• Keine Ergebnisse gefunden

UNIVERSITÄT ZU KÖLN

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "UNIVERSITÄT ZU KÖLN"

Copied!
37
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

UNIVERSITÄT ZU KÖLN

UNIVERSITY OF COLOGNE

Kölner Diskussionspapiere zu Bankwesen, Unternehmensfinan- zierung, Rechnungswesen und Besteuerung

Cologne Working Papers on Banking, Corporate Finance, Accounting and Taxation

Working Paper 01/2005

*

Zur Zukunft der Kapitalerhaltung durch bilanzielle Ausschüt- tungssperren im Gesellschaftsrecht der Staaten Europas

(The Future of Capital Maintenance Rules in European Company Law)

Christoph Kuhner

Januar 2005

* url: http://www.wiso.uni-koeln.de/workingpapers/bcfat/index.html

(2)

Zur Zukunft der Kapitalerhaltung durch bilanzielle Ausschüttungssperren im Gesellschaftsrecht der Staaten Europas

Christoph Kuhner

Seminar für Allgemeine BWL und Wirtschaftsprüfung, Universität zu Köln, Albert-Magnus-Platz, 50923 Köln

Tel.:+49 221 470 2360; Fax: +49 221 470 5165 kuhner@wiso.uni-koeln.de

Zusammenfassung: Das hergebrachte Konzept der Kapitalerhaltung durch bilanzielle Ausschüttungs- sperren wird in jüngster Zeit auf mehreren Ebenen in Frage gestellt. Richtungsweisende Entwicklun- gen sind in diesem Zusammenhang die Übernahme der Gründungstheorie durch die EuGH-

Rechtsprechung, das Vordringen der IAS/IFRS als allgemeiner Rechnungslegungsstandard sowie die sich abzeichnende Abwendung der EU-Kommission vom Leitbild der Kapitalerhaltung im Gesell- schaftsrecht. Der Beitrag soll aufzeigen, ob es eine Zukunftsperspektive für das System gesellschafts- rechtlicher Kapitalerhaltungsnormen gibt. Die grundsätzliche Eignung von Kapitalerhaltungsnormen zur Eindämmung von Gläubiger / Anteilseignerkonflikten wird für repräsentativen Szenarien bestätigt.

Im Rahmen einer ökonomischen Analyse alternativ möglicher Rechtssetzungen ergibt sich keine gene- relle Überlegenheit eines Systems situativer Ausschüttungssperren gegenüber dem Kapitalerhaltungs- system et vice versa. Die größere Finanzierungsflexibilität in einem System situativer Ausschüttungs- bemessung muss gegen die größere Rechtssicherheit in einem Kapitalerhaltungssystem abgewogen werden.

Abstract: Accounting-based profit distribution restrictions were a key issue of EU’s company law harmonization. Nowadays, the concept of creditor protection via the maintenance of a nominal capital figure is challenged in several respects: (i) With its recent rulings the European Court of Justice has introduced corporate charter competition: Thus, domestic capital maintenance rules can no longer be enforced for all domestic limited liability companies. (ii) The move of EU accounting harmonization towards IAS/IFRS challenges the effectiveness of accounting based creditor protection because profit distribution is not an objective of the IAS/IFRS. (iii) Ongoing discussion focuses on abolishing capital maintenance rules in order to render EU company law more flexible. In this context, the paper pro- vides an economic analysis, comparing the cost and benefits of accounting-based profit distribution with alternative rules, notably the solvency test. Efficiency is addressed as a problem of optimal preci- sion of legal standards. It is argued that, ex ante, no definite answer can be given in respect to superior efficiency of alternative profit distribution settings, as there is a negative trade off between predictabil- ity of jurisdictional outcomes most effectively safeguarded by legal capital maintenance rules and flexibility of equity financing most effectively safeguarded by ex post-regulation (solvency test).

Key words: Kapitalerhaltung, Ausschüttungsbemessungsfunktion, Gläubigerschutz, Gesell- schaftsrecht

JEL Classification: K 22, M 41

(3)

Zur Zukunft der Kapitalerhaltung durch bilanzielle Ausschüttungssperren im Gesellschaftsrecht der Staaten Europas

von

Christoph Kuhner Inhaltsverzeichnis

1. Problemstellung... 1

2. Zur Ausgestaltung der Kapitalerhaltung in den Gesellschaftsrechtsrichtlinien... 4

3. Zur Begründung zwingender gesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutzbestimmungen aus ökonomischer Sicht ... 6

3.1. Paradigma der Vertragsfreiheit ... 6

3.2. Legitimierbarkeit gläubigerschützender Gesetzesnormen ... 8

3.2.1. Nichtexistenz einer Vertragsbeziehung zu Gläubigern der Gesellschaft ... 9

3.2.2. Marktmacht ... 9

3.2.3. Kollektive Handlungen ... 10

3.3. Zwischenergebnis... 12

4. Funktionsweise gläubigerschützender Kapitalerhaltungsnormen zur Eindämmung von Marktversagensphänomenen... 12

4.1. Vorvertragliche Informationsasymmetrien ... 12

4.2. Nachvertragliche Informationsasymmetrien und unvollständige Verträge ... 13

4.3. Fazit... 16

5. Das gesellschaftsrechtliche Kapitalerhaltungssystem in der Kritik ... 17

5.1. Gläubigerschädigende Investitionsanreize... 17

5.2. Materielle Gehaltlosigkeit der Nennkapitalziffer... 19

5.3. Mangelnde Anpassungsfähigkeit des nominellen Kapitalerhaltungsregimes an die Entwicklungsdynamik von Unternehmen ... 20

5.4. Mangelnde Eignung für ein effizientes Signalling durch Eigenkapitaltransaktionen... 21

5.5. Hohe Kosten der Durchsetzung eines nominellen Kapitalerhaltungsregimes ... 22

5.6. Fazit der Kritik und Reformmöglichkeiten ... 22

6. Regulierungsalternativen zum Gläubigerschutz durch gesellschaftsrechtliche Kapitalerhaltung ... 23

6.1. Die verbleibende Bedeutung bilanzbasierter Ausschüttungssperren in Rechtskreisen ohne nominelles Kapitalerhaltungsregime ... 23

6.2. Situative Ausschüttungsbegrenzungen... 24

6.3. Pflichtversicherung... 27

7. Empirischer Befund ... 29

8. Zur Zukunftsperspektive der Kapitalerhaltung im deutschen und europäischen Gesellschaftsrecht... 32

∗ Professor Dr. Christoph Kuhner, Seminar für ABWL und für Wirtschaftsprüfung, Wirtschafts- und Sozialwis- senschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, Albertus Magnus-Platz, 50923 Köln, e-mail: kuhner@wiso.uni- koeln.de. Vorläufige Version.

(4)

1. Problemstellung

Eines der ehrwürdigsten Institute deutscher Gesellschaftsrechtsdogmatik, die Kapitalerhal- tung, droht ein Opfer der Globalisierung zu werden.

Die Sicherung des Kapitals einer Gesellschaft zum Zwecke des Gläubiger- und des Gesell- schafterschutzes bildet die Grundlage für eine fast unüberschaubare Vielzahl an Einzelrege- lungen und Auslegungsansätzen. Die Ausstrahlung des Kapitalerhaltungskonzepts reicht da- bei über den engeren Rahmen des Gesellschaftsrechts hinaus; insbesondere ist das Leitbild der gläubigerschützenden, erfolgsabhängigen und damit kapitalerhaltenden Ausschüttungs- bemessung Grundlage für die Auslegung und Fortbildung des Bilanzrechts auf der Ebene des Einzelabschlusses.1 Die herrschende Bilanzrechtslehre in Deutschland darf als zutiefst geprägt vom Kapitalerhaltungsgedanken bezeichnet werden.2

Dieses Konzept wird in jüngster Zeit auf mehreren Ebenen angefochten:

- Die neuere Judikatur des Europäischen Gerichtshofs hat die Durchsetzbarkeit von Re- gelungen des jeweiligen nationalen Gesellschaftsrechts gegenüber allen auf dem Staatsgebiet tätigen Unternehmungen nachhaltig eingeschränkt: Eine in einem ande- ren EU-Staat gegründete Gesellschaft, die ihren Verwaltungsschwerpunkt nach

Deutschland verlegt hat, muss vom Zuzugsstaat als Gesellschaft in ihrer ausländischen Rechtsform anerkannt werden; die Anerkennung darf nicht generell von der Einhal- tung strengerer inländischer Vorschriften abhängig gemacht werden.3 Für die Kapital- erhaltung ist die weitgehende Verwerfung der sogenannten Sitztheorie4 zu Gunsten der

1 Zum traditionellen Rang des Gläubigerschutzprinzips im deutschen Bilanzrecht grundlegend: Beisse, Heinrich:

Gläubigerschutz – Grundprinzip des deutschen Bilanzrechts, in: Beisse, Heinrich/Lutter, Marcus/Närger, Heri- bald: Festschrift für Karl Beusch zum 68. Geburtstag, Berlin u.a. 1993, S. 77-98; Moxter, Adolf: Die Helmich- Konzeption des Bilanzrichtlinien-Gesetzes. Bedeutung und Bedrohung, in: Letzgus, Klaus, u.a. (hrsg.): Für Recht und Staat. Festschrift für Herbert Helmich zum 65. Geburtstag, München 1994, S. 709-719, hier insbes S.

S. 718.

2 Zum herausragenden Rang der Kapitalerhaltung in den verschiedenen Systemansätzen vgl. etwa: Baetge, Jörg/Kirsch, Hans-Jürgen/Thiele, Stefan: Bilanzen, 7. Aufl. Düsseldorf 2003, S. 88-91, 123-129.

3 EuGH-Urteil vom 30. September 2003, Aktenz. C-167/01 – „Inspire Art“, vgl. hierzu etwa: Eidenmüller, Horst/Rehm, Gebhard: Niederlassungsfreiheit vs. Schutz des inländischen Rechtsverkehrs: Konturen des Euro- päischen Internationalen Gesellschaftsrecht, in: ZGR 2004, S. 159-188. In diese Richtung schon weisend das Vorgängerurteil EuGH vom 5. November 2002, Aktenzeichen C-208/00 – „Überseering“.

4 Nach der traditionell in Kontinentaleuropa vorherrschenden Sitztheorie ist das im Rechtsraum des Unterneh- menssitzes (i. d. R. Hauptverwaltung) geltende Gesellschaftsrecht grundsätzlich für alle Gesellschaften verbind- lich .

(5)

Gründungstheorie5 von besonderer Bedeutung, weil in einigen EU-Staaten, insbeson- dere dem Vereinigten Königreich, Gesellschaftsformen mit beschränkter Haftung zu- gelassen sind, für die kein positives Nennkapital gefordert wird. 6 Darüber hinaus wer- den bei diesen ausländischen Gesellschaftsformen Ausschüttungen nicht zwingend aus den aufgelaufenen Bilanzgewinnen dotiert. Inländer können künftig nicht mehr daran gehindert werden, sich dieser Gesellschaftsformen zu bedienen.

- Der Leitbildcharakter der Kapitalerhaltung für die Fortentwicklung des Gesellschafts- rechts wird in der auf EU-Ebene geführten rechtspolitischen Diskussion zunehmend in Frage gestellt.7 Von vielen Seiten wird eine Zurückdrängung dieses Konzeptes, das die Harmonisierungsaktivitäten bisher maßgeblich mitgeprägt hat, zugunsten flexiblerer Mechanismen der Eigenkapitalfinanzierung gefordert.8 Daneben droht eine Aushöh- lung des Systems der EU-Kapitalerhaltungsnormen gleichsam von innen heraus durch die Hinwendung der EU zur Rechnungslegung nach IAS/IFRS: Nicht nur ist die Er- stellung eines Konzernabschlusses nach IAS/IFRS ab dem Jahr 2005 für

kapitalmarktorientierte Unternehmen verbindlich; darüber hinaus besteht für die nati- onalen Gesetzgeber die Option, die IAS/IFRS auch für den Einzelabschluss zu über- nehmen.9 Da die IAS/IFRS bekanntlich dem Leitbild der Kapitalmarktinformation und nicht dem der gläubigerschützenden Gewinnermittlung folgen, stellt sich die Frage nach der weiteren Sinnhaftigkeit der Kapitalerhaltung durch gewinnabhängige Aus- schüttungsbemessung.10

5 Nach der traditionell im angelsächsischen Rechtsraum dominierenden Gründungstheorie ist das Gesellschafts- recht des Gründungsstaats einer Gesellschaft unabhängig vom Verwaltungssitz grundsätzlich für alle Unterneh- men verbindlich.

6 Zu den einschlägigen Regelungen für private companies in Großbritannien vgl. Davies, Paul: Legal Capital in Private Companies in Great Britain, in: AG 1998, S. 346-354

7 Vgl. insbes.: Bericht der Hochrangigen Gruppe von Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen in Europa, Brüssel 2002, insbes. S. 29. Zum Stand der Diskussion: Merkt, Hanno: Der Kapitalschutz in Europa – ein rocher de bronze?, in: ZGR 2004, S. 305-323, hier S. 306-309.

8 Eine Vorreiterrolle hat die britische Regierung mit dem Reformvorschlag des Department of Trade and In- dustry (DTI): Modern Company Law for a Competitive Economy, Final Report, 2001, übernommen (unter:

http://www.dti.gov.uk/cld/final_report/).

9 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, Art. 5.

10 Zur Diskussion in Deutschland vgl. Institut der Wirtschaftsprüfer: IDW-Stellungnahme: EU-Verordnung zur Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards, etc., in: WPg, 55. Jg. (2002), S. 983-991, hier insbes. S.

986.

(6)

- In der wissenschaftlichen Diskussion mehren sich die Stimmen, welche die Ineffekti- vität gesellschaftsrechtlicher Kapitalerhaltungsnormen im Hinblick auf das gesetzte Ziel des Gläubigerschutzes anprangern, oder, noch allgemeiner, seine Ineffizienz aus gesamtwirtschaftlicher Sicht konstatieren.11

Aus rechtsökonomischer Sicht scheint der Streit bereits entschieden zu sein. So heißt es in einem aktuellen Betrag:

„Dass Vorschriften über ein gesetzliches Mindestkapital aus ökonomischer Sicht nicht nur überflüssig, sondern auch und vor allem ineffizient sind, kann als allgemein be- kannt gelten und soll daher nicht weiter vertieft werden. Insofern sei allein darauf verwiesen, dass etwa in Großbritannien oder in den USA das Wirtschaftsleben bei Fehlen von Regelungen über Mindestkapital keineswegs zusammengebrochen ist.“12 Und für das Fortbestehen von Kapitalerhaltungsnormen finden Enriques/Macey zum Ab- schluss ihrer Polemik13 nur die folgende, im bekannten analytischen Zynismus ihrer Denk- schule gehaltene Begründung:

„We believe, that certain interest groups with more influence in Europe than in the United States benefit significantly from the legal capital rules, despite their ineffi- ciency. (…) Two other interest groups that clearly benefit (…) are accountants (…) and lawyers (who must guide through the labyrinth of needlessly complicated legal

11 Vgl. hierzu etwa: Enriques, Luca/Macey, Jonathan R.: Creditors versus Capital Formation: The Case against the European Capital Rules, in: Cornell Law Review, Vol. 86 (2001), S. 1165-1206; Eidenmüller, Horst: Wett- bewerb der Gesellschaftsrechte in Europa, in: ZIP, 23. Jg. (2002), S. 2233-2245, hier insbes. S. 2235-2237; ab- wägend Mülbert, Peter O./Birke, Max: Legal Capital: Is There a Case Against the European Legal Capital Rules?, in: European Business Organizational Law Review, Vol. 3 (2002), S. 675-732 (m.w.V.).

12 Lombardo, Stefano/Wunderlich, Nils Christian: Über den ökonomischen Sinn und Unsinn eines Haftungs- durchgriffs im Recht der Kapitalgesellschaften, Vortrag zum IX. Symposium zur ökonomischen Analyse des Rechts „Sozialschutz oder Marktrationalität – Vor einem Paradigmawechsel im Zivilrecht?", Travemünde, 24.- 27. März 2004, S. 12. Die gleichen Autoren adaptieren allerdings einige Seiten später eine klassische Argumen- tationsfigur auf der Grundlage des Kapitalerhaltungsgedankens, wenn sie ausführen: „Ein Gläubiger einer Kapi- talgesellschaft darf berechtigterweise davon ausgehen, dass das Stammkapital einer Gesellschaft erhalten bleibt und etwaige Gewinne an die Gesellschafter nur ausgezahlt werden, wenn und soweit die übrigen Verbindlichkei- ten der Gesellschaft weiterhin korrekt bedient werden können“ (S. 22).

13 Der Beitrag von Enriques/Macey: a.a.O., verdient so genannt zu werden, weil er sich nicht eben durch ein unvoreingenommenes Abwägen von Vor- und Nachteilen des inkriminierten Konzepts auszeichnet. Wegen der allzu großen Neeigung der Autoren, vom gewünschten Ergebnis her zu argumentieren, verbunden mit einer nicht gerade tiefen Kenntnis der europäischen Gesellschaftsrechte ist es keineswegs selbstverständlich, dass dieser Beitrag als Referenzgrundlage der Diskussion dient. Da es sich auf der anderen Seite um einen wahren Stein- bruch an Argumenten gegen die gesellschaftsrechtliche Kapitalerhaltung handelt, wird er uns auch im folgenden noch öfters begegnen.

(7)

capital rules). (…) Furthermore, most European corporate lawyers have invested sig- nificant human capital in becoming familiar with the legal capital rules. Repealing these rules would destroy the value of that human capital.”14

Der Beitrag soll aufzeigen, ob es eine Zukunftsperspektive für das System gesellschaftsrecht- licher Kapitalerhaltungsnormen gibt. Dazu wird zunächst in knapper Form der gegenwärtige Stand der Kapitalerhaltung i. S. der EU-Gesellschaftsrechtsrichtlinien noch einmal in Erinne- rung gerufen. Anschließend erfolgt eine Abwägung ökonomischer Positionen zum Für und Wider eines Systems zwingender gesellschaftsrechtlicher Kapitalerhaltungsnormen.

2. Zur Ausgestaltung der Kapitalerhaltung in den Gesellschaftsrechtsrichtlinien

Die jahrzehntelangen Harmonisierungsaktivitäten der EU auf dem Gebiet des Gesellschafts- rechts waren bisher in erster Linie auf die Koordination von Schutzvorschriften gerichtet, die auf Mitgliedsstaatenebene den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgegeben sind. Ziel war die Gleichwertigkeit dieser Bestimmungen in der gesamten Union nach den Vorgaben des Art. 44 Abs. 2 g) EG-Vertrag,15 um insbesondere eine Nivellierung der gesellschaftsrechtlich verbrieften Schutzniveaus „nach unten“, d. h. i. S. eines race to the bottom zu verhindern.16 Innerhalb dieser Harmonisierungsbemühungen hat die Zielvorstellung der Kapitalerhaltung bei beschränkt haftenden Gesellschaften traditionell eine dominierende Rolle gespielt. Sie ist prägend für mehrere EU-Richtlinien, die im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte in nationales Recht umgesetzt wurden.17 Es handelt sich bei dem Konzept der ge- sellschaftsrechtlichen Kapitalerhaltungsmechanismen allerdings nicht um ein originäres Ge- schöpf der EG-Richtliniengeber; vielmehr sind sie als Reflex auf die hochentwickelte Kapi-

14 Enriques/Macey: a.a.O., S. 1202, 1203

15 „Der Rat und die Kommission erfüllen die Aufgaben, die ihnen aufgrund der obigen Bestimmungen übertra- gen sind, indem sie insbesondere (...) soweit erforderlich die Schutzbestimmungen koordinieren, die in den Mit- gliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Absatz 2 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (...)“ Art. 44 Abs. 2 g) EG-Vertrag.

16 Vgl. Bericht der Hochrangigen Gruppe: a.a.O., S. 29; vgl. zur Geschichte der EU-Harmonisierung auch: Wou- ters, Jan: European Company Law: Quo Vadis?, in: Common Market Law Review, Vol. 37 (2000), S. 257-307, hier S. 268 ff. Zur differenzierten Betrachtung einzelner Phasen der EU-Harmonisierung vgl. knapp Deakin, Simon: Regulatory Competition vs. Harmonisation in European Company Law, ERSC Centre of Business Re- search, University of Cambridge, Working Paper No. 163 (2000), S. 4-9 (m.w.V.)

17 Vgl. hierzu vor allem: Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976, sowie die darauf aufbauenden Folgerichtlinien, insbes. die Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 aufgrund von Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen.

(8)

talerhaltungsdogmatik in den damaligen Mitgliedsländern, insbesondere in Deutschland, an- zusehen.

Im Konzept sieht die 2. EG-Richtlinie ein von den Anteilseignern eingebrachtes Mindestkapi- tal vor, das durch darauffolgende Ausschüttungen nicht angetastet werden darf. Ausschüttun- gen an die Anteilseigner dürfen grundsätzlich nur aus dem Erfolg des abgelaufenen Ge- schäftsjahres sowie aus den nicht ausgeschütteten Erfolgsbeiträgen vergangener Geschäftsjah- re gespeist werden (Art. 15 I (c ), II. EG-Richtlinie). Kapitalerhaltung umfasst dabei insbe- sondere drei Regelungsbereiche:

(i) Aufbringung des Kapitals: Zur Gründung einer Aktiengesellschaft ist nach Art. 6 Abs. 1 ein Mindestkapital von 25.000 € verbindlich; nach Art. 4 ist dieses Kapital in Form von Vermögensgegenständen zu erbringen, deren Wert feststellbar ist;

Arbeits- und Dienstleistungen sind nicht einlagefähig. Bei der Aufnahme der Ge- schäftstätigkeit müssen mindestens 25% des gezeichneten Kapitals eingebracht sein (Art. 9 Abs. 1); innerhalb von 5 Jahren muss das gezeichnete Kapital zu 100%

eingebracht sein, soweit für die Einlage andere als Barmittel vereinbart sind. Der Wert von Sacheinlagen muss durch einen unabhängigen dritten Sachverständigen oder eine Behörde in einem separaten Bericht bestätigt werden (Art. 10, Abs. 1).

Der Bericht hat besondere, in Art. 10 aufgeführte Anforderungen zu erfüllen. Im gleichen Sinne berichtspflichtig sind auch Geschäfte mit Gesellschaftern, wenn die Gesellschaft dabei Vermögenswerte von mindestens 10% des gezeichneten Kapi- tals erwirbt. Nach Art. 8 besteht ein allgemeines Verbot, Aktien unter dem Nenn- betrag18 auszugeben. Flankierende Bestimmungen dienen dazu, Umgehungsmög- lichkeiten dieser Kernregelungen auszuschließen.

(ii) Beschränkung von Ausschüttungen an die Anteilseigner: Ausschüttungen dürfen nur in dem Maße stattfinden, wie das Volumen des Eigenkapitals, gemessen als Bilanzsaldo zwischen Vermögensgegenständen und Schulden, das gezeichnete Kapital zuzüglich eventuell zu bildender gesetzlicher oder satzungsmäßiger Rück- lagen übersteigt (Art. 15 Abs. 1 (a)).

18 Bei nennwertlosen Aktien: unter dem Anteilswert am gezeichneten Kapital, vgl. Art. 8.

(9)

Der Erwerb eigener Aktien ist grundsätzlich denselben Restriktionen unterworfen wie die unmittelbare Leistung von Ausschüttungen; darüber hinaus darf der kumu- lierte Nennbetrag der von der Gesellschaft und evtl. Tochterunternehmen gehalte- nen Aktien nicht 10% des gezeichneten Kapitals übersteigen (Art. 19 Abs. 1). Er- werbe eigener Aktien müssen durch Hauptversammlungsbeschluss gebilligt wer- den.

Eine Rückführung des Nennkapitals durch eine Kapitalherabsetzung unterliegt be- sonderen Restriktionen (Art. 30 ff.). Insbesondere sind Gläubiger befugt, Sicher- heiten für ausstehende Forderungen einzufordern, bevor im Zuge der Herabset- zung Zahlungen an die Aktionäre geleistet werden (Art. 22).

(iii) Nennkapitalbezogene „Schwellenbestimmungen“ als Auslöser für bestimmte ge- sellschaftsrechtliche Anlässe:19 Bei schweren Verlusten des gezeichneten Kapitals muss die Hauptversammlung innerhalb einer einzelstaatlich festzusetzenden Frist einberufen werden, um zu prüfen, ob die Gesellschaft aufzulösen ist oder andere Maßnahmen zu ergreifen sind. In den einzelstaatlichen Regelungen ist ein schwe- rer Verlust zumindest dann als gegeben vorzusehen, wenn er mindestens die Hälfte des gezeichneten Kapitals umfasst.

Obwohl die 2. Richtlinie sich nur auf Aktiengesellschaften bezieht, sind die Kapitalerhal- tungsvorschriften im deutschen Recht, anders als etwa im britischen oder im irischen Recht, in ihren Grundzügen auch für Gesellschaften mit beschränkter Haftung umgesetzt worden.

3. Zur Begründung zwingender gesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutzbestimmungen aus ökonomischer Sicht

3.1. Paradigma der Vertragsfreiheit

Die gesellschaftsrechtsdogmatische Tradition hat sich mit der Begründung besonderer gläubi- gerschützender Regularien für Gesellschaften mit beschränkter Haftung nie schwer getan:

Solche gesetzlichen Restriktionen wurden seit jeher als das Korrelat des Haftungsbeschrän-

19 Art. 17, II. EG-Richtlinie.

(10)

kungsprivilegs angesehen; ihr Ziel ist der Schutz finanzieller Ansprüche dritter Parteien. Aus diesem Grund wird ihre Existenzberechtigung in aller Regel nicht weiter hinterfragt.20

Die ökonomische Theorie, insbesondere die Ökonomische Analyse des Rechts in ihrer traditi- onell am Leitbild der Vertragsfreiheit orientierten mainstream-Variante21 vertritt in dieser und in ähnlichen Fragen einen radikal unterschiedlichen Ansatz: Kein Marktteilnehmer ist ge- zwungen, mit einem Unternehmen bestimmter Satzungsgestaltung zu kontrahieren. Weiter ist es die Aufgabe der Vertragsparteien einer Gesellschaft, ihre Ansprüche in Eigeninitiative zu schützen, falls dies aufgrund bestimmter Satzungsregeln des Vertragspartners als notwendig erachtet wird. Einzelvertragliche Gestaltungsmöglichkeiten zum Schutz der jeweiligen An- sprüche bieten hierzu ein reichhaltiges Arsenal.

Im Paradigma der Vertragsfreiheit führen Verhandlungen zwischen Kapitalgeber und Kapi- talnehmer zum Abschluss eines Vertrages, der aus der Sicht beider Parteien als effizient be- zeichnet werden kann. Der Verhandlungsprozess zwischen Schuldnern und Gläubigern unter- liegt dabei annahmegemäß keinen Friktionen: Abgesehen von den Nachteilen, die sich daraus ergeben, dass Vertrage nicht auf alle mögliche für beide Seiten interessante Variablen, son- dern nur auf justiziable Tatbestandsmerkmale konditioniert werden können, treten keine so- genannten Transaktionskosten für die Anbahnung, Formulierung und Durchsetzung des Ver- trages auf.

Für eine solche Ausgangssituation lässt sich leicht nachweisen, dass auch bei Präsenz vor- und nachvertraglicher Informationsasymmetrien durch das Verhandlungsergebnis situations- spezifisch eine Allokation implementiert wird, deren Effizienz nicht durch alternative Koor- dinationsformen gesteigert werden kann: Geht man davon aus, dass staatliche Gläubiger- schutzregulierungen mindestens denselben Informationsasymmetrien unterliegen wie private Arrangements – eine realistische Annahme, denn weshalb sollte der Staat mehr wissen als die jeweilig Betroffenen? –, dann folgt eine schwache Überlegenheit privater Verhandlungslö- sungen gegenüber staatlich verordneten Gläubigerschutzregelungen. Private Verhandlungs- gleichgewichte haben überdies den Vorteil, für den Einzelfall maßgeschneiderte Arrange-

20 Vgl. für eine knappe historische Betrachtung mit Blick auf Entnahmeregelungen Schön, Wolfgang: Die Zu- kunft der Kapitalaufbringung/-erhaltung, in: Der Konzern, 3/2004, S. 162-170, hier S. 169 f.

21 Für einen knappen Überblick vgl. m.w.V.: Kuhner, Christoph: Ökonomische Analyse des Rechts: Schreyögg, Georg/v. Werder, Axel: Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 4. Aufl., Stuttgart 2004, Sp.

956-966.

(11)

ments22 bieten zu können, während gesetzlich feststehende Restriktionen notwendigerweise nur pauschale, und damit bei zwingender Beachtung in vielen Fällen suboptimale Lösungen implementieren.

Als Adressaten eines gesetzlichen Gläubigerschutzes kommen nach dem Modell der Vertrags- freiheit allenfalls die nicht-vertraglichen Gläubiger, etwa Schadensersatzberechtigte, in Be- tracht.23 Einige Autoren gehen sogar soweit, gesellschaftsrechtlich verankerte Vorschriften zum Schutz Dritter pauschal als durch rentensuchende Interessengruppen initiierte Wohl- fahrtsschädigung zu brandmarken.24

3.2. Legitimierbarkeit gläubigerschützender Gesetzesnormen

Den Postulaten der Ökonomischen Analyse des Rechts zum Trotz gibt es einige Anknüp- fungspunkte, um auch aus Sicht des Effizienzkriteriums zwingende gesellschaftsrechtliche Regelungen zum Gläubigerschutz zu befürworten. Grundlage hierfür ist ein Versagen einzel- vertraglicher Koordination, das auf unterschiedliche Gründe zurückgeführt werden kann.25 Genannt werden insbesondere:

- Nichtexistenz einer vertraglichen Beziehung zu den Gläubigern;

- Monopolähnliche Marktmacht der Schuldner gegenüber den Gläubigern;

- Probleme kollektiver Koordination.

Sollten diese Aspekte sich als Hemmnisse für die einzelvertragliche Koordination erweisen, dann sind gesetzliche Regelungen in Betracht zu ziehen, um die negativen Wirkungen vorver- traglicher und nachvertraglicher Informationsasymmetrien einzudämmen.

22 Vgl. Ewert/Wagenhofer: Aspekte ökonomischer Forschung in der Rechnungslegung und Anwendung auf Ausschüttungsbemessung und Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, in: BFuP, 55. Jg. (2003), S. 603-622, hier S. 611.

23 Vgl. hierzu etwa Eidenmüller, Horst: Wettbewerb der Gesellschaftsrechte in Europa, in: ZIP, 23. Jg. (2002), S.

2233-2245, hier insbes. S. 2237.

24 Vgl. hierzu etwa Carney, William J.: The Political Economy of Competition for Corporate Charters, in: Jour- nal of Legal Studies, Vol. 26 (1997), S. 303-329, der jede gesetzliche Schutzregelung für Nicht-Anteilseigner als Resultat einer “rent seeking activity“ ansieht.

(12)

3.2.1. Nichtexistenz einer Vertragsbeziehung zu Gläubigern der Gesellschaft

Ansprüche, die nicht auf Vertragsbeziehungen beruhen, wurden bereits kurz angesprochen.

Dies sind etwa die Ansprüche von Deliktsgläubigern oder die Ansprüche des Staates in seiner Eigenschaft als Fiskus und als Regulierer. Die Legitimität gesetzlicher Schutzvorkehrungen ist aus der Perspektive unfreiwilliger Gläubiger leichter begründbar als im anderen Fall, da sie nicht mit Verweis auf das Modell der Vertragsfreiheit ausgehebelt werden können.

Andererseits ist die Reduktion des Gläubigerschutzgedankens auf nicht-vertragliche Gläubi- ger dem geltenden Recht völlig fremd; so fehlen etwa Schutzregelungen, die zwischen den beiden Gläubigergruppen differenzieren. Auf der Hand liegt auch ein gewisses Missverhältnis zwischen dem anspruchsvollen System der Kapitalerhaltungsnormen und der oft nach Volu- men und Zahl relativ kleinen Gruppe der unfreiwilligen Gläubiger. Zudem sind entsprechende Vorkehrungen für persönlich haftende Schuldner überhaupt nicht vorgesehen. Für die Legiti- mation des allgemeinen Gläubigerschutzprinzips im geltenden Recht bietet die Schutzbedürf- tigkeit unfreiwilliger Gläubiger isoliert betrachtet eine zu schmale Basis.

3.2.2. Marktmacht

Eine marktmächtige Stellung des Schuldners hat das Potenzial, effiziente gläubigerschützende Arrangements auf privater Ebene verhindern. Vorstellbar ist dies etwa, wenn ein größeres Unternehmen sich vielen kleineren, von ihm abhängigen Zulieferern gegenübersieht. Die Mo- nopolstellung wird sich dann in einer überragenden Verhandlungsmacht manifestieren, deren Folge es ist, dass für das Zuliefererunternehmen von vornherein eine eigenständige Formulie- rung von Vertragsvorschlägen ausscheidet.26 Das Schuldnerunternehmen wird vielmehr bei der Anbahnung der Vertragsbeziehung ein take it or leave it offer präsentieren, das bis auf den vermuteten Reservationsnutzen des Lieferanten ausschließlich die eigenen Interessen berück- sichtigt.

25 In Anlehnung an Armour, John: Share Capital and Creditor Protection: Efficient Rules for a Modern Company Law, ERSC Centre of Business Research, University of Cambridge, Working Paper No. 148 (1999), S. 5-12.

26 Aber auch schon bei Transaktionen mit mutmaßlich ausgeglichenerem Verhandlungsmachtpotential mögen die Vertragsgestaltungsoptionen des Gläubigers gemessen an der Idealvorstellung beschränkt sein: „Aber auch den Handwerker, der bei einem Auftrag nach der Bilanz fragt, möchte ich erst einmal kennenlernen.“ Lutter,

(13)

Allerdings ist der umgekehrte Fall – überragende Markt- bzw. Verhandlungsmacht des Kre- ditgebers – ebenso denkbar und möglicherweise sogar der verbreitetere. Nicht ohne weiteres liegt es ferner auf der Hand, dass ein Monopolist seine Monopolrenten bewusst aufs Spiel setzt, indem er eine existenzgefährdende Finanzierungspolitik betreibt. Die Verhaltensanreize dürften jedenfalls dann in die umgekehrte Richtung zeigen, wenn das Management den Marktwert des eigenen Unternehmens maximiert.

Dies ist jedoch bekanntlich nicht der Regelfall: Der in der Delegationsbeziehung zwischen Anteilseignern und Management angelegte Interessenkonflikt gibt mithin der Ausnutzung von Marktmacht seitens des Management keine von vornherein eindeutige Richtung vor. Obwohl gefordert wird, dass monopolistische Positionen systematisch richtig im Wettbewerbsrecht und nicht im Gesellschaftsrecht zu regulieren seien,27 ist es nicht ohne weiteres einzusehen, warum ein vorhersehbares Machtgefälle zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer nicht Ge- genstand gesellschaftsrechtlicher Regulierungen sein darf, zumal, soweit ersichtlich, wettbe- werbsrechtliche Normen, die diesen Aspekt berücksichtigen, völlig fehlen.

3.2.3. Kollektive Handlungen

Ein Koordinationsversagen kann dadurch zustande kommen, dass der einzelne Gläubiger Handlungsanreize besitzt, die den Interessen des Gläubigerkollektivs zuwider laufen. Zu- nächst ist hier der Anreiz zum Trittbrettfahrerverhalten zu nennen, der möglicherweise eine effiziente Überwachung des Schuldners verhindert: Sind relativ viele Gläubiger mit relativ geringen Einzelforderungen vorhanden, dann ergibt sich oft für keinen der einzelnen Forde- rungsinhaber ein Anreiz zu Überwachungsaktivitäten, obwohl sie aus der Sicht aller Gläubi- ger sinnvoll wären. Diesem Argument wird oft mit dem Einwand begegnet, dass es schon genügt, wenn ein einziger großer Gläubiger mit dem Schuldnerunternehmen sogenannte fi- nancial covenants28 vereinbart; zumindest im vorhinein würden alle übrigen Gläubiger von

Marcus: Gesetzliches Garantiekapital als Problem europäischer und deutscher Rechtspolitik, in: AG 1998, S.

375-377, hier S. 376.

27 Vgl. zu dieser These Armour: Share Capital and Creditor Protection: a.a.O., S. 7.

28 Financial covenants sind Geschäfts- bzw. Ausschüttungsrestriktionen, die von einzelnen Gläubigern ausge- handelt werden und bei Verletzung zur sofortigen Fälligstellung des Kredites führen.

(14)

diesen Vertragsklauseln profitieren.29 Problematische Formen würde dieses free riding erst bei Verletzung der covenants annehmen.30

Der Einwand kann nicht ganz überzeugen: Es ist ein bekanntes Ergebnis der spieltheoreti- schen Analyse aller Arten von längerfristigen Vertragsbeziehungen, dass Verhaltensbindun- gen, die eine Vertragsnorm im Verlauf der Beziehung entfaltet, abhängig sind von den pay off-Verteilungen aller denkbarer Endstadien des Spiels (den sogenannten „Endknoten“); eine generell positive Präventionswirkung ex ante kann daher nicht unabhängig von möglichen Spielverläufen konstatiert werden.31 Damit verbunden ist die Frage zu stellen, ob die spezifi- schen Sicherheiten, die von verhandlungsstarken Gläubigern regelmäßig ausbedungen wer- den, tatsächlich ein öffentliches Gut für alle Gläubiger darstellen: So dürfte im deutschen Rechtsraum die Besicherung einzelner Forderungen durch Sachsicherheiten und persönliche Sicherheiten traditionell dominieren.32

In historischer Betrachtung ist die Eindämmung des Trittbrettfahrerproblems wohl einer der wichtigsten Anlässe für das Harmonisierungsprogramm der EU-Gesellschaftsrechtsrichtlinien gewesen. Primäres Motiv der Harmonisierungsaktivitäten auf EU-Ebene ist bekanntlich die Schaffung geeigneter Voraussetzungen für einen freien Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Kapital innerhalb des EU-Binnenmarktes. Einheitliche Standards für den Gläubigerschutz bei beschränkt haftenden Gesellschaften haben dabei die Funktion, ein Marktversagen zu ver- hindern, das entsteht, wenn es für Kapitalgeber aufgrund der hohen Transaktionskosten nicht lohnend ist, ihre Schuldner in anderen EU-Ländern zu überwachen.33

Ein weiterer typischer Handlungsanreiz für den einzelnen Schuldner besteht darin, in Um- schuldungs- bzw. Sanierungsverhandlungen Außenseiterpositionen einzunehmen, d.h. durch die Drohung mit dem möglichen Scheitern der Verhandlungen die eigene Position auf Kosten der anderen Gläubiger zu maximieren. Das hierdurch gegebene Koordinationsversagen ist mit seinen ökonomischen und rechtlichen Implikationen Gegenstand zahlloser Beiträge in der

29 Vgl. etwa Mülbert, Peter O.: Zukunft der Kapitalaufbringung/Kapitalerhaltung, in: Der Konzern, 3/2004, S.

151-162, hier S. 157; Mülbert/Birke: EBOR 2002: a.a.O., S. 714 f.

30 Vgl. Mülbert/Birke: EBOR 2002: a.a.O., S. 714 f.

31 Zur Komplexität von Mehr-Personenspielen vgl. in diesem und ähnlichen Zusammenhängen (G) nur:

Baird/Gertner/Picker: Game Theory and the Law, Cambridge, Mass, 1998, hier S. 188-218.

32 Vgl. zu diesem Befund: Rudolph, Bernd: Zur Funktionsanalyse von Kreditsicherheiten, in: Die Bank 1985, S.

503-507.

33 Vgl. m.w.V. oben, unter Abschnitt 2.

(15)

(andauernden) nationalen und internationalen Diskussion.34 Es steht hier nicht im Vorder- grund, da das geltende Kapitalerhaltungsregime in der Insolvenz keine Regelungswirkungen entfaltet. Wohl aber ist dieses bedeutende Problem der Koordination von Gläubigerinteressen in der Insolvenz ein gewichtiges Argument in der Waagschale gläubigerschützender Regulie- rung durch Insolvenzprävention.

3.3. Zwischenergebnis

Zwingende Gläubigerschutzbestimmungen im Gesellschaftsrecht können grundsätzlich legi- timiert werden, weil es, über die besondere Problematik nicht-vertraglicher Gläubiger hinaus, ein nicht wegzudiskutierendes Problem kollektiver Handlungen, verbunden mit einem oftmals beobachteten Verhandlungsmachtgefälle zwischen den Kontrahenten gibt. Beides führt zu dem voraussehbaren Ergebnis, dass im Wege von Verhandlungen nicht regelmäßig ein second best-Optimum zur Eindämmung gläubigerschädigender, nachvertraglicher Verhaltensanreize gefunden wird. Die radikalen Deregulierungsimplikationen des Vertragsfreiheitsmodells, in dessen Rahmen die Findung eines second best-Optimums auf dem Wege friktionsloser Ver- handlungen stattfindet, sind mithin zumindest zu hinterfragen.

4. Funktionsweise gläubigerschützender Kapitalerhaltungsnormen zur Eindämmung von Marktversagensphänomenen

Ansatzpunkt gläubigerschützender Kapitalerhaltungsnormen ist aus institutionenökonomi- scher Sicht die Eindämmung der negativen Wirkungen vorvertraglicher und nachvertragli- cher Informationsasymmetrie.

4.1. Vorvertragliche Informationsasymmetrien

Zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber besteht ein naturgegebenes Informationsgefälle, das aus den oben genannten Gründen nicht allein durch spontane Signalling- bzw. Screening- Aktivitäten überwunden werden kann. Zwingende Rechtsnormen können möglicherweise die Kosten des Abbaus von Informationsasymmetrie mindern, indem beispielsweise für alle Kre- ditnehmer gleiche Berichtspflichten und Berichtsformate verbindlich gemacht werden.

34 Vgl. hierzu nur monographisch Eidenmüller, Horst: Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz:

Mechanismen der Unternehmensreorganisation und Kooperationspflichten im Reorganisationsrecht, Köln 1999.

(16)

Die Beseitigung von vorvertraglichen Informationsasymmetrien impliziert mithin in erster Linie Informations- und Publizitätspflichten. Eine Möglichkeit, vorvertragliche Informati- onsasymmetrien zu mindern, ist allerdings durch das Zusammenspiel der zwingenden Aus- schüttungssperrvorschriften und der (nach oben hin) freien Wahl der Nennkapitalziffer vorge- geben. Auf Solidität bedachten Unternehmen wird auf diese Weise die Möglichkeit geboten, durch die Satzungswahl einer hohen Nennkapitalziffer ihre Solidität nach Außen hin zu signa- lisieren. Weniger solide bzw. äußerst risikoreiche Unternehmen werden auf das Signal aus Kostengründen verzichten. Ob dieser grundsätzlich tragfähige Signalisierungsmechanismus effizient funktioniert, ist letztlich eine empirische Frage.

Der bisher bekannte Befund hierzu ist fragmentarisch und heterogen. Einige Autoren betonen die geringe, wenn nicht vernachlässigbare Bedeutung der Nennkapitalziffer aus der Sicht der Kreditgeber.35 In anderen Texten wird auf die offensichtliche Nutzung dieses Signalling- Mechanismus hingewiesen, da Firmen, die dem Nominalkapitalregime unterworfen sind, in zahlreichen Fällen eine Grundkapitalausstattung wählen, die sehr viel größer ist als die gesetz- lich Geforderte.36 Insgesamt sind die empirischen Ergebnisse über die Signalling-Hypothese des Nominalkapitalregimes aber zu unklar und zu unsystematisch, um daraus positive Impli- kationen für die Wirksamkeit eines gesetzlichen Nennkapitalregimes herleiten zu können.

4.2. Nachvertragliche Informationsasymmetrien und unvollständige Verträge

Nachvertragliches, gläubigerschädigendes Verhalten lässt sich in vielen Fällen nicht durch handlungsspezifische, vertraglich vereinbarte Verbote unterbinden, da dieses Verhalten ent- weder überhaupt nicht durch Unternehmensexterne beobachtbar oder nicht justiziabel ist.

Aufgrund der mangelnden Justiziabilität derartiger Verhaltensweisen lässt sich das Problem vielfach nicht durch vertragliche Haftungsregeln lösen. Substitut für einzelvertragliche Unter- lassungsregelungen und Haftungsklauseln mögen in diesem Fall allgemeine Kapitalerhal- tungsregeln sein, die wegen der oben angeführten Marktversagensgründe nicht durch einen Kollektivvertrag (Satzung) implementiert werden können. Ob Ausschüttungssperren grund- sätzlich geeignet sind, derartigen Fehlanreizen der Anteilseigner einen wirkungsvollen Riegel

35 Vgl. hierzu m. w. V. Armour, Share Capital and Creditor Protection: a.a.O., S. 20; für eine Stimme aus der Bankpraxis: Walter, Bernhard: Gesetzliches Garantiekapital und Kreditvergabeentscheidung der Banken, in AG 1998, S. 370-372, hier insbes. S. 372.

36 Vgl. hierzu mit Beispielen: Mülbert/Birke: EBOR 2002: a.a.O., S. 716 f. Auf mit dem Nominalkapital verbun- dene Signalisierungseffekte, deren Adressaten nicht die Gläubiger, sondern die Anteilseigner sind, wird an dieser

(17)

vorschieben, soll mit Blick auf einige Varianten nachvertraglichen gläubigerschädigenden Verhaltens weiter analysiert werden. Häufig werden vier verschiedene Verhaltensmuster un- terschieden:37

(i) cash in and run: Bedeutet, dass der Eigenkapitalgeber mit der Kasse einfach „ab- haut“ und im übertragenen Sinne, dass Anteilseigner sich selber mit überhöhten Ausschüttungen bedienen. Naturgemäß lässt sich ein solches Verhalten mittels ge- sellschaftsrechtlicher Regelungen nicht völlig verhindern; die weitgehende Präven- tion von Ausschüttungen, die nicht mit der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vereinbaren sind, ist aber das Kernmotiv des gesellschaftsrechtlichen Kapital- schutzes traditioneller Prägung.

Eine weniger drastisch anmutende Variante des cash in and run-Phänomens ist das sogenannte Unterinvestitionsproblem:38 Es bezeichnet die Gefährdung von Gläu- bigeransprüchen durch den Anreiz für Eigenkapitalgeber, Zahlungsüberschüsse aus fremdfinanzierten Projekten nicht in unternehmensinterne Projekte mit gemes- sen an der Gesamtkapitalrendite positivem Kapitalwert zu reinvestieren, sondern unmittelbar auszuschütten. Die Eigenkapitalgeber nehmen dabei in Kauf, dass durch den dann eintretenden Mangel an unternehmensintern generierten Zahlungs- überschüssen die Fremdkapitalgeberansprüche nicht mehr bedient werden können.

Die Existenz eines Unterinvestitionsproblems kann schon anhand einfacher und, wie es scheint, realitätsnaher Zahlenbeispiele für fremdfinanzierte Investitionspro- jekte belegt werden.39

Das Unterinvestitionsproblem ist dann von potentieller Bedeutung, wenn die (durchschnittliche) Bindungsdauer des aufgenommenen Fremdkapitals höher ist als die (durchschnittliche) Kapitalbindungsdauer der damit finanzierten Investitio- nen. Nach herkömmlichen Verständnis entspricht dies einer „soliden“, weil fris-

Stelle nicht eingegangen, vgl. u.a. Peterson, Craig A./Hawker, Norman W.: Does Corporate Law Matter? , Akron Law Review, Vol. 31 (1997), S. 175-227.

37 Zu diesen Strategieprofilen vgl. Etwa: Brealey, Richard A./ Myers, Stewart C.: Principles of Corporate Fi- nance, Seventh ed., Boston etc. 2003, S. 513-519.

38 Vgl. Wagenhofer/Ewert: Externe Unternehmensrechnung, Berlin, Heidelberg 2003, S. 155 f., (mit Verw. auf Myers, S.C.: Determinants of Corporate Borrowing, in: Journal of Financial Economics, Vol. 5 (1977), S. 147- 175.

39 Zu Beispielen vgl. etwa Wagenhofer/Ewert: Externe Unternehmensrechnung: a.a.O., S. S. 155 f.

(18)

tenkongruenten Finanzierung.40 Unterinvestitionsanreize verstärken sich mit zu- nehmender Fremdkapitalaufnahme, zunehmendem operativen Risikos zunehmen- dem Fremdkapitalzinssatz und zunehmender geforderter Eigenkapitalrendite. Es scheint ein relativ robustes Resultat zu sein, dass Unterinvestitionsanreize sich eindämmen lassen, wenn die Ausschüttungen an die Anteilseigner an den erwirt- schafteten Jahresüberschuss gekoppelt werden. In diesem Fall sind die periodi- schen Ausschüttungen nicht an die Größe „periodischer Zahlungsüberschuss nach Zinsen und Tilgungen“ sondern an die Größe „periodischer Zahlungsüberschuss nach Zinsen und jahresabschlussspezifischen Periodisierungen“ geknüpft. Eine wesentliche Rolle als ausschüttungsverkürzender Bestandteil der Periodisierungen spielen hier die planmäßigen Abschreibungen auf die aktivierten Investitionsaus- gaben. Derartige Abschreibungen verkörpern nichts anderes als die notwendigen Erhaltungsinvestitionen pro Periode. Aber auch anderen Gewinnermittlungsprinzi- pien wie das Realisations- und das Verlustantizipationsprinzip kann in diesem Zu- sammenhang eine präventive Wirkung zugeschrieben werden.41

(ii) Konkursverschleppung: Der Konkursverschleppung entgegen wirken ohne Zweifel die oben beschriebenen Regeln42, denen zur Folge das Sinken der Nennkapitalzif- fer unter eine gewisse Schwelle, etwa unter die Hälfte des Nennbetrages, bestimm- te gesellschaftsrechtliche Konsequenzen auslöst.43 Allerdings beinhalten diese Konsequenzen keine zwingenden Liquidations- oder Restrukturierungsmaßnah- men, weshalb ihre Wirkungskraft nicht überschätzt werden darf.

(iii) gambling for resurrection: So bezeichnet wird die gezielte und vom Gläubiger nicht antizipierte Steigerung des Investitionsrisikos nach Vertragsabschluss, die meistens im Zuge einer Unternehmenskrise auftritt. Bei greifbarer Bestandsge- fährdung der Unternehmung hat die Anteilseignerseite Anreize, „alles auf eine Karte zu setzen“ und Hochrisikopositionen einzugehen. Schlagen sich die einge- gangenen Risiken in überproportionalen Erträgen nieder, so profitieren davon auf-

40 Zur sogenannten „goldenen Bilanzregel“ der fristenkongruenten Finanzierung vgl. etwa: Hill, Wilhelm: Finan- zierungsregeln, in: Wittmann/Grochla (Hrsg.): Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, 4. Aufl., Bd. I, Stuttgart 1974, Sp. 1451-1457.

41 Zu einer monographischen Analyse dieser Zusammenhänge vgl. Leuz, Christian: Rechnungslegung und Kre- ditfinanzierung – Zum Zusammenhang von Ausschüttungsbegrenzung, bilanzieller Gewinnermittlung und vor- sichtiger Rechnungslegung, Frankfurt a. M. u.a. 1996.

42 Vgl. oben, Abschnitt 2.

(19)

grund ihrer Beteiligung am Residualgewinn ausschließlich die Anteilseigner; führt das Pokerspiel zum endgültigen Zusammenbruch, dann haben die Anteilseigner gleichwohl wenig verloren.

Die mangelnde Präventionswirkung von Ausschüttungssperren gegen derartige Handlungsmuster ist ein Schwachpunkt des gesellschaftsrechtlichen Kapitalschut- zes.44 Immerhin ist zumindest auf zwei Aspekte des herrschenden Nominalkapital- regimes hinzuweisen, die im Hinblick auf perverse Anteileigneranreize eine posi- tive Wirkung entfalten: Zum einen ist durch eine gesetzliche Mindestsumme für das eingesetzte Nennkapital eine „Seriösitätsschwelle“ vorgegeben. Zumindest po- tenziell dürfte diese Mindestschwelle geeignet sein zu verhindern, dass das ge- schilderte Verhaltensmuster zu einem ex ante geplanten Massenphänomen wird.45 Zum Anderen wird ein am Gläubigerschutz und am Vorsichtprinzip orientiertes Bilanzrecht die negativen Auswirkungen einer gambling for resurrection –

Strategie tendenziell zeitlich früher transparent machen als eine Rechnungslegung, die dem Kapitalerhaltungsgedanken neutral gegenüber steht.46

(iv) Eintritt in eine höhere Risikoklasse durch nachträgliche Aufnahme hoher Fremd- kapitalvolumina: Hier erfolgt die gezielte Risikosteigerung durch Finanzierungs- dispositionen. Die gesellschaftsrechtlichen Kapitalerhaltungsnormen werden in diesem Zusammenhang neue Fremdkapitalaufnahmen kaum verhindern können;

dies ist definitiv Aufgabe einzelvertraglicher Vorrang- oder Geschäftsbeschrän- kungsklauseln (bond covenants).

4.3. Fazit

Der gesellschaftsrechtliche Kapitalschutz durch Ausschüttungssperren ist primär ein Instru- ment zur Bewältigung der nachvertraglichen Informationsasymmetrien: Er ist grundsätzlich geeignet, überhöhte Ausschüttungen zu unterbinden und damit das sogenannte Unterinvestiti- onsproblem einzudämmen. Grundsätzliche Eignung ist nicht gleichzusetzen mit Effizienz.

43 Zur „Warnlampenfunktion des Kapitals“ vgl. Lutter: AG 1998: a.a.O., S. 376.

44 Vgl. hierzu unten, Abschnitt 5.1.

45 Zum „Seriösitäts“-aspekt vgl. etwa Lutter: AG 1998: a.a.O., hier S. 375.

46 In diesem Sinne auch Schön, Wolfgang: Der Konzern 2004, a.a.O., hier S. 170. Man mag der vorsichtsgepräg- ten Rechnungslegung in diesem Zusammenhang allerdings auch nicht nur positive Seiten abgewinnen, da sie die Bildung stiller Reserven und deren ebenfalls stille Auflösung in Krisenzeiten begünstigt.

(20)

Wesentliche Grundzüge der Kritik am Kapitalerhaltungssystem der EU-Richtlinien werden im Folgenden dargestellt.

5. Das gesellschaftsrechtliche Kapitalerhaltungssystem in der Kritik 5.1. Gläubigerschädigende Investitionsanreize

Ausschüttungssperren können unter bestimmten, modellhaft darstellbaren Bedingungen die Interessenlage der Anteilseigner in Richtung auf eine Risikosteigerung der verfolgten Unter- nehmensstrategie beeinflussen. Dies ist der Fall, wenn in einer Situation gesteigerter Insol- venzgefahr Anreize der Eigenkapitalgeber aufleben, Projekte mit erhöhtem Risiko einzuge- hen. Oben wurde eine derartige Interessenlage unter der Bezeichnung gambling for resurrec- tion skizziert.47 Es findet sich hierfür in der Literatur auch die Bezeichnung „Überinvestiti- onsproblem“.

Die Konstellation lässt sich schon anhand einfacher Zahlenbeispiele nachweisen.48 In Situati- onen hoher Bestandsgefährdung des Unternehmens ist es für die Eigenkapitalgeber generell lohnend, Projekte mit relativ geringer Erfolgswahrscheinlichkeit und deshalb negativem Ge- samtkapitalwert (NPV-Projekte) zu realisieren, sofern die Zahlungscharakteristik dieser Pro- jekte nur hinreichend asymmetrisch ist: Im Falle eines erfolgreichen Ausgangs wird den An- teilseignern als Residualberechtigten ein überdimensionaler Rückfluss beschert; das (wahr- scheinliche) Scheitern des Projekts geht hingegen fast ausschließlich zu Lasten der Gläubiger, da in der gegebenen Krisensituation das Eigenkapital ohnehin aufgezehrt und damit wertlos sein wird. Der beschriebene Überinvestitionsanreiz wird durch die Ausschüttungssperre ten- denziell verschärft: Sie induziert nämlich den Zwang, Zahlungsüberschüsse unternehmensin- tern zu reinvestieren und nicht an die Anteilseigner auszukehren; damit steigt bei hoher Be- standsgefährdung die Wahrscheinlichkeit der Initiierung unmittelbar gläubigerschädigender NPV-Projekte.

Insofern steht der grundsätzlich positiven Wirkung einer bilanziellen Ausschüttungssperre im Hinblick auf die Eindämmung des Unterinvestitionsproblems eine grundsätzlich negative Wirkung im Hinblick auf den gambling for resurrection-Anreiz gegenüber. Die Wirkung gläubigerschützender Ausschüttungssperren lässt sich damit nicht verallgemeinernd voraussa-

47 Vgl. Abschnitt 4.2.

48 Vgl. etwa: Wagenhofer/Ewert: a.a.O., S. 176 f.

(21)

gen. Aufgrund der „Kontextabhängigkeit“ des Nettoeffektes wird in der Literatur ein Verzicht des Gesetzgebers auf die Feinsteuerung des Gläubigerschutzes mit Hilfe regulativ festgelegter Bilanzierungs- und Bewertungsregeln gefordert.49

Wenn man auch die unterschiedlichen Auswirkungen von gesetzlichen Ausschüttungssperren auf die Eindämmung des Unterinvestitions- und des Überinvestitionsproblems nicht von der Hand weisen kann, so besteht m.E. Anlass, die Bedeutung dieses entgegengesetzten trade-offs stark zu relativieren: Risikoprojekte mit negativem Kapitalwert werden aus der Sicht der An- teilseigner erst attraktiv, wenn eine signifikante Bestandsgefährdung des Unternehmens ein- tritt, also mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit die Rechtsposition der Anteilseigner völlig untergeht.50 In dieser Situation ist aber kaum anzunehmen, dass ein Unternehmen erhebliche operative Zahlungsüberschüsse generiert, die (vor jahresabschlusstypischen Periodisierungen) alternativ zur Ausschüttung bzw. zur Thesaurierung zur Verfügung stehen könnten. Die für die Risikoinvestitionen notwendigen Mittel werden in aller Regel wohl aus anderen Quellen gespeist werden müssen.51

Drastisch ausgedrückt: Ist der Patient tatsächlich schon so tot, dass seine Angehörigen in Er- wägung ziehen, ein Auferstehungsspiel zu inszenieren, dann ist auch nicht gerade zu erwar- ten, dass durch die körpereigene Energiezufuhr in Form von unternehmensintern generierten, nicht ausschüttbaren Cash Flows dieses Auferstehungsspiel in seiner Dramatik wesentlich gesteigert wird.

Aus dem Argument der gläubigerschädigenden Investitionsanreize folgt deshalb m. E. keine für den Gesetzgeber relevante Kontraproduktivität von Ausschüttungssperren, sondern viel- mehr die Notwendigkeit, Ausschüttungssperren durch gesetzliche oder vertragliche Präventi- onsmaßnahmen gegen gläubigerschädigende Transaktionen zu flankieren.52

49 Vgl. Wagenhofer/Ewert: a.a.O., S. 181.

50 Wagenhofer/Ewert legen in ihren Beispielsrechnungen eine Wahrscheinlichkeit von 50 % zu Grunde. Vgl.

a.a.O., etwa S. 181.

51 Ewert/Wagenhofer: BFuP 2003, a.a.O., S. 608, betonen in diesem Zusammenhang die Wirksamkeit sogenann- ter „Finanzinvestitionen“, d. h. letztlich derivativer Geschäfte an vollständigen Kapitalmärkten. Der Begriff

„Investitionen“ ist insofern irreführend, als es für derivative Transaktionen in den meisten Fällen nur eines ge- ringen anfänglichen Mitteleinsatzes bedarf.

52 Das in der neuesten Rechtsprechung des BGH entwickelte Konzept der „Haftung für existenzvernichtende Eingriffe“ kann in diesem Zusammenhang als sehr präziser Reflex auf die gambling for resurrection-

Problematik betrachtet werden; vgl. insbes. BGHZ 149, 10, 16 f. = WM 2001, 2062 (Bremer Vulkan). Vgl. hier- zu auch: Lombardo/Wunderlich: a.a.O., insbes. S. 20-26.

(22)

5.2. Materielle Gehaltlosigkeit der Nennkapitalziffer

Die Nennkapitalgröße entzieht sich einer materiellen Interpretation vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten an einem Stichtag. Keineswegs repräsentiert sie den Wert einer Bestandsgröße, der aufgrund von Erwartungen und Marktinformationen zu einem Stich- tag hergeleitet wurde, sondern sie ist allein als historische Größe anzusehen: Wenn ein Unter- nehmen ein Nennkapital von 1 Mio € besitzt, so bedeutet dies nicht mehr und nicht weniger, als dass den Vermögensgegenständen, die von Anteilseignern eingelegt wurden, zum Zeit- punkt der Einlage ein Marktwert von 1 Mio € zugemessen wurde.

Im Unterschied zu anderen Kapitalerhaltungskonzeptionen ist es bei der sogenannten nomina- len Kapitalerhaltungskonzeption deshalb von vornherein unklar, welcher materielle Gehalt einer Kapitalgröße mit der Bezeichnung „Nominalkapital“ überhaupt zukommen soll.53 Sie ist weder als Volumen eines in Zeitwerten gemessenen Vermögensbestandes noch als Kapital- wert einer künftigen Zahlungscharakteristik interpretierbar. Eine Begriffsausdeutung ist nur unter Bezugnahme auf die konkreten Rechnungslegungsregeln möglich:

„Nominalkapital ist der Gegenwert der von den Anteilseignern eingelegten Vermö- gensgegenstände bewertet auf der Grundlage der wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Einlage zuzüglich der nach den geltenden Rechnungslegungsvorschrif- ten entnahmefähigen, aber nicht entnommenen Gewinnen.“

Diese Definition der Bestandsgröße „Nominalkapital“ macht auf die Schwierigkeit einer ma- teriellen Konkretisierung dessen aufmerksam, was durch die nominelle Kapitalerhaltung in seinem Bestand geschützt werden soll. Sie veranschaulicht überdies, dass die Zielvorstellung nominaler Kapitalerhaltung nicht etwa eine teleologische Deduktionsgrundlage für die Kon- struktion von Rechnungslegungsregeln bieten kann: Denn was als Nominalkapital durch einen bestimmten Entwurf oder eine bestimmte Auslegung von Bilanzierungsregeln erhalten wer- den soll, wird ja gerade erst durch die Anwendung dieser Bilanzierungsregeln definiert. Der Versuch der Deduktion aus dieser Zielvorstellung muss deshalb in einen Zirkelschluss mün-

53 Für einen Ansatz, Nominalkapital als ökonomische Bestandsgröße zu interpretieren, vgl. Krümmel, Hans- Jacob: Pagatorisches Prinzip und nominelle Kapitalerhaltung, in: FS Forster, S. 307-320.

(23)

den.54

Konzeptionell kann eine Nominalkapitalgröße allenfalls als ein Puffer verstanden werden, für den zumindest die c.p.-Vermutung gilt, dass mit steigendem Volumen dieses Puffers die In- solvenzwahrscheinlichkeit sinkt.55 Nach der geltenden Gesetzeslage fehlt aber jede Differen- zierung des Umfangs dieses Puffers entsprechend der spezifischen Risikosituation einer Ge- sellschaft:56 Die Nennkapitalanforderungen der II. EG-Richtlinie geben für alle Unternehmen eines gleichen gesellschaftsrechtlichen Typus eine Mindestschwelle für das aufzubringende Nennkapital vor; sie differenzieren nicht entsprechend der von den einzelnen Unternehmen zu tragenden finanziellen und operativen Risiken, wie dies etwa im Bankaufsichtsrecht der Fall ist. Es ist aus diesem Grunde unzulässig, die aktienrechtliche Nennkapitalziffer als individuel- les Risikopolster anzusehen.

Weiterhin wirken Nominalkapitalziffern allenfalls präventiv: Im Insolvenzfall haben sie keine Bedeutung, da sie für die im Insolvenzfall stattfindende Umschichtung von Verfügungsrech- ten unerheblich sind.

5.3. Mangelnde Anpassungsfähigkeit des nominellen Kapitalerhaltungsregimes an die Entwicklungsdynamik von Unternehmen

Kritik erfahren die einzelnen, dem Kapitalschutz gewidmeten Regelungen der II. EG- Richtlinie wegen ihrer vorgeblichen Inflexibilität und mangelnden Anpassungsfähigkeit an wiederkehrende Situationen im Lebenszyklus von Unternehmen.57 So wird das Verbot der Einlage von Dienstleistungen als Wachstumshemmnis für junge Unternehmen bezeichnet.58 Die Restriktionen, denen der Erwerb eigener Anteile unterliegt, gelten als Hindernis für allfäl- lige Umstrukturierungsmaßnahmen, so für die Abfindung von dissentierenden Gesellschaf- tern, für den Ausstieg von Gründungsgesellschaftern, oder für die Umstrukturierung der Kapi-

54 U.a. ist im GoB-System von Baetge die Zielvorstellung der Kapitalerhaltung auf hoher Hierarchieebene ange- siedelt; vgl. etwa Baetge/Kirsch/Thiele: a.a.O., S. 117. Gegen die Vorstellung der Kapitalerhaltung als Grundla- ge für die Lösung von Auslegungsproblemen vgl. Leffson, Ulrich: Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 7. Aufl., Düsseldorf 1987, insbes. S. 102 f.

55 Vgl. aber hierzu die Kritik von D. Schneider, Betriebswirtschaftslehre Bd. 2 – Rechnungswesen, 2. Aufl.

München, Wien 1997, S. 318-324.

56 Vgl. etwa Mülbert: Der Konzern 2004, a.a.O., S. 154.

57 Vgl. zu den folgenden Punkten auch: Mülbert/Birke: a.a.O., S. 721 f., und den knappen Katalog von Kritik- punkten bei: Schön, Wolfgang: Editorial, ZHR, 166. Jg. (2000), S. 1-5, hier: S. 2.

58 Vgl. Enriques/Macey: a.a.O., S. 1195.

(24)

talstruktur bei einem leveraged buy out.59 Die strikte Anknüpfung möglicher Ausschüttungen an kumulierte Buchgewinne könne zur Zwangsthesaurierung von liquiden Mitteln führen, für die unternehmensintern keine Verwendungsmöglichkeit zu positiven Gegenwartswerten be- stünde.60 Das Verbot der unter-pari-Ausgabe von Aktien schließlich behindere insbesondere in Sanierungsfällen zusätzliche Kapitalaufnahme, da bei teilweiser Aufzehrung des Nennkapi- tals hierfür erst eine Kapitalherabsetzung erforderlich ist.61

5.4. Mangelnde Eignung für ein effizientes Signalling durch Eigenkapitaltransaktionen

Veränderungen der Kapitalstruktur sind ein verbreitetes Instrument, um Informationsasym- metrien zu überbrücken. Das institutionenökonomische Schrifttum beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit der Analyse der Funktionsweise dieses Instruments, und es darf als gesicher- tes Wissen gelten, dass beispielsweise die Signalisierung der Ertragsperspektiven durch Va- riation der Dividendenhöhe ein geeignetes Mittel der Kapitalmarktinformation darstellt.62 Es liegt auf der Hand, dass ein Nominalkapitalerhaltungsregime diesem Mechanismus Schranken setzt.63 Dasselbe gilt für die sehr weit gehenden Restriktionen des Rückkaufs eigener Aktien:

Wenn ein Management der Meinung ist, die eigene Aktie sei unterbewertet, und diese Auffas- sung auf nur unternehmensintern bekannte Informationen stützt, dann mag diese Möglichkeit insbesondere auch in Krisensituationen am Kapitalmarkt ein sehr effektives Signalisierungs- instrument darstellen. Der so motivierte Rückkauf eigener Aktien wurde wohl von einzelnen Unternehmen im New Yorker Börseneinbruch im Oktober 1987 zur Eindämmung des Kurs- verfalls der eigenen Aktie erfolgreich eingesetzt.64

59 Vgl. Enriques/Macey: a.a.O., S. 1197 mit Blick auf Art. 23, II. EG-Richtlinie.

60 Vgl. Enriques/Macey: a.a.O., S. 1196. Die Überzeugungskraft dieses Arguments dürfte allerdings als nicht besonders hoch zu veranschlagen sein, da der ausschüttungsfähige Bilanzgewinn i. a. R. (s.o.) nicht etwa einen geringeren, sondern einen größeren Umfang hat als der ökonomische Mehrwert (economic value added) eines Projektes aus der Sicht der Eigenkapitalgeber.

61 Vgl. Enriques/Macey: a.a.O., S. 1199.

62 Vgl. hierzu nur monographisch: Hartmann-Wendels, Thomas: Dividendenpolitik bei asymmetrischer Informa- tionsverteilung, Wiesbaden 1986.

63 Vgl. etwa Enriques/Macey: a.a.O. S. 1196 f.

64 Vgl. hierzu sowie allgemein zum Signaleffekt von Aktienrückkäufen: Kübler, Friedrich: Rules of Capital Under Pressure of the Securities Markets, in: Hopt/Wymeersch (Hrsg.): Capital Markets and Company Law, Oxfort 2003, S. 95-143, hier S. 102.

(25)

5.5. Hohe Kosten der Durchsetzung eines nominellen Kapitalerhaltungsregimes

Von Kritikern werden die unmittelbar entstehenden hohen Kosten eines Nominalkapitalerhal- tungsregimes angeprangert, die von den inkorporierten Unternehmen selbst zu tragen sind, aber auch zu einem guten Teil die Gemeinschaft betreffen. Zu denken ist insbesondere an Gerichtskosten, Gutachterkosten, Notarkosten und Rechtsanwaltskosten.65

5.6. Fazit der Kritik und Reformmöglichkeiten

Die Kapitalerhaltungsvorschriften der II. EG-Richtlinie haben vor allem die Funktion, zu ge- währleisten, dass Geld- und Vermögenswerte, die einmal als Einlagen eingebracht wurden, nur unter den sehr restriktiven Voraussetzungen einer Kapitalherabsetzung wieder an die An- teilseigner herausgekehrt werden können; Ausschüttungen sind während der Lebensdauer der Gesellschaft grundsätzlich nur aus aufgelaufenen Gewinnen zu dotieren. Es wurde dargestellt, dass dieses Normengeflecht grundsätzlich geeignet ist, Unterinvestitionsprobleme einzudäm- men. Allerdings sind die gesellschaftsrechtlichen Kapitalerhaltungsnormen hierzu ein eher schwerfälliges Instrument, da sie nicht entsprechend der eingegangenen Risiken differenzie- ren. Überdies entfalten diese Normen eine große Bindungswirkung, die vor allem auf Kosten der Flexibilität zur situationsbezogenen Umstrukturierung der Finanzierungsstruktur geht.

Zu einer Flexibilisierung des hergebrachten Kapitalerhaltungssystems werden einige Ände- rungen vorgeschlagen:66 So ist zu erwägen, die Höhe des ausschüttungsgesperrten Nennkapi- tals völlig in das Ermessen der Anteilseigner zu stellen, die durch die autonome Bestimmung der Ausschüttungsschwelle den Gläubigern der Gesellschaft ein „kollektives Vertragsange- bot“67 kommunizieren könnten. Diese Änderung hätte bei Fortbestand aller anderen Mecha- nismen des Kapitalerhaltungsregimes die Beseitigung des gesetzlichen Mindestbetrags zur Folge. Damit verbunden wäre eine Abkopplung der gläubigerschützenden Funktion der Nenn- kapitalziffer von den übrigen Funktionen der Kapitalerhaltung:68 Kapitaleinlagen könnten

65 Vgl. insbes. Enriques/Macey: a.a.O., S. 1184 f. Kritik an der Komplexität der gesellschaftsrechtlichen Kapital- erhaltungsvorschriften (und damit auch an ihren Kosten) wird ebenfalls von Seiten deutscher Gesellschaftsrecht- ler geübt. So spricht etwa Merkt von „(...) einem Maß an Überzüchtung (...), das sich durch den Zweck des Gläubigerschutzes kaum rechtfertigen lässt.“ Merkt: a.a.O., ZGR 2004, S. 311.

66 Vgl. hierzu Schön, Der Konzern 2004, a.a.O., S. 165-168 (m.w.V.).

67 Schön, Der Konzern 2004: a.a.O., S. 166.

68 Nicht im Vordergrund steht in diesem Beitrag die bedeutende Funktion des Nennkapitalregimes zur Klärung der Rechtsverhältnisse der Gesellschafter untereinander in Abhängigkeit ihres jeweiligen Anteils am Nennkapi- tal.

(26)

künftig ohne eine Erhöhung des Nennkapitals stattfinden; spiegelbildlich wäre die Zurückfüh- rung von Kapitaleinlagen ohne Kapitalherabsetzung möglich, soweit diese Kapitaleinlagen größer sind als die in der Satzung festgelegte, den Gläubigern als „Pfand“ gewidmete Nenn- kapitalziffer. Voraussetzung einer solchen Änderung wäre die Einführung echter nennwertlo- ser Aktien.69

Weiter in Betracht käme eine Ausdehnung der Erwerbsmöglichkeiten eigener Aktien über die 10%-Grenze hinaus. Die Gläubigerschutzfunktion des Kapitalerhaltungsregimes würde hier- durch nicht unmittelbar eingeschränkt.70

6. Regulierungsalternativen zum Gläubigerschutz durch gesellschaftsrechtliche Kapital- erhaltung

6.1. Die verbleibende Bedeutung bilanzbasierter Ausschüttungssperren in Rechtskreisen ohne nominelles Kapitalerhaltungsregime

Der sehr weitgehende Bedeutungsverlust der Nennkapitalziffer in einigen Rechtskreisen ist nicht begleitet von einer ebenso einschneidenden Zurückdrängung der übrigen Instrumente der Kapitalerhaltung durch bilanzielle Ausschüttungssperren. So sieht der US Revised Model Business Corporations Act, nach dem zahlreiche Gesellschaftsrechte in einzelnen US-

Bundesstaaten gestaltet sind, neben der voraussichtlichen Zahlungsfähigkeit das Vorhanden- sein eines positiven Bilanznettovermögens (nach Abfindung der Vorzugsaktionäre) als Be- dingung für Ausschüttungen vor.71 Es ist dem Management anheimgegeben, dieses Nettover- mögen anhand alternativ möglicher, der Situation angemessener Bewertungsstandards (US- GAAP, Zeitwerte, u.a.) zu bestimmen.72 Im kalifornischen Corporations Code ist das Vor- handensein positiver Gewinnrücklagen, oder alternativ die Erfüllung einer bestimmten Relati- on zwischen Vermögenswerten und Schulden, Voraussetzung für Ausschüttungen an die An- teilseigner.73 Bei dem Bilanztest sind die US-GAAP zugrunde zu legen, allerdings unter Nichtberücksichtigung bestimmter in ihrem Wert unsicherer Positionen (z. B.: Goodwill, im- materielle Vermögenswerte, latente Steuern, deferred charges). Und im schon angesproche-

69 Schön, Der Konzern 2004, a.a.O., S. 170, mit Verw. High Level Group, a.a.O., S. 89 f.

70 Vgl. ebd.

71 Vgl. US Revised Model Business Corporations Act, Sec. 6.40 c (2).

72 Vgl. US Revised Model Business Corporations Act, Sec. 6.40 c (2).

73 Cal. Corp. Code, Sec. 500 (a), (b). Der Bilanztest nach sec. 500 (b) (1) ist zusätzlich flankiert durch die erfor- derliche Einhaltung einer horizontalen Bilanzierungsregel (Umlaufvermögen/kurzfristige Verbindlichkeiten > 1), sec. 500 (a) (2)).

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

JUnit Test Infected: Programmers Love Writing Tests, JUnit: a Cook's Tour, JUnit FAQ, JUnit JavaDoc.

Rainer Hahn verwendet mit den Cumdente AS-V Implants ein völlig neues Implantatdesign, das sich durch eine dreidimensional ausgeform- te Implantatschulter mit beidsei-

Rainer Hahn verwendet mit den Cumdente AS-V Implants ein völlig neues Implantatdesign, das sich durch eine dreidimensional ausgeform- te Implantatschulter mit beidsei-

Geschlossen werden individuelle Verträge zwischen VN und VU, die unterschiedliche Leistungen enthalten und abhängig von Risiko und Selbstbehalt des Versicherungs- nehmers

Nach einer bestimmten Wartezeit werden die passivierten Überschussanteile der RfB entnommen und auf die Verträge der Versicherungsnehmer verteilt. Spätestens nach fünf Jahren muss

We therefore consider the properties and contribution of fair value reporting to decision usefulness from two conceptual viewpoints, the measurement and the information

Einen Ausweg aus diesem Dilemma zeigt etwa eine im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht entwickelte Regel auf, nach der sich die Unternehmensführung bei Vorhanden- sein

Business Process Modelling ist diejenige Lösungsdisziplin, welche Anforderungen an Geschäftprozesse umsetzt in Modelle, welche auf konzeptioneller Ebene die