• Keine Ergebnisse gefunden

A InformationsbriefWeltwirtschaft & Entwicklung

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "A InformationsbriefWeltwirtschaft & Entwicklung"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Wenn die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) in diesem Monat in Genf an den Verhandlungstisch zurückkehren, können sie nicht so weitermachen wie bisher. Auf der Ministerkonferenz in Hongkong vom 13.-18. Dezember 2005 verpaßten sie die Chance, die Weichen für ein faireres und entwicklungsfreund- licheres Welthandelssystem zu stellen. Einigen wenigen, teilweise nur kosmeti- schen Fortschritten im Agrarbereich, die in Hongkong erreicht wurden, standen entwicklungspolitisch mehr als problematische Festlegungen in den Bereichen Industriegüterimporte und Dienstleistungen gegenüber. Kommerzinteressen behielten gegenüber Entwicklungsinteressen am Ende die Oberhand, während die meisten komplizierten Entscheidungen auf das Jahr 2006 verschoben wurden.

Doch es ist fraglich, ob die Industrieländer in kurzer Zeit die Kraft zu der erfor- derlichen handelspolitischen Kehrtwende aufbringen werden, ohne die die Doha- Runde als Entwicklungsrunde scheitern wird. Der vorliegende, unter Federführung von Duncan Green verfaßte Text analysiert en detail die Entscheidungen, die in Hongkong getroffen wurden, und versucht, die weitere Perspektive der Verhand- lungen abzuschätzen.

Was geschah im Vorfeld von Hongkong?

Das Scheitern der vorangegangenen Mi- nisterkonferenz in Cancún wurde im Juli 2004 in Genf durch ein Rahmenabkom- men entschärft, in dem die Eckpunkte für den Rest der Runde abgesteckt wurden.

Seitdem wurden allerdings in Genf nur minimale Erfolge erzielt. Termine kamen und gingen vorbei, Fristen verstrichen, man traf sich, um dann doch nur altbe- kannte Positionen zu wiederholen.

Schuld an dieser Paralyse – so die allge- meine Einschätzung – ist die Landwirt- schaftspolitik der reichen Länder. Im Ok- tober 2005 unternahmen die USA und die EU dann auch den Versuch, vor Hongkong neue Impulse zu setzen: Sie legten Vor- schläge auf den Tisch, die angeblich be- deutende Fortschritte bei allen drei Säulen des Agrarabkommens – Subventionen, Exportwettbewerb und Marktzugang – darstellten. Bei genauerem Hinsehen zeig- te sich jedoch, daß die Vorschläge wenig Substanz hatten. So wurden einerseits kaum oder keine bedeutenden Subventi- onskürzungen oder Zollsenkungen ange- boten, während andererseits zahlreiche Schlupflöcher bestehen blieben, die es den Regierungen im Norden weiterhin ermöglichen, ihre Landwirtschaft massiv zu subventionieren und die Überproduk- tion zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt zu werfen. Aber sogar für diese Schein- angebote verlangte die EU eine Gegenlei- stung in Form von verbessertem Zugang für europäische Unternehmen zu den Märkten der Entwicklungsländer.

Trotz ihrer fragwürdigen Inhalte lösten die Vorschläge hektische Diskussionen mit anderen Handelspartnern aus und nährten Hoffnungen, daß es in Hongkong doch noch Fortschritte geben würde.

Auch in den zwei anderen zentralen Ver- handlungsbereichen waren die Fortschritte minimal oder gar nicht vorhanden: Indu- striezölle (Marktzugang für Nichtagrarische Güter – NAMA) und Dienstleistungen. Was NAMA betrifft, so stagnierten die Gesprä- che über der Frage, welche Formel für die Zollreduktionen gelten und welche Flexi- nders als die drei vorangegangenen

WTO-Ministerkonferenzen in Se- attle, Doha und Cancún endete das Treffen 2005 in Hongkong nicht in Straßenschlachten. Keine übernächtigten Verhandlungspartner, die sich nach Tores- schluß noch einen fragwürdigen Kompro- miß abrangen, während viele ihrer Kollegen schon im Flugzeug nach Hause saßen, keine Kakophonie aus Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen. Aber hier hört die – bescheidene – Erfolgsgeschichte auch schon auf, denn der Text, auf den man sich in Hongkong einigte, ist einmal mehr das Ergebnis einer vertanen Gelegenheit, den Handel für die Armen weltweit gerech- ter zu gestalten. Die Einigung spiegelt viel stärker die Interessen der reichen Länder als die der Entwicklungsländer wider, und die meisten schwierigen Entscheidungen wurden außerdem auf ein weiteres Treffen Ende April 2006 vertagt. Aber man fragt sich, wieso sich die reichen Länder, die in Hongkong die notwendigen Führungsqua- litäten vermissen ließen, ein paar Monate später anders verhalten sollten.

Das vorliegende Papier bietet eine vorläu- fige Analyse der Ergebnisse der Minister- konferenz von Hongkong und der Auswir- kungen auf die Doha-Runde, die WTO und die Entwicklung.

Was hätte in Hongkong erreicht werden müssen?

Vier Jahre nach dem Beginn der Doha- Runde befanden sich vor Hongkong die weltweiten Handelsgespräche eindeutig in Schwierigkeiten. In dem Papier „Blood on the Floor“, das im Vorfeld der Minister- konferenz veröffentlicht wurde (s. Hinweis), beschrieb Oxfam detailliert die Herausfor- derungen, vor denen die WTO-Mitglieder standen. Sollte der Titel „Entwicklungs- runde“ berechtigt sein, mußte man in Hongkong Fortschritte in folgenden Berei- chen machen:

● Reform der Landwirtschaftspolitik des Nordens, um dem Dumping ein Ende zu bereiten;

● Gewährung von ausreichendem politi- schem Gestaltungsspielraum („policy space“) für die Entwicklungsländer, damit sie ihre bedrohten Bauern schützen und neue Produktions- und Dienstleistungsin- dustrien fördern können;

● wachsender Zugang für die Bauern und Industrien der Entwicklungsländer zu den Märkten der reichen Länder.

Offensichtlich war dies nicht allein in Hong- kong zu erreichen. Sollte in der Runde aber zumindest wieder etwas an Glaub- würdigkeit zurück gewonnen werden, so mußte die Ministerkonferenz greifbare Fortschritte bei den Entwicklungsthemen erzielen. Aber leider kann davon keine Rede sein.

A

www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org W&E-Hintergrund Januar 2006

Informationsbrief

Weltwirtschaft & Entwicklung

Was geschah in Hongkong?

Die 6. Ministerkonferenz

der WTO und ihre Ergebnisse

Hg. v. Elmar Altvater, Dieter Boris, Tatjana Chahoud, Hans-Joachim Döring, Rainer Falk, Thomas Fues, Bernd Hamm, Gunther Hilliges, Uwe Hoering, Hartwig Hummel, Jens Martens, Klaus Milke, Doris Peschke, Christoph Scherrer, Frithjof Schmidt, Herbert Schui, Heffa Schücking, Barbara Unmüßig, Peter Wahl, Christa Wichterich

1 Einführung

(2)

bilitäten den Entwicklungsländern einge- räumt werden sollte.

Bei den Dienstleistungsverhandlungen waren die reichen Länder mit den Ange- boten der Entwicklungsländer nicht zufrie- den, weshalb sie im Vorfeld von Hongkong – also mitten im Verhandlungsprozeß – versuchten, noch schnell die Spielregeln zu verändern. Anstatt eines entwicklungs- freundlichen bottom up-Ansatzes, der (anders als andere WTO-Abkommen) den Ländern die Entscheidung überläßt, wel- che Branchen in die Verhandlungen ein- bezogen werden sollten, forderte die EU von allen Mitgliedern ein benchmarking, d. h. eine verhandelte Mindestverpflich- tung in Bezug auf die Anzahl der Branchen und das angestrebte Liberalisierungsni- veau. Mit einem Schachzug, der sympto- matisch ist für die Art und Weise, wie vor einer Ministerkonferenz Entwicklungsfra- gen von Machtpolitik ins Abseits gedrängt wurden, legte der Vorsitzende der Dienst- leistungsverhandlungen im Oktober 2005 einen Textentwurf vor, der sich trotz des Widerstands der Entwicklungsländer an den Vorschlägen der EU orientierte.

Je näher die Ministerkonferenz rückte, desto stärker konzentrierte sich die EU auf das, was sie als „Entwicklungspaket“

bezeichnete – ein Maßnahmenpaket, das z.B. die Zustimmung zu einer Ergänzung des TRIPS-Abkommens (über handelsbe- zogene Aspekte geistiger Eigentumsrech- te) vorsah, um den Zugang armer Länder zu patentierten Medikamenten zu erleich- tern; zoll- und quotenfreien Marktzugang für die ärmsten Länder (LDCs); handels- bezogene Entwicklungshilfe („aid for trade“) und Maßnahmen gegen die sog.

Präferenzerosion. Skeptiker bezeichneten das Entwicklungspaket jedoch als den Versuch, von der dringend notwendigen Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU abzulenken.

Einen Monat vor der Ministerkonferenz zeichnete sich ab, daß das ehrgeizige Ziel der vollständigen „Modalitäten“ (im we- sentlichen Vereinbarungen mit Zahlen, die die Mitgliedstaaten in nationale Pläne umsetzen müssen) nicht zu realisieren sein würde. Der Generalsekretär der WTO, Pascal Lamy, und andere Big Players be- gannen deshalb, die Erwartungen zu dämpfen. Anstatt sich auf konkrete Zahlen zu verständigen, wurde Hongkong eine Arena für Schattenboxer und ein Forum für Vieldeutigkeiten, verziert mit ein paar kleinen und stark überzeichneten Fort- schritten bei einigen Entwicklungsfragen.

Wie funktionierte die

Ministerkonferenz in Hongkong?

WTO-Ministerkonferenzen sind immer chaotisch, und Hongkong bildete hier kei- ne Ausnahme. Wie üblich sendete der Flurfunk unablässig Gerüchte über verän- derte Positionen, Zugeständnisse, Abma- chungen, Ausstiege und Zerwürfnisse in und zwischen den Gruppen. Einige dieser Gerüchte wurden zweifellos bewußt ge- streut.

Gleichwohl lobten viele der Delegierten das Organisationsgeschick und die Effizi- enz der Konferenzveranstalter und der

Regierung von Hongkong. Diese Minister- konferenz, so hieß es, sei transparenter und offener als ihre Vorgängerinnen. Mi- nisterkonferenzen funktionieren heute nach einem sich entwickelnden, pseudo- parlamentarischen green room-System, bei dem die unterschiedlichen Länder- gruppierungen über Repräsentanten in den – in kleinen Gruppen erfolgenden – Diskussionen vertreten sind und über diese Repräsentanten immer über den aktuellen Verhandlungsstand der bespro- chenen Themen auf dem Laufenden ge- halten werden. Diese Kommunikationsli- nien wurden jedoch mit der zunehmenden Übernächtigung der Delegierten bei gleich- zeitiger Verschärfung des Verhandlungs- tempos erheblich gestört. Dies führte da- zu, daß in der entscheidenden Schlußpha- se viele Delegierte, insbesondere aus kleineren Delegationen, nur zum Teil ver- standen, was eigentlich diskutiert wurde.

Schlafmangel verstärkte das ohnehin vor- handene Ungleichgewicht an Verhand- lungskapazitäten zwischen den Delega- tionen, die genug Mitglieder haben, um schichtweise schlafen und arbeiten zu können, wie z.B. der US-Delegation (356 Personen), und solchen, die rund um die Uhr anwesend sein müssen wie Burundi (3 Delegierte).

In einem solchen Druckkessel kann sich schnell eine „Auktionsmentalität“ entwic- keln, in der die Delegierten für etwas bie- ten, auch wenn sie nicht sicher sind, ob sie es brauchen. Das können sich die Big Player zunutze machen, indem sie kleine Zugeständnisse von ihrer Seite als große Siege für Entwicklungsländer verkaufen.

Es gehört zur klassischen Verhandlungs- taktik, zunächst ein Angebot zu unterbrei- ten, das hinter den Ist-Zustand zurückfällt.

So werden die anderen Delegierten ge- zwungen, Zeit und politisches Kapital zu verschwenden, um mindestens die aktu- elle Position zu halten. Je weiter dieser Verhandlungsmarathon fortschreitet, desto schwieriger wird es, die wirklichen Verbes- serungen von bloßer Augenwischerei zu unterscheiden.

Darüber hinaus führt die Tatsache, daß sich immer mehr Entwicklungsländer aktiv an den Verhandlungen beteiligen, dazu, daß die „variable Geometrie“ der verschie- denen Ländergruppen, die zu unterschied- lichen Themen zusammenarbeiten, immer komplexer wird. Dadurch steigt die erfor- derliche Zeit für Beratungen und für Be- richterstattungen aus den Green Rooms an die größeren Gruppen. Diese Berichts- last bedeutet zusätzlichen Streß in einer Konferenz, die auf fünf Tage begrenzt ist.

Dieses Verhandlungssystem ignoriert grundlegende Fragen der Rechenschafts- pflicht und der Good Governance, z.B.

die Protokollführung oder die Gewährung ausreichender Zeit, um Texte zu analysie- ren und mit den Regierungen zu Hause zu beratschlagen.

Kurz gesagt, die WTO ist – um Pascal Lamys Worte zu gebrauchen – nach wie vor eine „mittelalterliche Organisation“, und viele Länder unterzeichnen Vereinba- rungen, ohne sich über deren Auswirkun- gen im Klaren zu sein.

Delegierte der G90 – eines Zusammen- schlusses aus AKP-Staaten (Afrika, Kari- bik, Pazifik), LDCs und Ländern der Afri- kanischen Union – waren zunehmend frus- triert, als sie mehrere Vorschläge für Text- änderungen vorgelegt hatten, die zwar von keinem der Teilnehmer abgelehnt, aber vom Moderator oder anderen, die für die Annahme oder Ablehnung von Vorschlägen verantwortlich waren, einfach ignoriert wurden. Dies geschah beispielsweise mit Vorschlägen, den Verweis auf konzessio- näre Kredite aus dem Absatz über handels- bezogene Entwicklungshilfe (Abs. 57) zu streichen oder zwischen staatlichen Han- delsunternehmen in Industrie- und Entwick- lungsländern zu unterscheiden (Abs. 6).

Die schwerwiegendste Verfahrensmißach- tung geschah jedoch in den Dienstlei- stungsverhandlungen, wo der koreanische Minister, der in Hongkong die Diskussio- nen moderieren sollte, die Holzhammer- methoden des Vorsitzenden der Dienstlei- stungsverhandlungsgruppe aus Genf übernahm. Er versuchte mit aller Gewalt, den umstrittenen Anhang C über Dienstlei- stungen als Teil des Textes durchzuboxen, trotz des vehementen Widerstandes der Entwicklungsländer. Am Ende setzte er sich durch, doch den Entwicklungsländern war es zumindest gelungen, einige Verän- derungen einzubringen, die den ursprüng- lich drastischen Text etwas abmilderten.

Delegierte berichteten außerdem, daß das WTO-Sekretariat und der neue General- sekretär Pascal Lamy wesentlich aktiver an der Aushandlung der endgültigen Ver- einbarung beteiligt waren und bilaterale Unterredungen mit Schlüsselländern – das sog. Beichtstuhlverfahren – anwen- deten, um zu einem für sie akzeptablen Text zu gelangen. Durch diesen Prozeß wurde ein Text verabschiedet, der knapp unter der Unannehmbarkeitsgrenze liegt, deren Überschreiten ein erneutes Schei- tern der Verhandlungen bedeutet hätte.

Zwischen Führungsqualitäten und Erpres- sung liegt jedoch nur ein schmaler Grat, und einige der Delegierten waren der Mei- nung, daß Lamy in den Dienstleistungs- verhandlungen diesen Grat überschritten habe.

Wie dem auch sei, Lamy kehrte mit neuem politischen Kapital nach Genf zurück, und es ist nun ganz entscheidend, daß er die- ses Kapital einsetzt, um entwicklungspo- litische Belange ins Zentrum der Runde zu rücken.

2 Die Deklaration der Ministerkonferenz

Geringfügige Fortschritte in den Agrarverhandlungen (Abs. 3-10)

96% der Bauern weltweit leben in Ent- wicklungsländern, wo sie drei Viertel der ärmsten Bevölkerung der Welt ausma- chen. Für viele Länder ist eine gesunde und produktive Landwirtschaft ein wesent- licher erster Schritt auf dem Weg zur Ent- wicklung.

Reiche Länder und arme Länder unter- stützen ihre Bauern auf ganz unterschied- liche Weise. Die armen Länder, die an

(3)

chronischem Geldmangel leiden, müssen Importzölle erheben, um die Preise für die eigenen Bauern hoch zu halten und sich vor Importdumping und Importflut zu schüt- zen. Subventionssupermächte wie die EU und die USA helfen ihrer Landwirtschaft mit staatlichen Zuschüssen. Ausufernde Subventionen führen im Norden zu immen- ser Überproduktion, die dann auf den Welt- märkten verschleudert wird, was die Preise ruiniert und der Landwirtschaft in den Ent- wicklungsländern schadet. Die US-Sub- ventionen für Baumwolle sind berüchtigt wegen ihrer Auswirkungen auf Millionen von kleinen Baumwollproduzenten in Afrika.

Das Agrarkapitel von Hongkong kann wohl noch als der „am wenigsten schlechte“

Teil des endgültigen Textes betrachtet werden. Zumindest gab es einige – wenn auch eingeschränkte – Schritte nach vorn.

1 Enddatum für die Exportsubventio- nen (Abs. 6): Man einigte sich darauf, daß 2013 endgültig alle Exportsubventionen und ihre Äquivalente auslaufen sollen. Das ist jedoch später, als von vielen Ländern gewünscht (2010), und Exportsubventio- nen machen nur einen relativ geringen Teil der landwirtschaftlichen Beihilfen aus, die zu Dumping führen. Sie werden vor allem von der EU eingesetzt (2,5 Mrd. €) und belaufen sich auf nur 3,6% der gesamten Agrarbeihilfen in der EU. Diese Entschei- dung, obzwar begrüßenswert, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Export- subventionen der EU schon seit Jahren zurückgehen und ohnehin größtenteils bis spätestens 2013 auslaufen würden. Dar- über hinaus beinhaltet der Text zum sog.

Frontloading (mit der Umsetzung nicht bis zum letzten Moment zu warten, sondern die Subventionskürzungen schon in der frühen Phase zwischen dem Abschluß des Abkommens und 2013 durchzuführen) bewußt vage gehaltene Formulierungen.

Angesichts der Tatsache, daß die reichen Länder in der Vergangenheit genau das Gegenteil, nämlich das sog. Backloading, praktiziert haben – man nehme nur die Umsetzung des Textil- und Bekleidungs- abkommens der WTO – ist es angebracht, in dieser Frage wachsam zu bleiben.

2 Den Entwicklungsländern wurden Maßnahmen zum Schutz der armen Bauern zugestanden (Abs. 7): Der Vor- schlag der G33, daß Entwicklungsländer bis zu 20% aller Zollinien zu Speziellen Produkten („Special Products“ – SP) er- klären können, setzte sich nicht durch.

Der Text spricht jetzt lediglich von einer

„angemessenen Anzahl“. Positiv zu ver- merken sind die Formulierungen zu SP und zum Speziellen Schutzmechanismus („Special Safeguard Mechanism“ – SSM).

So wird z.B. anerkannt, daß die Entwick- lungsländer selbst entscheiden können müssen, welche Produkte geschützt wer- den sollen, damit Ernährungssicherheit, ländliche Entwicklung und die Einkommen der armen Bauern gewährleistet sind. In Bezug auf SSM wurden sowohl Preis- als auch Mengenbegrenzungen gesetzt, was sicherstellen soll, daß die SSM effektiv Importfluten verhindern. Wie diese Pro- dukte tatsächlich behandelt werden – ein Punkt, der in Genf erst noch geklärt wer-

den muß – wird zeigen, wie nützlich diese Maßnahmen in der Praxis sind.

3 Stärkere Formulierungen in Bezug auf interne Stützung (Abs. 5): Dies könnte merkliche Auswirkungen auf die Subven- tionen der reichen Länder haben, und nicht nur den Spielraum zwischen den gebundenen und angewandten Obergren- zen betreffen. Obgleich auch hier die For- mulierung nicht eindeutig ist, öffnet der Text die Tür für mehr Disziplin bezüglich der berüchtigten Blauen Box, einem der offensichtlichsten Schlupflöcher, das die reichen Länder in das Agrarabkommen eingebaut haben, um Subventionskürzun- gen zu umgehen.

Die Entwicklungsländer, insbesondere Indien, zeigten sich sehr erfreut, daß ihre unter der sog. de minimis-Regel stark ein- geschränkten Möglichkeiten der Subven- tionierung von den Kürzungen ausgenom- men blieben.

Der Großteil der Arbeit im Agrarbereich steht jedoch noch bevor – und das bei dem unrealistischen Endtermin des 30.

April 2006 für eine Einigung über die Mo- dalitäten und des 31. Juli 2006 für umfas- sende Zeitpläne für die Länder (Abs. 10).

Der Text ist besonders beim Thema Dum- ping, das durch exzessive interne Sub- ventionen in den reichen Ländern verur- sacht wird, wenig ambitioniert (Abs. 5).

Weder was die Kürzung der nominellen Subventionen betrifft, noch zum Schließen der Schlupflöcher, die es den Ländern ermöglichen, über die Grüne Box ihre Sub- ventionen von Kürzungen auszunehmen, gibt es klare Worte.

Darüber hinaus enthält der Text wenige Möglichkeiten für einen verbesserten Zu- gang zu den Märkten des Nordens (Abs.

7), die zudem eine nicht näher bestimmte Anzahl von „Sensiblen Produkten“ weiter schützen können – ein Schlupfloch, das die Bedeutung der Gesamtkürzungen stark schmälert.

Baumwolle (Abs. 11, 12)

Die eklatante Ungerechtigkeit der US- Baumwollsubventionen und deren Aus-

wirkungen auf afrikanische Baumwollpro- duzenten war schon auf der Ministerkon- ferenz von Cancún der entwicklungspoli- tische Lackmustest. Das Rahmenabkom- men vom Juli 2004 sah daher die Einset- zung eines Baumwoll-Unterausschusses vor, der Handels- und Entwicklungsfragen rund um Baumwolle diskutieren sollte.

Darüber hinaus fällte die WTO einen von Brasilien initiierten Schiedsspruch gegen die USA, der die US-amerikanische Art der Subventionierung für illegal erklärte und die USA aufforderte, ihr System zu reformieren – bislang jedoch ohne sicht- baren Erfolg.

Im November 2005 versuchte der US- Handelsbeauftragte Robert Portman, den Baumwollstreit zu entschärfen und schlug einen neuen 7 Mio.-US-Dollar-Plan vor, das „West Africa Cotton Improvement Program“. Das Angebot konnte man nur schwer ernst nehmen, da nur 5 der 7 Mio.

US-Dollar frisches Geld waren – ein Betrag übrigens, den die USA ihren eigenen Baum- wollbauern als Subventionen in nur zehn Stunden zahlen! Darüber hinaus sollte das Programm nur für fünf der 33 baumwol- lanbauenden Länder Afrikas gelten, und der veranschlagte Betrag würde außerdem nur einen minimalen Teil der Verluste kom- pensieren, die den afrikanischen Bauern durch das US-Dumping entstehen.

Während der harten Verhandlungen in Hongkong wandelte sich die Stimmung der „cotton 4“-Gruppe (Mali, Tschad, Be- nin und Burkina Faso) und Senegals von der Bereitschaft, mit den USA zu verhan- deln, über Frustration und Wut in Resigna- tion. Ihre Entschlossenheit wurde durch die Anwesenheit zahlreicher Organisatio- nen von Baumwollfarmern gestärkt – und am Ende konnten sie doch bescheidene Erfolge verzeichnen:

● Beendigung aller Arten von Exportsub- vention seitens der Industrieländer im Jahr 2006 (obwohl die Exportsubventionen nur 10% der US-Subventionen für Baumwolle ausmachen);

● eine gewisse Verpflichtung, weitere handelsverzerrende Subventionen für Oxfam-Aktion vor dem Konferenzzentrum in Hongkong

©David Vinuales/Oxfam

(4)

Baumwolle schneller und weitgehender abzubauen als für andere Produkte.

Baumwolle wird jedoch nicht länger ge- trennt verhandelt, sondern wurde in die allgemeinen Agrarverhandlungen integriert und ist somit Teil des Gesamtpakets, des sog. single undertaking. Das ist besonders ungeheuerlich angesichts der Tatsache, daß keines der beiden „Zugeständnisse”

dem Baumwoll-Schiedsspruch des WTO- Panels entspricht. In Hongkong ist es den Verhandlungsführern der USA gelungen, einen Schiedsspruch gegen die USA in einen Verhandlungschip umzumünzen, für den die Entwicklungsländer in Form von Zugeständnissen in anderen Bereichen zahlen sollten.

Nahrungsmittelhilfe (Abs. 6)

Nahrungsmittelhilfe war einer der am bit- tersten umkämpften Streitpunkte zwischen der EU und den USA (dem Hauptlieferan- ten von Nahrungsmittelhilfe, überwiegend in Form von in den USA angebauten Pro- dukten). Beide Parteien beschuldigten sich gegenseitig, das Thema zum eigenen fi- nanziellen Vorteil auszuschlachten. Die Verteidiger des Status quo argumentierten, Beschränkungen der Nahrungsmittelhilfe könnten dazu führen, daß die Hungernden keine Hilfe erhalten. Diejenigen, die eine Einschränkung forderten, hatten jedoch von Beginn an klar gemacht, daß Nothilfe davon ausgenommen sein sollte. Das eigentliche Problem in der WTO ist das Dumping von Nahrungsmittelhilfe, wenn kein Notfall vorliegt: Dies untergräbt die lokale Landwirtschaft, verschwendet bis zu 50% des ausgegebenen Geldes und ist nichts anderes als eine verschleierte Form der Exportsubventionierung.

Schließlich wurde in Hongkong doch noch ein tatsächlicher Fortschritt erzielt: Man einigte sich darauf (noch vage, aber im- merhin klarer als früher), neue Bestimmun- gen zu vereinbaren, um den Mißbrauch von Nahrungsmittelhilfe zu verhindern und eine „Sichere Box“ als Ausnahme für echte Nothilfe zu schaffen.

Die Abwehr der NAMA-Offensive der reichen Länder (Abs. 13-23) NAMA betrifft Zölle auf Industriegüter, ein- schließlich Fischerei und Bergbau, und trat mit dem Rahmenabkommen vom Juli 2004 in den Blickpunkt der Verhandlungen, als sich die Entwicklungsländer hartnäckig, aber letztendlich erfolglos einem Textent- wurf widersetzten, der drastische Zollkür- zungen forderte.

Die Industrieländer wollten unbedingt eine Zollsenkungsformel durchsetzen (allge- mein als „einfache Schweizer Formel“ be- kannt, wenngleich „einfach“ hier relativ ist), die höhere Zölle stärker reduziert als nied- rigere. Dies würde Entwicklungsländer benachteiligen, da deren Zölle meist höher sind als die der Industrienationen. Darüber hinaus widerspricht diese Schweizer For- mel direkt dem Prinzip der „weniger als vollen Reziprozität“ (less than full recipro- city), das in Doha versprochen wurde (also dem Prinzip, daß die Entwicklungsländer ihre Märkte nicht in gleichem Maße öffnen müssen wie die Industrieländer).

Die NAMA-Verhandlungen führten auf der Ministerkonferenz zu einer neuen Länder- gruppierung, der sog. Core Group, zu der neun Länder unter der Führung von Indien und Südafrika gehören – Argentinien, Bra- silien, Ägypten, Indonesien, die Philippinen, Namibia und Venezuela (auch als NAMA- 11 bezeichnet). Ihr Ziel war es, Flexibilitäten für Entwicklungsländer aufrecht zu erhalten und gleichzeitig die Spitzenzölle und Zoll- eskalation des Nordens zu senken.

Der Gruppe gelang es, Versuche unter der Führung der reichen Länder abzuwehren, eine einfache Schweizer Formel durchzu- setzen. Sie erstritt eine allgemeiner gehal- tene Formulierung (Schweizer Formel mit Koeffizienten), die Raum läßt für eine an- dere, stärker entwicklungsorientierte Län- derformel, so wie sie z.B. von der ABI- Gruppe (Argentinien, Brasilien, Indien; Abs.

14) vorgelegt worden war. Dieser Kampf geht jetzt in Genf weiter – an etwa demsel- ben Punkt wie vor der Ministerkonferenz.

Die Core Group wehrte auch den Versuch ab, das den Entwicklungsländern zuge- standene Flexibilitätsniveau für gebundene Zölle und Zollsenkungen (wie in Abs. 8 des NAMA-Anhangs zum Abkommen darge- legt) mit dem Ausmaß des Prinzips der

„weniger als vollen Reziprozität“, das in der Zollreduktionsformel enthalten ist, zu ver- binden. Diese Frage ist nach wie vor unge- löst (Abs. 15) und wird wahrscheinlich in Genf wieder auf die Tagesordnung kommen.

Was bestimmte Branchen betrifft (z. B.

Textil und Bekleidung oder Fischereipro- dukte), so führt der Text Hinweise auf Brancheninitiativen ein (Abs. 16), die vorher nicht vorhanden waren – die Teilnahme ist freiwillig, aber Gruppen reicher Länder, die neue Märkte gewinnen möchten, wer- den wohl Druck auf andere Länder aus- üben, sich zu beteiligen.

Ein wenig beachtetes, aber wichtiges The- ma betrifft die Art und Weise, wie unge- bundene Zölle in gebundene Zollsätze (Abs. 17) umgewandelt werden sollen. Sie werden mit einem sog. non-linear mark- up, einem nicht-linearen Aufschlag auf den aktuellen Satz, versehen, und die Zoll- reduktionsformel wird dann auf den Zoll- satz mit dem Aufschlag angewendet. Das ist eindeutig unfair, da die Entwicklungs- länder in den vorangegangenen Runden ihre Zölle weitgehend gebunden haben, als sie dies noch nach Belieben tun konn- ten. Länder, die unilateral liberalisiert haben und jetzt niedrige angewandte Zollsätze haben, waren besonders unglücklich über das Aufschlagsprinzip. Der Hinweis auf Nichtlinearität soll ihnen die Möglichkeit eines höheren Aufschlags geben, als er Ländern mit höheren angewandten Zoll- sätzen zugestanden wird.

Insgesamt gesehen ist die Ministerdekla- ration nach wie vor das völlig inakzeptable Rezept für eine Deindustrialisierung, das schon in den Verhandlungen zum Rah- menabkommen vom Juli 2004 so kontro- vers diskutiert wurde. Damals bestanden die Entwicklungsländer auf einem sog.

Vehikel – einem ersten Absatz, der besag- te, daß alles, was nachstehend zu lesen ist, nicht Gegenstand einer Einigung sei.

Aber genau dieser Text ist jetzt das Herz-

stück des NAMA-Anhangs. Oxfam ist wei- terhin der Überzeugung, daß dieser Text keine geeignete Basis für entwicklungs- orientierte Verhandlungen darstellt.

Ein neuer Absatz (Abs. 24) fordert ein Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft und NAMA in den Verhandlungen. Er wur- de ursprünglich von Argentinien eingeführt, das fürchtete, die reichen Länder würden auf schnelleren Fortschritt bei NAMA als bei der Landwirtschaft drängen. Die EU widersetzte sich dem Absatz schärfstens, und die USA hat ihn dann als Argument für weiter gehende Zollkürzungen in bei- den Bereichen benutzt.

Genau wie bei der Landwirtschaft ist auch die Zukunft der NAMA-Verhandlungen ungewiß. Der Text nennt zwar den 30. April 2006 als Termin für eine Einigung über die Modalitäten und den 31. Juli 2006 als Termin für den Entwurf der Zeitpläne – doch beide Termine sind gänzlich unrea- listisch angesichts des bisherigen Ver- handlungstempos (Abs. 23).

Dienstleistungen (Abs. 25-27)

Im Vorfeld von Hongkong zeichneten sich die Dienstleistungsverhandlungen durch einen eklatanten Verfahrensmißbrauch aus. Ein Anhang, der in Genf von vielen Entwicklungsländern abgelehnt worden war, wurde dennoch in Hongkong vorge- legt und bildet jetzt sogar die Grundlage für künftige Verhandlungen. Die G90 und ASEAN präsentierten bedeutende Alter- nativvorschläge für Anhang C, die jedoch weitgehend ignoriert wurden. Zumindest trug ihr Widerstand dazu bei, daß die De- batte über die Anhänge eröffnet wurde und zu einigen Verbesserungen führte.

Ddadurch daß sie eine abgemilderte Fas- sung des ursprünglichen Anhangs akzep- tiert, verändert die WTO die Struktur der GATS-Verhandlungen („General Agree- ment on Trade in Services“) mitten in der Doha-Runde: Der entwicklungsfreundliche bottom-up-Ansatz, den die Entwicklungs- länder als Voraussetzung für die Einbezie- hung von Dienstleistungen in die WTO angesehen hatten, ist jetzt einem Ansatz gewichen, der mehr dem anderer Verhand- lungsbereiche gleicht.

Der bilaterale Anfrage-Angebot-Prozeß wurde zwar beibehalten, doch die Ent- wicklungsländer sehen sich zunehmen- dem Druck ausgesetzt, auch an plurilate- ralen Verhandlungen teilzunehmen (An- hang C, Abs. 7b). Fordert eine Ländergrup- pe eine andere auf, an plurilateralen Ver- handlungen teilzunehmen, so ist letztere verpflichtet, diese Aufforderung zu prüfen.

Das ist zumindest eine Verbesserung ge- genüber dem ersten Entwurf, der die Län- der sofort verpflichtete, sich an den Ver- handlungen zu beteiligen, ohne die Auffor- derung prüfen zu können.

Die Entwicklungsländer werden auch dazu gedrängt, neue „qualitative Benchmarks”

(Anhang C, Abs. 1) anzustreben, wie die Anhebung der zulässigen Grenzen für aus- ländische Kapitalbeteiligung, die sie zur Öffnung neuer Dienstleistungssektoren ermutigen soll, unabhängig davon, ob dies aus Entwicklungssicht für sie sinnvoll ist oder nicht.

(5)

Der Text enthält auch einige Besorgnis erregende Fristen und Termine (Abs. 11b).

So müssen plurilaterale Ersuchen inner- halb von zwei Monaten (bis Ende Februar 2006 bzw. „so schnell wie möglich da- nach”) eingereicht werden, und die Länder müssen bis zum 31. Juli 2006 darauf antworten. Oxfam ist der Ansicht, daß ein Zeitraum von maximal fünf Monaten nicht ausreicht, um das Ersuchen zu prüfen, die Betroffenen zu konsultieren und die potentiellen Folgen der verschiedenen Arten der Liberalisierung abzuschätzen.

Zoll- und quotenfreier

(“duty-free, quota-free” – DFQF) Marktzugang für LDCs

(Anhang F, Entscheidung 36)

Für die LDCs wurde diese Frage zum Lack- mustest für die ehrlichen Anstrengungen der reichen Länder – die glatt durchfielen.

Im Scheinwerferlicht standen fast aus- schließlich die USA und Japan, da die EU und Kanada bereits unilateral DFQF-Pakete verabschiedet hatten. Bis spätestens 2008 wird allen LDCs „anhaltender” DFQF-Zu- gang für 97% ihrer Produkte gewährt.

Diese Entscheidung stellt einen Rück- schritt gegenüber dem Doha-Mandat dar, das vollen DFQF-Zugang vorsah. Die neue Entscheidung ist auch weit weniger groß- zügig, als sie auf den ersten Blick erschei- nen mag, da die Schlüsselprodukte der meisten LDCs ausgenommen sind. Fast 94% der Zollinien genießen außerdem schon Niedrigzoll- oder zollfreien Zugang zu den USA, und die LDCs exportieren ohnehin nur eine geringe Zahl von Pro- dukten. Im Falle Bangladeschs machen beispielsweise etwa 330 Zollinien nur 3%

seines Exports aus, während auf 20-25 Zollinien etwa zwei Drittel seiner Gesamt- exporte entfallen. Die USA bestanden auf der 97%-Regelung, weil sie genau da- durch ihren Textil- und Bekleidungssektor vor Importen aus Bangladesch, Kambo- dscha und Nepal (das auf Drängen der USA zu Beginn der Konferenz völlig aus der Gruppe der LDCs ausgeschlossen werden sollte) schützen können. Mit der 97%-Grenze kann auch Japan seine Reis- und Fischprodukte sowie Lederwaren und Schuhe weiterhin schützen.

Darüber hinaus ist „anhaltend” nicht das- selbe wie „gebunden“ (die USA weigerten sich sogar, den Begriff „long-lasting”, also lang anhaltend, zu akzeptieren), und so ist die Interpretation von „anhaltend“ in Zukunft den unterschiedlichsten politi- schen Meinungen und Sonderinteressen schutzlos ausgeliefert.

Es ist eine wirklich desillusionierende Ent- scheidung. Wenn eine sog. Entwicklungs- runde es nicht schafft, den ärmsten der armen Länder Zugang zu den Märkten der Industrienationen zu geben, damit sie sich über den Handel einen Weg aus der Armut bahnen können, dann bleibt wenig Hoffnung, daß die Verhandlungen positive Ergebnisse für die Armen bringen werden.

Aid for Trade – handelsbezogene Entwicklungshilfe (Abs. 57, 48-51)

Die Entscheidung, eine WTO-Task Force zu bilden, die Angebotskapazitäten der

armen Länder stärkt, damit diese Handels- chancen nutzen können, ist durchaus zu begrüßen. Oxfam hat jedoch gewisse Vor- behalte in Bezug auf die Art und Weise, wie die handelsbezogene Entwicklungs- hilfe in Hongkong diskutiert wurde. Es ist sehr fraglich, ob Aid for Trade über die Beträge hinaus, zu denen man sich bereits Anfang 2005 – z.B. im Vorfeld des G8- Gipfels in Gleneagles – verpflichtet hat, tatsächlich neue Gelder zur Verfügung stellt. Vielmehr werden bereits verspro- chene Mittel nun als Aid for Trade umeti- kettiert. Außerdem betonte der US-Dele- gationsleiter Rob Portman, als er das An- gebot der USA vorstellte, daß diese han- delsbezogene Entwicklungshilfe „Hand in Hand” mit Marktzugang im Süden gehen müsse. Bereits versprochene Entwick- lungshilfe nun an Handelszugeständnisse der Empfänger zu binden, ist inakzeptabel.

Bei der Gewährung der handelsbezogenen Entwicklungshilfe werden wahrscheinlich der IWF und die Weltbank die Führungs- rolle übernehmen, etwa über das Integra- ted Framework (Abs. 48-51). Das ist, an- gesichts der bisherigen Erfahrungen mit den Bedingungen, die IWF und Weltbank an ihre Mittelvegabe knüpfen – einschließ- lich derer zu verfrühter Handelsliberalisie- rung – jedoch ein Grund zur Sorge. Auch bezieht sich der Text auf konzesssionäre Kredite, wobei 100%-ige Zuschüsse we- sentlich besser wären, um die Schulden- last der Entwicklungsländer nicht noch weiter steigen zu lassen. Positiv anzumer- ken ist, daß Aid for Trade nicht länger auf LDCs beschränkt ist, sondern auf alle Ent- wicklungsländer erweitert wurde.

Der Beitritt von Tonga

Oxfam hat wiederholt darauf hingewiesen, daß die Beitrittsverhandlungen für neue WTO-Mitglieder extrem unfair sind (s.

Hinweis), und diese Ministerkonferenz war keine Ausnahme. Das kleine Königreich Tonga (100.000 Einwohner) wurde in Hong- kong in die WTO aufgenommen, nachdem dem Land in den Beitrittsverhandlungen Zugeständnisse abgepreßt worden waren, die einem die Tränen in die Augen treiben, z.B. ein Zoll von höchstens 20% auf alle Industrie- und Agrargüter. Zur Erinnerung:

Die USA erheben auf Rindfleischprodukte 350% Zoll und die EU auf Zucker 300%.

Darüber hinaus mußte Tonga schmerzhaf- te Konzessionen in einer Reihe von Dienst- leistungsbereichen machen.

Weitere Entwicklungsthemen

Die vielen weiteren Themen, die den Ent- wicklungsländern unter den Nägeln bren- nen, wurden in Hongkong – wie bisher in der ganzen Doha-Runde – kaum ange- schnitten. Anhang F enthält eine Einigung bezüglich kleinerer technischer Fragen, wie der Verlängerung der Ausnahmerege- lung für LDCs vom Abkommen über han- delsbezogene Investitionsmaßnahmen (TRIMS). Ansonsten findet man in dem Text meist nur bedeutungslose Aufforde- rungen an die Mitglieder, „ihre Anstren- gungen in Bezug auf verschiedene The- men zu verdoppeln”: die Sonder- und Vor- zugsbehandlung von Entwicklungsländern

(Abs. 35-38), die Implementierung früherer Abkommen (Abs. 39), die besonderen Probleme kleiner Volkswirtschaften (Abs.

41), Handel, Schulden und Finanzierung (Abs. 42), Handel und Technologietransfer (Abs. 43), Rohstoffe (Abs. 55) und Präfe- renzerosion (Abs. 9 und 20).

3 Warum haben die Entwick- lungsländer einer schlech- ten Erklärung zugestimmt?

Die Stimmung unter den Entwicklungslän- dern in der letzten Sitzung der Delegati- onsleiter war gekennzeichnet von wider- williger Zustimmung, nicht von Feierlaune.

Kuba und Venezuela forderten, daß ihre Vorbehalte bezüglich NAMA bzw. NAMA und Dienstleistungen zu Protokoll genom- men wurden, führten damit aber kein Scheitern der Verhandlungen herbei.

Fast alle Delegierten waren der Ansicht, daß ein Scheitern wie in Cancún der WTO als Institution schaden würde, vielleicht sogar ihr Aus bedeuten könnte, und waren daher bemüht, ein solches Ergebnis zu verhindern. Vom ersten Tag der Minister- konferenz an waren die Delegierten darauf bedacht, nicht für ein Scheitern verantwort- lich gemacht werden zu können – eine Sorge, die Berichten zufolge von den Un- terhändlern aus dem Norden genutzt wur- de, um auf die Entwicklungsländer Druck auszuüben. Sie setzten den Entwicklungs- ländern das Messer an die Kehle, indem sie einerseits unerschütterlich ihre eigenen Interessen verfolgten, aber andererseits den Entwicklungsländern erklärten, ihre Starrköpfigkeit würde das Scheitern her- beiführen, wofür sie dann die Schuld trügen.

Eine ziemlich harsche Taktik, die je-doch bei einigen Ministern sehr erfolgreich funk- tionierte.

Jenseits der Psychologie der Ministerkon- ferenz muß gesagt werden, daß die mei- sten der wichtigen Entscheidungen, wie NAMA, Dienstleistungen und Landwirt- schaft, verschoben wurden. Die Türen wur- den in den komplexen Verhandlungen ge- rade weit genug offen gelassen, so daß alle Minister das Gefühl haben konnten, in Zukunft zumindest kleine Gewinne für ihre Länder erreichen zu können. Hätten die Entwicklungsländer nicht eine solche Standfestigkeit bewiesen, wäre der Text wesentlich schlechter ausgefallen.

Die Minister aus Entwicklungsländern sind, wie alle anderen Politiker, sehr darauf be- dacht, ihren Wählern und den Unterneh- men greifbare Ergebnisse von der Mini- sterkonferenz mit nach Hause zu bringen.

Dadurch lassen sie sich natürlich leichter davon überzeugen, jetzt Zugeständnisse zu akzeptieren (wie z.B. beim DFQF und dem Enddatum für Exportsubventionen) im Austausch gegen vagere, aber poten- tiell wichtigere Zugeständnisse in der Zukunft. Auch die politische Ökonomie von Verhandlungen spielt hier eine wich- tige Rolle, insbesondere für LDCs, da dort die künftigen Industrien und Dienstlei- stungsbereiche, die vielleicht eines Tages von einem schlechten NAMA- oder Dienst- leistungsabkommen unterminiert werden,

(6)

Informationsbrief WELTWIRTSCHAFT & ENTWICKLUNG, erscheint monatlich (12 Ausgaben im Jahr mit ca. 6 Sonderdiensten) im Eigenverlag der Redaktion W&E-Redaktion:

Rainer Falk, 98, avenue du X Septembre, L-2550 Luxembourg, Tel. +352/26440990, Fax 26441009, e-mail: rfalk@pt.lu, Internet: www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org Abo-Service,

noch gar nicht bestehen und deswegen auch noch keine Lobby haben, die ihre Interessen vertritt.

Wie geht es weiter?

„Die Blechdose ein bißchen die Straße entlang zu kicken”, wie es ein US-Senator formulierte, also weiter herumzutrödeln, wird angesichts der Fristen, welche die US-Handelsgesetzgebung auferlegt, nicht mehr lange möglich sein. Unter der sog.

trade promotion authority der US-Re- gierung, auch unter dem Namen „Fast Track“ bekannt, kann der Kongreß nur für oder gegen ein Abkommen stimmen, das von der Regierung ausgehandelt wurde, aber keine Änderungen verlangen. Das

„Fast Track“-Mandat läuft im Juni 2007 aus, d.h. es besteht eine harte politische Deadline. Ohne „Fast Track“ gilt die Ver- abschiedung eines Handelsabkommens durch den US-Kongreß als legislativ un- möglich.

Aber auch mit „Fast Track“ muß jedes endgültige Abkommen über die Doha- Runde mehrere Monate vorher vor den Kongreß, wenn eine rechtzeitige Verab- schiedung erfolgen soll. Das bedeutet, die Modalitäten müssen bis Mitte 2006 festliegen, damit ausreichend Zeit für die technische Arbeit zur Entwicklung detail- lierter Zeitpläne für die unterschiedlichen Sektoren und Produkte bleibt.

Der in Hongkong verabschiedete Text er- fordert, daß die Modalitäten bis 30. April 2006 vereinbart werden, aber wenige De- legierte halten das für realistisch. Nach 16 Monaten harter Verhandlungsarbeit wurde der Prozeß in Hongkong – nimmt man die Rahmenvereinbarung vom Juli 2004 als Ausgangspunkt – nur um Zenti- meter vorangetrieben. In den nächsten Wochen haben die Delegierten und Re- gierungen Zeit, die Ereignisse zu verdauen.

Was ihnen dabei klar werden wird, ist wahrscheinlich eines: Das wird eine lange Runde. Die Stimmung im US-Kongreß läßt darauf schließen, daß das „Fast Track“- Mandat nicht verlängert wird und daß es einen neuen Präsidenten und eine neue politische Großwetterlage braucht, bis das möglich ist. Das kann dauern: Der

Kongreß hatte Präsident Clinton fast seine gesamte Amtszeit, also 8 Jahre lang, ein

„Fast Track“-Mandat verweigert.

Wenn sich die aktuelle Runde bis ins näch- ste Jahrzehnt erstreckt, dann werden die entwicklungspolitischen Auswirkungen von größeren geopolitischen Veränderun- gen abhängen. Die Ereignisse seit Doha (das wachsende Selbstbewußtsein von Entwicklungsländergruppierungen wie der G20 und der G33; die allgemeine Krise des Washington Consensus) geben Anlaß zur Hoffnung, daß die Ergebnisse umso besser werden, je länger die Runde dauert.

Darüber hinaus gilt: Solange die Verhand- lungen andauern, legen sie den nördlichen Protektionismus zumindest in gewissem Maße an die Kandare, vielleicht sogar auch die Versuche, WTO-plus-Regelungen in regionalen Handelsabkommen durch- zusetzen. Aber der Preis für eine lange Run- de ist hoch, denn das bedeutet, daß die Agonie des jetzigen ungerechten Welthan- delssystems, das Entwicklungsländer zu anhaltender Armut verdammt, weiter ver- längert wird.

Um den Termin des 30. April 2006 für die NAMA- und Agrarmodalitäten einhalten zu können, treffen sich die Delegierten in den ersten Monaten des Jahres 2006 erneut, entweder zu einer echten Minister- konferenz oder, was wahrscheinlicher ist, zu einem „General Council plus Minister“, wie dem, auf dem das Rahmenabkommen vom Juli 2004 vereinbart wurde.

Oxfam hat dieser General Council-Option gegenüber starke Vorbehalte. Es ist von eminenter Bedeutung, daß mit einer sol- chen Entscheidung die Verhandlungen nicht wieder hinter die verschlossenen Türen der WTO verlegt werden und damit aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit und sogar aus dem Blickfeld einiger Minister verschwinden, wie dies im Juli 2004 teil- weise der Fall war. Ein General Council ist nicht der richtige Ort für Entscheidun- gen dieser Tragweite. Mehr noch: Wenn die WTO-Mitglieder wieder zusammen- kommen, dann stehen sie vor denselben harten Entscheidungen wie in Hongkong.

Und wenn die reichen Länder nicht bereit sind, radikal neue Angebote zu unterbrei-

ten, wird eine Einigung nicht einfacher werden, ganz zu schweigen von einer Einigung, die die Entwicklungsversprechen von Doha erfüllt. Die Verhandlungsführer der reichen Länder können nicht einfach dort weitermachen, wo sie in Hongkong aufgehört haben. Sie müssen Abstand gewinnen und ihr Gewissen prüfen – und hoffentlich mit dem festen Vorsatz zurück- kommen, diese Runde zu einer Entwick- lungsrunde für die Armen dieser Welt zu machen.

Es besteht die Gefahr, daß die Doha-Run- de, die vor vier Jahren unter Fanfaren er- öffnet wurde, zum Stillstand kommt. Die reichen Länder haben nicht nur die mora- lische Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß die Welt von Hunger und extremer Armut befreit wird – dies ist auch in ihrem urei- gensten Interesse. Aber bis jetzt haben sie ihre Versprechungen von Doha nicht gehalten. Schlimmer noch: Es gibt Besorg- nis erregende Anzeichen, daß sich die Verhandlungspartner in eine Sackgasse manövriert haben und zur klassischen Machtpolitik unter dem Motto “Der Stärkere hat Recht“ zurückgekehrt sind. Das Ergeb- nis für die Entwicklung wäre verheerend.

Es liegt nun an den politischen Entschei- dungsträgern – sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern – dafür zu sorgen, daß das einzige akzeptable Ergebnis erreicht wird: fairer Handel.

Übersetzung ins Deutsche: Annette Bus

Hinweise:

* Oxfam International, Blood on the floor.

How the rich countries have squeezed development out of the WTO Doha nego- tiations, Oxfam Briefing Paper, 45 pp., December 2005. Bezug: über www.oxfam.

org/eng/policy_paper.htm

* Oxfam International, Make extortion his- tory. The case for development-friendly WTO accession for the world’s poorest countries, Oxfam Briefing Paper 79, 44 pp., October 2005. Bezug: s.o.

* World Trade Organization, Ministerial De- claration. Adopted on 18 December 2005, 44 pp., WT/MIN (05)/DEC, Hong Kong, 22 December 2005. Bezug: über www.wto.org

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

* Im Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen (TOP 6) wird auf die Wahlordnung der BDA hingewiesen (Heft 3/99, Seite 163 die- ser Zeitschrift). Es wird darum gebeten, die

In general, we think that any development in Africa will not be possible without a positive mentality change towards research and education in Africa, which means to leave behind

(3) 1 Auf Websites und mobile Anwendungen von Schulen sowie Tageseinrichtungen nach § 22 Absatz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – in der Fassung

4 Kann die öffentliche Stelle den Zugang zu Unterlagen oder Websites und mobilen Anwendungen aus Gründen der Sicherheit des Bundes und der Länder oder der Vertraulichkeit

 Inhalt in Stichworten: Aufbau und Funktion von Neuronen, neuronale Informati- onsverarbeitung, Lernprozesse der Meeresschnecke Aplysia, Kiemenrückziehre- flex,

Sophie sagt zu Lena: „Weißt du, Lena, dein But- terbrot wird dein Kacka und dein Tee wird dein Pipi.“ Klara, die manchmal ein wenig empfindlich ist, ruft: „Igitt!“ Nun hebt auch

Dabei wird deutlich werden, dass das anfangs angeführte Urteil Paul Natorps über seinen älteren Freund Hermann Cohen – wie immer dessen Härte in seinem brieflichen Kontext

Keine Ausnahme für Lizenzverweigerungen durch.. das Kriterium der »außergewöhnlichen Umstände«