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10 Jahre Partnerschaft mit Google Auswirkungen und Spuren an der Bayerischen Staatsbibliothek

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Auswirkungen und Spuren an der Bayerischen Staatsbibliothek

Die Literatur, von ihren Anfängen bei Homer bis zu den Gebrüdern Grimm und darüber hinaus, ist voll von Geschichten, die von Begegnungen zwischen Riesen und uns Normalsterblichen erzählen. Ob es sich nun um Odysseus und seine Begeg- nung mit dem einäugigen Zyklopen oder um das tapfere Schneiderlein handelt, viele dieser Geschichten zeigen, dass der Verstand des Kleinen und vermeintlich Schwa- chen letztendlich spielerisch über die schiere Kraft des Großen triumphiert. In diesen Geschichten muss dies wohl so geschehen, damit die Menschen nicht von ihren Ängsten überwältigt werden und sie die Hoffnung nicht verlässt, da sie in der Wirk- lichkeit nur allzu oft einen anderen Ausgang solcher Begegnungen erleben und dies als ihr Schicksal in der Zukunft befürchten müssen. Auch wir Bibliothekare sehen uns in den letzten Jahren solchen Riesen ausgesetzt, die dem Hyperraum des Inter- nets entstiegen sind und die bange Frage lautet: Wie sollen wir mit ihnen und der so entstandenen Situation umgehen? Man könnte als Bibliothekar den Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass ein Sonnensturm oder ein anderes intergalaktisches Sze- nario dem ganzen „elektronischen Spuk“ ein Ende bereitet. Das gedruckte Buch und somit auch die Bibliotheken wären dann für viele weitere Jahre so gefragt wie in den vergangenen fünfhundert Jahren. Die Wahrscheinlichkeit für solch ein Ereignis ist (zum Glück) nicht sehr groß, und wir werden auf irgendeine andere Art und Weise mit den Internet-Riesen zurechtkommen müssen. Da wir uns aber nicht in einem Märchen befinden, ist die Option eines Sieges über die Riesen wohl noch unwahrscheinlicher als eine Supernova in der Nachbarschaft unseres Sonnensystems.

Als die Bayerische Staatsbibliothek vor genau 10 Jahren, im Spätherbst 2004, das erste Mal von Vertretern des Internet-Riesen Google kontaktiert wurde, haben wir weder an Märchengestalten noch an Sonnenstürme gedacht. Unter dem höchsten Siegel der Verschwiegenheit traf sich der Generaldirektor mit seinen Hauptabtei- lungsleitern und es wurde einstimmig beschlossen, sich auf weitere Gespräche mit Google einzulassen. Wir erhofften uns eine Kooperation auf der Basis einer Win-Win- Situation, die insbesondere unseren Nutzern große Vorteile bringen sollte.

Die Geschichte nahm ihren Fortgang im Frühjahr 2005 im großen Sitzungssaal (heute Friedrich-von-Gärtner-Saal) der Bayerischen Staatsbibliothek mit einem ersten Treffen. Dabei standen zunächst das gegenseitige Abtasten und die zurückhaltende Inaugenscheinnahme des jeweiligen Gegenübers im Vordergrund. Wie vorsichtig vor allem Google vorging, konnte allein schon an der beachtlichen Zahl anwesender Anwälte mehrerer Kanzleien abgelesen werden. Erst ein spontaner Gang in die Maga- zine der Bayerischen Staatsbibliothek mit ihrer beeindruckenden Fülle, Ordnung und dem Bestandsreichtum brachte das Eis der förmlichen Zurückhaltung zum Schmel-

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zen und ließ auf beiden Seiten das Gefühl aufkommen, dass sich eine längerfristige Zusammenarbeit entwickeln könnte. Der Generaldirektor und sein Stellvertreter stell- ten noch am gleichen Tag im Kreis der Hauptabteilungsleiter, die einhellig wie sie der Meinung waren, dass die Chancen einer solchen Kooperation die Risiken übertreffen, die Weichen in Richtung einer möglichen Zusammenarbeit. Kurz vor dem Treffen mit Google hatte mit Herrn Dr. Ceynowa ein neuer Stellvertretender Generaldirektor an der Bayerischen Staatsbibliothek sein Amt angetreten. Er übernahm auf Seiten der Bay- erischen Staatsbibliothek die weiteren, vielschichtigen Verhandlungen mit Google.

Dass die Bibliothek grundsätzlich eine Kooperation mit Google als wünschenswert anstrebte, aber eben nicht bereit war, jeden Preis dafür zu zahlen, ermöglichte es, in langwierigen Verhandlungen ein hervorragendes Ergebnis für die Bibliothek und ihre Nutzer zu erzielen. Dafür mussten während dieser Verhandlungen auch Phasen durchlaufen werden, in denen keinerlei Hoffnung auf einen erfolgreichen Abschluss bestand. Ungefähr zwei Jahre nach dem ersten Treffen kam es im Februar 2007 zur Unterzeichnung des Kooperationsvertrages,1 dessen wichtigste Ergebnisse aus Sicht der Bayerischen Staatsbibliothek folgende zwei Punkte waren:

– Das Scanzentrum liegt in Bayern, so dass die Bücher der Bayerischen Staatsbib- liothek für die Digitalisierung die Grenzen des Freistaates nicht verlassen müssen.

– Die BSB erhält eine eigene Digital Library Copy der Digitalisate mit allen zusätz- lichen Informationen sowie den zugehörigen OCR-Dateien und dies alles in der gleichen Qualität, in der auch Google seine Digitalisate abspeichert und kontinu- ierlich aktualisiert.

Die Bayerische Staatsbibliothek hatte die Zeit der Vertragsverhandlungen gut genutzt.

Die für eine erfolgreiche Massendigitalisierung notwendigen Metadatenkorrekturen waren zu diesem Zeitpunkt schon voll im Gange. War es ursprünglich geplant, diese Korrekturen im Verlauf von fünfzehn bis zwanzig Jahren auszuführen, so mussten sie nun in nicht viel mehr als fünf Jahren erledigt werden. Die meisten der bestehen- den „Katalogfehler“ rührten von der Katalogkonversion, waren somit bekannt und konnten entsprechend ihres Typus und insbesondere hinsichtlich ihrer Relevanz für das Digitalisierungsprojekt kategorisiert sowie systematisch abgearbeitet werden.

Ein Schwerpunkt der Korrekturen lag auf dem eindeutigen Nachweis mehrbändiger Werke und von Bindeeinheiten.

Der Vertragsabschluss war natürlich auch der Startschuss für alle weiteren Vor- bereitungen. Die wichtigsten davon waren die Zusammenstellung eines Projektteams sowie die Suche nach Mitarbeitern bzw. neuen Mitarbeitern für die Workflowbearbei- tung. Die dringlichsten Aufgaben des Projektteams wiederum waren die detaillierte

1 Ceynowa, Klaus: Massendigitalisierung für die Wissenschaft – Zur Digitalisierungsstrategie der Bayerischen Staatsbibliothek. In: Information, Innovation, Inspiration. 450 Jahre Bayerische Staats- bibliothek. Hrsg. von Rolf Griebel u. Klaus Ceynowa. München: Saur 2008. S. 241–252.

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Ausarbeitung eben dieses Workflows2 sowie die Begleitung der Programmierungsar- beiten bei der Erstellung einer Workflowdatenbank für den Logistikbereich und der Überarbeitung der ZEND zur Übernahme der zu erwartenden Digitalisate in bisher nicht dagewesener Zahl. Aufgrund des äußerst knappen Zeitrahmens hatten wir uns entschieden, auf bestens bewährte Systeme aufzusetzen und keine neue Workflowda- tenbank aus einem Guss zu erstellen.

Abb. 1: Gezeigt ist die ungefähre Menge an Büchern, die über vier Jahre hinweg an jedem Arbeitstag an das Scanzentrum von Google übergeben wurde.

Für den Logistikteil wurde MyBib eDoc von Imageware als Grundlage gewählt, für die Übernahme und Verwaltung der Digitalisate, wie oben angedeutet, die hausei- gene Zentrale Erfassungs- und Nachweisdatenbank ZEND. Die Herausforderung war dabei im wahrsten Sinne des Wortes einzigartig, denn das Digitalisierungsprojekt war zunächst auf fünf Jahre ausgelegt und sollte die Erstellung von einer Million Digitali- sate beinhalten. Eine simple Rechnung zeigt, dass dies bei ca. 200 Arbeitstagen pro Jahr bedeutete, ca. eintausend Werke pro Arbeitstag bereitzustellen sowie wiederum die gleiche Menge an Digitalisaten Arbeitstag für Arbeitstag in das Repositorium der Bayerischen Staatsbibliothek neu aufzunehmen. Alle deutschen Bibliotheken zusam- men hatten in einem ganzen Jahrzehnt nicht mehr Digitalisate erstellt als im Rahmen dieses Projektes in wenigen Monaten erstellt werden sollten. Wir haben daher nicht zu Unrecht in Zusammenhang mit diesem Projekt von industrieller Massendigitalisie-

2 Baumgartner, Martin [u. a.]: Zur Workflowsteuerung der Massendigitalisierung. Der Weg der Bü- cher und der Digitalisate. In: B.I.T.online (2008) H. 3. 267–273.

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rung gesprochen,3 um eine Grenze zu den Massendigitalisierungsprojekten zu ziehen, bei denen in zwei bis drei Jahren maximal einige tausend Werke digitalisiert werden.

Die Bezeichnung des Projektes als „industriell“ darf allerdings nicht so interpretiert werden, dass wir mit den uns anvertrauten Büchern nicht auf das Sorgfältigste umge- gangen wären.

Abb. 2: Gezeigt sind zwei Bücherwägen einer Charge, die für die Übergabe an Google fertiggestellt sind. Sehr schön zu sehen sind einige in dicken Sammelbänden

zusammengebundene Dissertationen. Für jede einzelne Dissertation ist ein Auftragszettel eingelegt, der mit einem Barcode versehen ist, für die eindeutige Verknüpfung des

zukünftigen Digitalisats mit den zugehörigen Metadaten.

Alle Hauptabteilungen der Bayerischen Staatsbibliothek waren direkt und unmit- telbar beteiligt und von dem Projekt betroffen. Wir durften erfahren, dass eine so gewaltige Herausforderung erhebliche Energien freisetzt und zu ungeahnten Syner- gien führt. Die zielgerichtete Zusammenarbeit und der starke Zusammenhalt, der sich über alle Abteilungsgrenzen hinweg einstellte und der das Projekt bis heute so erfolg- reich getragen und beflügelt hat, gehören sicher mit zu den positivsten Erfahrungen, die ein Arbeitsleben bieten kann.

So wichtig dieser Zusammenhalt für die gesamte Staatsbibliothek war, so sind es doch zwei andere Fragen, an denen sich letztendlich jedes Bibliotheksprojekt messen lassen muss: Was hat das Projekt den Nutzern und Kunden der Bayerischen Staatsbi- bliothek gebracht? Was hat dieses Projekt zum Aufbau und zur Erhaltung der Samm- lung der Bayerischen Staatsbibliothek beigetragen?

3 Baumgartner, Martin u. Wilhelm Hilpert: Halbzeit – ohne Pause. Stand und Erkenntnisse der in- dustriellen Massendigitalisierung an der Bayerischen Staatsbibliothek. In: B.I.T.online (2011) H. 2. S.

133–138.

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Betrachtet man den Nutzen, den die Massendigitalisierung der Klientel der Baye- rischen Staatsbibliothek gebracht hat, ist es wichtig, das Selbstverständnis der Biblio- thek als einer internationalen Forschungsbibliothek von Weltrang im Auge zu haben.

Die Bibliothek fühlt sich der internationalen Wissenschaftsgemeinde verbunden und zuständig für die weltweite Förderung von Wissenschaft und Forschung. Mehr als eine Million urheberrechtsfreier Bücher der Bayerischen Staatsbibliothek mit einem Erscheinungsjahr von 1501 bis 18744 sind heute für jedermann zu jeder Zeit digital verfügbar und einsehbar. Dieses Faktum untermauert wie kein anderes den Vorteil, den unsere Kunden aus diesem Projekt ziehen. Nun mag man einwenden, dass diese

„alten Bücher“ doch nicht mehr so wichtig und interessant seien.

Viele Millionen Zugriffe pro Jahr5 und 2.300 vollständige Downloads eines Werkes pro Tag von den Servern der Bayerischen Staatsbibliothek sprechen eine eindeutig andere Sprache. Zwar sind in der Zahl dieser Downloads auch diejenigen enthalten, die Digitalisate betreffen, die vom Münchener Digitalisierungszentrum selbst im Rahmen vieler Projekte erstellt wurden, da jedoch die Digitalisate aus dem Massendi- gitalisierungsprojekt mit Google ca. 95 % aller Digitalisate der Bayerischen Staatsbib- liothek ausmachen, kann man annehmen, dass von den 2.300 vollständigen Werken, die 2013 im Durchschnitt an jedem Tag (nicht Arbeitstag) heruntergeladen wurden, ca. 2.000 Digitalisate im Rahmen des Massendigitalisierungsprojektes mit Google entstanden sind. Und damit haben wir nur die Downloads angesprochen, die von Servern der Bayerischen Staatsbibliothek abgerufen werden. Es ist zu erwarten, dass von den Servern der Firma Google ebenfalls eine erhebliche Anzahl an Downloads stattfindet. Dies bedeutet, dass diese eine Million „alter“ Bücher „Ausleihzahlen“ in der gleichen Größenordnung erreicht wie die weiteren neun Millionen Druckwerke an der Bayerischen Staatsbibliothek, die bisher nicht digitalisiert werden konnten.

Dieses Ergebnis hat in dieser Form und Eindeutigkeit, insbesondere mit Blick auf das Alter der Bücher, sicher niemand erwartet.

Es verdeutlicht eindringlich, in welchem Ausmaß sich der Umgang, die Ausei- nandersetzung und die Forschung mit den Erkenntnissen und den Werken der Ver- gangenheit in die digitale Welt verlagert haben. Man hört oft die pauschale Aussage:

„Was es nicht auch in digitaler Form gibt, gibt es gar nicht mehr.“ Aber kaum jemals wurde diese Aussage auf so eindeutige Weise quantitativ belegt wie im vorliegenden Fall. Eindeutiger kann aber auch der Nutzen, den die Forschungsgemeinde aus dem Digitalisierungsprojekt bezieht, nicht belegt werden, es sei denn, man nimmt sich die Zeit und liest die höchst positiven Rückmeldungen unserer weltweiten Nutzerschaft.

4 Um auf keinen Fall im Rahmen dieses Projektes eine Urheberrechtsverletzung zu begehen, werden nur Bücher digitalisiert, deren Erscheinen mindestens 140 Jahre zurückliegt oder für die gilt, dass der Tod aller wesentlich beteiligten Personen nachweislich mehr als 70 Jahre zurückliegt.

5 Im Jahr 2013 wurden über 88 Millionen digitale Einzelobjekte (2012: 67 Millionen, 2011: 62 Millio- nen) als Vollanzeigen von den Servern der Bayerischen Staatsbibliothek abgerufen.

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Die Digitalisate sind nicht nur über den OPAC der Bayerischen Staatsbiblio- thek und das Zugangssystem des Münchener Digitalisierungszentrums zugänglich, sondern auch über Portale wie die Europeana und die Deutsche Digitale Bibliothek sowie über die Verzeichnisse der im deutschen Sprachgebiet erschienenen Drucke des 16., 17. und 18. Jahrhunderts (VD 16, VD 17 und VD 18).

Hinzu kommt, dass mit dem großen entstandenen Volltext-Korpus völlig neue Fragen an die Texte der Vergangenheit gestellt werden können. Die „Digital Huma- nities“ stehen erst ganz am Anfang und auch die Computerlinguistik wird überra- schende und völlig neue Zusammenhänge zu Tage fördern, ähnlich wie die Paläoge- netik völlig neue Erkenntnisse zur Anthropologie beigetragen hat.

Die Bayerische Staatsbibliothek wird die Fortentwicklung des riesigen Volltext- Korpus sicher nicht nur anderen überlassen. 6,13 % der Werke der Bayerischen Staats- bibliothek enthalten z. B. bebilderte Klapptafeln, sog. „Fold-outs“, die im Rahmen der Massendigitalisierung von Google nicht gescannt wurden. Diese werden nun nach und nach eingescannt und in die bestehenden Digitalisate eingefügt. Ebenso wird die reine Volltextsuche, die schon für sich alleine ungeahnte Forschungsmöglichkei- ten eröffnet, nicht das einzige Angebot in dieser Richtung bleiben. Anhand von Text Mining und Analysesystemen wie z. B. der Named Entity Recognition (NER) können Bestandteile des natürlich-sprachlichen Textes erkannt und klassifiziert werden. Auf diese Weise wird es möglich sein, die Benennungen von Personen, Orten, Organi- sationen oder geschichtlichen Ereignissen zu indizieren und als „Linked Data“ mit anderen Ressourcen im World Wide Web zu verknüpfen.6

Die erste der beiden Fragen, die nach dem Nutzen für die Klientel der Bayeri- schen Staatsbibliothek, kann also eindeutig dahingehend beantwortet werden, dass mit dem digitalen Text-Korpus ein enorm komfortables Angebot für Wissenschaft und Forschung entstanden ist, und dass dieses in den nächsten Jahren, über neue, in der Entwicklung stehende Techniken der Textanalytik, seinen Wert noch sehr deutlich steigern wird.

Nicht weniger interessant ist die zweite Frage: Was hat dieses Projekt zum Aufbau und zur Erhaltung der Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek beigetragen?

Der – neben den Handschriften, Inkunabeln und Rara – wertvollste Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek, die breite Masse des Altbestandes mit Erscheinungsjahren vom 16. Jahrhundert bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts, wurde durch die Mas- sendigitalisierung in Zusammenarbeit mit Google in seiner Gesamtheit einer prioritär einzustufenden und auf anderen Wegen nicht bezahlbaren und somit verwirklichbaren Bestandssicherungsmaßnahme unterzogen. Die Digitalisierung als Bestandserhaltung zielt primär auf die Erhaltung der Information eines Werkes, hat allerdings auch sekun- däre Wirkungen, die nun anhand des großen digitalisierten Bestandes der Bayerischen Staatsbibliothek erstmals offensichtlich werden und denen bisher viel zu wenig Augen- 6 Selbstverständlich können auch Jahreszahlen bzw. ein exaktes Datum sowie jedes Set von Begriffen innerhalb von Text-Korpora einer NER unterzogen werden.

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merk gewidmet wurde. Die bestandserhaltende Wirkung entfaltet sich nicht zuletzt über einen sehr deutlichen Rückgang der Ausleihzahlen. Für das Bestandssegment mit Erschei- nungsjahren zwischen 1701 und 1840 gingen die Ausleihen drastisch um ca. 70 % zurück.

Betont sei an dieser Stelle, dass die Gesamtzahl der Ausleihen an der Bayerischen Staats- bibliothek im gleichen Zeitraum leicht zugenommen hat, und dass somit der Rückgang in diesem Bestandssegment nicht, auch nicht zu kleinen Teilen, einem allgemeinen Trend geschuldet ist. Im Bestandssegment mit Erscheinungsjahren zwischen 1501 und 1700 fällt der Rückgang ebenfalls deutlich aus und beträgt ca. 50 %. Die Abweichung bei beiden Bestandssegmenten ist dadurch zu erklären, dass manche buchwissenschaftli- chen Fragestellungen, die bei den älteren Büchern häufiger sind, nur anhand des origi- nalen Werkes geklärt werden können. An dieser Stelle ist auch klarzustellen, dass der Rückgang der Nutzung bei den gedruckten Exemplaren zwar ein überaus erwünschter Effekt im Sinne der Bestandserhaltung ist, dass es aber keinerlei Überlegungen gab und für die nahe Zukunft gibt – außer bei einzelnen sehr stark geschädigten Werken – ihre Nutzung durch zusätzliche Vorgaben einzuschränken. Verbote sind im Rahmen eines Dienstleistungsangebotes niemals der Königsweg, im Gegensatz zur Selbstregulierung, die sich durch das digitale Parallelangebot ergeben hat.7

Abb. 3: Gezeigt ist der Rückgang der Ausleihzahlen zweier Bestandssegmente des Altbestandes der Bayerischen Staatsbibliothek in den Jahren seit Beginn der Massendigitalisierung in Zusammenar- beit mit Google. Im Jahr 2008 hatte die Massendigitalisierung zwar begonnen, Digitalisate wurden aber erst ab dem Jahreswechsel 2008/2009 im Netz bereitgestellt. Ergänzend sei angemerkt, dass die Ausleihzahlen für beide Bestandssegmente in den Jahren 2004 bis 2008 den gleichen Anstieg zeigten wie die Ausleihzahlen des Gesamtbestandes an der Bayerischen Staatsbibliothek.

7 Fabian, Claudia: Katalogisierung und/oder Digitalisierung. Herausforderungen der Digitalisierung an Katalogsysteme. In: Information und Ethik. Dritter Leipziger Kongress für Information und Biblio- thek. Hrsg. von Barbara Lison. Wiesbaden: Dinges & Frick 2007. S. 474–490.

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Da der gesamte Altbestand mit nur geringen Ausnahmen der Massendigitalisierung zugeführt wurde, konnte aber auch auf einfache Art eine Revision des Bestandes und Verbesserungen des Erhaltungszustandes der Bücher in den Geschäftsgang inklu- diert werden. Viele hundert verstellte Bücher wurden wiedergefunden und stehen der Nutzung wieder zur Verfügung. Nur einige hundert Bücher – deutlich weniger als 0,2 Promille – konnten trotz des großen detektivischen Spürsinns der Mitarbei- ter nicht gefunden werden. Sie wurden sowohl im Katalog wie am Regal als Verlust gekennzeichnet und werden nach Möglichkeit neu beschafft. Zu bedenken ist, dass die letzte Revision 1956 bis 1958 stattfand, mithin nahezu 60 Jahre zurückliegt und keineswegs unter günstigen Rahmenbedingungen ablief.8 Mancher Kriegsverlust ist auf diese Weise wohl erst in den Jahren 2009 bis 2013 zu Tage getreten.

Nahezu 40.000 Werke wurden vor der jeweiligen Übergabe an Google durch das Institut für Buchrestaurierung der Bayerischen Staatsbibliothek einer kleinen bis mit- telgroßen Erhaltungsmaßnahme9 unterzogen und der Gesamtzustand der Bücher hat sich dadurch erheblich verbessert. Es gab aber auch über 100.000 Werke (11,8 %), die aufgrund unterschiedlichster Gründe nicht digitalisiert wurden. Einer der Gründe, auf die Digitalisierung zu verzichten, war der Erhaltungszustand des betreffenden Werkes. Der verantwortliche Umgang mit dem wertvollen Altbestand hatte während des gesamten Projektes höchste Priorität und im Zweifelsfall haben wir die Digitali- sierung unterlassen. Jedes Buch, das von Google zurückkam, wurde eingehend auf seinen Zustand untersucht; dies zum Teil auf der Basis von Bildern, die wir vor dem Digitalisierungsprozess von den Büchern aufgenommen hatten.

Das Projekt hat sich direkt wie auch indirekt als ein Segen für den Altbestand erwiesen. Von der Qualität der Metadaten über den Erhaltungszustand bis zur Auf- findbarkeit wurden ausnahmslos alle Rahmenbedingungen bezüglich seiner Nutz- barkeit verbessert. Es kann also auch die zweite Frage nach dem Zugewinn für Aufbau und Erhaltung des Bestandes im positiven Sinne beantwortet werden.

Abschließend sei auf einen dritten positiven Effekt verwiesen, den die Zusammen- arbeit mit Google für die Bayerische Staatsbibliothek gebracht hat. Der Internet-Riese Google hat für uns ein Stück seiner Anonymität verloren und zumindest bezüglich des Google-Books-Projektes ein durchaus „menschliches Gesicht“ angenommen. Etwas, das man kennt, bei dem man um Stärken und Schwächen weiß und das man zumin- dest ansatzweise versteht, löst nicht die gleichen Ängste aus wie etwas, das bedrohlich und unbekannt zugleich ist. Dies bedeutet nicht, dass wir so naiv sind, anzunehmen, dass wir das zukünftige Verhalten von Google in irgendeiner Weise beeinflussen könnten.

Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass es zusammen mit Google möglich ist, einen großen Schritt in Richtung einer besseren Dienstleistung für unsere Nutzer zu gehen.

8 Middendorf, Heinrich: Die Generalrevision der Bayerischen Staatsbibliothek 1956–1958. In: Zeit- schrift für Bibliothekswesen und Bibliographie (1958) H. 4. S. 305–320.

9 Darunter ist z. B. das Einkleben loser Seiten oder die Befestigung des Buchblocks im Einband zu verstehen.

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Dieses Vorgehen hat unsere Position als Informationsdienstleister wesentlich effektiver gesichert als das „Kopf-in-den-Sand-stecken“ oder die Ausrufung des Kulturkampfes in der vagen Hoffnung auf einen Sieg. Die Erfahrung, wie zukunftsweisend Kooperationen sein können, würde man auch manchen anderen Protagonisten der Informationsbranche in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Bibliotheken im digitalen Zeitalter wünschen.

Von allen Internet-Giganten ist Google derjenige, der die Informationsbranche am nachdrücklichsten verändert hat und in Zukunft verändern könnte. Google führt auf der spartanischen Homepage von Google Scholar als einzige Ausschmückung ein Gleichnis an, das Bernhard von Chartres (um 1120) zugesprochen wird und das dadurch, dass es von Isaac Newton verwendet wurde,10 große Berühmtheit erlangte:

„Auf den Schultern von Riesen“.

Abb. 4: Gezeigt ist die Startseite von Google Scholar am 28.07.2014.

Die Metapher versucht, den jeweilig aktuellen Stand der Wissenschaften zu den Geistes- größen der Vergangenheit in Beziehung zu setzen. Wie ist dies in Bezug auf Google und die Bibliotheken zu verstehen? Sieht sich Google bereits auf den Schultern der „Informa- tionsriesen der Vergangenheit“ – den Bibliotheken mit großen Büchersammlungen. Was wird von den Bibliotheken bleiben, wenn Google auf ihren Schultern steht? Oder ist das Verständnis so geartet, dass sich Google neben den Bibliotheken auf den Schultern der Geistesriesen der Vergangenheit stehen sieht? Von den Antworten auf diese Fragen hängt viel ab für die Bibliotheken. Das große Interesse des Internet-Riesen, in seiner Welt der

„Gute“ zu sein, könnte den Bibliotheken auch in der Zukunft Chancen eröffnen.

10 In einem Brief an Robert Hooke schrieb Newton: „Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.“ Nach: Westfall, Richard S.: Isaac Newton. Eine Biographie.

Heidelberg: Spektrum 1996. Hier S. 143.

Abbildung

Abb. 1: Gezeigt ist die ungefähre Menge an   Büchern, die über vier Jahre hinweg an jedem   Arbeitstag an das Scanzentrum von Google   übergeben wurde.
Abb. 2: Gezeigt sind zwei Bücherwägen einer   Charge, die für die Übergabe an Google   fertiggestellt sind
Abb. 3: Gezeigt ist der Rückgang der Ausleihzahlen zweier Bestandssegmente des Altbestandes der  Bayerischen Staatsbibliothek in den Jahren seit Beginn der Massendigitalisierung in  Zusammenar-beit mit Google
Abb. 4: Gezeigt ist die Startseite von Google Scholar am 28.07.2014.

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