Abteilung
Arbeitsmarktpolitik und Intern. Sozialpolitik
Deutscher
Gewerkschaftsbund Bundesvorstand
Berlin, 28.01.2004
Stellungnahme
des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Verordnung zur Durchführung von
§ 28 des XII. Buches Sozialgesetzbuch, SGB XII (Regelsatzverordnung)
Stand des Entwurfs: 23.01.04
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28.01.2004- Seite 2
2 Vorbemerkung:
Der Entwurf einer Regelsatzverordnung zu § 28 SGB XII setzt das zum 1.
Januar 2005 neugefasste Sozialhilferecht (SGB XII) im Bereich der Re- gelsätze um. Die aus Sicht des DGB an der Neufassung zu äußernde Kri- tik wurde bereits im Rahmen der Anhörung im Deutschen Bundestag zum Gesetzentwurf SGB XII im September 2003 formuliert.
Die dort geäußerten Kritikpunkte sind vollinhaltlich auch auf den jetzt vorliegenden Entwurf einer Regelsatzverordnung zutreffend.
Die wesentlichen Kritikpunkte des DGB sind:
1. Festsetzung der Regelsätze durch Rechtsverordnung
Das neue Sozialhilferecht hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen für den Personenkreis der Leistungsempfänger nach SGB XII, sondern bildet auch das Referenzsystem für das steuerfreie Existenzminimum sowie für die Bemessung des Arbeitslosengeldes II. Der Festlegung der Regelsätze kommt daher große politische Bedeutung bei. Aus die- sem Grunde sollte die Festlegung nicht durch Rechtsverordnung der Bundesregierung sondern durch den Gesetzgeber entschieden wer- den.
2. Festsetzung des Eckregelsatzes
Die Höhe des Eckregelsatzes soll aus der im Regelfall alle fünf Jahre erhobenen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) abgeleitet werden. Entscheidend sollen hierbei die Verbrauchsausgaben der un- teren 20 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Haushalte sein.
Der DGB hält diese Verknüpfung des Eckregelsatzes mit den
Verbrauchsausgaben nur eines Bevölkerungssegments für nicht über- zeugend. Die Sozialhilfe muss sich an einem an der Entwicklung der Gesamtgesellschaft gemessenen ökonomischen und soziokulturellen Existenzminimum bemessen. Die Sozialhilfe muss ihrerseits das Exis- tenzminimum (vor-)definieren und darf sich nicht als Folgegröße aus von Einkommens- und Preisschwankungen abhängigen Verbrauchs- verhaltens eines Teils der Bevölkerung ableiten. So rechtfertigt z.B.
ein Absinken der Reallöhne im Niedriglohnbereich keine Senkung des objektiven soziokulturellen Existenzminimums.
Der DGB tritt für ein transparentes, objektiv nachvollziehbares und öf- fentliches Verfahren der Regelsatzbestimmung über ein Warenkorb- modell ein.
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3 Die Anbindung an die EVS in der vorgesehenen Weise ist auch inso- fern unzureichend, als die maßgebliche Datenerhebung bereits 1998 stattgefunden hat und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regel- satzverordnung damit sieben Jahre alt ist. Die Fortschreibung des
“Ausgangswertes“ 1998 gemäß der Entwicklung der gesetzlichen Renten (siehe Begründung zu § 5 Regelsatzverordnung-Entwurf) be- rücksichtigt nicht die Preisentwicklung und Änderungen im
Verbrauchsverhalten in den letzten sieben Jahren.
Die „Bereinigung“ der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe in § 2 der Regelsatzverordnung ist auch unter Zugrundelegung der Begrün- dung nicht nachvollziehbar. Die angeblichen Abweichungen des Verbrauchsverhaltens bei Sozialhilfeempfängern im Vergleich zu den unteren 20 Prozent der Einkommenspyramide sind nicht erkennbar und damit letztlich gesetzte Größen.
Die „Bereinigung“ um Positionen wie z.B. Maßkleidung, Pelze, Sport- boote oder Segelflugzeuge (siehe Begründung zu § 2 des Entwurfes) wirft die Frage auf, ob diese Produkte von der Vergleichsgruppe der einkommensschwächsten Haushalte überhaupt konsumiert werden (können).
3. Fortschreibung der Regelsätze
Die Regelsatzverordnung sieht eine Fortschreibung der Regelsätze durch eine Anbindung an den aktuellen Rentenwert in der gesetzli- chen Rentenversicherung vor. Dieses Verfahren wurde bereits in der Vergangenheit angewandt und hat dazu geführt, dass die Entwick- lung der Regelsätze deutlich hinter dem Anstieg der Lebenshaltungs- kosten zurückblieb. Damit wurde das Bedarfsdeckungsprinzip der So- zialhilfe gravierend verletzt.
Eine sachliche Notwendigkeit der Anbindung an die Rentenentwick- lung besteht nicht. Insbesondere vor dem Hintergrund nicht auszu- schließender Nullrunden in der Rentenversicherung ist diese Anbin- dung abzulehnen. Stattdessen schlägt der DGB eine Koppelung an die Entwicklung des Verbraucherverhaltens und die Steigerung der Le- benshaltungskosten vor.
4. Aufbau der Regelsätze
Der DGB hält die vorgesehene Verringerung der Altersstufen bei Ju- gendlichen von vier auf zwei für nicht sachgerecht. Das Argument ei- ner Verwaltungsvereinfachung kann nicht rechtfertigen, dass für Kin-
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4 der zwischen 7 und 17 Jahren die Regelsätze zum Teil gravierend ge- senkt werden. Gerade für Familien mit Kindern muss Sozialhilfe eine auskömmliche Lebensführung sichern. Politisches Ziel sollte sein, die Zahl sozialhilfebeziehender Kinder und Jugendlicher deutlich zu ver- ringern, nicht jedoch ihre Lebensgrundlagen weiter zu verschlechtern.
5. Regionale Abweichungen von den Regelsätzen
§ 2 des Entwurfes der Regelsatzverordnung eröffnet in Verbindung mit § 29 Abs. 2 SGB XII die Möglichkeit zu regional abweichenden Regelsätzen. Diese Möglichkeit ist den Ländern und mittelbar sogar den örtlichen Sozialhilfeträgern eröffnet. Diese Option zielt erkennbar auf eine Absenkung der Regelsätze insbesondere in den neuen Bun- desländern. Daran ändert auch die befristete Klausel in § 29 Abs. 2 SGB XII nichts.
Der DGB lehnt eine Verlagerung der Regelsatzfestlegung auf die regi- onale Ebene ab. Die Festsetzung der Höhe des existenzsichernden Bedarfs darf nicht durch kommunale Gremien erfolgen. Ansonsten würde hier eine “Spardose“ bei den jährlichen Haushaltsberatungen eröffnet.
Auch fachlich ist eine regionale Differenzierung entbehrlich. Der regi- onale unterschiedliche Bedarf wird im Wesentlichen durch die Unter- kunftskosten begründet, die aber nicht in den Regelsätzen enthalten sind.
6. Lohnabstandsgebot
Der DGB hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Referenzgröße für die Bemessung des Lohnabstandes geändert werden sollte. Die Zugrundelegung einer Haushaltsgemeinschaft eines Ehepaares mit drei Kindern und einem Erwerbstätigen ist nicht repräsentativ. Diese Personengruppe ist sowohl unter Sozialhilfeempfängern als auch all- gemein unter erwerbstätigen Haushalten mit Niedrigeinkommen nur unterdurchschnittlich vertreten.
Der DGB schlägt vor, für die Bemessung des Lohnabstandes einen Vier-Personen-Haushalt mit einem Verdiener als Vergleich heranzuzie- hen. Außerdem sollten bei der Berechnung des Vergleichseinkom- mens der Absetzbetrag wegen Erwerbstätigkeit (bisher § 77 Absatz 3 BSHG) unberücksichtigt bleiben. Dies entspricht auch der Empfehlung der von der Bundesregierung eingesetzten Expertengruppe „Arbeitslo- senhilfe/Sozialhilfe“ der Kommission zur Reform der Gemeindefinan- zen.