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In den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts veröffent¬ lichte Jules Opfert, den wir zu den Vätern der Assyriologie zählen, seine ersten Arbeiten über babylonische Rechts¬ urkunden

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(1)

Von Paul Koschaker^).

Die Erforschung der keilschrifthchen Rechtsdenkmäler

blickt heute auf 75 Jahre ihres Bestehens zurück. In den

sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts veröffent¬

lichte Jules Opfert, den wir zu den Vätern der Assyriologie

zählen, seine ersten Arbeiten über babylonische Rechts¬

urkunden. Auch juristisch vorgebildet — er hatte 1847 in

Berlin mit einer Arbeit ,,De jure Indorum criminali" promo¬

viert — brachte er diesem Teil der babylonischen Quellen

Interesse entgegen und kann so als der Begründer der juristi¬

schen Keilschriftkunde gelten. Er hat auch als erster erkannt,

daß das Studium dieser Quellen nicht bloß einen Zweig der

Assyriologie bilde, sondern auch in die Rechtsgeschichte ge-

höre^). Andere — keineswegs immer von juristischen Ge¬

sichtspunkten geleitet — sind ihm gefolgt. Unter den Fran¬

zosen die Brüder Revillout, später Ed. Cuq, unter den Eng¬

ländern der erst im vorigen Jahre hochbetagt verstorbene

Th. Pinches, C. H. W. Johns und in Deutschland Peisbr,

Meissner, Ungnad sowie vor allem der Jurist Josef Kohler,

der die von Opfert begonnene Behandlung der babylonischen

Rechtsdenkmäler nach vorwiegend juristischen Gesichts¬

punkten wieder aufnahm'). Es ziemt sich, der Arbeit dieser

1) Der Artikel gibt mit nicht unbeträchtlichen Erweiterungen

einen Teil zweier Vorlesungen wieder, die ich im Februar/März 1934

unter dem Titel Cuneiform and comparative law in Oxford gehalten

habe. Soweit ich dort auch über Fragen der Rechtsvergleichung ge¬

sprochen habe, hoffe ich an anderer Stelle auf sie zurückzukommen.

Der beigefügte Notenapparat dient in erster Linie dazu, dem Ferner- stehenden zur ersten Orientierung einige Literaturnachweise zu geben.

2) Vgl. seine Ausführungen in der Zeitschrift für Assyriologie 13, 248.

3) Bereits 1882 wies er in der Zeitschrift für vergleichende Rechts¬

wissenschaft III, 201 ff. auf die Bedeutung der assyrisch-babylonischen

ZeHaclultt d. D.ll.a. NeueFolgeBd. Xr7(Bd. 89) 1

1 *

(2)

2 P. Koschaker, Keilschriftrecht.

Forscher, namenthch der älteren unter ihnen, mit Dankbar¬

keit zu gedenken, um so mehr, als man im Besitze der heu¬

tigen Kenntnisse versucht sein könnte, sie zu unterschätzen.

Was diese Gelehrten erforscht haben, gehört heute vielfach

zum Gemeingut der Wissenschaft, und man ist darüber nur

zu leicht geneigt, zu vergessen, welchen Scharfsinn und Mühe

es kostete, gerade diese Fundamente zu erarbeiten.

Das Gebiet, das diese Forscher bearbeiteten, war das der

babylonisch-assyrischen Rechtsquellen: zuerst die neubaby¬

lonischen und neuassyrischen Rechtsurkunden erst in den

achtziger Jahren wurden altbabylonische Urkunden in grö¬

ßerer Zahl bekannt"), deren Studium, angeregt durch die

Auffindung des Gesetzessteins gammurabis') bei den Aus¬

grabungen in Susa, bei gleichzeitiger wesentlicher Vermeh¬

rung des Materials in den ersten zwei Jahrzehnten unseres

Jahrhunderts eine starke Belebung erfuhr*), und um dieselbe

Zeit begannen auch die noch älteren sumerischen Rechts-

Rechtsurkunden hin. 1890 erschien das 1. Heft des von ihm mit Peiseb herausgegebenen Werkes ,,Aus dem babylonischen Rechtsleben", dem eine lange Reihe weiterer Arbeiten folgen sollte.

1) Um die Erforschung der letzteren hat sich namentlich C. H. W.

Johns, Assyrian deeds and documents I — IV (1898—1928) verdient

gemacht.

2) Strassmaier, Die altbabylonischen Verträge aus Warka in den

Verhandlungen des 5. Internationalen Orientalistenkongresses zu Berlin II, 1, S. 315f. (1882) — neu herausgegeben von Jean, Teil Sifr (1931) —, erläutert von V. und E. Revillout, Les actes de Warka (1886), weiter¬

hin, grundlegend, Meissner, Beiträge zum altbabylonischen Privat¬

recht, 1893.

3) Editio princeps: Scheil in den Memoires de la Delegation en

Perse IV (1902), llf. Neueste Übersetzungen: Bilers, Alter Orient

XXXI, 3/4 (1932), Luckenbill-Chiera bei Powis Smith, The origin

and history of Hebrew law (1931), Ch. Edwards, The world's earliest laws (1934).

4) Eine gewisse Zusammenfassung dieser Studien bieten Schöbe,

Urkunden des altbabylonischen Zivil- und Prozeßrechts {Vorderasiat.

Bibl. V) 1913 sowie die von Ungnad-Kohleb-Koschaker, Hammurabi's

Gesetz III — VI (1909—1923) übersetzten und kommentierten Urkünden dieser Zeit.

(3)

Urkunden in das Blickfeld der Assyriologie zu treten i). So

konnte ich in einem Vortrage am Londoner internationalen

Historikerkongreß (1913)^) versuchen, Plan und Ziel einer

babylonisch-assyrischen Rechtsgeschichte zu skiz¬

zieren.

Dieser Begriff muß heute als überholt gelten. Darin liegt

kein Vorwurf gegen die ältere Forschung, die an ihr Material

gebunden war — und dieses stammte eben aus dem Mutter¬

lande der babylonischen Kultur und dem benachbarten Assy¬

rien. Es sind vielmehr die Ausgrabungen in den Jahren vor

dem Weltkriege und nachher, die, im Wettbewerbe aller

Kulturnationen an verschiedenen Stellen des alten Orients

unternommen, unseren Horizont in ungeahnter Weise er¬

weitert haben, so daß eine Neuorientierung notwendig ge¬

worden ist.

Bereits in den achtziger Jahren des vergangenen Jahr¬

hunderts wurden in El-Amarna, der Residenz des ägyptischen

Königs Echnaton (Amenophis IV) Tontafeln gefunden, die

in Keilschriftzeichen und in akkadischer Sprache, d. h. der

Sprache der babylonischen Semiten geschrieben, die Korre¬

spondenz dieses Pharaos und seines Vorgängers Amenophis III

mit ihren syrischen Vasallen sowie den Königen der damaligen

Großstaaten des alten Orients umfaßten'). Sie enthüllten

1) Begünstigt durch die Veröffentlichung einer größeren Zahl von ihnen in dem Inventaire des tadilettes de Teile conserv§es au Musee

imperial Ottoman I—V (1910—1921). Vgl. auch Virolleaud, Di-til-Ia

(Transkription und Übersetzung sumerischer Gerichtsurkunden) 1903,

PiLAOAUD, Babyloniaca III, 81 f. und Artikel von de Genouillac und

Thureau-Dangin in der Revue d'Assyriologie VIII, If. (1911), X(1913), 93 f. Um das Verständnis der viel zahlreicheren Verwaltungsurkunden dieser und älterer Perioden haben sich namentlich Deimel und Schnei¬

der in zahlreichen Artikeln in der von dem ersteren herausgegebenen Zeitschrift Orientalia mit Erfolg bemüht.

2) Koschaker, The scope and methods of a history of Assyrio-

Babylonian law in den Proceedings of the society of biblical archeology 1913, 230f.

3) Sie sind jetzt bequem zugänglich bei Knudtzon-Weber-Ebe- LiNG, Die El-Amarna-Tafeln I, II (Vorderasiat. Bibliothek II, 1,2),

1915. Nur wenige sind dazu gekommen. Vgl. die Zusammenstellung bei

(4)

4 P. KoscHAKEB, Keilschriftrecht.

zum ersten Male eine bisher nicht vermutete räumliche Aus¬

dehnung babylonischen Kultureinflusses, dessen Bedeutung

nicht herabgedrückt wird, wenn man ihn dadurch erklärt,

daß in der Mitte des 2. vorchristlichen Jahrtausends Akka¬

disch die Diplomatensprache war, ähnlich wie das Franzö¬

sische es bis auf unsere Tage ist. Denn die Ausgrabungen der

letzten 30 Jahre haben uns eine noch weit größere Ausbrei¬

tung der babylonischen Kultur erschlossen^).

Abgesehen von den spärlichen Nachrichten, die uns grie¬

chische Schriftsteller überliefern, war die ältere Geschichte

Kleinasiens bis vor kurzem ein weißer Fleck. Die Auffindung

des hethitischen Staatsarchivs in IJattusaä (heute Boghazköi)

mit seinen tausenden keilbeschrifteten Tontafeln in akka¬

discher und hethitischer Sprache — um nur die wichtigsten

der dort vertretenen Sprachen zu nennen — hat diese Lücke

für das 2. vorchristliche Jahrtausend ausgefüllt"). Es eröffnet

uns den Zugang zur Geschichte des Reichs der Hethiter, mit

denen die Indogermanen zuerst in der Geschichte Vorder¬

asiens auftreten, sowie seiner Nachbarländer vom 18. Jahr¬

hundert bis zu seinem Untergang um 1200 v. Chr. und für

seine letzte Periode, das sogenannte neuhethitische Reich,

vom 15. Jahrhundert an, gestattet es uns tiefe Einblicke in

seine politische und soziale Verfassung. Denn aus einem

Staatsarchiv kommend betreffen die Urkunden in erheblichem

Umfange in Gestalt von Staatsverträgen, diplomatischer

Korrespondenz — diese dem Brauch der Zeit entsprechend

DossiN, Rev. d'Assyriol. XXXI, 125. Ob die syrische Korrespondenz in erster Linie Amenophis III oder seinem Nachfolger zuzuweisen ist, ist bestritten. Vgl. einerseits Riedel, Untersuchungen zu den Teil el- Amarnabriefen (Diss. Tübingen 1920), andrerseits Stubm, Klio XXVI, 1 f.

1) Man wird daher diesem Material kaum gerecht, wenn man es

mit Wilcken, Papyri und Altertumswissenschaft (Vorträge am Münch¬

ner Papyrologentag) 1934, 52 als bloße Episode bezeichnet.

2) Es kann hier auf die zusammenfassende ausgezeichnete Dar¬

stellung Götze's, Kleinasien (Kulturgeschichte des alten Orients III, 1

in dem Handbuch der Altertumswissenschaft, herausgegeben von

W. Otto), 1933 verwiesen werden, die dem Stande der neuesten For¬

schung entspricht.

(5)

überwiegend akkadisch —, Instruktionen für Beamte usw.

vor allem das öffenthche Recht. Die private Rechtsurkunde

in hethitischer Sprache fehlt bisher, obwohl sie sicher existiert

hat^). Was die Sammlung von Rechtsvorschriften, die man

in Boghazköi gefunden hat und die in der Literatur als „hethi¬

tische Gesetze" bekannt ist"), eigentlich darstellt, bedarf noch näherer Untersuchung.

Die der Aufrichtung des hethitischen Staats in Kleinasien

vorangehenden zwei Jahrhunderte empfangen Licht durch

die ,, kappadokischen" Urkunden, so genannt, weil sie am

Kültepe in der Nähe von Kaisarijeh in Kappadokien gefunden

wurden'). Abgesehen von einigen hundert Prozeß- und Ge¬

schäftsurkunden, überwiegend des Verkehrsrechts, enthalten

sie in vielen Hunderten von Briefen die Handelskorrespondenz

zwischen Niederlassungen assyrischer Kaufleute in Kleinasien

und der assyrischen Hauptstadt Assur. Die wichtigste dieser

Niederlassungen, Kaneä, lag am Kültepe selbst. Der Vergleich

mit den Handelsniederlassungen der Genuesen in Konstan¬

tinopel zur Zeit des spätbyzantinischen Reichs drängt sich

auf. Wie diese lagen sie außerhalb des Stadtbezirks*), in dem

der einheimische Herrscher regierte, und waren mit Autonomie

in Verwaltung und Jurisdiktion bewidmet''). Die kappado¬

kischen Urkunden, deren sprachliches Verständnis') beson-

1) Das zeigen die detaillierten Vorschriften über die Errichtung

einer solchen Urkunde in einem Spezialfall (KUB XIll, 4, II, 33f.,

bearbeitet von Sturtevant, Journ. of the Amer. Orient, soc. 54, 363 f.).

2) Vgl. HRozNf, Code Hittite (1922). Neueste Übersetzung von

Walther bei Powis Smith, a. a. O. 246f.

3) Als eine zweite Fundstelle haben die Ausgrabungen des Oriental

Institute von Chicago Alischar (alt Ankuwa), halbwegs der Linie

Kültepe—Boghazköi erwiesen. Vgl. Gelb, Inscriptions from Alishar

(The University of Chicago Oriental Institute publications XXVII), 1935.

4) Dies haben die tschechoslowakischen Ausgrabungen für den Kül¬

tepe ergeben. Vgl. Hrozn* , Syria 1927, S. 5L

5) Vgl. etwa neuestens Saüvaget, Notes sur la colonie Gönoise

de P6ra in Syria XV (1934), 252 L

6) Dieses wurde wesentlich durch Landsbebgeb und Lewy ge¬

fördert. Der letztere hat sich auch durch die Herausgabe neuer Texte

(6)

6 P. KoscHAKEB, Keilschriftrecht.

ders wegen der zahlreichen technischen Ausdrücke nicht ein¬

fach ist, legen Zeugnis von einem hochentwickelten Handel

namentlich in Kupfer und Textilien ab, desgleichen für ein

entsprechend entwickeltes Handelsrecht^). Ihre Bedeutung

ist eine um so größere als sie bisher die Repräsentanten der

altassyrischen Urkunde sind, die in Assur selbst fehlt.

In den letzten 10 Jahren ist ein weiteres Volk in den

Bereich der Rechtsgeschichte Vorderasiens getreten: die

Subaräer oder Hurrier. Die Streitfrage nach ihrem Namen

berührt uns hier nicht"). Wie immer sie sich selbst genannt

haben mögen, sicher ist, daß sie nach ihrer Sprache weder

Indogermanen noch Semiten sind, sondern einer dritten

Sprachgruppe zugehören, deren Charakterisierung angesichts

unserer mangelhaften Kenntnisse freilich unsicher bleibt').

Der Name Kerkuk dürfte vielen aus den Zeitungen als

Zentrum der Erdölproduktion im heutigen Iraq bekannt sein.

Nicht so viele werden wissen, daß die Amerikaner seit einigen

Jahren einige Kilometer von Kerkuk eine alte Stadt, Nuzi,

ausgegraben und dort eine gewaltige Zahl von Urkunden des

Privat- und Prozeßrechts gefunden haben, von denen bisher

verdient gemacht. Grundlegend Landsbergeb, Assyrische Handels¬

kolonien in Kleinasien (Alter Orient XXIV, 4, 1925). Zusammenfas¬

send jetzt Götze, Kleinasien 64 f.

1) Über dieses wird man urteilen können, wenn einmal die von

Eisser-Lbwy in den Mitteilungen der vorderasiatisch-ägyptischen

Gesellschaft XXXIII begonnene Bearbeitung der juristischen Texte

vollendet sein wird. Nicht minder wichtig wäre aber die Bearbeitung der gesamten Briefe.

2) Vgl. darüber zuletzt Speiser, Mesopotamian origins (1930) 124f.,

Ethnic movements in the Near East (Publications of the American

schools of Oriental research Nr. 1), 1933. Contbnau, La civilisation des Hittites et des Mitanniens, 1934, S. 77 L

3) Verwandtschaft mit kaukasischen Sprachen und dem Elamischen nimmt Bork an. Vgl. im übrigen die Literatur bei Götze, Kleinasien

58', ferner Friedrich, Hethitisch und kleinasiatische Sprachen (im

Grundriß der indogermanischen Sprach- und Altertumskunde), 1931,

S. 44f., Speiseb, Mesopotamian origins 138f., Götze, Das Problem der

^urritischen Kultur (Voordrachten gehouden op het zevende huishou- delijke Congres van het Oostersch Genootschap in Nederland, Sept. 1933 te Leiden), 1934, S. 33L

(7)

gegen 1000 Stück publiziert sind. Man kann wohl sagen, daß

in ganz Vorderasien kaum eine zweite Ruinenstätte in einem

solchen Maße durch die Funde von privaten Rechtsurkunden

das Gepräge erhält wie gerade Nuzi. Das erklärt sich daraus,

daß sie aus privaten Familienarchiven stammen. Sie umfassen

etwa 4 Generationen vom 2. Viertel des 15. bis in das 1. Viertel

des 14. Jahrhunderts 1). Die Bevölkerung von Nuzi war, wie

die Eigennamen zeigen, zu dieser Zeit subaräisch. Dieses

Volk, ursprünglich weiter im Osten seßhaft, hat sich in der

ersten Hälfte des 2. Jahrtausends über ganz Mesopotamien

bis nach Nordsyrien hin ausgebreitet, hierbei Assyrien nach¬

haltig und das Hethiterreich namenthch im Kult beeinflußt^)

und sich in einer Reihe von Staaten auch politisch konsoli¬

diert. Einer von ihnen, Mitanni, ist unter der Führung einer

indoarischen Dynastie und Adelsschicht sogar zur Gro߬

machtstellung aufgestiegen, hat Assyrien und auch das kleine

Königreich Arrapha, zu dem Nuzi gehört, beherrscht, bis er

im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts unter dem Druck der

hethitischen Macht zu politischer Bedeutungslosigkeit herab¬

sank und um die Mitte des Jahrhunderts dem Angriffe des

erstarkten Assyriens erlag. Die Urkunden aus Nuzi sind aber

nicht in subaräischer Sprache, sondern akkadisch geschrieben.

Es ist dies ein Zeichen eines sehr intensiven babylonischen

Kultureinflusses. Akkadisch war in dieser Zeit nicht bloß die

Diplomaten-, sondern die Sprache der höheren Kultur über-

1) Literatur bei Contenao, a. a. 0. 81* und San Nicolö, Beiträge zur Rechtsgeschichte im Bereiche der keilschriftlichen Rechtsquellen 47', ferner Koschaker, Abhandlungen der sächs. Akademie, phil.-hist.

Klasse 42,1, S. 83f., Zeitschrift für Assyriologie 41, 13L, Speiser,

Journal of the Americ. Orient. Soc. 52, 350L, 53, 24L Gordon, Rev.

d'Assyriol. XXXI, lOlL, Riv. degli studi Orientali XV, 253L

2) Für die Beurteilung der subaräischen Kunst sind von besonderer

Bedeutung die Architekturen und Skulpturen, die Baron Oppenheim

im Teil Halaf im nördlichen Mesopotamien freigelegt hat. Vgl. sein

Buch „Der Tell-Halaf" (1931). Ob sie allerdings so hoch hinauf zu datieren sind, wie ihr Entdecker meint, ist mehr als zweifelhaft. Vgl.

Contenau, a. a. O. 117f., Moobtgat, Die bildende Kunst des alten

Orients und die Bergvölker (1932) 11 L, 59f., Bildwerk und Volkstum Vorderasiens zur Hethiterzeit (1934) 29L

(8)

8 P. KoscHAEEK. Keilschrittrecht.

haupt, deren sich auch fremde Völker zu ihren Rechtsauf¬

zeichnungen bedienten, ähnlich wie man bei uns noch tief in

das Mittelalter hinein Urkunden lateinisch geschrieben hat,

und wenn das Latein dieser Urkunden sich oft recht weit von

den Regeln der klassischen Sprache entfernt, so gilt dasselbe

von dem Akkadisch der Urkunden von Nuzi^).

Unter solchen Umständen dürfen wir kaum erwarten,

auch Rechtsurkunden in subaräischer Sprache zu fmden. Wir

besitzen überhaupt nur ein einziges subaräisches Sprachdenk¬

mal von größerem Umfang, einen Brief des Mitannikönigs

Tu§ratta an Amenophis III, der in El-Amarna gefunden

wurde"). Das ist immerhin beachtenswert, wenn wir be¬

denken, daß der Hethiterkönig, der seine Dekrete für sein

Land und die Verträge mit fremden kleinasiatischen Vasallen

hethitisch schrieb, für seine Korrespondenz mit dem Pharao

sich nur des Akkadischen bediente. Allerdings schreibt Tu§-

ratta auch akkadische Briefe. Aber wenn er daneben im Ver¬

kehr mit einer auswärtigen Großmacht sich seines eigenen

Idioms bedient, so könnte man doch fragen, ob das nicht

das Zeichen eines gewissen nationalen Machtgefühls sei').

Mit den Subaräern vielleicht verwandt sind die Urartäer

im östlichsten Kleinasien*). Sie werden uns geschichthch

greifbar in der Zeit von 900—600 v. Chr. und konnten ihren

Staat mit dem Mittelpunkt um den durch hohe Gebirge nach

Westen geschützten Vansee in der ersten Hälfte des 8. Jahr¬

hunderts, begünstigt durch die gleichzeitige Schwäche Assy-

1) Eine aufmerksame Beobachtung dieser Fehler könnte manchen

Einblick in den Bau der subaräischen Sprache eröffnen, da die Schreiber das Akkadische aus ihrem eigenen Sprachempfinden heraus schrieben.

2) Umschrift von Knüdtzon, Beitr. z. Assyriol. IV, 134f., Nach¬

träge dazu Knüdtzon, El Amarna Tafeln I, 180f., Übersetzung:

Mbsserschmidt, Mitteil, der Vorderasiat. Ges. IV, 4 (1899).

3) Daß das Subaräische auch geschrieben wurde, kann man aus

dem in Ras Samra, dem alten Ugarit, in Nordsyrien gefundenen zwei¬

sprachigen Vokabular (etwa 13. Jahrhundert) .schließen, das neben dem Sumerisch der ersten Spalte in der zweiten statt Akkadisch eine andere

Sprache bietet, die mit dem Subaräischen zweifellos verwandt ist.

Vgl. Thüreau-Danqin, Syria XII (1931), S. 234f., 249f., 264f.

4) Über sie jetzt zusammenfassend Götze, Kleinasien 173f.

(9)

riens, zur Großmachtstellung emporheben. Ihre Könige haben

uns zahlreiche Inschriften in assyrischer Keilschrift in ihrer

eigenen wie in akkadischer Sprache hinterlassen, in denen

sie über Kriegstaten und Bauten berichten. Das reicht nicht

hin, auch ein nur ungefähres Bild der Rechtskultur dieses

Volkes sowie des Umfangs seiner Beeinflussung durch Assyrien

zu gewinnen. Wir müssen das um so mehr bedauern, als seine

hochentwickelte Metallurgie auffällige Übereinstimmungen

mit der etruskischen zeigti). Vernichtet wurde der urartäische

Staat durch die Skythen, und diese Völkerbewegung hat

schließlich dazu geführt, daß ein indogermanisch-phrygischer

Stamm, die Armenier, von dem Lande Besitz ergriff.

Wir mußten die bei den Subaräern aufgeworfene Frage,

ob der Gebrauch ihrer eigenen Sprache in offiziellen Schrift¬

stücken, wenngleich in fremder Schrift, nicht als Zeichen

eines erwachenden Nationalgefühls gedeutet werden könne —

und dieselbe Frage kann auch für die Urartäer gestellt wer¬

den —, unerledigt lassen. Klarer sehen wir in dieser Be¬

ziehung bei dem südöstlichen Nachbarn Babyloniens: Elam").

Die bereits mehrere Jahrzehnte dauernden französischen

Ausgrabungen in Susa sind auch den Rechtshistorikern be¬

kannt. Haben sie uns doch die berühmte Gesetzesstele !IJam-

murabis geschenkt, die ein späterer elamischer Herrscher als

Beute dorthin verschleppt hatte. In den letzten Jahren hat

man aber auch einige Hundert privater Geschäfts- und Proze߬

urkunden gefunden, von denen P. Scheil kürzlich 3 Bände

veröffentlicht hat'). Sie gehören der Wende vom 3. zum

2. Jahrtausend an und sind zum Teil gleichzeitig mit der

ersten babylonischen Dynastie, als deren bedeutendster

Herrscher ^amrourabi gilt.

Das Elamische ist eine Sprache, von der wir gleichfalls

nur das eine mit Sicherheit sagen können, daß sie weder

1) Vgl. ScHACHEBMETB, Etruskischc Frühgeschichte 299f.

2) Die nähere Ausführung zu dem Folgenden werde ich in einem

Artikel in der Zeitschrift f. Assyriol. 43 (1935) geben.

31 Actes juridiques Susiens in den Memoires de la mission archeo¬

logique de Perse XXII—XXIV (1930—1933).

(10)

10 p. KoscHAKEB, Keilschriftrecht.

indogermanisch, noch sumerisch, noch semitisch ist^). Unsere

Urkunden sind aber nicht elamisch, sondern akkadisch ge¬

schrieben, und zwar in einem wesenthch korrekteren Akka¬

disch als etwa die Urkunden aus Nuzi. Daß die Akkadisierung

in Susa eine viel tiefgehendere war als in Nuzi, zeigen auch die

Eigennamen. Haben sich die Subaräer von Nuzi ihre ein¬

heimischen Namen bewahrt, so sind die Namen der Personen

unserer Urkunden so gut akkadisch, daß wir ihre Träger für

Semiten halten müßten, würden nicht die elamischen Götter,

vor allem der Hauptgott von Susa, Susinak, in theophoren

Namen ihre Nationalität verraten. Nur in der regierenden

Dynastie haben sich die einheimischen Namen stärker er¬

halten. Aber eben diese Herrscher schreiben ihre Inschriften

nicht elamisch, sondern sumerisch oder akkadisch. Man

kann also sagen, daß Akkadisch in dieser Zeit in Susa Amts¬

und Rechtsverkehrssprache war.

Es war nicht immer so. Wir haben aus Susa einige hundert

sehr alte Tontafeln — nach den vorkommenden Zahlzeichen

wahrscheinlich Verwaltungsurkunden — in einer unbekannten

Schrift und eine kürzlich in Tepe Sialk in Innerpersien ge¬

fundene Tafel mit derselben Schrift") zeigt, daß ihr Ver¬

breitungsgebiet ein viel größeres war.

Wir können diese Schrift nicht lesen, aber wir können mit

Sicherheit sagen, daß ihre Sprache weder akkadisch, noch

sumerisch war, sondern vermutlich elamisch und von dieser

Basis gehen auch alle bisherigen Entziflerungsversuche aus.

Wir können nun diese Schrift — historisch einigermaßen

datierbar — zuletzt in Inschriften eines elamischen Herr¬

schers Puzur-§u§inak nachweisen, der, wenn er nicht unter

die Dynastie von Akkad fällt, ihr zeitlich wenigstens nicht

ferne steht. Diese Dynastie hat mit dem Zentrum in Akkad

in Nordbabylonien im 2. Drittel des 3. Jahrtausends einen

1) Um ihre Erforschung haben sich außer Scheil namentlich

HüsiKO, König und Bobk verdient gemacht. Vgl. die zusammen¬

fassende Darstellung der Sprache bei Bobk in Ebert's Lexikon der

Vorgeschichte III, 70 f.

2) Ghirsman, Rev. d'Assyriol. 31, 115f.

(11)

machtvollen Staat begründet, Elam erobert und dort längere

Zeit geherrscht. Mit ihr tauchen auch sumero-akkadische

Tontafeln in Susa auf, wie auch Puzur-Suäinak uns akka¬

dische Inschriften hinterlassen hat. Es erscheint mir nicht

zu kühn, den Beginn der Akkadisierung Elams schon in

diese Zeit zu setzen. Nur wenn dieser Prozeß lange Zeit ge¬

dauert hat, können wir es verstehen, daß das Elamische aus dem

Amts- und Geschäftsverkehr vollständig verdrängt wurde,

daß die Akkadisierung, wie sie uns zur Zeit der Dynastie von

Babel entgegentritt, eine so tiefgehende war. Als die elamische

Sprache — diesmal in Keilschrift geschrieben — im 13. bis

12. Jahrhundert in den Königsinschriften wieder auftritt, ist

das politische Bild völlig anders. Babyloniens Macht ist in

vollem Niedergang, demnach auch sein kultureller Einfluß.

Die Herrschaft der Kassiten in Babylonien empfängt durch

Sutruk-Nahhunte von Elam den Todesstoß. Ich glaube nicht

zu irren, wenn ich das Wiederauftreten der elamischen

Sprache in Znsammenhang bringe mit einem erwachenden

nationalen Gefühl, das, begünstigt durch die politische

Schwäche Babyloniens, wenigstens die äußere Form seines

Kultureinflusses, die Sprache, abschüttelt. Diese Entwicklung

hat die folgende Zeit angehalten. Nicht nur haben wir jetzt

aus Susa elamische Verwaltungsurkunden, selbst noch die

Achämenidenherrscher lassen ihre Inschriften nicht nur per¬

sisch und babylonisch, sondern auch elamisch in die Felsen

eingraben, gewiß nicht aus bloß archäologischen Gründen,

und die nahezu 30000 Tontafeln, wohl überwiegend Ver¬

waltungsurkunden, die jüngst bei den Grabungen des Oriental

Institute von Chicago in Persepolis entdeckt wurden, sind

anscheinend zum größten Teil in elamischer Sprache ge¬

schrieben i).

Was diese Entwicklung innerlich sehr wahrscheinlich

macht, ist eine schlagende Parallele, die Ägypten bietet. Dort

wird die ägyptische Urkunde in demotischer Schrift während

der Herrschaft der Ptolemäer allmählich durch die griechische

1) Vgl. vorläufig den Bericht Weidneb's im Archiv für Orient¬

forschung IX, 224 f.

(12)

12 P. KoscHAKEB, Keilschriftrecht.

Urkunde zurückgedrängt und verschwindet im Laufe des

1. Jahrhunderts n. Chr. unter den Römern. Als aber in der

politischen Anarchie des 3. Jahrhunderts Macht und Ansehen

Roms schwer erschüttert und damit auch der kulturelle Ein¬

fluß des mit ihm verbündeten Hellenismus geschwächt wird,

erwacht, begünstigt durch die Kirche, das nationale Selbst¬

gefühl der Ägypter und die ägyptische Sprache in ihrer jüng¬

sten Form, dem Koptischen, diesmal aber in griechischer

Schrift, gewinnt seit dem 4. Jahrhundert wieder Boden in der

Literatur und nachher auch in den Rechtsurkunden.

Derselbe geschichtliche Prozeß zeigt sich aber auch im

Mutterlande der babylonischen Kultur. Die Rechtsgeschichte

beginnt hier mit den Sumerern, deren agglutinierende

Sprache^) bisher in andere Sprachgruppen noch nicht be¬

friedigend eingeordnet werden konnte. Sie gelten als Be¬

gründer der babylonischen Kultur. Ob sie auch die Urein¬

wohner waren, wird heute lebhaft diskutiert*). Die Frage

berührt uns indessen nicht. Denn sie kann, wenn überhaupt,

nur mit den Methoden und Mitteln der Archäologie angegriffen

werden und liegt jenseits der Grenzen der Rechtsgeschichte,

die vor allem mit geschriebenen und deutbaren Rechtsdenk¬

mälern arbeitet. Aus diesem Grunde können vorläufig auch

die archaischen, wohl um die Wende des 4./3. Jahrtausends

liegenden und in einer halb piktographischen Schrift ge¬

schriebenen Tontafeln aus Dschemdet Nasr in Nordbaby¬

lonien') und die ähnlichen, teilweise noch älteren Tafeln, die

bei den deutschen Ausgrabungen in Uruk gefunden wurden*),

1) Für ihre Erforschung neben älteren Arbeiten Thubeau-Danqin's

grundlegend Poebel, Grundzüge der sumerischen Grammatik (1923).

2) Vgl. einerseits Speiser, Mesopotamian origins, andrerseits

Fbankpobt, Archaeology and the Sumerian problem, 1932.

3) Vgl. Lanodon, The Herbert Weld collection in the Ashmolean

Museum. Pictographic inscriptions of Jemdet Nasr, 1928.

4) Die in der vorhistorischen Schicht II/III gefundenen Täfelchen

sind verwandt mit Dschemdet Nasr. In der darunterliegenden Bau¬

schicht IV, die, wie die letzten Grabungen lehren, wieder in 3 Unter¬

schichten zerfällt, also wohl von beträchtlich langer Dauer war, sind

zahlreiche Täfelchen mit reiner Bilderschrift entdeckt worden. Vgl.

(13)

nicht berücksichtigt werden. Nach den vorkommenden

Zahlzeichen zu urteilen, enthalten sie Wirtschafts- und Ver¬

waltungsaufzeichnungen. Aber wir können sie nicht lesen,

kennen daher auch nicht ihre Sprache, obwohl alles dafür

spricht, daß sie sumerisch war^).

Die ältesten Rechtsdenkmäler, zu einem erheblichen Teile

Steininschriften") mit Listen über Grundstückskäufe, reichen

über die ersten Jahrhunderte des 3. Jahrtausends nicht zu¬

rück. Soferne sie aus dem Süden des Landes stammen, sind

sie sumerisch. Aber wir haben auch einige, kaum wesentlich

jüngere ähnliche Urkunden aus Nordbabylonien, wo die semi¬

tischen Akkader seit sehr alter Zeit seßhaft waren. Daß sie

manche sumerische Formeln bieten, ist angesichts der Über¬

nahme der sumerischen Schrift durch die Akkader begreiflich.

Aber die Urkunden sind im wesentlichen doch akkadisch ge¬

schrieben, und ich möchte nachdrücklich warnen, die Be¬

deutung des Akkadismus gegenüber dem Sumerismus in der

Rechtsgeschichte Babyloniens zu unterschätzen. Unter der

Dynastie von Akkad scheint er sogar über die Grenzen Baby¬

loniens sich ausgebreitet zu haben, so, wie wir gesehen haben,

nach Elam, wo die späteren Urkunden um die Wende des

3./2. Jahrtausends rein akkadisch geschrieben sind ohne

sumerische Klauseln, die kaum fehlen würden, wenn sie vom

Sumerismus Südbabyloniens entscheidend beeinflußt wären.

Jobdan, 2. vorläufiger Bericht über die von der Notgemeinschaft der

deutschen Wissenschaft in Uruk unternommenen Ausgrabungen (Ab¬

handl. d. preuß. Akad., phil.-hist. Klasse 1930, Nr. 4), S. 28, 43f., 3. Bericht (ibid. 1932, Nr. 2), S. 11. Über die ungefähre zeitliche An¬

setzung dieser Tafeln Nöldeke, 4. Bericht (ibid. 1932, Nr. 6), 22f. Der Veröffentlichung von Falkenstein's Münchner Habilitationsschrift, in der er diese Tafeln untersucht hat, wird man mit besonderem Inter¬

esse entgegensehen dürfen.

1) Vgl. etwa Fbank, Orient. Literaturzeitung 1930, S. 440 L

2) Noch älter und nicht deutbar sind die archaischen Steintafeln, die Dbiubl, Liste der archaischen Keilschriftzeichen (1922), S. 73f.

zusammengestellt und kopiert hat. Seine Liste ist zu vervollständigen nach Lanodon, Excavations at Kish I (1924), 99 f., der eine weitere in Kisch gefundene Steintafel hinzufügt.

(14)

14 P. Koschaker, Keilschriftrecht.

Leider verhindert die geringe Zahl altakkadischer Rechts¬

denkmäler eine tiefere Erfassung dieser Probleme. Wie die

Dinge liegen, überwiegt das sumerische Material aus dem

Süden des Landes, insbesondere seitdem die Sumerer gegen

Ausgang des 3. Jahrtausends unter der Dynastie von Ur die

Oberherrschaft über das ganze Land und manche seiner

Nachbargebiete gewonnen hatten. Wir besitzen für diese Zeit

Tausende von Verwaltungsurkunden, aber auch einige Hun¬

derte von privaten Rechts- und Prozeßurkunden, unter diesen

eine kostbare Sammlung von ca. 250 di-til-la „erledigte

Rechtssache", enthaltend gerichtliche Entscheidungen wie

Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das Verständnis der

Texte bietet im einzelnen manche Schwierigkeiten, da unser

Wissen im Sumerischen kein so sicheres ist wie im Akka¬

dischen. Immerhin genügt das Vorhandene, uns eine an¬

nähernde Vorstellung von den sozialen und rechtlichen Ver¬

hältnissen dieser letzten Periode der sumerischen Herrschaft

zu verschaffen. Sie ist, wenn ich nicht irre, durch einen

starken staatssozialistischen Zug gekennzeichnet: Vorherr¬

schen der Wirtschaft von Staat und Tempel"), in deren Hän¬

den auch die gesamte Ackerflur gewesen zu sein scheint.

Charakteristischerweise erwähnen die di-til-la-Urkunden

gegenüber häufigem Verkauf von Häusern, Gärten, Sklaven,

Kindern nicht einen einzigen Feldkauf. Parallel damit geht

ein reich organisiertes Beamtentum, Bindung der Bevölke¬

rung in zahlreichen Berufsständen, die weitgehend von dem

Staate und für ihn leben.

Der sumerische Staat der letzten Dynastie von Ur ist

durch kriegerische Ereignisse zugrunde gegangen im Zu-

1) Das wichtigste ist noch immer der Obelisk des Königs ManiStusu

der Dynastie von Akkad (Scheil, M6moires de la Delegation en Perse

II (1900), If., HRozNf, Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgen¬

landes XXI (1907), llf.) mit einer Liste von Landkäufen, die der König getätigt hat.

2) Vgl. A. Schheideb, Die sumerische Tempelstadt (1920) und

zahlreiche Artikel von Deimel und N. Schneider in den vom päpst¬

lichen Bibelinstitut herausgegebenen ,, Orientalia" und der sie fort¬

setzenden Serie „Analecta Orientalia".

(15)

sammenhang mit einer Völkerbewegung, die eine Welle semi¬

tischer Einwanderer aus dem Westen und Nordwesten nach

Babylonien wirft. Was folgt, ist eine Zeit politischer Unruhe.

Mehrere kleinere Staaten bilden sich auf dem Boden Baby¬

loniens — der bedeutendste unter ihnen ist zunächst Larsa

in Südbabylonien —, die im Kampfe untereinander liegen,

bis es schließlich dem Staate von Babylon unter seinem be¬

rühmten Herrscher IJammurabi gelingt, seine Herrschaft über

das ganze Land auszudehnen und Friede und Ordnung

wiederherzustellen. Diese politische Konsolidierung findet

ihren sichtbaren Ausdruck in dem Kodex IJarnmurabi, dem

größten und technisch vollkommensten Gesetzgebungsv/erke

des alten Orients.

Die neue Ordnung der Dinge bedeutete einen vollen Sieg

des Semitentums. Die Sumerer, schon in dem Reiche von Ur

vielfach mit Semiten vermischt, werden von ihnen allmählich

aufgesogen. Daß die Zeit auch auf wirtschaftlichem und

sozialem Gebiete eine andere geworden war, zeigt sich in dem

Auftreten des privaten Grundeigentums. Trotzdem hat sich

der Sumerismus auf dem Gebiete der materiellen wie der

geistigen Kultur behauptet. Nicht nur haben die neuen

Staaten, die sich auf dem Boden des Reiches von Ur gebildet

hatten, manche Einrichtungen des sumerischen Staatssozia¬

lismus übernommen, hat Qammurabi erhebliche Teile kodifi¬

zierten sumerischen Rechts in sein Gesetzbuch aufgenommen,

das Sumerertum hat seine Bedeutung vor allem auf dem Ge¬

biete der Sprache behalten. Allerdings ist Sumerisch keine

lebende Sprache mehr, aber als Kult-, Gelehrten-, Prunk¬

sprache z. B. in Königsinschriften und endlich auch als

Rechtssprache hat es weiter bestanden. Der Vergleich mit

dem Latein im Mittelalter liegt nahe und ist schon oft ge¬

zogen worden. Allerdings hat IJammurabi sein Gesetz nur

akkadisch publiziert, aber die Geschäftsurkunde ist in der

ganzen altbabylonischen Zeit sumerisch geblieben oder wenig¬

stens stark mit sumerischen Klauseln durchsetzt, und zwar

nicht nur im Süden, sondern merkwürdigerweise auch im

Norden, wo die sumerische Urkunde vielleicht unter der

(16)

16 P. KoscHAESK, Keilschriftrecht.

Dynastie von Ur Boden gefaßt hat. Wo bestimmte Klauseln

regelmäßig akkadisch geschrieben sind, kann man mit einer

gewissen Wahrscheinlichkeit annehmen, daß sie erst eine Er¬

findung der neuen Zeit sind und daher dem Recht der zu¬

gewanderten Semiten angehören^).

Indessen gibt es für diesen Sumerismus Grenzen. Wir

können ihn im Norden noch in dem unweit von Bagdad ge¬

legenen Esnunna feststellen, desgleichen in geringerem Um¬

fange in Hana am mittleren Euphrat für den Ausgang dieser

Periode. In Assyrien ist er aber nicht eingedrungen. Das

zeigen klar die kappadokischen Urkunden, die wir, wie schon

dargelegt, als Repräsentanten der altassyrischen Urkunde

ansprechen dürfen. Sie sind akkadisch geschrieben und von

sumerischen Klauseln im wesentlichen frei. Wo sich solche

gelegentlich finden, sind sie ins Akkadische übersetzt. Dieser

Eindruck wird auch durch die mittelassyrischen Urkunden

aus dem i5./14. Jahrhundert aus Assur bestätigt"). Nun ist

die assyrische Kultur in der Hauptsache ein Ableger der

babylonischen und so wird die Frage brennend, warum die

assyrische Rechtsurkunde nicht sumerisch, sondern akkadisch

ist. Wiederum möchte ich hypothetisch auf das Reich von

Akkad hinweisen, von dem aus wie in Elam so auch in dem

benachbarten Assyrien die Grundlagen für die Geschäfts¬

urkunde gelegt worden sein mögen.

Das Reich hammurabis bricht nach 200jährigem Be¬

stehen zusammen in einer Völkerbewegung, die das wilde

Bergvolk der Kassiten nach Babylonien wirft und in ihrem

Gefolge die 2000 v. Chr. über den Bosporus nach Kleinasien

eingedrungenen indogermanischen Hethiter in einem Raub¬

zuge Babylon zerstören läßt, eine Völkerbewegung, deren

1) Die Frage der sumerischen Klauseln in den altbabylonischen Urkunden ist bisher nur von Schokb, Revue S6mitique 20 (1912), 3781.

geprüft worden und würde angesichts des heute wesentlich vermehrten Materials eine erneute Untersuchung lohnen.

2) Vgl. David-Ebelino, Assyrische Rechtsurkunden (Zeitschrift f.

vergleichende Rechtswissenschaft 44, 305f.), Koschakeb, Abhand¬

lungen d. sächs. Akademie, phil.-hist. Klasse 39,5, S. If., 27f., 92f.

(17)

Vorzeichen sich schon unter den letzten Königen des babylo¬

nischen Herrscherhauses bemerkbar machen. Was nun folgt,

sind dunkle Jahrhunderte, für die geschichtliche Nachrichten

sehr dürftig sind und Rechtsdenkmäler vollständig fehlen.

Es ist offenbar zu einem furchtbaren Zusammenbruch der

babylonischen Kultur gekommen. Immerhin war sie nur ver¬

schüttet, nicht vernichtet. Denn als das Dunkel sich wieder

zu lichten beginnt, im 15.—13. Jahrhundert, haben wir eine

völhg babyionisierte Gesellschaft vor uns. Die babylonische

Kultur ist abermals Siegerin geblieben. Ja, wie die Briefe

von Beamten der Kassitenkönige und dieser selbst zeigen, hat

man kaum in einer anderen Periode ein so klassisches Akka¬

disch geschrieben wie damals. Es ist überhaupt eine Zeit mit

geistigen Interessen. In ihr haben manche der großen Enzy¬

klopädien, in denen die Babylonier in Gestalt sumerisch-

akkadischer Serien (Vokabulare) ihr gesamtes Wissen sam¬

melten, ihren Abschluß gefunden, so auch die große Serie

^AR-RA-hubullu, die in ihren beiden ersten Tafeln die juri¬

stischen Termini zusammenstellt. Zu keiner Zeit hat auch die

babylonische Kultur eine so große Ausbreitung besessen wie

damals. Ihr Gebiet deckt sich mit ganz Vorderasien, das

politisch durch ein Gleichgewichtssystem mehrerer Gro߬

mächte (Ägypten, Babylonien, Mitanni, Hethiter und später

auch Assyrer) charakterisiert wird. Akkadisch ist die Sprache

des diplomatischen Verkehrs; man schreibt es an den Höfen

der Hethiter- und Mitannikönige, in Syrien und in dem suba¬

räischen Arrapha ist sogar die Geschäftsurkunde akkadisch.

In sozialer und politischer Beziehung hat sich allerdings in

Babylonien manches geändert. Freilich steht die Forschung

auf diesem Gebiet noch in den Anfängen, so daß man ein

leidlich sicheres Bild kaum zeichnen kann. Verschwunden ist

der sumerische Staatssozialismus, verschwunden der zentra-

listische Staat hammurabis. Die Bevölkerung scheint nach

Sippen, Stämmen (bitäii) gegliedert zu sein, was auf die Land¬

nahme durch die Kassiten zurückgehen mag. Aber das König¬

tum, das sich über ihr erhebt, zeigt Zeichen der Schwäche.

Als solche müssen wohl die für diese Zeit charakteristischen

Zeitscbrift d. D. U. O. Neue Folge Bd. ZIV (Bd. 89) 2

2 •

(18)

18 P. KoscHAEBB, Keilschrittrecht.

Königsschenkungen an Priesterschaften, hohe Beamte ge¬

deutet werden, insbesondere dann, wenn sie mit Immunitäts¬

verleihungen verbunden sind, die die geschenkten Domänen

aus der allgemeinen Verwaltung herausheben, sie von Lasten

und Frohnden befreieni). Es scheint, daß wir mit einer mäch¬

tigen Aristokratie zu rechnen haben, wozu im weiteren Sinne

auch die Tempel gehören"), die die Macht des Königs einengte

und der als Komplement eine in weitgehender Abhängigkeit

gehaltene bäuerliche Bevölkerung gegenübersteht. Die Ent¬

stehung einer Art von Grundherrschaften können wir für

Arrapha in dieser Zeit aus den Urkunden verfolgen. Klarer

sehen wir für das Hethiterreich, das ausgesprochen feudale

Züge aufweist, nicht nur in seinen Beziehungen zu abhängigen

Staaten, wie übrigens auch die Beziehungen des Pharao zu

seinen syrischen Vasallen lehensrechtliche sind, sondern auch

im Innern, wenngleich sich Ansätze zu einer beamtenstaat¬

lichen Verwaltung zeigen'). Einer Klasse adliger ,, Herren" —

so heißen sie in den hethitischen Quellen — steht eine weit¬

gehend gebundene und abhängige bäuerliche Bevölkerung

gegenüber, die die ökonomischen Voraussetzungen für die

Existenz dieser Herren schafft*). Spuren des Feudahsmus

lassen sich auch in Assyrien nachweisen*). So zeigt diese Zeit

überall gewisse übereinstimmende Züge, bei allen Verschieden¬

heiten im einzelnen, und mit diesem Vorbehalt könnte man

sie vielleicht als ritterliche charakterisieren, nur daß der

1) Hauptquelle sind die Kudurrus, phallusförmige Steine, die die

Schenkung aufzeichnen, unter den Schutz der Götter stellen und als

Publizitätszeichen öffentlich aufgestellt wurden. Vgl. darüber, sowie zur allgemeinen Charakteristik dieser Zeit Steinmetzer, über den Grund¬

besitz in Babylonien zur Kassitenzeit (Alter Orient XIX, 1), Die baby¬

lonischen Kudurru als Urkundenform (1922), Cdq, Etudes sur le droit

Babylonien 81 f.

2) Über die Tempelverwaltung dieser Zeit Torcztneb, Altbabylo¬

nische Tempelrechnungen (Denkschriften der Wiener Akademie, phil.-

hist. Klasse 55).

3) Vgl. Götze, Kleinasien 89f., lOOf.

4) Vgl. Hintze, Wesen und Verbreitung des Feudalismus (Sitzungs¬

berichte der preuß. Akademie, phil.-hist. Klasse 1929) 8f.

5) Koschakeb, Abhandlungen der sächs. Akademie, phil.-hist.

Klasse 39, 5, S. 43f.

(19)

Ritter nicht zu Pferde, sondern im Streitwagen kämpfte. Die

privatrechtUche Überheferung ist für die Periode, wenn wir

von Assyrien und Arrapha absehen, gering. Sie zeigt uns für

Babylonien^) ein stärkeres Hervortreten des Akkadischen in

den Urkunden. Aber es ist doch bezeichnend, daß sich —

namenthch in Kaufverträgen — manche der sumerischen

Klauseln der altbabylonischen Zeit erhalten haben.

Der Staat der Kassiten in Babylonien wurde vernichtet

durch den elamischen König Sutruk-Nahhunte (ca. 1175).

Sein Raubzug nach Babylonien und die folgenden unruhigen

Jahrhunderte bei Tiefstand staatlicher Macht und staatlichen

Lebens in Babylonien und Assyrien stehen letzten Endes im

Zusammenhang mit einer neuen Völkerbewegung, die unter

dem Namen der ägäischen Wanderung bekannt ist. Sie hat,

ausgehend von Südosteuropa, viele Völker in Bewegung ge¬

setzt und durcheinander geworfen, in Kleinasien den He¬

thiterstaat vernichtet und auch in Babylonien die Bevölke¬

rung verändert. Seit dem 13. Jahrhundert beginnt die Ein¬

wanderung neuer semitischer Völker, der Aramäer in Nord-,

der Chaldäer in Südbabylonien, barbarische Nomaden, die

allmählich seßhaft und unter dem Einflüsse der babylonischen

Kultur zivilisiert werden. Darüber sind Jahrhunderte ver¬

gangen, die eine neue dunkle Periode in der babylonischen

Geschichte bedeuten. Denn diese neuen Völker haben zu¬

nächst die Kultur zurückgedrängt, die Schritt für Schritt

wieder Boden gewinnen mußte. Aber sie hat neuerlich ge¬

siegt, allerdings zum letztenmal.

Seit dem 9. Jahrhundert erstarkt Assyrien. Es beginnt

die Periode des assyrischen Weltreichs und es ist kein Zufall,

daß die juristische Überlieferung wieder einsetzt. Wir hfiben

für das 8. und 7. Jahrhundert die neuassyrischen Rechts¬

urkunden") und seit dem 7. Jahrhundert beginnen die neu¬

babylonischen Urkunden '), die in ungewöhnlich reicher Über-

1) LucKENBiLL, Americ. Journal of Semit. Languages XXllI (1907)

283f. 2) Kohleh-Unqnad, Assyrische Rechtsurkunden (1913).

3) Zu deren Charakterisierung vgl. San Nicolö, Zeitschrift der

Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanist. Abteilung 48, 39f., 8»

(20)

20 P. Koschakeb, Keilschriftrecht.

lieferung namentlich für das Privatrecht und mit im wesent¬

lichen gleichbleibendem Formular die Zeit der Chaldäer-

könige (625—539), die Perserherrschaft (bis 331) umfassen

und bis in die Zeit der Seleuziden und Arsaziden reichen. Um

die Wende vom 2. zum 1. Jahrhundert v. Chr. verschwindet

die neubabylonische und mit ihr die keilschriftliche Rechts¬

urkunde überhaupt aus der Geschichte. Beide Urkunden sind

akkadisch. Die babylonische Kultur hat also abermals ein

neues Volk in ihren Bann gezogen und ihm ihre Rechts¬

sprache aufgezwungen. Allerdings sind Bau und Formeln der

Urkunden andere geworden, wenngleich es an vereinzelten

Verbindungsfäden zur älteren Zeit nicht fehlt. Hierbei heben

sich die neuassyrische und neubabylonische Urkunde deuthch

voneinander ab. Das stützt unsere Hypothese von dem Ur¬

sprung der assyrischen Urkunde. War sie vom Akkadertum

zur Zeit des Reichs von Akkad her entscheidend beeinflußt,

während für die babylonische Urkunde der Sumerismus be¬

stimmend war, so läßt dieser verschiedene Ausgangspunkt es

verstehen, warum Babylonien und Assyrien in der Entwick¬

lung ihrer Urkunden getrennte Wege gegangen sind. Wie die

Formeln dieser jüngsten Keilschrifturkunden entstanden

sind, ist eine offene Frage, die vielleicht niemals gelöst werden

wird, weil das durch die Barbarisierung der vorhergehenden

Jahrhunderte bedingte Dunkel der Rechtsgeschichte wohl

kaum sich erhellen wird.

Die weitere Frage, welche Faktoren das Verschwinden der

keilschriftlichen Rechtsurkunde verursacht haben, kann nur

hypothetisch beantwortet werden. Ich glaube, daß die ara¬

mäische Urkunde hier eine entscheidende Rolle gespielt hat^).

Aramäische Urkundenschreiber werden schon im neuassy¬

rischen Reich erwähnt, aramäische Resumes in aramäischer

ibid. 49, 24 f. Eine den heutigen Anforderungen und Kenntnissen ent¬

sprechende Übersetzung neubabylonischer Urkunden haben San Ni-

colö-Ungnad, Neubabylonische Rechts- und Verwaltungsurkunden

begonnen, von der seit kurzem der 1. Band mit über 800 Nummern

abgeschlossen vorliegt.

1) Vgl. Koschakeb, Zeitschrift der Savigny-Stiftung, rom. Abt.

46, 293f., Chronique d'figypte (1932), 203, San Nicolö, Beiträge 130f.

(21)

Schrift gemalt finden sich häufig auf Keilschrifturkunden der

neuassyrischen wie neubabylonischen Zeit, aus Assur sind für

dieselbe Zeit einige aramäisch auf Tontäfeichen geschriebene

Rechtsurkunden bekannt geworden^) und mehrere Hundert

solcher aramäischer Verwaltungsurkunden sind jüngst bei den

Ausgrabungen in Persepohs gefunden worden. Das Babylo¬

nisch-Aramäische und nicht Persisch war ja auch die Kanzlei-

und Verwaltungssprache der Achämeniden").

Sollten wir aber, wenn die aramäische Urkunde die keil¬

schriftliche verdrängt hat, nicht Hunderte und Tausende

solcher Urkunden unter den Funden erwarten und wird

unsere Hypothese nicht schon durch die verhältnismäßig

geringe Zahl aramäischer Texte widerlegt? Die Antwort auf

diesen Einwand liegt darin, daß die aramäische Urkunde nur

ausnahmsweise auf Tontafeln und in der Regel auf einem

Schreibmaterial geschrieben wurde, das der aramäischen

Schrift besser angepaßt war, nämlich auf Pergament oder

Papyrus. Daß diese Schreibstoffe bereits in dem neuassy¬

rischen, dem Perserreiche bekannt waren, unterliegt keinem

Zweifel, und der aramäische Schreiber der assyrischen Quellen

war wahrscheinlich der Pergament- oder Papyrusschreiber.

Schließlich haben die Funde aus Dura in Mesopotamien') für

1) Lidzbabski, Altaramäische Urkunden aus Assur (38. wissen¬

schaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft), 1921.

Es handelt sich um Darlehen, die in ihren Formeln nicht ohne Interesse sind. Während die Festsetzung der Verzugszinsen auf % (des Kapitals) wörtlich die gleiche Klausel neuassyrischer Darlehensurkunden wieder¬

gibt, entspricht die Einführung des Schuldners mit by (Kapital des

Gläubigers zu lasten des Schuldners) ebenso wörtlich dem neubabylo¬

nischen Verpflichtungsschein (vgl. Koschakeb, Babyl. assyr. Bürg¬

schaftsrecht 113f., San Nicolö-Ungnad, Neubabyl. Rechts- und Ver¬

waltungsurkunden 192f.), der gerade, soweit ich sehe, den neuassyri-

Rchen Urkunden unbekannt ist.

2) Vgl. Schaeder, Esra der Schreiber (1930), 41 f.

3) Über sie unterrichten die großen Publikationen über die dort

seit 1922 vorgenommenen französischen und amerikanisch-französischen

Grabungen. Vgl. Cumont, Fouilles de Doura-Europos (1926) und The

excavations at Dura-Europos. Preliminary reports. Bisher 5 Bände

1929—1934.

(22)

22 P. Koschaker, Keilschrittrecht.

die Seleuziden-^), Parther- und Römerzeit die Bedeutung

dieser Schreibstoffe auch praktisch erwiesen. Aber diese

Pergament- und Papyrusurkunden sind zufolge der klima¬

tischen Bedingungen überall zugrunde gegangen und konnten

sich nur ausnahmsweise, wie in Dura, unter besonders gün¬

stigen Verhältnissen bis auf unsere Tage erhalten.

Die aramäische Urkunde besteht also nicht bloß in unserer

Einbildung. Ihr Aufkommen und ihre Verbreitung erklärt

sich aus einem Erstarken des Nationalgefühls der nunmehr

aramäischen Bevölkerung Babyloniens, die, nachdem sie

unter dem Einfluß der babylonisch-assyrischen Kultur auf

eine höhere Stufe der Zivilisation gehoben worden war, zu¬

gleich ihrer eigenen Nationalität sich bewußt wurde und die

fremde Sprache und Schrift auch in ihrem Rechtswesen

nicht länger duldete. Es ist dieselbe Entwicklung, die in

Elam die elamische Sprache in den Inschriften auftauchen,

in Ägypten das Koptische in die Literatur und die Rechts¬

urkunde eindringen läßt, bei den Parthern trotz weitgehender

Hellenisierung der oberen Schichten seil Beginn unserer Zeit¬

rechnung das nationale Pehlevi in Urkunden, Münz- und

offiziellen Inschriften einführt, eine Entwicklung, die durch

Beispiele auch aus der Gegenwart zu belegen, nicht schwer

fiele. So verstehen wir es auch, warum sich die Keilschrift¬

urkunde am längsten im Kreise der Tempel gehalten hat.

Dort war babylonische Kulturtradition noch am lebendigsten

und dort ist es, wo wir die letzten Repräsentanten der Ton¬

tafelurkunde im 2. Jahrhundert v. Chr. noch antreffen.

In Verfolgung der territorialen Ausbreitung der Keilschrift¬

urkunde müssen wir noch einen Blick auf Syrien werfen.

Daß Kenntnis der Keilschrift und akkadischen Sprache

vorhanden war, lehren für das 14./13. Jahrhundert die El-

Amarna-Korrespondenz, Briefe aus Ugarit (Ras Samra)")

1) Vgl. auch Rostovtzeff, Seleucid Babylonia. Bullae and seals

of clay with Greek inscriptions (1930), der die in Uruk (Orchoi) ge¬

fundenen Tonbullen als Behälter für Pergament- oder Papyrusurkunden nachgewiesen hat.

2) Vgl. Friedrich, Ras Schamra (Alter Orient XXXIIl, 1/2,

S. 17 f.). Auch die große Serie gAR-RA-iu6ui/u war bekannt, wie

(23)

in Nordsyrien, aus Tell-Ta'annek in Samaria^). Andrer¬

seits ist Syrien ein Gebiet, in dem sich die verschiedensten

Kultureinflüsse kreuzen: hethitische, mitannische, babylo¬

nische, ägyptische, kretische, um nur die wichtigsten zu

nennen. Dieser Umstand mußte einer Vorherrschaft der baby¬

lonischen Kultur entgegenwirken. Vielleicht ist es auch kein

Zufall, daß in Syrien von verschiedenen Seiten her die Ent¬

wicklung zur Buchstabenschrift erfolgte, die als die voll¬

kommenere die Keilschrift verdrängen mußte. Ich erinnere

an die von den Hieroglyphen beeinflußten Sinai-Inschriften

einerseits"), an die aus der Keilschrift abgeleitete Buch¬

stabenschrift in Ugarit andrerseits'). So wird man die Frage,

ob die akkadische Sprache und die Keilschrifturkunde auch

hier in den Rechtsverkehr eingedrungen sei und ihn für

längere Zeit beherrscht habe, mit besonderer Vorsicht be¬

urteilen müssen*). Direkte Belege fehlen, und spätere keil-

Fragmente aus ihr lehren. Vgl. Thübeaü-Dangin, Syria XII (1931),

226f., XIII (1932), 235f.

1) Vgl. Sellin-Hrozny, Eine Nachlese aus dem Teil Ta'annek in

Palästina (Denkschriften der Wiener Akademie, phil.-hist. Klasse 52), 1905.

2) Vgl. die Erörterung des Problems bei Leibovitch in dieser

Zeitschrift 84 (1930), If., wo auch (S. 2 f.) die Literatur, in der die

Arbeiten von Gardiner, Grimme und Sethe besonders wichtig sind,

zusammengestellt ist. Ferner Grimme, diese Zeitschrift 87, 177 f.

3) Darüber zusammenfassend Friedrich, a. a. O. 18 f.

4) Alt, Die Ursprünge des israelitischen Rechts (Sitzungsberichte der sächs. Akademie, phil.-hist. Klasse 86, 1) hat in einer sehr feinen stilkritischen und formgeschichtlichen Untersuchung in den biblischen

Rechtsbüchern zwei Arten von Rechtssätzen nachgewiesen, die er als

kasuistisch und apodiktisch formuliertes Recht bezeichnet. Während

das letztere schon wegen seiner engen Beziehung zu Jahwe israelitisches

aus der Wanderungszeit mitgebrachtes Rechtsgut enthalte, trage das

erstere, als Bedingungssatz, d. h. Tatbestand im Vorder-, Rechtsfolge

im Nachsatz formuliert, mehr bürgerlichen Charakter und entstamme

positiven Rechtssatzungen kananäischer Städte, aus denen es die

Israeliten übernommen hätten. Das alles ist in hohem Grade wahr¬

scheinlich, mag diese Rezeption sich auch auf den materiellen Inhalt der Rechtssätze oder mehr auf ihre Form erstreckt haben. Die weitere

Frage, woher dieses kananäische Recht seine Form genommen habe,

beantwortet Alt (S. 18) mit der Erwägung, ,,ob da nicht doch Zu-

(24)

24 P. Koschaker, Keilschriftrecht.

schriftliche Rechtsurkunden wie einige neuassyrische aus

Gezer') und die neubabylonischen aus Nerab 2) bei Aleppo

beweisen natürlich für diese wesentlich ältere Zeit nichts.

Die ersteren können einer assyrischen Garnison, die letzteren

einer babylonischen Kolonie angehören. Fallen sie doch in

eine Zeit, da die Verpflanzung ganzer Völker zur hohen Politik

gehörte. Die babylonische Kultur war in dieser Zeit nicht

mehr expansionsfähig').

Diese Übersicht über die territoriale Ausbreitung der

babylonischen Kultur und der babylonischen Rechtsurkunde

war nicht zu umgehen, sollte die oben aufgestellte Behaup¬

tung, daß der Begriff einer babylonisch-assyrischen Rechts¬

geschichte heute veraltet sei, verständlich gemacht werden.

Denn das, womit wir es zu tun haben, ist nicht bloß die

Rechtsgeschichte des Mutterlandes, sondern eines Kom¬

plexes von Rechten verschiedener Völker zu verschiedenen

Zeiten, Rechte, die ganz Vorderasien, Babylonien, Assyrien,

Mesopotamien, Kleinasien, Syrien sowie die östlich an das

Mutterland grenzenden Bergländer umfassen. Es handelt sich

bei der geschichtlichen Erfassung dieser Rechte nicht um eine

fortlaufende Entwicklung von primitiveren zu höheren Stufen.

Schon das Recht der ältesten Denkmäler, soweit es überhaupt

aus ihnen erschlossen werden kann, ist verhältnismäßig ent¬

wickelt, andrerseits ist, wenn wir etwa die Ehe als Maßstab

sammenhänge (seil, mit Babylonien, wo wir in Gesetzen denselben

,Wenn-Stir finden) bestehen, Zusammenhänge, nicht so sehr der

Rechtsbücher der verschiedenen Völker als vielmehr einer allen ge¬

meinsamen Rechtskultur, an der jedes Volk in seiner besonderen Weise teilnahm". Ich stimme dieser vorsichtigen Formulierung zu, möchte aber doch erinnern, daß der „Wenn-Stil" Gesetzen einer älteren Kultur¬

stufe allgemein eigen zu sein scheint und sich auch in dem 12. Tafel¬

gesetz der Römer und in dem Gesetz von Gortyn findet.

1) Pinches, Quarterly Statement of the Palestine Exploration

Fund 1904, S. 229f., C. H. W. Johns, ibid. 1905, S. 206f. Übersetzt

von Ungnad bei Gressmann, Altorientalische Texte und Bilder zum

Alten Testamente II (1909), S. 140.

2) Dhorme, Rev. d'Assyriol. 25 (1928), 53f.

3) A. M. San Nicolö, Zeitschrift der Savigny-Stiftung, rom. Abt.

49, 462.

(25)

nehmen, das Recht des Kodex IJammurabi mit seiner Kauf¬

ehe ^) primitiver als das der vorausgehenden sumerischen

Periode, die diese Eheform schon überwunden hatte, und

doch wieder kultivierter als das einige Jahrhunderte jüngere

mittelassyrische Recht, wie auch das ungefähr gleichzeitige

Recht der Subaräer von Arrapha das eines wenig entwickelten

agrarischen Gemeinwesens ist. Die Darstellung dieser Ent¬

wicklung leidet ferner an einem in der Natur der Quellen

begründeten Mangel. Es ist das völlige Fehlen aller rechts¬

geschichtlichen Nachrichten, wie wir sie in größerer oder ge¬

ringerer Fülle für das klassische Altertum haben"). Aller¬

dings besitzen wir dafür ein unvergleichliches Material der

Rechtspraxis: Tausende von Rechtsurkunden, Verwaltungs-,

Wirtschaftstexten, Briefen privaten und amtlichen Charak¬

ters usw. Aber dieses Material ist ungleichmäßig, insofern für

gewisse Perioden die öffentlich-rechtlichen, für andere di

privatrechtlichen Urkunden überwiegen, ungleichmäßig ahe

auch insoweit, als es sich auf bestimmte Orte und Periode

beschränkt. Der erste Mangel wird zwar durch das Fort¬

schreiten der Ausgrabungen, die beständig neue Plätze des

Kultur- und Rechtslebens in Vorderasien erschließen, teil¬

weise korrigiert. Der zweite wird kaum beseitigt werden.

Denn die quellenleeren Zeiträume, die heute die Perioden

1) Eine Auseinandersetzung mit der abweichenden Auffassung

David's, Vorm en wezen van de huwelijks sluiting naar de oud-ooster-

sche Rechtsopvatting (1934) llf. von der Ehe des Kodex Hammurabi

ist hier nicht möglich. Ich verweise aber auf meine Ausführungen in

der Zeitschrift für Assyriologie 41, 24f.

2) Das hängt mit der wenig entwickelten Geschichtsschreibung zu¬

sammen. Erst die Königsannalen der hethitischen Könige, deren Bei¬

spiel die Assyrer gefolgt sind, sind ein erster Schritt zur Entwicklung

einer Geschichtsschreibung. Über ädtere Historiographie vgl. Güter¬

bock, Zeitschrift für Assyriologie 42, If. Den Mangel einer entwickelten

Jurisprudenz teilt Babylonien, wenn wir die Römer ausnehmen, mit

anderen Völkern der Antike. Aber Jurisprudenz ist auch die Konzi¬

pierung von Rechtsurkunden, die Ausgestaltung ihrer Formeln, die

Redaktion von Gesetzen und in dieser Beziehung stehen Babylonien

und die von seiner Kultur berührten Völker kaum tiefer als die Pon-

tifikaljurisprudenz des älteren Rom.

(26)

26 P. Koschakeb, Keilschriftrecht.

rechtsgeschichtlichen Lebens trennen, fallen zusammen mit

dem Auftauchen neuer, barbarischer Völker, die erst allmäh¬

hch durch die babylonische Kultur zu höherer Zivilisation

geführt werden, und solche Zeiten, so interessant sie gerade

für den Historiker sind, weil in ihnen Altes stürzt und Neues

sich bildet, hinterlassen wenige oder keine schriftlichen Auf¬

zeichnungen. Es mag, vorsichtig tastend, gelingen, einzelne

Verbindungsfäden zu ziehen, die verwandte Rechtsinstitute

über diese quellenleeren Perioden verbinden, aber wir müssen

uns darüber im klaren sein, daß eine geschlossene Darstellung,

das Nachzeichnen einer Rechtsentwicklung, wie es etwa bei

den Rechten des klassischen Altertums in größerem oder ge¬

ringerem Maße möglich ist, auf unserem Gebiete wohl nie

wird erreicht werden können.

Aber ist es überhaupt möglich und zulässig, diese Vielheit

von Rechten, die annähernd 3 Jahrtausende umfassen, als

historische Einheit zu begreifen und so zum Gegenstande ge¬

schichtlicher Betrachtung zu machen? In einem Vortrag am

internationalen Historiker-Kongreß in Oslo (1928)^) habe ich

versucht, die Keilschrift, in der die Rechtsdenkmäler aller

dieser Rechte geschrieben sind, als Einheitskriterium auf¬

zustellen, und demgemäß von „Keilschriftrecht"") ge¬

sprochen. In der Tat kann die Schrift sehr wohl als solches

Kriterium gelten, ähnlich wie die chinesische Schrift auch

heute noch die Vielheit der Völker Chinas zusammenhält.

Selbstverständlich ist Keilschriftrecht kein einheitliches

Recht, seine Geschichte ist nicht einmal eine einheitliche in

dem Sinne, wie man die Geschichte der schließlich im im-

1) Abgedruckt in der Zeitschrift der Savigny-Stiftung, rom. Abt.

49, 188f.

2) Genauer gesagt, von „einer Rechtsgeschichte im Bereiche der

keilschriftlichen Rechtsquellen" (a. a. O. 198). Das war ein umständ¬

licher Ausdruck. Das richtige Wort, das den Begriff kurz und prägnant

wiedergibt, gab mir eine Einladung der Encyclopaedia of the social

sciences, für sie einen Artikel über Cuneiform law zu schreiben. In dem seither im 9. Bd., S. 211 f. erschienenen Artikel versuchte ich, von der im Texte umrissenen Grundlage aus eine Übersicht über die wichtigsten

Forschungsergebnisse und Probleme auf unserem Gebiete zu geben.

(27)

perium Romanum zusammengefaßten Rechte bei weiter Auf¬

fassung noch als römische Rechtsgeschichte bezeichnen

könnte. Denn es fehlt die politische Einheit, die nur im letzten

Stadium seiner Geschichte, im Perserreich erzielt wurde. Was

vorhanden ist, ist nur eine kulturelle EinheitDiese glaube

ich heute doch etwas näher bestimmen zu können.

Die Geschichte der babylonischen Kultur bedeutet zweier¬

lei: einerseits Assimilierung weniger zivilisierter oder barba¬

rischer Völker, die das reiche Land zwischen Euphrat und

Tigris seit den ältesten Zeiten anzog, andrerseits Expansion.

Nicht, daß Babylonien den Völkern, die es anzog oder auf

die es einwirkte, sein Recht gegeben hätte. Vielmehr haben

wir uns die Entwicklung dieser Rechte im wesentlichen

als autonome vorzustellen. Was Babylon ihnen gab, war

nicht der Inhalt, sondern die Form des Rechts: die Schrift,

die Sprache und die Urkunde"). Wenn ich einen Vergleich

ziehen darf, so möchte ich die Entwicklung des Keilschrift¬

rechts mit der des hellenistischen Rechts in Parallele stellen.

Auch hier fehlt die politische Einheit. Zwar können wir die

Einwirkung des Hellenismus auf eine fremde Bevölkerung im

Rechtsleben nur in Ägypten dank der Papyri einigermaßen

übersehen'). Den Ausgangspunkt bildet im öffentUchen wie

1) Die Einheit des Orients will neuestens Cornelius, Archiv für

Kulturgeschichte 24 (1934), 304f., allerdings in der Hauptsache religiöse

und philosophische Ideen zugrundelegend, erst von Alexander dem

Großen an gelten lassen, indem erst der Hellenismus die von den ver¬

schiedenen Völkern des alten Orients ausstrahlenden Ideen zu einer

gewissen Einheit zusammengefaßt habe.

2) In dem Augenblicke, da ich diese Zeilen niederschreibe, geht

mir die Schrift Moobtgat's, Bildwerk und Volkstum Vorderasiens zur

Hethiterzeit (1934), zu. Ich freue mich, daß er bei der Betrachtung der

Kunst der Völker Kleinasiens und Mesopotamiens im 2. Jahrtausend

zu ganz parallelen Ergebnissen kommt. Vgl. S. 2: ,,Sie (die Kunst

Vorderasiens) ist somit keine Einheit mehr, sondern wächst in den

verschiedenen Gebieten heran als das jeweilige Ergebnis der Ausein¬

andersetzung zwischen eigenen einheimischen Gedanken und Formen

und der älteren ,klassischen' Überlieferung der südlichen Ebenen."

3) Vgl. die gemeinverständliche und sehr klare und anschauliche

Darstellung Schubabt's, Die Griechen in Ägypten (10. Beiheft zum

Alten Orient) 1927.

(28)

28 P. Koschaker, Keilschriftrecht.

privaten Rechtsverkehr eine scharfe Trennung der Griechen

von den Ägyptern, die unter der Herrschaft der Römer eher

gesteigert wird. Natürhch setzt schon frühzeitig auch eine

Bevölkerungsmischung ein und die Papyrologen sprechen

demgemäß von einem gräkoägyptischen Recht. Was in ihm

griechisch, was ägyptisch ist, ist noch wenig untersucht und

auch nicht leicht festzustellen. Aber sicherlich kann man

nicht behaupten, daß die Ägypter das griechische Recht

rezipiert hätten, wohl aber haben sie die griechische Urkunde

übernommen. Daß die Verhältnisse in Mesopotamien ähnlich

lagen, läßt uns Dura ahnen ^). Was der einheimischen Be¬

völkerung die Griechen gegeben haben, war nicht ihr eigenes

Recht, sondern im wesentlichen seine Formen: Sprache,

Schrift und Urkunde, welch letztere wir in den anderen

Griechensiedlungen im Osten ebenso fmden würden wie in

Ägypten, wenn nicht die Ungunst des Klimas ihr Material

(Pergament oder Papyrus) zerstört hätte.

1) Als Beispiel mag Dura P. 10 (Preliminary Report II, S. 201f.)

dienen, die schon eine ganze Literatur hat. Es handelt sich um eine

Selbstverpfändung zur Dienstantichrese unter Orientalen, die mit

parallelen Klauseln sowohl im griechischen Recht, in den grälco-ägyp-

tischen Papyrusurkunden wie in Keilschrifturkunden verschiedener

Perioden vorkommt. Während San Nicolö, Beiträge 56*, 248* geneigt

war, babylonischen Einfluß auf das griechische Formular anzunehmen

(zurückhaltender Oriental. Literaturzeitung 1931, S. 10171., völlig

agnostizistisch Archiv Orientälni VI, 341), habe ich (Abhandlungen der sächs. Akademie, phil.-hist. Klasse 42,1, insbesondere S. 61f.) versucht

nachzuweisen, daß das Formular der Urkunde rein griechisch sei und

halte daran fest. Schönbaüeb, Zeitschrift der Savigny-Stiftung 53, 425 f.

stimmt mir zu, meint aber, daß der Urkunde auch materiell griechisches Recht zugrunde liege, was ich bestreite. Dann müßten die Orientalen das Institut der Dienstantichrese erst von den Griechen übernommen haben. Das ist sehr unwahrscheinlich. Vielmehr haben sie es gekannt —

in dieser Beziehung machen die Keilschrifturkunden Beweis — und

was sie übernommen haben, war nicht das materielle Recht, sondern

seine Form, die Urkunde. Die griechische Scheidungsurkunde unter

Orientalen, die Welles, Papyri und Altertumswissenschaft (Vorträge

am Münchner Papyrologentag) 1934, S. 389 f. aus den Funden in Dura

mitteilt, dürfte bei näherer Prüfung vielleicht zu denselben Fragen und Ergebnissen führen. Auch für sie fehlt es nicht an Parallelen unter den Keilschrifturkunden.

(29)

So gefaßt und bestimmt trägt die Geschichte des Keil¬

schriftrechts sich selbst. Es ist die Geschichte des Rechts

eines durch bestimmte Einheitskriterien fixierten Kultur¬

kreises ^). Dieser Gesichtspunkt ist indessen weit entfernt,

anerkannt zu sein. Man muß bedenken, daß es bis in die

letzten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts für den

Juristen nur eine Rechtsgeschichte des Altertums gab, näm¬

lich die römische, und es ist daher begreiflich, daß man die

Erforschung der keilschriftlichen Rechtsdenkmäler durch

Anlehnung an die römische Rechtsgeschichte zu legitimieren

suchte. So sprach Köhler") von dem zu erstrebenden Nach¬

weis, daß ,,das Recht aus dem Gebiete des Zweistromlandes

sich nach dem Okzident verbreitet habe", und in neuerer

Zeit, seitdem Mitteis' bahnbrechendes Buch über ,, Reichs¬

recht und Volksrecht" (1891) der romanistischen Forschung

neue Wege gewiesen hatte, sucht man das Keilschriftrecht

an das von Mittbis aufgerollte Problem der Orientahsierung

des spätrömischen Rechts anzuhängen'). An der Tatsache der

Rezeption orientalischen Rechtsguts — orientalisch hier im

weitesten Sinne, auch das hellenistische Recht umfassend, ge¬

nommen — in das römische Reichsrecht ist meines Erachtens

nicht zu zweifeln*). Von einer Rezeption sollte man freilich

1) Mit dieser Beschränkung glaube ich diesen heute wieder viel

umstrittenen Begriff der neueren Ethnologie übernehmen zu dürfen.

Aus der neueren Literatur vgl. etwa Bauman», Africa VII, 130L,

Thürnwald, Die menschliche Gesellschaft I (1931), lOf.

2) Bei Kohler-Peiser, Aus dem babylonischen Rechtsleben II

(1891), Vorwort und S. 5.

3) So namentlich San Nicolö, Zeitschrift der Savigny-Stiftung

48,50; 49,54, Römische und antike Rechtsgeschichte (Prager Rek¬

toratsrede 1931) 17f., Beiträge IIL

4) Das Problem hat seit Mitteis namentlich Collinet, fitudes

historiques sur le droit de Justinien I (1912) aufgenommen. Eine vor¬

treffliche Übersicht über seinen aktuellen Stand gibt San Nicolö,

Atti del congresso internazionale di diritto Romano I, 257 f. Davon ist

zu unterscheiden die schon viel früher einsetzende, durch Kaiser¬

konstitutionen und vor allem durch die Rechtspraxis vermittelte

Provinzialisierung, was in den östlichen Provinzen, wo wir sie am

besten beobachten können, gleichbedeutend ist mit Orientalisierung

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