richtige Verhalten während der Messfeier zu erinnern:87 Im Inneren der Kirche waren die Gläubigen zwar vor der starken Mittagshitze geschützt, nicht aber vor Ablenkungen und Unaufmerksamkeiten. Jede Art der Unkonzentriertheit, der Störung bei Gebet oder Lesung wurde auf teuflisches Einwirken zurückgeführt. Vom „acedia“-Teufel abgeleitet entwickelte sich der Verführer zu einem strengen Sündenprotokollant – dem sogenannten „schreibenden Teufel“ – der alle Laster der Menschen und ihre unzureichende Frömmigkeit niederschrieb. Er galt nicht mehr als Verursacher und Verführer, sondern seine Aufgabe war es nun, jedes sündhafte Wort, jeden Gedanken und jede Tat niederzuschreiben, um sie nach dem Tod zur Anschuldigung vor dem Letzten Gericht vorzuweisen.88 In der Apokalypse des alttestamentarischen Propheten Sophonias finden sich bereits derartige Vorstellungen eines sündensammelnden Dämons, die sich ebenso im Diskurs zur Inkarnation des Erzbischofs Proklos von Konstantinopel (um 390 - 446/447) feststellen lässt und in der „Legenda Aurea“ des Jacobus de Voragine (1228/29 - 1298) ihr Echo fand.89 Den ersten bekannten Auftritt als eigenständiger Charakter hatte der Schreiberteufel im 13. Jahrhundert in der Exempelsammlung von Jacques de Vitry (vor 1240 gestorben): In seiner Geschichte beobachtet ein Priester einen Teufel, der gerade versucht mit seinen Zähnen ein Pergament in die Länge zu strecken, damit es reichen würde, um all die untätigen Worte der Kirchgänger niederzuschreiben. Als der Priester dies der Kirchengemeinde mitteilte, taten diese Buße, sodass der Teufel das Geschriebene wieder löschen musste:90

“Quidam autem in sermone et in ecclesia inania meditantur et ociosa loquuntur, cum deberent hiis qui dicuntur cor apponere. Unde quidam sanctus sacerdos, cum videret in quadam magna sollempnitate dyabolum dentibus extendere pergamenum, adjuravit eum ut

85 Vgl. Jennings 1977, S. 24-25.

86 Vgl. Signori 2005, S. 42.

87 Vgl. Jennings 1977, S. 8.

88 Vgl. Grübel 1991, S. 214-216.

89 Vgl. Montañés 2018, S. 13-14.

90 Vgl. Johannes Bolte, Der Teufel in der Kirche. Teilweise nach Reinhold Köhlers Kollektaneen, in: Max Koch (Hrsg.), Zeitschrift für vergleichende Literaturgeschichte. Neue Folge. Elfter Band, Weimar 1897, S. 249-266, hier S. 257; Vgl. Jennings 1997, S. 25.

(25)

25 diceret ei cur istud faceret. Cui demon respondit: "Scribo ociosa verba que dicuntur in hac ecclesia et quia hodie plus solito talia multiplicantur, propter sollempnitatem diei festi, videns

quod non sufficeret cedula quam attuli, dentibus meis extendere conatus sum pergamenum.”

Quod audiens sacerdos cepit ea referre populo et omnes hoc audientes dolere et conteri ceperunt. Quibus dolentibus et penitentibus, dyabolus qui scripserat delere cepit, ita quod cedula vacua remansit. Debitis ergo cum omni diligentia et devotione divino officio et sane

doctrine intendere et non manducare uvam acerbam sed cibum spiritualem.“91

Die Priester machten sich den erzieherischen Aspekt zu nutzte und verwendeten die Geschichte des Schreiberteufels in ihren Predigten, sodass dieser alsbald äußerst beliebt und in den verschiedensten Variationen und Besetzungen weit verbreitet war. Bereits die frühen Ausformulierungen des schreibenden Teufels sind durch eine prägnante und erzählerische dichte Form gekennzeichnet, wobei ihre Entstehungszeit häufig in den 1220er Jahren verortet wird.92

Allmählich kam es zu einer Verschmelzung des sacktragenden Teufels Tutivillus, der die Mönchslaster sammelt und des Schreiberteufels, der den Laien stets im Nacken saß: In der von Thomas Wright und James Orchard Halliwell herausgegebenen „Reliquiae Antiquae“ findet sich das Manuskript MS. Douce, 104 aus dem 14. Jahrhundert, in dem der Schreiberteufel eindeutig als Tutivillus bezeichnet wird:93

„Tutivillus, the devyl of hell, He wryteth har names, sothe to tel,

admissa extrahantes.”94

Der Name Tutivillus, der bislang den sacktragenden Teufel beschrieb, wurde nun auf die Gestalt des sündenaufschreibenden Teufels übertragen. Somit hat sich seine Aufgabe als Sammler ausgelassener Worte mit dem Niederschreiben sündhafter Worte, Gedanken und Taten verschmolzen, wobei nun die Sündendokumentation im Vordergrund steht, um sie am Tag des Jüngsten Gerichts als Beweismittel vorzuweisen. 95

Sowohl in der Literatur, dem Theater und der bildenden Kunst tritt Tutivillus gelegentlich in Begleitung anderer Dämonen auf, die die Mönche ablenken oder die Gläubigen zu Fehlern und

91 Jennings 1997, S. 25.

92 Vgl. Jennings 1977, S. 11.

93 Vgl. Jennings 1977, S. 30.

94 ThomasWright / James Orchard Halliwall (Hrsg.), Reliquiae Antiquae. Scraps From Ancient Manuscripts, Illustrating Chiefly Early English Literature And The English Language. Vol I, London 1845, S. 257.

95 Vgl. Grübel 1991, S. 215-216; Vgl. Jennings 1977, S. 11.

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