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. Freilich in dieser Zeit nur mehr für den »konservativen« Teil der Bevölkerung, für die verschiedenen Schichten des Bürgertums

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Dokumentation Bildung und Herkunft der bayerischen Offiziere 1866 bis 1914

Z u r Geschichte v o n M e n t a l i t ä t und Ideologie des bayerischen Offizierkorps

I Vorüberlegungen1

D a die m o d e r n e Gesellschaftsgeschichte2 mit ihrer Betrachtung des individuellen Menschen als kollektivem Wesen u n d ihrer Suche nach funktionalen Z u s a m m e n - hängen durch Strukturanalyse und methodischen Vergleidi der R a h m e n ist3, in dem heutige Militärgeschichte wissenschaftlich fruchtbar w e r d e n kann, ist es m ö g - lich, den Gefahren der älteren militärgesdiichtlichen Darstellungen zu entgehen, die entweder an einer unwissenschaftlichen Betonung des erzieherisch-erbaulichen C h a r a k t e r s kranken, den m a n als psychologische Rüstung zu verstehen hat, oder sidi einer kritiklosen Glorifizierung und Heroisierung befleißigen, denen in- h u m a n e Z ü g e anhaften, weil sie den Menschen als Gegenstand der Geschichte übergehen4.

Ist das Offizierkorps der Kreuzungspunkt, an dem m a n das Verhältnis v o n W e h r - wesen und S t a a t und Gesellschaft untersuchen kann®, so liefert die F r a g e nach H e r k u n f t und Bildung der Offiziere Material, u m die »mentalité« dieser gesell- schaftlichen G r u p p e zu erhellen, die v o r 1 9 1 8 in Preußen-Deutschland, somit auch in Bayern®, durch ihre Bindung a n den K ö n i g und ihre besondere Aufgabenstel- lung außerhalb der übrigen Vereinigungen und Genossenschaften des Staates und

1 Teile der folgenden Ausführungen sind Ergebnisse meiner 1967 an der Universität München vor- gelegten Zulassungsarbeit »Das bayerische Offizierkorps 1867-1918. Zu Gesellschaft und Politik in Bayern im 19. Jahrhundert«, die Herr Professor Dr. Karl Bosl (Institut für Bayerisdie Ge- schichte) angeregt und betreut hat. Eingehender werden die hier angesprochenen Probleme in meiner vor dem Abschluß stehenden Dissertation behandelt, in der audi die abgedruckten Doku- mente in größerem Zusammenhang gesehen und ausführlich interpretiert werden können. Audi die Quellenbelege für manche thesenartige Formulierung werden dort zu finden sein. - Für die dau- ernde freundliche Unterstützung bei meiner Arbeit im Bayerischen Hauptstaatsarchiv - Abt. IV Kriegsarchiv - (zit. KA) sowie für die Erlaubnis zum Abdruck der Dokumente bin idi Herrn Archivdirektor Dr. Harald Jäger sehr dankbar. Seiner Geduld und der Mithilfe von Herrn Archivassessor Tausendpfund verdanke ich die Möglichkeit, viele hundert Personalakten bayeri- scher Offiziere auf Lochkarten übertragen zu können. Die Auswertung dieser Karten findet sich in meiner Dissertation. Wertvolle Anregungen gaben die Herren Wolf-Dieter Gruner und Harald Rüddenklau.

1 Gesellschaftsgeschichte ist keine eigene Disziplin, keine spezialisierte Fachwissenschaft, sondern ein Blickwinkel, unter dem die Gesamtgesdiidite betrachtet wird.

9 Diese Gedanken folgen K. Bosl: Pluralismus und pluralistische Gesellschaft, München 1967, S. 62 ff.; ders.: Der gesellschaftlich-anthropologische Aspekt und seine Bedeutung für einen er- neuerten Bildungswert der Geschichte, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 31 (1968), S. 1052-1064.

4 Vgl. die Gedanken und die weiterführende Literatur bei W. v. Groote: Militärgeschichte, in:

Militärgeschichtliche Mitteilungen (MGM) 1/67, S. 5-19 und bei R. Wohlfeil: Wehr-, Kriegs- oder Militärgeschichte?, in: MGM 1/67, S. 21-29.

5 Untersuchungen zur Geschichte des Offizierkorps - Anciennität und Beförderung nach Leistung ( = Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte, hrsg. vom Militärgeschichtlidien Forschungsamt, Bd 4, Stuttgart 1962, S. 11 ff.) (zit. Untersuchungen zur Geschichte des Offizierkorps).

* Die dynamischen und statischen Elemente von Gesellschaft und Politik vor dem Ersten Weltkrieg kann man - mit Phasenverschiebung bzw. leichten Modifikationen - in Bayern wie in Preußen- Deutschland beobachten. Das hat gezeigt: K. Bosl: Gesellschaft und Politik in Bayern vor dem Ende der Monarchie. Beiträge zu einer sozialen und politischen Strukturanalyse, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 28 (1965), Festschrift für Max Spindler, S. 1-31; dazu, aus der gesell- o l schaftsgeschichtlichen Schule Karl Bosls: K. Möckl: Gesellschaft und Politik während der Ara des

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der Gesellschaft stand, sich selbst an der Spitze derselben sah

7

. Zugleich kann man aus den Antworten auf die Frage nach der »mentalité« Beiträge zur Lösung sozial- geschichtlicher Grundprobleme erwarten, wie es etwa die Komplexe »Kontinuität und Wandel«, »Individuum und Gesellschaft« oder »Elite und Führung« sind

8

. Denn durch die Hochschätzung alles Militärischen im Deutschen Reich nach den Siegen von 1870/71 übernahm Bayern von Preußen auch eine traditionelle Funk- tion des Offizierkorps: es war Elite im Sinne einer Gruppe mit überragendem sozialen Prestige und zur Nachahmung auffordernder Existenz

9

. Freilich in dieser Zeit nur mehr für den »konservativen« Teil der Bevölkerung, für die verschiedenen Schichten des Bürgertums

10

.

Die landesgeschichtliche Fragestellung, die Beschränkung auf Bayern, dessen Re- servatrechte gerade auf militärischem Gebiete groß waren

11

, wird das Bild des preußisch-deutschen Offizierkorps differenzierter erscheinen lassen, als man es ge- meinhin sieht.

Ausgangspunkt dieser Dokumentation ist die nach der Niederlage Bayerns 1866 eingeleitete und unter Sigmund Freiherr v. Pranckh

12

vollendete Heeresreform be- ziehungsweise Heeresreorganisation

13

, die sich am preußischen Vorbild orientierte und auch die Wirkung einer organisatorischen und geistigen Angleichung der baye-

Prinzregenten Luitpold. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Revolution in Bayern, in: Bayern im Umbruch. Die Revolution von 1918, ihre Voraussetzungen, ihr Verlauf und ihre Folgen, hrsg. von Karl Bosl, München 1969, S. 5-36 (zit. Möckl); A.Sdinorbus: Arbeit und Sozialordnung in Bayern vor dem Ersten Weltkrieg (1890-1914) ( = Miscellanea Bavaria Monacensia, H . 19, München 1969).

7 Im Sinne des hermeneutischen Zirkels wird unter »Offizierkorps« nicht »eine eigenständige, aus sich heraus lebende Korporation« (Untersuchungen zur Geschidite des Offizierkorps, S. 11) ver- standen, da man mit einer solchen Definition eine bestimmte historische Erscheinungsform ver- absolutiert und dann zu der für die Geschichtsschreibung über das Offizierkorps typischen (und falschen) Verallgemeinerung kommt, das Offizierkorps und seine Ideale etc. seien zeitlos, keiner Veränderung unterworfen, sondern »Offizierkorps« wird lediglich begriffen als »Gesamtheit der Offiziere« (dies also das Vor-Urteil), deren Erscheinung in einer bestimmten Zeit und deren Wan- del zu betrachten sind. Vgl. etwa den Unterschied zwischen Karl Demeters Arbeit (s. Anm. 8) und der von P. Chalmin: L'Officier Français de 1817 à 1870 ( = Bibliothèque d'Histoire Econo- mique et Sociale 18, Paris 1957).

8 Trotz des in Anm. 7 Gesagten sind meine Ausführungen natürlich dem wegweisenden Buch von K.Demeter: Das Deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und Staat, Frankfurt 4. Aufl. 1965 (zit.

Demeter) verpflichtet. Auf weitere Literatur wird an den entsprechenden Stellen hingewiesen.

Erwähnt sei hier noch der wichtige Aufsatz des interessanten bayerischen Offiziers F. C. Endres:

Soziologische Struktur und ihr entsprechende Ideologien des deutschen Offizierkorps vor dem Weltkriege, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 58 (1927), S. 282-319.

a K. Bosl: Elitebildung gestern und heute. Charisma, Dienst, Leistung. Wieder abgedruckt in: ders.:

Frühformen der Gesellschaft im mittelalterlichen Europa, München 1964, S. 458-471.

10 Denn der Aufstieg der Unterschichten, deren Streben nach politischer Verantwortung und sozialer und rechtlicher Gleichheit, zogen dem Offizierkorps gleichsam den Boden unter den Füßen weg.

Die liberalen und sozialistischen Gedanken bzw. die sie tragenden Schichten zweifelten die tra- ditionelle Elitestellung des Korps an, verneinten und bekämpften sie. Die auctoritas des Korps wurde nicht mehr anerkannt.

" Hierzu: Bündnisvertrag v. 23.11.1870, RGBl 1871, S. 9 ff.

l ! Ε. v. Frauenholz: Sigmund Freiherr von Pranckh, der bayerische Reformkriegsminister (1821- 1888), in: Gelbe Hefte 6, 1, 1930, S. 581-594; A. Erhard: Reidisfreiherr Sigmund von Pranckh, München 1890; KA, Offizierspersonalakt (OP) 68 887. Geb. 5.12.1821 Altötting, kath., Ka- dettenkorps, Vater: Offizier und kgl. Kämmerer, 1840 Junker im Infanterie-Leib-Regiment, 1841 Unterlieutenant im Ingenieur-Korps, seit 1852 (Hauptmann) Personal-Referent im Kriegs- ministerium und Adjutant des Kriegsministers, 1863 Oberst 3. Infanterie-Regiment, 1865 Infan- terie-Leib-Regiment, 1866 Kommandant Res.-Infanterie-Brigade, 1866 Generalmajor und Kriegsminister, 1870 Generallieutenant, 1875 General der Infanterie, Absdiiedsgesudi bewilligt, 1876 General-Capitain der Leibgarde der Hartschiere, gest. 8. 5. 1888. An einer Dissertation über Pranckh arbeitet Herr Wolf-Dieter Gruner.

l s Bis zur Fertigstellung von Gruners Dissertation: M. Leyh: Die bayerische Heeresreform unter König Ludwig II. 1866-1870 (zit. Leyh) ( = Darstellungen aus der Bayer. Kriegs- und Heeres- geschidite, H . 23, München 1923).

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rischen Armee an Preußen hatte. Allerdings begann die Reform nicht erst 1866, sondern es lassen sich eine Reihe von Vorstadien erkennen; die Reorganisation war im Grunde ein jahrzehntelanger Vorgang, der durch die Kriegskatastrophe nur entscheidend beschleunigt wurde. Wenngleich man in Bayern, besonders im Kriegs- ministerium und hier vor allem während des Ersten Weltkrieges, die »Selbständig- keit« der Armee stark betonte

14

, verleugnete man das preußische Vorbild nie; der bayerischen Armeeführung kam es, audi im Hinblick auf den föderalistischen Geist in Bevölkerung und Landtag, auf die bayerische Form des oft preußischen Inhalts an. Man wollte die Kontrolle über die Heereseinrichtungen und die Ent- scheidung über ihre Gestaltung nicht verlieren. Die Gestaltung selbst konnte ruhig preußisch sein.

Mit Nachdruck muß aber festgestellt werden, daß Bayern sehr wohl an militäri- sdien Errungenschaften festhielt, wenn es diese den preußischen überlegen erach- tete. O f t verhinderten auch Sadizwänge die Übernahme des preußischen Musters.

Schließlich muß bei dieser Frage zwischen Kriegsministerium und Truppenoffi- zierkorps differenziert werden. All das wird unten am Beispiel »Bildung« verdeut- licht

15

.

Um Ähnlichkeit und Verschiedenheit der bayerischen und preußischen Verhältnisse im Offizierkorps recht zu verstehen, darf nicht übersehen werden, daß die politische und gesellschaftliche Atmosphäre Süddeutschlands »demokratisch angehaucht«

16

war, was sich auch in der Armee bemerkbar machte. Führte audi in Einzelfällen die prägende Kraft des preußischen Korps nachgerade zu einer Karikierung des Vor- bildes, so waren die Zustände im bayerischen Offizierkorps und auch sein Ver- hältnis zu Mannschaft und Umwelt allgemein doch nicht so starr; es herrschte eine gelöstere Atmosphäre.

II Das bayerische Offizierkorps vor 1866, die Heeresreform und das neue Bild vom bayerischen Offizier

Das auf einen Krieg nicht vorbereitete bayerische Heer war dem geschulten Gegner des Jahres 1866 hoffnungslos unterlegen

17

, aus Organisation wurde schon bald

14 Bis zum Ende des Weltkriegs gelang es nicht, zu einer Interpretation des Bündnisvertrages v.

23.11.1870 zu kommen, der Bayern und Preußen hätten zustimmen können. - K A MKr 1, Stück 38 zeigt, wie groß der Grad der Selbständigkeit war, den man in Bayern beanspruchte:

»Das bayerische Heer bleibt auch im Kriege rechtlich ein geschlossener Bestandteil des deutschen Heeres unter der ausschließlichen Militärhoheit Seiner Majestät des Königs und unter selbstän- diger Verwaltung. Infolge der Mobilisierung tritt das bayerische Heer, soweit es mobil wird, nach dem Versailler Vertrag allerdings unter den Befehl Seiner Majestät des Kaisers; allein Seine Majestät der Kaiser wird hiedurdi für die bayerischen mobilen Truppen auch im Kriege für die Bundesfeldherr im Sinne der Reichsverfassung, da die Art. 63 ff. R. V. auch im Kriege für die bayerischen Truppen nicht gelten, er führt lediglich vertragsgemäß den Oberbefehl. Daraus folgt, daß sich der kaiserl. Oberbefehl auf die immobilen Truppen nicht erstreckt, daß alle aus der Militärhoheit fließenden Rechte Seiner Majestät des Königs auch den mobilen Truppen gegenüber uneingeschränkt bestehen bleiben und daß der bayer. Kriegsminister der Obersten Heeresleitung nicht untersteht.« (Geschrieben im Kriegsministerium am 27.6.1917); ähnlich: K A MKr 1, Stück 31 (27. 6.1907).

15 Trotz geographischer Nähe sind die österreichischen Einrichtungen und Verordnungen in dieser Zeit kein Vorbild f ü r die bayerische Armee gewesen.

" KA MKr 1841, Stück ad 4'/i (Denkschrift Oberstlieutenant Emil v. Sdielhorn, Dok. 4 dieser Arbeit, S. 105 ff.).

17 Zum Krieg von 1866 (Bayern betr.) O. Bezzel: Geschichte des Königlich Bayerischen Heeres von 1825 bis 1866, München 1931, S. 209-295 (zit. Bezzel) ( = Geschichte des bayerischen Heeres, Bd 7); E. v. Frauenholz: Die Heerführung des Feldmarschalls Prinz Carl von Bayern im Feld- zug 1866 (zit. Frauenholz: Die Heerführung) ( = Darstellungen aus der Bayerischen Heeres- und Kriegsgesdiichte, H . 25, München 1925).

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nadi der Mobilmachung Desorganisation

18

, es trat ein, was einige hohe bayerische Offiziere, etwa Karl v. Baur

19

, Karl Theodor Fürst v. Thum und Taxis

20

, Ludwig Freiherr v. d. Tann

21

, Klemens v. Raglovidi

22

oder Anton v. d. Mark

23

seit Jahrzehnten prophezeit hatten: wenn, so hatten sich diese Offiziere geäußert, der miserable Zustand des in adeligen und bürgerlichen Kreisen wenig angesehenen Offizierkorps nicht schnell verändert werde, wenn erst morgen geschehe, was heute sdion nötig sei, die Reform, dann werde das nicht nur katastrophal, sondern vor allem teuer enden

24

.

Freilich muß sich der Historiker hüten, in die Klagerufe der Zeitgenossen über den Zustand der Armee einzustimmen, wie das etwa Bezzel, Frauenholz oder Leyh

25

taten, weil er damit jene Vorstellung vom Heer, von dessen Wichtigkeit und von dessen Rolle in Staat und Gesellschaft übernehmen würde, die den klagenden Offizieren des 19. Jahrhunderts vorschwebte, eine Vorstellung, die im militarisier- ten Preußen am sichtbarsten verwirklicht war. Für den Historiker kann es nur darauf ankommen, den Zustand von Heer und Offizierkorps mit seinen Vorausset- zungen und Folgen aus den Quellen von allen Seiten darzustellen. Dabei wird man immer die Ideologie, das Bewußtsein derer berücksichtigen müssen, von denen die Quellen stammen oder zeugen.

Für die angeführten Offiziere jedenfalls war der Zustand des Offizierkorps in Bayern vor dem Krieg 1866 denkbar schlecht. Fürst Taxis

20

formulierte: »Die Armee wird nun nicht allein mit geistig und körperlich notdürftig ausgestatteten Subjekten überschwemmt, sondern es ist auch die größte Dürftigkeit, welche das Unterkommen in der Armee sucht, und welche in einigen Jahren in so schreiender Weise hervortreten wird, daß keine Mittel ausreichen werden, Individuen in ihren ökonomischen Verhältnissen aufzuhelfen, welche schon von vornherein, um dem bittersten Mangel zu entgehen, und bei der Unfähigkeit, eine Kunst oder Gewerbe zu betreiben, ein Unterkommen im Heere gesucht haben

2

®.« Der Grund allen Übels war für Anton v. d. Mark

23

die durch das Militärbudget verhinderte Re-

18 F. Hoenig: Die Entsdieidungskämpfe des Mainfeldzuges, Berlin 1895, S. 6.

" Karl v. Baur, KA O P 74 986, 1777-1847, seit 1836 Generalmajor, seit 1840 Chef des General- Quartiermeister-Stabes. Vgl. seine Denkschrift »Allgemeine Betrachtungen über Heere und ins- besondere über die Bildung und Beförderung der Unteroffiziere und Offiziere«, KA Alter Be- stand A III l a 15 (Beilage).

80 Karl Theodor Fürst von T h u m und Taxis, KA O P 74 813, 1797-1868, seit 1850 General der Kavallerie, seit 1856 bei der General-Inspektion der Armee. Vgl. F. Münich: Aus dem Leben Seiner Durchlaucht des Fürsten Carl Theodor von T h u m und Taxis, Mündien 1869, S. 147 ff.

und ΚΑ A IV Bund 24, Lager 1863/64, Stück 155 (Schlußberidit Taxis' über die Kavallerie- übungen auf dem Lechfeld, September 1863).

» Ludwig Frhr. v. d. Tann, KA O P 14 409, 1815-1881, seit 1860 Generaladjutant Max' II., 1866 Generalstabschef der mobilen Armee, seit 1872 als General der Infanterie Kommand. General I. Armeekorps. Vgl. seine Denkschrift über die Offizierausbildung aus dem Jahre 1855 (E. v.

Schelhorn: Die kgl. bayer. Kriegsschule in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens, Mündien 1883, S. 3 ff.) (zit. Schelhorn).

" Klemens Frhr. v. Raglovidi, KA O P 81 294, 1766-1836, General der Infanterie (1823) und General-Quartiermeister. Vgl. Denkschrift »Über die Mobilmachung des Heeres« (1830), K A Alter Bestand Β 726, Unruhen in der Pfalz, ad Stüde 1.

«» Anton v. d. Mark, KA O P 74 808, 1796-1869, seit 1848 (1856) Generallieutenant und General- Quartiermeister. Vgl. »Ideen über die Organisation der bayerisdien Armee« 1843, KA H S 88.

24 Zum bayerisdien Offizierkorps im gesamten behandelten Zeitraum ist nodi auf folgende Literatur hinzuweisen: Oskar Bezzel, S. 54 ff.; E. v. Frauenholz: Gesdiidite des Κ. B. Heeres von 1867 bis 1914, München 1931 (zit. Frauenholz: Gesdiidite des Κ. B. Heeres) ( = Gesdiidite des bayerisdien Heeres, Bd 8); der 9. Bd (1914-1919) der Gesdiidite des bayerisdien Heeres ist nie erschienen; Entwürfe für einzelne Kapitel und die Gesamtgliederung des Bandes: KA H S 2312;

für die Verhältnisse im bayer. Offizierkorps ist immer audi Demeter, passim, heranzuziehen.

Ferner M. Kitdien: The German Officer Corps 1890-1914, Oxford 1968 (zit. Kitdien).

85 Vgl. die in Anm. 13, 17, 24 genannte Literatur.

M Zit. nach Bezzel, S. 68.

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generation des Offizierkorps, die Überalterung der Offiziere

27

. Das betonte auch Raglovich

22

, sah aber einen weiteren Grund in der Ergänzung des Korps »durch eine dienstunerfahrene Jugend aus dem Kadettenkorps«

29

. Er fuhr fort: »[Die]

Berücksichtigung des Adels, der durch Conexionen den übrigen vacanten Theil für seine — meistens unerzogenen, kurzsichtigen, an Geist und Körper verkrüppelten Söhne in Anspruch nimmt, - [versperrt] dem kräftigen, erfahrenen, von Jugend auf abgehärteten im Dienst erzogenen Cadeten und Unterofficier alle Aussicht, und werfen ihn unverdient zurück, während der andere am Gängelband des Glückes in den Officiers-Chargen ohne Mühe, ohne Verdienst sich aufwärts ziehen läßt.« Für Karl v. Baur

19

lag vor allem die Erziehung und Bildung der Offiziere im argen; die nötige »Achtung gebiethende Stellung« könne der Offizier nur erreichen, wenn sidi bei ihm eine gute häusliche Erziehung mit einer hohen wissen- schaftlichen Bildung verbänden. »Abgesehen des für den Militärdienst daraus entstehenden großen Nachtheils, spricht es wenig zu Gunsten solcher Eltern, deren Söhne die Aufnahme in das Heer suchen, wenn etwa selbe mit dem hiezu bestimm- ten Alter kaum eine Zeile correct schreiben können.« In Bayern blieb bis 1866 die Meinung weit verbreitet, daß »jeder noch immer gut genug für den Heerdienst sey«, war ultima spes miles

29

.

Vor 1858 wurden in Bayern an die Offizieraspiranten keine bestimmten wissen- schaftlichen Anforderungen gestellt

30

; die Ergänzung des Offizierkorps erfolgte vor allem aus dem Kadettenkorps (jährlich etwa 25), dann aus der Pagerie, dem Erziehungsinstitut des hohen Adels

31

, in geringerem Ausmaße auch direkt aus der Truppe, wo Regimentsschulen mit mäßigem Niveau für die Ausbildung der Jun- ker, Regimentskadetten beziehungsweise der auf Beförderung dienenden Unter- offiziere und Soldaten sorgten. In Krisenzeiten mußte man selbst die kümmer- lichen Einstellungsvoraussetzungen beseitigen: 1848 machte man eine Anzahl un- qualifizierter Unteroffiziere zu Leutnanten und übernahm 89 Zivilisten direkt als Unterleutnante

32

; 1859 wurden assentiert-unmontierte

33

Schüler, Studenten und

17 KA H S 88 (Ideen über die Organisation der bayerischen Armee 1843). Mark (ebd.) und Baur (KA Alter Bestand A III la Fase. 15 - Beilage - ) geben als Durchschnittsalter an: Für Generale 64 bis 80 Jahre, für Obersten und Oberstlieutenants 56 bis 65 Jahre, f ü r Majore 50 bis 60 Jahre und für Hauptleute 45 bis 60 Jahre. Fürst Taxis urteilt 1864 (KA Alter Bestand A IV, 24, Lager 1863/64, Stück 155): »Das Commando einer so tüchtigen Cavalerie bedarf lebenskräftiger Führer, physisch und moralisch starker Männer und nicht am Greisenalter stehender Veteranen.«

ω KA Alter Bestand Β 726, Unruhen in der Pfalz, ad Stück 1 (Denkschrift »Über die Mobilmachung des Heeres« 1830). Mit den «Cadeten» sind Regimentskadetten (in den Regimentern auf Beför- derung dienende Soldaten) gemeint, nicht Schüler des Kadettenkorps.

M KA Alter Bestand A III l a 15 - Beilage (Allgemeine Betrachtungen über Heere und insbesondere über die Bildung und Beförderung der Unteroffiziere und Offiziere, 28. 7.1837); aus dieser Denkschrift zitiert auch Demeter, S. 104. Auf die Gründe (Finanzmangel, Schwerpunktbildung in der bayerischen Politik u. a.) dieser »Vernachlässigung des Heeres«, die sich auch als Friedens- politik bezeichnen läßt, kann hier nicht eingegangen werden. Der niedere, nicht steigende, oft sogar sinkende Militäretat bewirkte jedenfalls nolens volens (je nach gesellschaftlichem oder politischem Standort) eine Art Abrüstung der bayerischen Armee.

*> Zu den Offizierbildungs-Verhältnissen vor 1858: die entsprechenden Bünde des Bestandes KA Alt. Best. A III la. Außerdem die jeweiligen Bände der Geschichte des bayerischen Heeres, Mün- chen 1901 ff. und E. v. Sdielhorn, S. 3-21. Zum Kadettenkorps A. Frhr. v. Schönhueb: Geschichte des königlich bayerischen Cadettencorps, München 1856; F. Teicher: Das Königlich Bayerische Kadetten-Corps von der Gründung bis zur Gegenwart, München 1889; E. Kemmer: Entwick- lungsgeschichte des Kgl. Bayer. Kadetten-Korps, München 1906; L. Kuchtner (Hrsg.): Das König- lich Bayerische Kadettenkorps. Ein Rückblick auf die einstige Erziehungsstätte 200 Jahre nach ihrer Gründung, München 1956.

M A. Frhr. v. Müller: Geschichtliche Entwicklung der Königlich Bayerisdien Pagerie von 1514 bis zur Gegenwart, München 1901.

»* KA Alter Bestand A III l a 15, Stücke 66, 67, 68, 69, 145, 147; diese in widerruflicher Eigen- schaft angestellten Offiziere wurden durch königlichen Beschluß v. 21.11. 1850 definitiv in die Armee übernommen.

(6)

Söhne »besserer Familien« zu Junkern oder Leutnanten befördert, ohne einen Tag gedient zu haben

34

. Durch die fehlende militärische Vorbildung waren diese O f f i - ziere ebenso ungeeignet für ihre Aufgabe wie die »auf Kriegsdauer« eingestellten Offiziere des Jahres 1866

35

, die im Volksmund den Namen »Kriegsbedauerliche«

bekamen.

Dem Drängen höherer Offiziere (besonders Ludwig Freiherr v. d. Tann

21

) gab der König 1858 nach: für die Ergänzung der Offiziere wurden bestimmte Vorschriften mit Angabe wissenschaftlicher Vorbedingungen erlassen, eine neugegründete Kriegsschule in München sollte die Ausbildung der aus der Truppe kommenden Aspiranten besorgen

38

. Die wissenschaftlichen und dienstlichen Anforderungen entsprachen in etwa den preußischen Normen. 1858 begann also die Reform des Offizierkorps, sie wurde jedoch zögernd und ohne Nachdruck betrieben. Zudem konnte der Dienst des Offiziers in den nur 15-25 Mann starken Kompanien (der Rest war beurlaubt, manchmal vom ersten Tag an), der aus Wache, Exerzieren und Parade bestand, den Zustand des Korps vor 1866 nicht entscheidend ver- ändern. An der schlechten Beförderungspraxis - Prinzip war die Anciennität - änderte sich kaum etwas, obgleich jährlich Sitten- und Fähigkeitslisten vorgelegt werden mußten, die dem Kriegsministerium als Grundlage für Beförderungsvor- schläge dienen sollten

37

.

Nachdem die Ereignisse 1866 die Kriegsuntüchtigkeit der Armee offenbar gemacht hatten, reichten sowohl der bayerische Heerführer, Feldmarschall Prinz Karl (am 3. September 1866), als auch der Quartiermeister-Stab (am 31. Dezember 1866) Berichte über den inneren Zustand der Armee und die nötigen Reformen beim Kriegsministerium ein

38

. Beide Denkschriften klagten über die schlechten Verhält-

M Assentiert-unmontiert waren Wehrpflichtige, die nach der Einschreibung sofort wieder zur Reserve entlassen wurden und deshalb völlig unausgebildet waren.

M Bezzel, S. 55.

55 KA Alt. Bestand A III la u. 2a, 18 (Liste der Offiziere auf Kriegsdauer); ebenso KA Alt. Be- stand A III l a 16a Fase. VI, Stück 37. Die Einstellung von Offizieren auf Kriegsdauer (300 fl.Ein- trittssumme, ein Jahresgehalt Abfindung) geht auf einen Vorschlag des Prinzen Karl zurück, der darauf hinwies, wie nach 1825 durdi Einreihung der Legionsoffiziere das Avancement für Jahr- zehnte blockiert war. Vgl. Anm. 134.

"Verordnung v. 30.7.1858, Verordnungsbl. des Kriegsministeriums (in der Folge abgekürzt:

VOB1) Nr. 10/1858 v. 12. 8. 1858; organisatorische Bestimmungen für die Kriegsschule im gleichen VOB1, S. 74-78. Der wesentliche Art. II der Ergänzungsverordnung ist in Anm. 104 dieser Arbeit zitiert. Nach 1858 wurde das bayerische Offizierkorps also auf folgenden Wegen ergänzt (vgl. KA Alter Bestand A III l a 16, Stüde 124 v. 8. 3.1865):

1. Aus dem Kadettenkorps (6 Jahre Unterricht mit Abschlußprüfung, 18 bis 20 Jahre, Junker);

2. aus der Kriegsschule (nach einem Jahr Waffendienst folgt der einjährige Kurs an der Schule, bis 22 Jahre, Junker);

3. aus der Pagerie, also mit bestandenem Gymnasialabsolutorium, mit bester Note wurde man als Unterlieutenant, sonst als Junker eingestellt;

4. aus dem topographischen Büro des Generalquartiermeisterstabes, nach zweijährigem Dienst dort, Junker;

5. in Zeiten größeren Bedarfs aus der Truppe.

" KA Alter Bestand A III l a - b - 17 passim. Die Fülle der in diesen Akten zu findenden ab- gelehnten Beförderungs- und Pensionierungsanträge macht die Verhältnisse im Offizierbeförde- rungswesen vor 1866 überdeutlich. Der König entließ oft nicht einmal Offiziere, die körperlich und geistig nicht mehr fähig waren, ihren Dienst zu versehen. Das Pensionsbudget durfte nicht ausgeweitet werden.

, e Denkschrift des Prinzen Karl »Die Verhältnisse der königl. bayer, mobilen Armee betreffend« v.

1.9.1866, vorgelegt am 3.9.1866, in: KA Alter Bestand Β 1866 Feldzug gegen Preußen 841.

Die Denkschrift ist abgedruckt bei E. v. Frauenholz: Die Heerführung, S. 102-107; Auszüge aus dem Bericht des General-Quartiermeister-Stabes sind abgedruckt ebd., S. 107-109. - Nach Prinz Karl »müssen zwei Hauptübelstände hervorgehoben werden, welche sich bei jeder Gelegenheit zeigten und mit Veranlassung waren, daß der Erfolg der kriegerischen Aktion nicht im Einklänge mit den aufgewendeten Mitteln stund. Es ist dieß: 1. der Mangel an unbedingter Disziplin, und 2. der Mangel an Schule in Führung und Verwendung größerer Truppenkörper.«

(7)

nisse im Offizierkorps, über den Mangel an Disziplin, über Weichheit, Erschlaf- fung und Tatenlosigkeit der Offiziere. Bei den Offizieren fehle es an Intelligenz, sie seien allgemein zu untätig und nicht im erforderlichen Grade verwendbar.

»[Auch] bei einem großen Teil der älteren Offiziere war Mangel an Wissen und Auffassung bemerkbar und durchgängig fehlte die nötige Übung

39

.« Prinz Karl betonte, daß die negativen Erscheinungen nur in den Personalverhältnissen der Armee ihren Grund hätten und eine durchgreifende Änderung vonnöten sei. »Die erste Anstellung zum Offizier, resp. Junker, muß für alle Stände, ob Fürst oder Bürger, nach gleichem Maßstabe geschehen. Die Anforderungen an die Offizier- aspiranten brauchen nicht umfassend oder hoch gestellt zu werden. Sie sollen nur die Bürgschaft einer gewissen wissenschaftlichen Bildung geben«

88

. Man dürfe, fährt Prinz Karl fort, gerade in den höheren Chargen nicht mehr so viel Rücksicht auf einzelne nehmen, die Leistung müßte f ü r Beförderungen ausschlaggebend sein.

Ähnliche Gedanken hatte Oberst Freiherr v. Prandth

12

, der aus dem Felde nach München geholt wurde und den der König am 1. August 1866 zum bayerischen Kriegsminister ernannte. Seine Oktober-Denkschrift »Die Reorganisation des Wehrsystems des Königreichs betreffend«

39

bildete die Grundlage der einsetzen- den Heeresreform, die hier nur erwähnt, nicht dargestellt werden kann. Die durch- greifende Neuorganisation sollte, so war es beabsichtigt, auch zu einem »neuen Offizier« führen, wobei man, wie erwähnt, auf Reformansätze zurückgreifen konnte.

Den Reformern schwebte ein am preußischen Muster orientiertes Bild des O f f i - ziers vor

40

. Der Offizier sollte durch Leistung und Ansehen Mitglied einer Elite werden, das Korps sollte, unter Vermeidung der preußischen Verhärtungen, die führende Stelle in Staat und Gesellschaft einnehmen. Zugleich forderte man in der Theorie eine Beteiligung aller Stände am Offizierkorps; davon sollte eine die Gesellschaft und das Korps integrierende Wirkung ausgehen. Aber durch die Ein- richtung einer Bildungsschranke (Abitur) leitete man einen Homogenisierungspro- zeß ein, der bald seine Auswirkungen auf die soziale Zusammensetzung zeitigte.

Zunächst hatten freilich Söhne von Eltern aus niederen Schichten die Möglichkeit, relativ ungehindert Offizier zu werden; aber mit steigendem Ansehen des Korps wuchs die gesellschaftliche Exklusivität. Um diese noch zu erhöhen, setzte eine dem Geist der Reform fremde Gegenbewegung ein, die die Bildungsschranke beseiti- gen und durch eine Standesschranke teilweise ersetzen wollte. Zwar kam diese Bewegung nicht zum Erfolg, weil die strukturellen Voraussetzungen dafür in Bayern nicht gegeben waren, aber die Bestrebungen wirkten sich sehr wohl aus auf die Auswahl der Aspiranten durch die Regimentskommandeure, die ja das »Ein- stellungsmonopol« hatten. Dazu gab ein großes Angebot den Kommandeuren die Möglichkeit, bei der Auswahl die Forderung nach »häuslicher Erziehung« mehr und mehr zu verwirklichen.

*· Bericht des General-Quartiermeister-Stabes, s. Anm. 38, S. 108. Für die im folgenden erwähnte Oktober-Denkschrift Pranckhs vgl. K A Alter Bestand A II l b , 68 u. 69.

40 Prinz Karl, damals sdion außer Dienst, schreibt am 14. 3.1869 an Pranckh u . a . : «Gerade weil idi Ihre ächten bayerischen Gesinnungen kenne, die Sie bei allen Gelegenheiten bewähren, habe idi meine Besorgniße wegen den in der Armee zunehmenden preußisdien Sympathien wiederholt ausgedrückt. Ich weiß nur zu gut, daß dieselben aus den höheren militärischen Regionen aus- gehen [ . . . ] . « (Dieser Brief liegt im Freiherr-Pranckhschen-Archiv und wurde mir freundlicher- weise von Herrn Wolf-Dieter Gruner mitgeteilt). Gerade der Generalstab und viele höhere Offiziere sahen das Vorbild in Preußen. Vgl. Frauenholz: Geschichte des K. B. Heeres, Beilage III, passim.

(8)

III Die Grundpositionen der Auseinandersetzung um die Offizierbildung im 19. Jahrhundert

41

Eine exakte Definition des Begriffes »Bildung« verbietet sich, weil zu verschiede- nen Zeiten unterschiedliche Elemente mit wechselndem Gewicht kennzeichnend sind; bei der Diskussion um die Offizierbildung traten im 19. Jahrhundert zwei principia media in den Vordergrund: die schulische Ausbildung auf der einen, die Erziehung durch die Familie auf der anderen Seite. Da beide Aspekte, wissen- schaftliche Bildung und häusliche, »gemüthliche« Erziehung, nur Schwerpunkte einer einheitlichen Anschauung darstellen, werden sie in Theorie und Praxis nie scharf getrennt, es handelt sich immer nur um ein mehr oder weniger des einen oder anderen Faktors.

Die Grundpositionen der Auseinandersetzung um die Bildung des Offiziers sind mit diesen beiden Begriffen markiert, einer Auseinandersetzung, die im 19. Jahr- hundert vor allem in Preußen und Bayern ausgetragen wurde. Man wird Karl Demeter recht geben, der aus Kenntnis der preußischen Akten des Kriegsmini- steriums und des Militärkabinetts heraus formuliert, daß es sich »elliptisch um die Antithese: Rustikalität und Urbanität, Charakter und >Geist<, Voluntarismus und Intellektualismus«

42

handelt; die bayerischen Quellen bestätigen dies voll und ganz

48

.

Doch nicht nur innerhalb der beiden Offizierkorps ist eine heftige Spannung zwi- schen diesen beiden Polen festzustellen, die als historische Wurzel die Auseinander- setzung zwischen ländlich-feudalem und urban-bürgerlichem Leben haben, son- dern sie charakterisieren auch scharf einen wesentlichen Unterschied zwischen den preußischen und bayerischen Vorstellungen der Offizierbildung. Die preußisch- bayerischen Unterschiede in dieser »geistigen Frage« und die ideologischen, staats- politischen Begründungen sind zu verstehen aus den ökonomischen, sozialen und gesellschaftspolitischen Verhältnissen der beiden Länder und müssen als Sekundär- erscheinungen dieser Bedingungen gesehen werden. Das Reservoir für den Offi- zierersatz bildeten in Preußen vor allem der Landadel, in Bayern neben den Offizier- und Beamtenkreisen die gehobenen Schichten des Bildungs- und Besitz- bürgertums. Dazu trat in Bayern, ungewollt, die Ergänzung aus den mittleren und zum Teil unteren Schichten der Bevölkerung. Das muß man sehen, um die bayerische Forderung nach »Intelligenz« und »wissenschaftlicher Bildung« und die preußische nach »häuslicher Erziehung« und »sittlicher Bildung« verstehen zu kön- nen. Beim Urbanen Bürgertum und beim Stadt- und Landadel Bayerns konnte eine höhere schulische Bildung vorausgesetzt werden, denn Schulen waren in ausreichen- der Anzahl und zumutbarer Nähe vorhanden, wogegen in Preußen, vor allem östlich der Elbe, die schulischen Voraussetzungen große Schwierigkeiten berei- teten.

Aber diese praktischen Probleme traten, besonders in Preußen, gegenüber den ideologischen, staatspolitischen Überlegungen zurück. Dok. 12 läßt erkennen, daß

41 Zu diesem Abschnitt bes. die eingehenden Ausführungen von Demeter, S. 74 ff.; wichtig ferner R. Höhn: Sozialismus und Heer, Bd II, Bad Homburg 1959, S. 229 ff. (zit. Höhn); Höhn weist nachdrücklich auf den »gebildeten Offizier als Offizierideal in Bayern« hin; er hat sich vor allem mit den Quellen von 1883 (vgl. Abschnitt IV dieser Arbeit) auseinandergesetzt.

" Demeter, S. 76.

" Natürlich hat auch Demeter eine große Zahl bayerischer Quellen eingesehen. Hierzu seine Dar- stellung S. 101-109 und die von ihm abgedruckten Dok. 8 (S. 270 ff.) u. 9 (S. 272 ff.). Zu den preußischen Vorstellungen vgl. M. Messerschmidt: Werden und Prägung des preußischen Offizier- korps - ein Uberblick, in: Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten ( = Bei- träge zur Militär- und Kriegsgeschichte, hrsg. vom Militärgesdiiditlichen Forschungsamt, Bd 6, Stuttgart 1964), S. 68-77.

(9)

gerade die sehr konservativen älteren Offiziere es waren, die durch niedere wissen- schaftliche Anforderungen die hergebrachten Quellen preußischer Offizierergän- zung sidi weiter offenhalten wollten - und zeitweise audi mußten: Manquements waren in Bayern seltener und nie so schwerwiegend wie in Preußen

44

.

In Bayern wie in Preußen ist das Bemühen sichtbar, die Sozialstruktur des Offi- zierkorps mit der jenes Teiles der Gesellschaft zur Deckung zu bringen, den das Korps repräsentieren und schützen sollte. Nur so konnte man erreichen, daß es eine Stütze der herrschenden Schichten blieb. Dadurch entfremdete sich das Korps aber immer mehr den unteren Schichten, betrachtete diese, sobald sie ihre Interessen artikulierten, als Staatsfeinde oder vaterlandslose Gesellen. Auf die Anfeindun- gen aus dem liberalen und sozialdemokratischen Lager antwortete das Offizier- korps, weil ihm jegliches Verständnis für politische Probleme, Vorgänge und Zu- sammenhänge ebenso abging wie die Bereitschaft zu Reform oder Anerkennung der Veränderungen in der Gesellschaft, mit einer neuerlichen Verstärkung der Exklusivität. Der mit den angesprochenen Bildungsproblemen eng verbundene soziale Homogenisierungsprozeß machte das Offizierkorps immer mehr zu einem statischen Element in einer großenteils dynamischen Gesellschaft. Das Offizier- korps sprach von »Staat« und die sich emanzipierenden Schichten sprachen von

»Staat«, doch beide meinten Verschiedenes, sahen sich nicht mehr an je einem Ort der gemeinsamen Organisation von Staat und Gesellschaft

45

.

IV Wissenschaftliche oder soziale Bildung? Die Entwicklung in Bayern nadi 1866 Im Zuge der Heeresreform wurden in Bayern im Jahre 1868, anknüpfend an die Vorgänge von 1858, feste wissenschaftliche Bedingungen für den Eintritt in die Offizierlaufbahn verordnet

49

und den Absolventen der Gymnasien erstmals Vor- teile zugestanden, wie sie vorher nur Zöglinge des Kadettenkorps oder der Pagerie beanspruchen konnten

47

. Als Ludwig II. am 26. April 1869 den Grafen Ferdi- nand v. Seinsheim-Sünching

48

direkt zum Offizier ernannte, verstieß dies so

44 Vgl. zur preuß. Haltung audi Demeter, Dok. 6 (S. 269) u. Dok. 7 (S. 270). Der Chef des Militärkabinetts, Freiherr v. Lyndter, antwortet auf den Vorwurf des Generals der Kavallerie v. Pfuel, daß die Bildung der preußisdien Offiziere gering sei, u. a. : »Die Offizierlaufbahn ver- langt nun, wie keine andere, Männer mit praktischer Begabung. Wieviele Persönlichkeiten gibt es, deren Stärke mehr in der Praxis als in der Theorie liegt, die aber als Soldaten ganz ihren Mann stehen! Gewiß ist es erwünscht, daß unser Offizierersatz möglichst gute Schulkenntnisse erwirbt; wir müssen aber mit den Verhältnissen rechnen und uns damit abfinden, daß man, so- lange eine erhebliche Zahl unserer Leutnantsstellen unbesetzt ist, nicht die Anforderungen er- höhen kann.« (Sdir. ν. 24. 3.1909, zit. nadi Demeter, S. 270.)

45 Ein analoges Verhältnis zwischen Offizierkorps und Staat läßt sich nach 1918 beobachten. Hatte das Offizierkorps vor dem Weltkrieg die anderen gleichsam ausgebürgert, sich mit dem Staat identifiziert, so trat es nach der Revolution aus dem neuen Staat hinaus, diente dem vermeintlich Größeren, dem Vaterland.

*" Bestimmungen für Officiers-Aspiranten der activen Armee, VOB1 13 v. 23. 3.1868, S. 105-110;

audi Kriegsministerial-Reskript v. 22. 3.1868, No. 3766.

47 Die Ziff. 8 und 9 der Verordnung zeigen, daß das Abiturzeugnis Vorteile brachte, aber keine unbedingte Notwendigkeit war, wie Frauenholz: Geschichte des K. B. Heeres, S. 58, u. Demeter, S. 108, meinen. Ziff. 8: Wehrpflichtige oder Freiwillige, welche das Absolutorium eines bayeri- sdien humanistischen oder Real-Gymnasiums besitzen, können nach Vijähriger entsprechender Dienstleistung bei einer Heeresabtheilung zu Officiers-Aspiranten II. Classe ernannt werden.

Ziff. 9: Wehrpflichtige oder Freiwillige, welche ein derartiges Absolutorium nicht besitzen und zum Officier gelangen wollen, haben nach Erfüllung der für die Aufnahme in die Kriegsschule bestehenden Vorbedingungen, d. i. einjähriger Dienstzeit bei einer Heeresabtheilung und bestan- dener Aufnahmsprüfung, in den Vorbereitungs-Curs dieser Militär-Bildungsanstalt einzutreten.

48 Vorgang: K A Alt. Bestand A III l a 16a (VI), Stücke 162Vi u. ad 1621/«. Carl Ferdinand Graf v. Seinsheim-Sünching, Κ A O P 82 509, 1848-1871; nachdem der König die Ernennung zurück- genommen hatte, tritt Seinsheim als Freiwilliger am 1.10.1869 in die Armee und wird, da er

(10)

gegen den Geist der Reform, daß Pranckh nadi Rücksprache mit Oberstlieutenant Franz Gemmingen Freiherr v. Massenbach

103

, einen der Mitgestalter der Heeres- reform, ein Schreiben an den König formulieren ließ (Dok. 1), in dem das erstrebte Ansehen und die notwendige Tüchtigkeit des Offizierkorps durch solches Vorgehen als gefährdet dargestellt wurden. Des öfteren wurden hohe Adelige, die den

»kurzgeschlossenen Weg« versuchten, nach der Reform abgewiesen. Audi Standes- herrn gegenüber, die nach königlichem Edikt vom 26. Mai 1818 von der Ablei- stung militärischer Dienste befreit waren, wollte der Reformkriegsminister keine Ausnahmen gelten lassen. Das Gesudi Max Graf v. Arco-Zinnebergs, seinen Sohn nach vier Wochen Dienst als Gemeiner Offizier werden zu lassen, lehnte der König, auf Prandkhs Vorschlag hin, am 4. September 1870 ab

49

. Dem Gesuch eines Grafen v. Giedi, Haupt eines standesherrlichen Hauses, als Unterlieutenant in die Armee eintreten zu dürfen, wurde gleidifalls abschlägig geantwortet

50

.

»Ohne nun allen noch neuen gesetzlichen und organischen Bestimmungen entgegen zu handeln, vermag ich schlechterdings und trotz meines besten Willens Euer Er- laucht Gesuch nicht zu entsprechen«, schreibt Pranckh an den Antragsteller, »so sehr ich prinzipiell wünsche, die Mitglieder unseres und namentlich des höchsten Adels in der Armee dienen zu wissen«

81

.

Erst Pranckhs Ausscheiden (1875) und die beginnende Verwässerung der Reform- bestrebungen, auch das gestärkte Selbstgefühl und der gute Ruf der »neuen Offi- ziere« bewirkten, daß Standesherren und anderen hohen Adeligen wieder »gewisse Vorzüge« eingeräumt wurden

52

.

Nicht nur bei der Einstellung, audi bei der Beförderung sollte es in Zukunft gerecht zugehen. Als Ludwig II. am 3. September 1874 den Grafen Eckbrecht v.

Dürckheim-Montmartin

53

zum Premierleutnant ernannte

54

, obgleich dieser noch 106 Vorleute hatte, protestierte Pranckh in schärfster Form: »[Solche Beförderun- gen außer der Tour] erzeugen Mißstimmung, zerstören den guten Geist im Heere, sie untergraben das Vertrauen zu der allerhöchsten Stelle und gefährden schließlich in ihren unabweisbaren Consequenzen die Disziplin

55

.« Pranckh bat den König zweimal eindringlich, von dieser Beförderung Abstand zu nehmen

56

, und drohte schließlich mit seinem Rücktritt (Dok. 2), wenn solche Vorgänge sich wiederholen würden.

Den eingeschlagenen Weg konsequent weiterschreitend, wurde 1872 mit der »Ver- ordnung über die Ergänzung der Officiere des stehenden Heeres« das Absoluto-

das Absolutorium der Pagerie besitzt, am 21. 7. 1870 zum Unterlieutenant befördert (KA Alt.

Bestand A III l a 16a - VII - Stücke 6, 7, 9, 10).

« KA Alt. Bestand A III l a 16a (VII), Stücke 37, 38, 40.

M KA Alt. Bestand A III la 16a (VII), Stücke 175-177.

51 Als Referent äußert Frhr. v. Massenbadi u.a.: »Der gehorsamst Unterzeichnete kann sidi in keiner Weise damit einverstanden erklären, daß zu Gunsten Einzelner und wäre es audi ein Standesherr, Ausnahmen von den bestehenden Bestimmungen über Anstellung zum Offiziere der aktiven Armee gemacht werden. Jeder, der die Ehre, Pflidit und Vortheile des Offiziersstandes theilen will, [muß] audi eine bestimmte Befähigung hiefür [nachweisen]« (s. Akt-Angabe Anm. 50, Stück 176).

" Vgl. KA OP 634, OP 23 871, KA MKr 1846, passim.

M Alfred Graf Edsbredit v. Dürckheim-Montmartin, KA OP 33 394, 1850-1912; der spätere General der Infanterie und Kommand. General des II. Armeekorps (seit 1908) stand 1886 im Mittelpunkt eines Hodiverratsprozesses, in dem es um sein Verhalten bei der Absetzung Lud- wigs II. 1886 ging. Er war damals Flügeladjudant des Königs und hatte u. a. Telegramme mit Bitte um Hilfe an den Kaiser und an Bismarck geschickt, da er über die Einsetzung der Regentschaft nicht informiert war.

M KA OP 33 394, Stück 19b.

58 Ebd.; Pranckh betont, daß gerade in der gegenwärtigen Zeit solche privilegierten Beförderungen vom Obel seien.

» KA OP 33 394, Stücke 19b, c, d, e.

(11)

rium eines humanistisdien oder Realgymnasiums als Bedingung für die Aufnahme als Offizieraspirant festgelegt

57

. Die ökonomischen, sozialen und gesellschafts- politischen Gründe dieser Bildungsschranke werden in den Dokumenten 4, 5, 6 und 12 deutlich und brauchen deshalb hier nicht dargestellt zu werden. Uber das dort geäußerte hinaus schwebte Pranckh eine Beteiligung aller Stände am O f f i - zierkorps vor; er hoffte auf die integrierende und leistungssteigernde Wirkung der Niederlegung alter Standesschranken.

Der § 2 der Verordnung zeigte jedoch, daß man sidi des neuen Bodens, den man betreten hatte, so sicher nicht war, daß man nur mit einem weinenden und einem lachenden Auge der neuen Regelung zugestimmt hatte, bei der es f ü r Aspiranten mit hervorragender »häuslicher Erziehung« und fehlender wissenschaftlicher Aus- bildung keine Möglichkeit gab, Offizier zu werden. »Zur Befähigung als Officier werden im Allgemeinen der entsprechende Grad von wissenschaftlicher und sitt- licher Grundbildung, hinreichende Fachkenntnisse und dienstliche Brauchbarkeit, sowie vorzügliche Führung erfordert.

Diese Eigenschaften können jedoch nur in dem Verhältnisse genügen, als ihnen die natürliche Anlage für den Beruf zu Grunde liegt, womit diejenigen Eigenschaften des Geistes und Charakters verbunden sein müssen, welcher der Officier insbeson- dere bedarf, um die Pflichten seines Standes nach allen Beziehungen erfüllen zu können.«

Das Lehrprogramm des Kadettenkorps entsprach dem eines Realgymnasiums

58

, das der Pagerie dem eines humanistischen Gymnasiums.

Ein anderer Weg zur Offizierlaufbahn war die Portepee-Fähnrichs-Prüfung, die jedoch ebenfalls das volle Lehrprogramm eines Gymnasiums umfaßte

59

. Durch diese Regelung hatte man sich ein Mittel geschaffen, bei größeren Offizier-Man- quements steuernd einzugreifen, wie es zum Beispiel 1876/77 geschehen ist®

0

, als man durch Milderung der Anforderungen bei dieser Prüfung Lücken im Offizier- korps auffüllte.

Von den 790 zwischen 1872 und 1881 beförderten Fähnrichen hatten 666 das Abiturzeugnis ( 8 1 % ) , 124 ( 1 9 % ) legten die Portepee-Fähnrichs-Prüfung ab (Dok. 3). Den höchsten Prozentsatz der Teilnehmer an dieser Prüfung machen die Söhne von »Großgrundbesitzern« aus, worunter meist Adelige zu verstehen sind. Avantageure aus den unteren Schichten der Gesellschaft haben selten diesen Weg beschritten, denn einerseits war es für sie schwer, überhaupt in einem Regi- ment aufgenommen zu werden, auf der anderen Seite hätten sie meist gar keine Voraussetzungen wissenschaftlicher Bildung mitgebracht

81

.

Im Kriege gab es die Möglichkeit, bei besonderer Auszeichnung vor dem Feinde ohne die vorgeschriebenen Nachweise und Prüfungen zum Offizier befördert zu werden, sofern man die »vollständige moralische und dienstliche Reife« hatte

92

. Den radikalen Wandel in der Bildungsstruktur des Offizierkorps macht ein Ver- gleich der Schulbildung der Majore von 1880 mit jener der Majore von 1911 deutlich. Von den vor der Reform in die Armee eingetretenen Majoren von 1880 hatten etwa 15 % ein humanistisches Abitur absolviert, etwa 40 % kamen aus der Kadettenschule, 45 % hatten eine andere schulische Ausbildung. Darunter sind

17 § 6 der Verordnung (VOB1 1872 und Sonderdruck, München 1872).

58 Gemäß Entschließung v. 2.4.1868, VOBl 17 v. 5.4.1868, S. 127 f.

" §7 der Verordnung; diese Möglichkeit wird allerdings durch die Bemerkung eingeschränkt, daß nur in besonders berücksichtigungswerten Fällen die Prüfung abgelegt werden darf.

KA Alt. Bestand A III la 16a (VIII), S t ü i 84 u. Stück 139.

" Vgl. die Äußerung des Prinzen Leopold, KA MKr 1841, Stück ad 18.

" § 4 der Verordnung von 1872.

(12)

meist einige Klassen Latein- oder Gewerbeschule zu verstehen. Unter den Majoren von 1911 findet man nur mehr knapp 2 % Offiziere ohne Abitur, die alle aus dem höchsten bayerischen Adel stammen. 30 °/o dieses Jahrgangs haben ihr Abiturzeug- nis im Kadettenkorps erhalten

63

.

Die Portepee-Fähnridis-Prüfung wurde im Laufe der Jahre von immer weniger Aspiranten in Anspruch genommen. Die Eltern gewöhnten sich daran, ihre Söhne, wenn sie Offiziere werden wollten oder sollten, Abitur machen zu lassen. Da im Kadettenkorps jährlich nur etwa 30 Sdiüler absolvierten, stieg mit wachsendem Offizierbedarf die Zahl der Humanisten. Von den Kriegsschülern der Jahre 1880 bis 1903 hatten etwa 6 7 % ein humanistisches Abitur, 3 3 % das Abitur eines Realgymnasiums

64

.

Am 11. März 1880 erschien eine neue preußische »Verordnung über die Ergänzung der Offiziere des Friedensstandes«, die im bayerischen Kriegsministerium sofort eine lebhafte Referententätigkeit auslöste, da die preußische Verordnung in we- sentlichen Punkten von der bayerischen abwich; die wissenschaftlichen Anforde- rungen waren in Bayern viel höher (§ 3 der preuß. - §§ 6, 7 der bayer. VO), den Kadetten wurden in Preußen Zeit- und Chargenvorteile eingeräumt und ande- res

65

.

Während der Diskussion über die Frage, ob die preußische Verordnung in allen Punkten zu übernehmen sei, wozu Bayern nach dem Bündnisvertrag nicht ver- pflichtet gewesen wäre, oder ob die Unterschiede beibehalten werden sollten, ent- standen mehrere Denkschriften, wurden Stellungnahmen niedergeschrieben und Gesprächsprotokolle angefertigt, in denen sich die Problematik der »Bildung des Offiziers« in ganzer Breite findet (Dok. 4, 5, 6). Für die Beweisführung der größeren Gruppe, die am Abitur als Grundforderung festhalten wollte, ist die Denkschrift des Direktors der Kriegsschule in München, Oberstlieutenant v. Schel- horn

66

, exemplarisch (Dok. 4), die andere Seite wird vor allem von dem Abtei- lungsleiter im Kriegsministerium und späteren Kriegsminister Oberstlieutenant Freiherr v. Asch vertreten

67

; auch der Kommandeur der 1. Kavallerie-Brigade, Oberst Ritter v. Xylander, tritt für eine Annäherung an Preußen ein

68

. Wie schwierig es war, in den führenden Stellen der bayerischen Armee eine einheitliche Meinung zu erzielen, sieht man daran, daß die Diskussion sich zunächst über zwei Jahre hinzog; am 13. März 1883 bat dann der Kriegsminister General der Infan-

· ' Diesen Zahlen liegen die Personalakten aller Majore der Jahre 1880 u. 1911 zugrunde.

M Diese Zahlen wurden gewonnen aus folgenden Akten: K A A III If 1; KA MKr 2046 - 2047;

KA MKr 4758 u. 4760; K A Alt. Bestand A VII l b Bünde 3 u. 4.

ω KA MKr 1841, Stück ad 3: Vergleichende Darstellung der preußischen Verordnung von 1880 und der bayerischen Verordnung von 1872.

· · Emil v. Schelhorn, KA O P 12 695, 1828-1908, seit 1877 Direktor der Kriegssdrole, 1881 Oberst, 1884 Kommandeur des Kadettenkorps, 1888 Generalmajor z. D.

« Adolf Frhr. v. Asch zu Asdi auf Obemdorff, KA O P 2910, 1839-1906, seit 1880 als Oberst- lieutenant Abteilungschef im Kriegsministerium, 1885 Oberst und Kommandeur des 1. Infanterie- Regiments, seit 1893 (Generallieutenant) bayerischer Kriegsminister bis 1905, seit 1899 General der Infanterie. Aschs Ansichten: K A MKr 1843, Stück 8; vgl. Anm. 125 und 129: »Die hervor- ragende Stellung, welche den Offiziers-Corps in Deutschland eingeräumt ist, kann von den Mit- gliedern des Offiziers-Standes nur behauptet werden, wenn sie wirklich Träger der Ehrenhaftig- keit sind, wenn in ihrem öffentlichen Auftreten Anstand und gute Sitte sich ausprägt, und wenn sie durch das Obergewicht ihres inneren, moralischen Gehaltes das Niveau der Masse überragen, welche zu leiten und zu befehlen sie berufen sind. Diese Eigenschaften werden nicht in der Schule erworben; sie müssen von Jugend auf im Menschen erweckt und erzogen werden; ihr Mangel kann durch höhere Schulbildung nicht ersetzt werden.«

48 Emil Ritter v. Xylander, K A O P 18 698, 1835-1911, seit 1879 Oberst und Abteilungschef im Kriegsministerium, seit 1884 Militär-Bevollmächtigter in Berlin, 1890 (Generallieutenant) Kom- mandeur der 5. Division, seit 1895 als General der Kavallerie Kommandierender General II. Armeekorps, 1905 verabschiedet, 1911 Gen.-Oberst d. Kav.

(13)

terie Joseph v. Maillinger

69

den König um Einsetzung einer Kommission, da die Frage zu widitig sei, als daß sie vom Kriegsminister allein entschieden werden könne (Dok. 5)

70

.

Unter dem Vorsitz des Generalinspekteurs der Armee und Generalfeldzeugmei- sters Prinz Luitpold

71

trat am 18. April 1883 die vierzehnköpfige Kommission erstmals zusammen. Das interessante Protokoll (Dok. 6) zeigt, daß die höheren Truppenoffiziere mit einer Ausnahme für die Beibehaltung der bisherigen Bestim- mungen waren. Am 17. September 1883 genehmigte der König die neue »Verord- nung über die Ergänzung der Offiziere des Friedensstandes«

72

, die in den wesent- lichen Punkten mit der Verordnung von 1872 übereinstimmte. Da auch die Verord- nung von 1909

73

auf dem Gebiet der Bildungsforderungen keine Veränderung brachte, galt bis zur Revolution 1918 das Abitur als Voraussetzung für die Offi- zierlaufbahn in Bayern.

Trotzdem zeigt die Diskussion von 1880/83, daß sich die theoretischen Vorstel- lungen über Bildung der Offiziere in Preußen und Bayern recht ähnlidi waren und nur in der Praxis unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt wurden, die in den strukturellen Voraussetzungen und der Tradition ihre Begründung finden.

Wenn Reinhard Höhn meint

74

, in Bayern habe man aus der N o t eine Tugend gemacht und die Bildung des bayerischen Offiziers bewußt als Äquivalent für das altpreußische Offizierideal herausgestellt, so ist dies zwar richtig, diese Feststel- lung muß jedoch ebenso auf Preußen angewandt werden. So wie man in Bayern froh gewesen wäre, wenn all jene Kreise der unteren Schichten der Gesellschaft von der Offizierlaufbahn ausgeschlossen hätten werden können, so wünschten viele höhere Offiziere in Preußen, die wissenschaftlichen Anforderungen zu heben.

Hier wie dort war die praktische Schwerpunktbildung ein Kompromiß zwischen der Theorie und den tatsächlichen Möglichkeiten, hier wie dort sah man mit einem gewissen Neid auf die Praxis des anderen.

•· Joseph Ritter v. Maillinger, K A O P 8093, 1820-1901, seit 1873 (Generallieutenant) Kommand.

General II. Armeekorps, seit 1875 Kriegsminister, 1877 General der Infanterie, 1885 a . D .

70 Vor der Stellungnahme des Referenten Frhr. v. Zoller (KA MKr 1841, Stück 8) war man im bayerischen Kriegsministerium der Ansicht, »die Preuß. Verordnung über die Ergänzung der Offiziere etc. v. 11.3.1880 in Bayern zur Einführung zu bringen« (so der Entsdieidungsvor- schlag Asdis v. 26. 7.1881, KA MKr 1841, Stück 8). Durch Zoller (KA O P 69 854, 1843-1900, später erst Flügel-, dann Generaladjutant des Prinzregenten) gerät die Diskussion im Ministerium erst richtig in Bewegung. Er schreibt am 29. 9.1881, indem er sich den Ausführungen Sdielhoms anschließt: »Wenn es ihm [dem Referenten] gestattet ist, seine Erfahrungen zu erwähnen, welche er in Preußen über die Frage gewonnen hat, so kommt anzuführen, daß man audi dortselbst den Wert der Gymnasialbildung für den Offiziersersatz sehr wohl zu würdigen weiß. Ein gewiß berufener Kenner preußischer Armee-Verhältnisse, General von Trescow, der selbst jahrelang Chef des Preußischen Militär-Cabinets gewesen war, äußerte sich einmal, als das Gespräch die Frage der Vorbildung der Offiziere berührte, dem Unterzeichneten gegenüber dahin: >Wenn in Bayern das Gymnasialabsolutorium Bedingniß f ü r die Aufnahme zum Offiziersaspiranten ist, so behalten sie dies ja bei. Wir würden es sehr gerne auch längst bei uns eingeführt haben und audi nodi einführen, wenn die eigentümlichen Ersatzverhältnisse uns leider nicht daran hinderten.

Wir müssen aber auf einen zahlreichen Landadel und Rittergutsbesitzerstand Rücksicht nehmen, der ein großes Contingent zum Offiziersstand stellt, seine Söhne aber nicht in öffentliche Schulen schickt, sondern am Lande erzieht und wo nötig sie auf kurze Zeit, bevor sie das Fähnrichs- examen machen, in eine Preße gibt.< «

7 1 Luitpold, Prinz v. Bayern, KA O P 68 522, 1821-1912, seit 1848 Generallieutenant und Kom- mandant des Artillerie-Corps, 1869 Generalinspekteur der Armee, seit 1876 Generalfeldzeug- meister, seit 1886 Prinzregent von Bayern.

" KA MKr 1841, Stücke 25 und 26; VOB1 38/1883.

7> Vorschrift über die Ergänzung der Offiziere des Friedensstandes nebst Offiziersprüfungsvor- schrift, München 1909.

74 Höhn, S. 231.

(14)

V Der Trend zur Exklusivität; die konfessionelle Zusammensetzung des Korps;

die Judenfrage

Das wachsende Ansehen des Offizierkorps und die zentrale Bedeutung des Mili- tärs im Deutschen Reich weckten in weiten Kreisen Bayerns das Interesse am Offi- zierberuf. Das große Angebot ermöglichte es den Regimentskommandeuren, bei der Auswahl der Aspiranten die häusliche Erziehung wieder stärker zu bewerten.

Etwa seit 1885 spielte die »Familienerziehung« auch in der Praxis eine entschei- dende Rolle

76

. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch den Kriegsminister v.

Asch und den Prinzregenten Luitpold, die beide schon 1883 der preußischen Rege- lung große Sympathie entgegengebracht hatten.

Weiter unten (Abschnitt VI) wird die praktische Auswirkung der Tendenz zur Exklusivität anhand der Entwicklung der Sozialstruktur zahlenmäßig dargestellt werden. Da die Bildungsbarriere Privileg für bestimmte Schichten war, wurde im Laufe der Zeit die Sozialstruktur des Korps immer mehr mit jener der herrschen- den Schichten zur Deckung gebracht

76

; audi die Abiturforderung ist somit ein Mittel gewesen, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu erhalten, zu zementieren.

Wie weit man (in der Theorie) 1914 wieder war, zeigt die Referentendiskussion zur sozialen Herkunft der Avantageure von 1913

77

. Am 26. Juni 1914, wenige Wochen vor dem Weltkrieg, äußerte der Generalmajor Paul Ritter v. Kneußl

78

:

»Selbstverständlich sind aber den Kommandeuren bei der Auswahl der jungen Leute, die als Offiziere in Frieden und Krieg Führer der Mannschaften sind, gewisse natürliche Grenzen gezogen

79

.« Und Major Haack

80

präzisierte diese

»natürlichen Grenzen« in seiner Stellungnahme zu der Frage, ob bei der Annahme von Offizieraspiranten gewisse Faktoren in einer bestimmten Reihenfolge wirk- sam sein sollten. Dies hielt er für »geradezu gefährlich«, wohl wissend, daß man der Öffentlichkeit gegenüber die wissenschaftliche Bildung der Herkunft vorzie- hen müsse. Ihn lehre jedoch die Erfahrung, daß die wissenschaftlichen Leistungen auf der Schule gerade für den Offizier keineswegs die hohe Bedeutung haben wie für einen gelehrten Beruf. Viel wichtiger sei die Erziehung, »nicht die in der Schule, sondern die in der Familie«. Haack fuhr fort: »[Es] ergibt sich von selbst, daß der Offiziers-Nachwuchs den Familien entnommen werden soll, die ihrer ganzen An- schauung und Lebensführung nach mit der Denkweise der Offiziere harmonieren.

Dem Grundsatz, daß kein Stand von der Offiziers-Laufbahn ausgeschlossen sein soll, ist gewiß zuzustimmen, aber richtiger ist es doch beizufügen: selbstverständ- lich kommen aber die Söhne aus den oben erwähnten Kreisen in erster Linie in Frage, audi wenn ihre wissenschaftlichen Leistungen einmal nidit gerade glänzend sind

81

Strahlung und Sog des preußischen Vorbilds wurden zum Weltkrieg hin stärker und führten zu einer auch äußerlidien Annäherung in Fragen der Offizierbildung.

Zwar ist die Abschaffung der Abiturforderung kein Diskussionsthema mehr. Die Familien, auf die es ankam, hatten sich daran gewöhnt, ihre Söhne auf die höhere

75 Demeter, S. 108, spridit yon einer »pädagogischen Lautverschiebung«, die sich in Bayern voll- ziehe.

76 Zu den herrschenden Sdiiditen der Aufsatz von Mödd, passim.

'7 KA MKr 1844, Stück 52 u. Κ A MKr 1844/Α.

78 Paul Ritter ν. Kneußl, KA OP 11 711, 1862-1928.

7· KA MKr 1844, Stüds 52.

80 Friedrich Ritter ν. Haack, KA OP 41 088, 1869-1940, seit 1906 als Hauptmann im Kriegs- ministerium, 1918 Chef Gen.-Stab I. bayer. Armeekorps, nadi 1919 Kdr. Schütz.-Regt. 42, seit

1922 Chef des Stabes der Heeresleitung, 1927 General der Infanterie a. D.

81 KA MKr 1844, Stüde 52, Ref. Haadc.

(15)

Schule zu schicken. Da das aber auch andere taten, betonte man wieder mehr die

»häusliche Erziehung«.

Der von 1905 bis 1911 in Berlin tätige bayerische Militärbevollmächtigte Ludwig Freiherr v. Gebsattel

82

wies in seinen Beriditen (vgl. Dok. 8 und 12) des öfteren mit Nachdruck auf die Bewertung von »Erziehung« und »Persönlichkeit«

im preußischen Offizierkorps hin und versuchte, seinen Einfluß in Richtung auf eine verstärkte Nachahmung der preußischen Verhältnisse hin geltend zu machen.

Am 30. Juni 1911 schrieb er ans Kriegsministerium, daß die »hohe Bewertung des Charakters im Gegensatze zur Uberschätzung der Gelehrsamkeit in immer weite- ren Kreisen als richtig anerkannt wird«. Gleich darauf aber beklagte er die Ver- wirrung dieser Ansichten durch die lange Friedenszeit und beriditete von einem Gespräch mit einem Offizier über Generalleutnant X. Letzterer werde, so der Gesprächspartner, ein hervorragender Kommandierender General werden, denn er sei ein vorzüglicher Gefechtspraktiker. Gebsattel wies auf die Gerüchte über den Charakter des Generals hin. »Ja«, wurde ihm erwidert, »Charakter hat er allerdings keinen, aber er ist ein ausgezeichneter Infanterist und Führer!«

Dies veranlaßte Gebsattel zu der Feststellung, daß solche Ansichten, wonach ein charakterschwacher Offizier, der bei Besichtigungen gut absdineide, sich sogar zum Kommandierenden General eigne, in der deutschen Armee nicht vereinzelt seien

83

. Daß es Gebsattel, der am altpreußischen Vorbild orientiert war, vor allem um die Erhaltung des Adelseinflusses im Offizierkorps ging, wenn er »Erziehung« und

»Charakter« so stark betonte, wird in einem anderen Bericht deutlich. Außerdem kannte Gebsattel sehr genau den Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und Ideologie (oder »Moral«). Er glaubte zu erkennen, warum Demokraten wie Dr. Müller-Meiningen die Bevorzugung des Adels im Offizierkorps bekämpften;

sie wollten, so Gebsattel, dadurch die Herrschaft des konservativen Staatsgedan- kens brechen. »Sie erstreben damit den Ersatz konservativer Elemente durch de- mokratische in der Hoffnung, daß die Armee, wenn sie einmal genügend mit Demokraten und Juden - was ja sehr häufig das Gleiche ist - durchsetzt ist, auch in Deutschland >das führende Instrument der Revolution werde

84

Von hier aus soll noch ein Blids auf das Verhältnis von Offizierkorps und Juden in der bayerischen Armee geworfen werden.

Wenn auch nicht so stark wie in Preußen, so war doch im bayerischen Offizier- korps des behandelten Zeitraumes der latente Antisemitismus konservativer Kreise lebendig, der sich um die Jahrhundertwende und zum Weltkrieg hin immer mehr verstärkte

85

. Der jüdische Bevölkerungsanteil in Bayern

8

® war im aktiven Offi-

8 1 Ludwig Frhr. v. Gebsattel ist eine der interessantesten und schillerndsten Gestalten des bayeri- schen Offizierkorps. Vgl. Anm. 162. Lit. M. Büchner: Gebsattel - Ludwig Freiherr von - bayeri- scher General der Kavallerie, 1857-1930, in: Lebensläufe aus Franken 5 (Erlangen, 1936), S. 85-100 (unkritisch).

85 ΚΑ M Kr 42 (Beridnt des Militärbevollmächtigten 1426 v. 30.6.1911, betr. Tagespresse). Die Veränderung des »Offiziers als Persönlichkeit« zum »Offizier als Könner« und die damit zu- sammenhängenden Probleme stellt eindringlich dar H . Rosinski: Die Deutsche Armee. Eine Analyse, Düsseldorf, Wien 1970, passim. Vgl. auch O . - H . v. d. Gablentz: Das preußisch-deutsche Offizierkorps, in: Schicksalsfragen der Gegenwart - Handbuch politisch-historischer Bildung - , hrsg. vom Bundesministerium der Verteidigung, Bd 3, Tübingen 1958, S. 47-71. V. d. Gablentz unterscheidet u. a. die Typen des »gebildeten Offiziers« und des »reinen Technikers«.

84 KA MKr 1843, Stüde 113 (Bericht des Militärbevollmächtigten 2365 v. 11.10.1919, betr. Tages- presse).

85 Zum Verhältnis Juden - Offizierkorps: Demeter, S. 217 ff.; Kitchen, S. 22-48 (The issue of antisemitism) ; Α. Eckstein : Haben die Juden in Bayern ein Heimatrecht? Eine geisteswissenschaft- liche Untersuchung mit kriegsstatistischen Beilagen, Berlin 1928 (zit. Eckstein). Ober den Anti- semitismus im bayerischen Offizierkorps findet sich ein ausführlicher Abschnitt in meiner Dissertation (»Das Offizierkorps und die Juden«),

M 1910 lebten in Bayern etwa 55 000 Juden. Eckstein, S. 37-

(16)

zierkorps kaum und bei den Offizieren des Beurlaubtenstandes nur schwach ver- treten. Trotzdem wurden in Preußen oftmals Stimmen laut, die bemäkelten, in Bayern seien zu viele Juden in der Armee. Zwischen 1870 und 1899 gab es fünf aktive Offiziere jüdischen Glaubens, die Zahl der jüdischen Reserveoffiziere lag zwischen 50 und 100. Sehr viele von ihnen befanden sich beim Train.

Zwar wurden bei der Ablehnung meist praktische Probleme in den Vordergrund gestellt (Feiertage, Essen)

87

, doch waren es im Grunde »rassische« Vorbehalte, die man gegenüber den Juden geltend machte. Eugen v. Frauenholz formulierte:

»Man hat nur im Allgemeinen den Juden keine großen kriegerischen Fähigkeiten zugetraut und die Übertragung ihrer mehr auf den Gelderwerb gerichteten Interes- sen in das Offizierkorps gefürchtet

88

.« Während für die unteren Instanzen meist

»Jude gleich Jude« war, sdiied man im Kriegsministerium genau zwischen solchen, die aktive, und solchen, die Reserveoffiziere werden wollten

89

. Die Dokumente 10 und 11 verdeutlichen die ambivalente Haltung, die in Bayern wie in Preußen den Juden gegenüber eingenommen wurde.

Die Forderung des Gymnasialabsolutoriums hatte audi eine Rückwirkung auf die konfessionelle Zusammensetzung des bayerischen Offizierkorps. Der Anteil der Protestanten stieg seit 1872. In ganz Bayern lebten zur Zeit des Deutschen Reiches etwa 20 % Protestanten

90

, der Prozentsatz der Protestanten bei den Kriegsschü- lern der Jahre 1882 bis 1894

e4

lag teilweise über 5 0 % (Durchschnitt 4 3 , 2 % ) . Die protestantische Bevölkerung Bayerns hatte es leichter, ihre Söhne Abitur ma- chen zu lassen, da sich in den protestantischen Gebieten, besonders Frankens, aus historischen Gründen mehr höhere Schulen befanden als in den altbayerischen Gebieten.

Im bayerischen Offizierkorps gab es kein konfessionelles Problem, eher ist eine Reserviertheit religiösen Fragen gegenüber festzustellen.

VI Entwicklung der Sozialstruktur des bayerischen Offizierkorps nach 1866

91

Die Sozialstruktur des bayerischen Offizierkorps vor 1866 ist inhomogen. Zwar kamen stets die meisten bayerischen Offiziere aus höheren Ständen, doch die Zahl derjenigen aus mittleren und niederen Ständen stieg oft bis über 40 % . Erst nach 1870/72 trat hier ein Wandel ein. Wenn man die Entwicklung erkennen will, muß deshalb in erster Linie die Sozialstruktur des Offizierersatzes betrachtet werden (Dok. 3, 7,13, 14).

Die Zahl der bürgerlichen Offiziere nahm ständig zu; der Adelsprozentsatz sank.

Die Heeresform war hierbei kein echter Einschnitt, denn die Tendenz zu äußerer Verbürgerlichung des Offizierkorps ist seit 1799 zu beobachten. Hatte die Armee damals noch etwa 5 0 % adelige Offiziere, so fällt diese Zahl bis 1872 auf 25 % und nimmt dann mit Schwankungen langsamer ab. 1904 sind noch etwa 23 % , 1911 noch 18 % der Offiziere adeliger Herkunft. Bei Kriegsbeginn 1914 tragen 15 % einen Adelstitel.

Die Gründe für diese Entwicklung sind einmal darin zu sehen, daß in Bayern

87 Demeter, S. 217/218.

88 Frauenholz, Gesdiidue des Κ. B. Heeres, S. 93.

8» 1906 heißt es im Kriegsministerium (KA MKr 2084, Stück 7), daß »die Eigenschaft als Jude allem kein ausreichender Grund ist, den Beförderungsvorschlag abzuweisen«. Selbstverständlich handelt es sich um die Beförderung zum Reserveoffizier.

M A. Sdinorbus: Wirtschaft und Gesellschaft in Bayern vor dem Ersten Weltkrieg (1890-1914), in:

Bayern im Umbruch, hrsg. von Karl Bosl, München 1969, S. 151.

1,1 Zu diesem Abschnitt Demeter, S. 35 ff.; Bezzel, S. 50-99; Kitchen, S. 22 ff.

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