SEKTION XII: KUNST UND ARCHÄOLOGIE DES ORIENTS
SEKTIONSLEITER: K. PARLASCA
DIE BILDBIOGRAPHIEN DER SHÖTOKU TAISHI EDEN
UND IHRE SZENENFOLGE
von Gisela Armbruster, Mannheim
Bildbiographien, detaillierte Schilderungen vom Leben bedeutender Persönlich¬
keiten, vor allem buddhistischer Sektengründer und Patriarchen, stellen eines der
wichtigsten Themen der erzählenden Bildkunst Japans dar. Das früheste bekannte
Beispiel, die fünf DoppelbUder aus der edono, der Bilderhalle des Höryü-ji bei Nara,
1069 von Hata Chishin gemalt, schildert das Leben des großen Kulturheroen, des
Prinzregenten Shötoku Taishi (573-622) und unterscheidet sich in der Anordnung
der einzelnen Szenen in erstaunlicher Weise von der Menge der späteren Priester¬
biographien in der Form von QuerbUdroUen (emaki) aus dem 12. bis 15. Jahrhun¬
dert. Während in den Büdstreifen der emaki die Darstellungen grundsätzlich in chro¬
nologischer Abfolge nebeneinander gesetzt werden, ist auf den Bildfeldern der
edono des Horyü-ji auf eine chronologische Ordnung keinerlei Wert gelegt. Die
Ereignisse sind zwar durch Kartuschenbeischriften, die der schriftlichen Biographie
des Prinzen von 917 wörtlich entnommen sind, auf sein jeweüiges Lebensalter fest¬
gelegt, aber innerhalb der großen Landschaftspanoramen der DoppelbUder frei
verstreut. Auf dem ersten BUd z.B. fmden Empfängnis und Geburt des Prinzen in
der Mitte der rechten BUdhälfte statt, getrennt durch Szenen aus dem 2. und 4.
Lebensjahr. Der Besuch des Kaisers bei dem Neugeborenen ist darunter dargestellt, Ereignisse, bei denen der Prinz 2 und 11 Jahre alt ist, darüber. Ganz oben links in
der Ecke eine Szene aus dem 10. Lebensjahr, unten hnks weitere Szenen mit dem
26 und 27jährigen Helden.
Eine so regellose Anordnung erstaunt bei einem Künstler, der sich in der Darstel¬
lung des panoramischen Landschaftsraumes sowie im erzählerischen Detail als hoch¬
qualifiziert erweist. Eine Erklärung ergibt sich aus der Funktion dieser ursprünglich auf Schiebetüren montierten Bilder, die sich erschließen läßt, wenn man die späte¬
ren zahlreichen Shötoku Taishi eden betrachtet.
Erst aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts haben wir weitere BUdbiogra-
phien mit diesem Thema, und zwar in großer Fülle seit 1322, als der Shötoku-
Taishi-Kult nach der 700sten Wiederkehr seines Todesjahres neuen Aufschwung
nahm, vor allem in Klöstern der Amida-Shin-Schule. Neben wenigen eden in emaki-
Fprm wurden nur noch Serien von vier bis zehn kakemono (HängeroUen) gemalt;
das Großformat der Schiebetüren (fusuma-e) des 11. Jahrhunderts wurde nicht
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
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mehr gewählt. In der Mehrzahl der kakemono sind die Szenen in eine gewisse zeit¬
hche Ordnung gebracht, von oben nach unten einander folgend oder umgekehrt.
Ein besonderes System verfolgen einige HängeroUen-Gmppen in Tempeln der Shin-
Schule, wo seit alters bis heute sog. etoki, Bilderklärungen abgehalten werden: Ein Priester erklärt mit einem Stock der gläubigen Gemeinde den Inhalt der Bildbiogra¬
phien, Szene für Szene. In der ersten Rohe folgen sich die Szenen von oben nach
unten, in der zweiten von unten nach oben und so fort (bustrophedon-artig), so
daß der Zeigestock ohne abzusetzen von einer Bildrolle zur anderen übergehen
kann.
Ein anderes System ordnet auf Serien von vier oder acht Hängerollen die Episo¬
den nach der Jahreszeit, in der sie sich ereigneten: Es entstehen Frühlings-, Som¬
mer-, Herbst- und Winter-Bilder. Auf diesen Bildfeldern sind die Szenen auffallen¬
derweise nicht chronologisch geordnet, sondern, ähnlich wie auf den Höryüji-
Wandbildern des 11. Jahrhunderts, frei in einer panorama-artigen Landschaft ver¬
teilt. Ein Beispiel stammt aus dem späteren 14. Jahrhundert im Eifuku-ji, Osaka,
dem Grabtempel des Shötoku Taishi und seiner Familie. Man kann vermuten, daß
in diesem innerhalb des Shötoku-Taishi-Kultes so hochstehenden Tempel keine
etoki für Laien abgehalten wurden, jedenfalls erscheint das System der Jahreszei¬
ten-Bilder für eine derartige Demonstration weniger geeignet.
Etoki gibt es nachweislich schon seit dem 12. Jahrhundert, in Tagebüchern hoher Adliger wird davon berichtet, auch bei Besuchen in der edono des Höryü-ji. Ob aber
zur Zeit der Entstehung dieser fusuma-e um 1069 schon etoki übhch waren, ist
nicht nachweisbar. Es erscheint unwahrscheinlich, daß der Schöpfer dieser großen
Wandbilder an etwas derartiges gedacht hat. In seinen Kompositionen erweist er
sich als vollkommen uninteressiert an chornologischer Wiedergabe des Lebenslaufes.
Wichtig ist hier, daß die bedeutenden Episoden aus dem Leben des großen Mannes
an dieser Kultstätte anwesend sind, in dem von ihm selbst gegründeten Kloster in
der Nähe seines Palastes. Daneben hatte der Maler aber auch die Aufgabe zu erfül¬
len, den Raum mit Wandbildern zu schmücken - eine dekorative Funktion der
fusuma-e, die den späteren Hängerollen ganz fehlt. Und so schuf er großflächige
Landschaftsbilder, in denen die Einzelepisoden der Biographie zwanglos verteilt
erscheinen.
Daß der Maler aber doch ein gewisses System verfolgte bei dieser Szenenvertei¬
lung, wurde mu klar durch die Interpretation indischer Wandbilder in Höhle XVII
von Ajantä, Ende 5. Jahrhundert, durch Prof D. Schlingloff In dem Sutasoma-
Jätaka sind die Szenen der Legende ebenfalls völlig unchronologisch angeordnet;
Ereignisse, die im Palastbezirk spielen, sind ohne Rücksicht auf üire zeitliche Folge
in den Gebäudekomplexen einer Büdpartie zusammengefaßt, während Kampfsze¬
nen und andere im Dschungel oder in der Wüste spielende Episoden an einem
anderen Teü der Wand nebeneinander erscheinen, ebenfahs ohne zeitlichen Bezug
untereinander. Ein ähnliches System verfolgte Hata Chishin auf seinen Schiebe¬
türen: Auf der ersten Büdfläche finden wir die Szenen der Kindheit, ohne chrono¬
logischen Zusammenhang, in und um den Kaiserpalast gmppiert, ein Geschehen
aber, das bei den nördhchen Barbaren spielt, wird ganz nach links oben in die Ecke gerückt, möglichst weit entfernt von der Hauptstadt. Auf dem fünften Doppelbüd
ist das Büdfeld durch eine weite Wasserfläche zweigeteüt. Links ist die Küste des
Die Bildbiographien der Shötoku Taishi Eden 473
chinesischen Festlandes zu sehen mit Szenen aus früheren Existenzen des Prinzen
und Episoden aus seiner historischen Lebenszeit. Rechts, also im Osten, die japani¬
sche Küste mit dem Shitennö-ji in Osaka und verschiedenen Szenen aus dem Leben
des Helden und nach seinem Tode.
Nachweislich gab es in diesem Shitennö-ji, dem ältesten von Shötoku Taishi ge¬
gründeten Tempel, schon einen Wandbildzyklus mit Shötoku Taishi eden, auf den
die Schiebetür-Gemälde des Höryü-ji zurückgehen mögen. Ihre relativ altertümli¬
chen Landschaftskompositionen machen das wahrscheinlich.
So erscheint ein Einfluß der indischen Wandbüd-Komposition des S.Jahrhun¬
derts bis ins Japan des 8. Jahrhunderts - eventuell über Tunhuang - nicht undenk¬
bar im Hinbhck auf die Wandemng des Buddhismus und seiner künstlerischen Mo¬
tive von Westen nach Osten.
LITERATUR
Shotoku Taishi eden, Nara kokurhsu hakubutsu-kan 1969. Darin: Ishida Mosaku: Shotoku Taishi no shinko to eden. - Minamoto Toyomune: Shotoku Taishi eden no bijutsushiteki kösatsu. - Kikutake Junichi: Kakko kaisetsu.
Kikutake Junichi: Shotoku Taishi eden. Nihon no Bijutsu 91,1973.
Alexander C. Soper: A Pictorial Biography of Prince Shotoku. The Metropolitan Museum of Art Bulletin, January 1967, p. 197 ff.
Akiyama Terukazu: Heian jidai sezoku-ga no kenkyü, Tokyo 1964. Darin: H6ryÜ-ji edono Shotoku Taishi-den shoji-e, S. 169 ff.
Takasaki Fujihiko: Shotoku Taishi eden byobu. Kyu Horyü-ji kenno gyobutsu. Shin jüyo bun- kazai. Museum 77, August 1957, p. 8 ff.
SIDDHAM, SVASTI AND OM - INVOCATIONS IN EPIGRAPHS
AND MANUSCRIPTS
by Gouriswar Bhattacharya, Berlin
When an Indian writes a text, religious or secular, he wishes that the writing, the
addresse and he himself be blessed by a sacred symbol or expression which he,
therefore, employs at the beginning of his text. In North India, for example, the expressions such as om, om durgä, iri harih, iri-iri-harih Mramm, irl-ganeiäya namah, etc. are used. Some of the expressions used in Tamil Nadu are om, murugan tunai, iivan tunai, etc. Until recently a symbol was used in Bengal which was called
aji and was pronounced as orn siddhih or siddhir astu. In Gujarat this symbol is
called bhale meaning perhaps "be blessed" and it is sometimes read as such by the Jainas. In Tamil Nadu the symbol is now called pillaiyär iuli "Ganes'a's curl", and the children are even today taught to draw it before they begin to learn the alpha¬
bet. Formerly the scribes belonging to different regions of India used to draw this symbol at the beginning of manuscripts. However, the earlier scholars who prepared
catalogues of Indian manuscripts have suggested varying interpretations of this
symbol. Weber {Verzeichnis, 11,3, 1891, p. XVI) supported Bühler's identification of the symbol (two or three signs) occuring in the Jaina manuscripts as a rha rn and considered it as an innovation of the Jainas. Kielhorn {Kleine Schriften, I, 1969, p. 71) identified the symbol used in the North Indian manuscripts (of 11th to 13th century A.D.) as om. These identifications deserve to be reconsidered now. In order to correctly interpret the symbol used in manuscripts, one has to study the origin and development of this symbol in the epigraphs of earlier periods.
siddham (expression)
In the British Museum Stone Inscription of the Kusäna ruler Kaniska, regnal year
10, the expression siddham has been engraved at the beginning {Ep. Ind. vol. IX,
p. 240, plate). The expression has been used by the successors of Kaniska, by the
Ik§väkus (Krishna-Guntur region), the Sätavähanas, the Guptas, and by other dy¬
nasties. In the Central Asian Buddhist manuscripts the word siddham was very
often written at the beginning. As far as epigraphs are concerned, the word siddham appears perhaps for the last time in the Mandasor Inscription of Yasodharman,
mäava year 589 (= 532 A.D.). - However, the expression does not occur in the
records from Eastern India (i.e. Bihar, Bengal, Assam and Orissa) and from South India beyond the Krishna-Guntur region.
siddham (symbol)
Scholars of Indian Epigraphy met for the first time with a symbol in the Manku-
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen