Die Beitrags-Schere schließt sich
1970
Die Beitragssatz-Spanne in der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich seit 1975 verringert.
Niedrigster und höchster Beitragssatz
Relative Spannweite in Prozent
5,6-9,0
43,5 Innungskrankenkassen
9,8-13,6
32,6
Quellen: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung;
RV-Berechnungen;
1970/75: Stand 1. Juli, 1982: 1. Januar
jwd 29/P82 Deutscher In.cuta-VerLg
9,1 9,2
49,0
17,6
1975
Spektrum der Woche Aufsätze . Notizen KURZBERICHT
„Umfassender Finanzausgleich ist überflüssig"
Eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft Ein umfassender Finanzausgleich der gesetzlichen Krankenversiche- rung insgesamt oder innerhalb einzelner Kassenarten ist weder sozial gerecht noch finanziell zweckmäßig. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (iw), Köln, in der die Ursachen und Wir- kungen der derzeitigen Beitrags- drift innerhalb der Krankenversi- cherung analysiert werden.
Eine aktuelle Bestandsaufnahme ergibt: Die Spanne der Beitrags- sätze in der gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV) reicht zur Zeit von 7 bis 15 Prozent. Dieser Unter- schied wird immer wieder als Ar- gument für die Forderungen nach einem allgemeinen Finanzaus- gleich zwischen den Kassen her- angezogen.
Insbesondere die Gewerkschaften argumentieren damit, daß unter-
schiedliche Beitragsbelastungen angesichts des vom Gesetzgeber weitgehend vereinheitlichten Lei- stungsniveaus gegen das Solidari- täts- und das Versicherungsprin- zip in der GKV sowie den Gleich- heitsgrundsatz des Grundgeset- zes verstießen. Bestehende Bei- tragsunterschiede sollten deshalb
im Wege eines allgemeinen, kas- senartenübergreifenden Finanz- ausgleichs beseitigt oder zumin- dest nachhaltig verringert werden.
Nur so lasse sich die Gliederung der gesetzlichen Krankenversiche- rung mit ortsnahen, autonomen Selbstverwaltungen in finanziell eigenständigen Kassen dauerhaft sichern.
Demgegenüber argumentieren die Kölner Gutachter: Das Versiche- rungsprinzip erfordert grundsätz- lich auch eine auf einzelne Ver- sichertengemeinschaften bezo- gene Beitragskalkulation. Gerade ein kassenartenübergreifender Fi- nanzausgleich würde die Motiva- tion zum wirtschaftlichen Gebaren der Krankenkassen schwächen und die Autonomie der Selbstver- waltungen „vor Ort" unterhöhlen;
die Gliederung verlöre ihren Sinn und Zweck. Zudem habe sich die relative Spannweite der Beitrags- sätze bei den Orts- und Innungs-
krankenkassen seit 1975 um rund ein Drittel, bei den Betriebskran- kenkassen immerhin um fast ein Fünftel verringert (vgl. Abbildung).
Dieser Befund fällt in eine Periode relativer Beitragsstabilität von 1976 bis 1980. Offensichtlich hat die Mitte der siebziger Jahre ein- geleitete amtliche Kostendämp- fungspolitik den „angenehmen"
Nebeneffekt gehabt, das Gefälle der Beitragssätze allmählich zu verringern.
Zudem ist die Höhe der Beitrags- sätze keinesfalls willkürlich, son- dern abhängig von einem vielfälti- gen Beziehungsgeflecht aus „Ärz- tedichte", regionaler Struktur (Stadt — Land — Industrie) und Be- völkerungsmentalität. Daraus re- sultiert das Inanspruchnahmever- halten der Versicherten, das weit- gehend von subjektiven Kriterien bestimmt wird.
Der empirische Befund zeigt, daß in Regionen, in denen die Arzt-, Facharzt- und Krankenhausbet- tendichte besonders hoch sind, auch die Ausgaben der Kranken- kassen für ambulante und sta- tionäre Behandlung überdurch- schnittlich hoch liegen. Daher, so argumentieren die Gutachter des iw weiter, wäre es ein gravierender Verstoß gegen das Solidaritäts- prinzip, wenn durch einen allge- meinen Finanzausgleich in den Krankenkassen mit relativ hohem Beitragsniveau die Beitragsbela- stung künstlich gemildert würde.
Der Ausgleich müßte nämlich letztlich von den Versicherten in medizinisch dünner versorgten Regionen bezahlt werden.
Zudem ist das Beitragsniveau in den Krankenkassen in Süd- deutschland (Bayern und Baden- Württemberg) niedriger als im Norden der Bundesrepublik, weil dort landsmannschaftliche Kom- ponenten das Verhalten der Versi- cherten ebenso wie unterschiedli- che Vertragsbedingungen zwi- schen den Leistungspartnern (Stichwort: „Bayern-Vertrag") be- einflussen. Es wäre wider die Grundsätze der Sparsamkeit und
70 Heft 38 vom 24. September 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B
"Umfassender Finanzausgleich überflüssig"
Die Beitragsgerechtigkeit
Nur eine Minderheit wurde in der Vergangenheit durch überdurchschnittlich hohe Beitragssätze benachteiligt.
Begünstigte ""' l:h.•itmgssaU: lit•gt um nu .. •hr ab I 0 Prol .. l'lll untt·r . dt•m jcwciligt•n l)urchschnitts- heitragssa.l7 Nonnalbclaskk = ßl'itragssatz lit•gt um bis zu 10 Prol.{'llt unter odt•r iibt•r ..
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Mitglieder in Prozent der Gesamtmitglieder 1970-1981
Begünstigte Nom1albelastete Benachteiligte
Orts-
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Quellt'n: Dundesministerium flir Arbeit und Sozilllordnun~: 1\V-Jkn·rhnun~en
die Versicherungsmechanik, woll- te man durch einen überzogenen Finanzausgleich das Beitrags- und Belastungsniveau so nivellieren, daß die regional getroffenen ko- stensteuernden Modalitäten sich nicht mehr bis zum Beitragszahler hin auswirken könnten.
Um dennoch die Beitragsdrift nicht über Gebühr wachsen zu las- sen, schlagen die Gutachter das Modell eines .. differenzierten Bei- tragsausgleichs" vor. Dafür sollen zwei Voraussetzungen gelten:
1. Der Finanzausgleich wird nur innerhalb der Landesverbände der jeweiligen Kassenart angewandt.
Bei diesem Vorschlag ist die Tat- sache berücksichtigt worden, daß 59 Prozent aller errechneten Bei- tragssatzunterschiede innerhalb der Landesverbände auftreten.
2. Um den Kreis der "alimentier-
ten" Kassen nicht zu groß werden
zu lassen, setzen die Maßnahmen erst dann ein, wenn der Beitrags- satz einer Kasse um zehn Prozent
über das Grundlohnniveau deut- lich unter dem Landesverbands- durchschnitt liegt.
..,.. Auf der Grundlage der Daten von 1978 wären 10 Orts-, 58 Be-
triebs- und 8 Innungskrankenkas- sen in das so vorgeschlagene Aus- gleichsverfahren einbezogen wor- den.
Weiter empfiehlt das Institut der deutschen Wirtschaft, dieses Mo- dell eines innerverbandliehen Be- lastungsausgleichs mit einer dy- namisierten Beitragssatzober- grenze und einer Garantieträgar- schaft des Bundes zu kombinie- ren. Damit würde der Mitverant- wortung des Bundes für die Aus- gaben der Krankenkassen Rech- nung getragen.
Die Vorschläge des arbeitgeberna- hen Instituts der deutschen Wirt- schaft verdienen um so mehr Be- achtung, als gerade im Zuge der Haushaltssanierung '83 erneut Be- strebungen laut wurden, einen weit ausgedehnten, eine Einheits- versicherung fördernden Finanz- ausgleich zu realisieren. EB
Quelle: Günter Buttler, Dietrich von Lesz- cynski, Achim Seffen: Zur Differenzie- rung der Beitragssätze und Problematik von Finanzausgleichen in der gesetzli- chen Krankenversicherung. Materialien des Instituts der deutschen Wirtschaft (iw), Heft 4, Deutscher Instituts-Verlag GmbH, Köln 1982, 176 Seiten, 40 DM
Spektrum der Woche Aufsätze · Notizen KURZBERICHT
PKV: Zufrieden mit dem Ergebnis 1981
Trotz anhaltenden, wenn auch 1981 erstmals wieder seit 1977 ab- geflachten Kostenanstiegs hat die private Krankenversicherung (PKV) im Geschäftsjahr 1981 ins- gesamt "zufriedenstellend" abge- schlossen. Im jüngsten Rechen- schaftsbericht des PKV-Verban- des weisen die 42 Mitgliedsunter- nehmen perEnde 1981 rund 20,65 Millionen Tarifversicherte aus (1980: 20,13 Millionen). Demnach hat sich der Gesamtbestand 1981 um rund 520 000 Tarifversicherte erhöht.
Im einzelnen verteilen sich die vier Versicherungsarten mit 8,21 Mil- lionen Versicherte auf die Krank- heitskostenversicherung; 6,29 Mil- lionen Versicherte auf die selb- ständige Krankenhaustagegeld- versicherung; 4,39 Millionen Ver- sicherte auf die Sonstige selbstän- dige Teilversicherung und weitere 1,76 Millionen Versicherte auf die Krankentagegeldversicherung. ln der Vollversicherung erhöhte sich die Zahl der Tarifversicherten um etwa 230 000. Der überwiegende Teil der von der Versicherungs- pflichtgrenze eingeholten Perso- nen hat sich befreien lassen (1979:
74 und 1982: 69 Prozent).
Auch die Zusatzversicherung hat- ten weitere Bestandszunahmen zu verzeichnen: 160 000 in der Selb- ständigen Krankenhaustagegeld- versicherung und 40 000 in der Sonstigen selbständigen Teilversi- cherung. Dies ist ein Indiz dafür, daß gesetzlich Versicherte vor al- lem das zusätzliche Krankenhaus- risiko privat abdecken. Der Be- stand in der Krankentagegeldver- sicherung erhöhte sich um 90 000, wobei der Zugang bei Arbeitneh- mern relativ höher ist als die der Selbständigen (Grund: Zahlung des Arbeitgeberzuschusses).
Die Beitragseinnahmen der Bran- che erreichten 1981 ein Volumen von 10,85 Milliarden DM gegen-
Ausgabe 8 DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 38 vom 24. September 1982 73