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UNIVERSITÄT ZU KÖLN

SEMINAR FÜR ABWL, RISIKOMANAGEMENT UND VERSICHERUNGSLEHRE

Direktor: Prof. Dr. H. R. Schradin

Hausanschrift: Kerpener Straße 30

50937 Köln

Postanschrift: Universität zu Köln

50923 Köln

Telefon: 0221/470 -2308 Büro

-5632 Sekretariat -2234 Bibliothek Telefax: 0221/42 83 49 Büro

Struktur der Versicherungswirtschaft

von

Prof. Dr. Peter Albrecht und Prof. Dr. Heinrich R. Schradin

I. Zur Bedeutung der Versicherungswirtschaft als Wirtschaftszweig II. Marktparteien und ihre Typologie

III. Objekte des Marktverkehrs (Versicherungsprodukte) IV. Marktprozesse

V. Perspektiven

I. Zur Bedeutung der Versicherungswirtschaft als Wirtschaftszweig

Versicherungswirtschaft kennzeichnet als Oberbegriff die einzel- und gesamtwirtschaftlich bedeutenden Sektoren der privaten Versicherungswirtschaft (Individualversicherung) und der Sozialversicherung. Die Sozialversicherung hat überwiegend eine Basissicherung natürlicher Personen (private Haushalte) zum Gegenstand und ist dabei auf ausgewählte Risikoberei- che, wie insbesondere Arbeitslosigkeit, Unfall-, Krankheits-, Invaliditäts- und Pflegerisiko sowie auf die Altersvorsorge beschränkt. Die Sozialversicherung folgt dabei dem Grundprin- zip einer Pflichtversicherung und einer an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten anknüpfenden Beitragsbemessung. Auch die private Versicherungswirtschaft dient der Sicherung des Einzelnen vor wirtschaftlichen Notlagen und bietet Versicherungs-

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schutz an, der die Leistungen der Sozialversicherung teilweise substituiert, im Wesentlichen jedoch ergänzt und dabei nicht auf bestimmte Risikobereiche beschränkt ist. Die private Versicherungswirtschaft ist von der Grundidee der freiwilligen Ver- tragsvereinbarung getragen, wobei sich die individuelle Prämienzahlung an der Risikoexposition des einzelnen Versicherungsnehmers bemisst. Die Ausführungen konzen- trieren sich im Folgenden auf die private Versicherungswirtschaft.

Der einzelwirtschaftliche Versicherungseffekt besteht in der Überwälzung negativer wirt- schaftlicher Folgen aus unsicheren Ereignissen vom Versicherungsnehmer auf das Versicherungsunternehmen gegen Bezahlung einer fest vereinbarten Prämie (Risikotrans- fer gegen Entgelt). Das auf diese Weise entstehende „Gefühl finanzieller Sicherheit“ bewirkt unmittelbar eine individuelle Wohlfahrtssteigerung und fördert zugleich die bewußte Ausei- nandersetzung mit der individuellen Risikosituation im Sinne einer eigenverantwortlichen Vorsorge (Rationalitätseffekt). Versicherungsschutz ist damit ein Instrument des Risiko- managements zur sozialen Sicherung und finanziellen Stabilisierung der Einzelwirtschaften (Stabilisierungseffekt).

Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive erfüllt die Versicherungswirtschaft im Rahmen ih- rer Sicherungsfunktion diverse Teilfunktionen: Durch planmäßige Kollektivierung werden individuell unsichere Ereignisse schätzbar und wirtschaftlich steuerbar (Organisationsfunk- tion, Risikotransformation). Der großen Anzahl an Prämienzahlern steht eine weitaus geringere Anzahl von Zahlungsempfängern gegenüber (Umverteilungsfunktion). Zur Si- cherung und angemessener Befriedigung der Versichertenansprüche bedarf die Versicherungswirtschaft erheblicher finanzieller Mittel (Kapitalsammelfunktion) und gut ausgebildeter Mitarbeiter (Arbeitgeberfunktion).

Im internationalen Vergleich belegt die deutsche Versicherungswirtschaft (Kennzahlen in Tab. 1), nach dem Prämienvolumen des Jahres 1997 gemessen, nach den USA, Japan und Großbritannien den vierten Platz.

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1996 1997 1998 Anzahl der in Deutschland tätigen Versicherungsunternehmen

ohne kleine Vereine davon

Lebensversicherer

Pensions- und Sterbekassen Krankenversicherer

Schaden- /Unfallversicherer Rückversicherer

Davon

Aktiengesellschaften

Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit Öffentlich-rechtliche Versicherungsunternehmen Niederlassungen ausländischer Versicherer Stückzahl der Versicherungsgeschäfte (Mio.) Bruttoprämieneinnahmen (Mrd. DM)

Erstversicherung gesamt1 Davon

Lebensversicherung Krankenversicherung

Schaden-/Unfallversicherung Rückversicherung gesamt2

Versicherungsleistungen Erstversicherung gesamt (Mrd. DM) Kapitalanlagen (Buchwerte in Mrd. DM)

Anzahl der Arbeitnehmer (Tsd.)

Anzahl der Versicherungsvermittler (Tsd.) Prämieneinnahmen in % des Sozialproduktes Prämieneinnahmen pro Einwohner (DM)

466

125 6 46 253 36 345 93 31 17 381a

234 94 34 102 56 b 253 1.221 242 62 6,7 2.858

463

123 7 46 251 36 326

93 28 16 383a

240 98 36 102 58 b 258 1.346 239 63 6,6 2.930

462

123 6 48 247 38 327 91 27 17 7 387a

244 103 38 100 62 b 270 1.466 239 63 6,5a 2.979

1 deutsches (direktes) Geschäft 2 Weltgeschäft 3 inkl.Versicherungsmakler

a z. T. geschätzt b vorläufig

Quellen: Geschäftsberichte des BAV; Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland und ande- re

Ein detaillierterer Einblick in die Struktur der Versicherungswirtschaft ergibt sich durch die Be- trachtung der beteiligten Marktparteien und deren Typologie, der Objekte des Marktverkehrs mit ihren Gestaltungsformen und Preisen sowie durch Analyse der Marktprozesse und deren Regulierung. Im Folgenden werden ausgewählte Aspekte dieser allgemeinen Charakterisie- rung vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen und den damit verbundenen Perspektiven dargestellt.

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Versicherungs- nehmer

Finanzmärkte (Börsen, Investmentbanken) Erstversicherer

EVU

Rückversicherer RVU

Traditioneller Risikotransfer

Alternativer Risikotransfer Versiche-

rungs-

Versicherungsaufsicht / Rechenschaftslegung

Versicherer als Investoren (Vermögensanlage der VU)

Finanzmärkte als Investoren (Finanzierung der VU)

II. Marktparteien und ihre Typologie 1. Versicherungsnehmer

Die demographische und gesamtwirtschaftliche Entwicklung sowie der gesellschaftliche Wertewandel beeinflussen das Nachfrageverhalten und den Versicherungsschutzbedarf.

Neben Marktsegmenten mit starken Sättigungstendenzen entwickeln sich neue Ge- schäftsfelder und Erfolgspotenziale. Versicherungsnehmer sind natürliche oder juristische Personen. Der Versicherungsschutzbedarf privater Haushalte ist wesentlich von der jewei- ligen Lebenszyklusphase und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abhängig. Für bestimmte Berufsgruppen besteht, besonders in der Haftpflichtversicherung, Versiche- rungspflicht. Die privaten Haushalte als Versicherungsnachfrager verhalten sich zumeist eher passiv und affektiv und entsprechen nur in geringem Maße dem Typ des rationalen Kunden. Unternehmenskunden treffen ihre Versicherungsentscheidungen idealtypisch auf der Grundlage eines Risikomanagement-Konzeptes. Dabei bestimmen Besonderheiten von Wirtschaftszweig, Wettbewerbsumfeld und Rechtsnatur sowie die unternehmenspoliti- schen Ziele den Versicherungsbedarf. Als aktuelle übergreifende Trends im Bereich der Unternehmenskunden sind Tendenzen zu höheren Selbstbehalten (incl. Captives) bzw. zu einer Konzentration auf Risikospitzen, zu innovativen Formen der Risikofinanzierung und zu einer ganzheitlichen Betrachtung sämtlicher Unternehmensrisiken im Rahmen einer un-

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ter Rendite- und Risikogesichtspunkten ausgewogenen Unternehmenssteuerung (holisti- sches Risikomanagement) zu beobachten. Vor diesem Hintergrund tritt seitens der Versicherer an die Stelle einer undifferenzierten Unternehmenspolitik verstärkt das Erfor- dernis einer differenzierten, auf Marktsegmente bezogenen Steuerung. Der segmentspezifische Gestaltungsspielraum der Versicherungsunternehmen - in Deutsch- land vor allem im Geschäft mit den privaten Versicherungsnehmern - hat sich seit dem 1.7.1994 mit dem Wegfall der präventiven aufsichtsamtlichen Produktkontrolle erheblich erweitert.

2. Versicherungsvermittler

Versicherungsvermittler unterscheiden sich formal in ihrer rechtlichen und ökonomischen Be- ziehung zu den Versicherungsunternehmen. Firmengebundene Vermittler im Angestelltenverhältnis oder auf der Grundlage eines Agenturvertrages dominieren in Deutschland den Versicherungsvertrieb im Bereich der privaten Haushalte. Mehrfachagenten und Makler sind hier überwiegend auf die Segmente und Kundengruppen des gehobenen Bedarfs spezialisiert. Zunehmende Bedeutung wird den Vertriebskanälen über Kreditinstitute (Allfinanzpolitik) und elektronische Medien (Internet, E-Commerce) eingeräumt. Die Direkt- versicherung, welche auf den Einsatz von Versicherungsvermittlern verzichtet und durch unmittelbare Kommunikation zwischen Versicherungsnehmern und Versicherungsunterneh- men erfolgt, ist in Deutschland die Ausnahme. Das Industriegeschäft ist weltweit durch ein Makleroligopol gekennzeichnet. Auf diesem Geschäftsfeld fungieren die Vermittler als Bera- tungs- und Beschaffungsagenten der Nachfrager und nehmen in Zeiten ausreichend verfügbarer Marktkapazität erheblichen Einfluß auf die Produkt- und Prämiengestaltung der Versicherungsunternehmen. Hinzu tritt das Gruppenversicherungsgeschäft, welches über Verbände, Vereine und ähnliche Organisationen abgewickelt wird.

3. Versicherungsunternehmen

Versicherungsunternehmen können nach ihrer Rechtsform oder aber nach dem Gegenstand ihrer spezifischen Geschäftstätigkeit systematisiert werden. Die gesetzlich zulässigen Rechts- formen der Versicherungsunternehmen sind der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit

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(VVaG), bei welchem die Versicherungsnehmer überwiegend zugleich Mitglieder des Vereins sind, die Versicherungsaktiengesellschaft sowie die überwiegend regional tätigen öffentlich- rechtlichen Versicherungsunternehmen, deren Träger etwa Gebietskörperschaften oder Sparkassen sowie deren Verbände sind. In den genossenschaftsähnlich organisierten Versi- cherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und in den öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen wird gegenwärtig die Frage des Rechtsformwandels zur Versi- cherungsaktiengesellschaft unter den Gesichtspunkten Unternehmenskonzentration und Wettbewerb kontrovers diskutiert.

Die Typologie der Versicherungsunternehmen nach dem Gegenstand der Geschäftstätigkeit unterscheidet zunächst zwischen Erst- und Rückversicherungsunternehmen. Reine Erstver- sicherungsunternehmen betreiben Versicherungsgeschäfte ausschließlich mit Nicht- Versicherungsunternehmen. Kunden der reinen Rückversicherungsunternehmen sind aus- schließlich bzw. zum Großteil Versicherungsunternehmen. In der Unternehmenspraxis betreiben zahlreiche Erstversicherungsunternehmen auch Rückversicherungsgeschäfte. Als weitere Erscheinungsform haben sich in der Vergangenheit unternehmens- bzw. konzernei- gene Versicherungsgesellschaften gebildet. Als sogenannte Captives dienen sie wesentlich der Konzernsteuerung des Versicherungsnehmers durch konzernweite Risikobündelung, unmittelbaren Zugang zum weltweiten Rückversicherungsmarkt und internationale Steuerop- timierung.

Nach dem Art und Umfang der Geschäftstätigkeit ist zwischen Universal- und Spezialver- sicherungsunternehmen, die sich auf bestimmte Versicherungszweige, Risikoarten oder Kundengruppen konzentrieren, zu unterscheiden. Diese Dichotomisierung der Anbieter- struktur geht mit dem Fortschreiten der Unternehmenskonzentration auf den Versicherungsmärkten einher. Über das Ausmaß der Anbieter-Konzentration auf den Teil- Versicherungsmärkten in Deutschland können zunächst folgende Zahlen Aufschluß ge- ben. 1998 betrug der Marktanteil (gemessen am Bruttoprämienvolumen) der jeweils 4 bzw. 10 größten Versicherungskonzerne im Bereich der Lebensversicherung 45,77 % (63,26 %), im Bereich der Privaten Krankenversicherung 50,08 % (67,31 %) und im Be- reich der Schaden-/Unfallversicherung 43,45 % (61,34 %). Dieses im internationalen Vergleich noch immer eher geringe Ausmaß der Anbieter-Konzentration auf dem deut-

schen Versicherungsmarkt wird in Zukunft durch weitere Unternehmenszusammenschlüsse mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter erhöht werden.

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Dabei sind insbesondere die größeren und kapitalstarken Versicherungsunternehmen um ei- ne internationale Präsenz bemüht und versuchen gleichzeitig, auf den jeweils nationalen Märkten einen als angemessen erachteten Marktanteil zu erreichen bzw. zu sichern. Die fortschreitende Unternehmenskonzentration ist somit Ergebnis und zugleich Katalysator des zunehmenden Intra- und Interbranchenwettbewerbs im Finanzdienstleistungssektor.

Ein weiteres Typisierungmerkmal betrifft den Grad der Internationalisierung der Geschäftstätigkeit von Versicherungsunternehmen. Zunächst ist die Internationalität des Versicherungsgeschäfts weniger durch den Export im Inland produzierter Dienstleistung gekennzeichnet als durch den Erwerb ausländischer Produktionsstätten und - organisationen. Ausländische Versicherungsunternehmen können in Deutschland über Tochtergesellschaften oder über Niederlassungen Versicherungsprodukte anbieten. Darüber hinaus besteht für europäische Versicherer die Möglichkeit, im Wege des freien Dienstleis- tungsverkehrs innerhalb der Union Versicherungsprodukte zu veräußern, wovon allerdings zur Zeit nur in geringfügigem Ausmaße Gebrauch gemacht wird. Ausländische Erstversiche- rungsunternehmen konnten 1997 einen im Prämienvolumen gemessenen Marktanteil von ca. 13 % erwirtschaften. Unterschiede ergeben sich hier allerdings je nach betrachtetem Teil- Versicherungsmarkt, wobei die Bereiche der Schaden-/ Unfallversicherung und der Lebens- versicherung stärker international geprägt ist als die spezifisch national geprägte Private Krankenversicherung in Deutschland. Ausländische Anbieter auf dem deutschen Versiche- rungsmarkt sind überwiegend europäischer Herkunft, es dominieren insbesondere die Deutschland benachbarten Länder wie Frankreich, Schweiz, Niederlande, Großbritannien und Italien. Als eher geringfügig sind die Aktivitäten sog. Drittlandunternehmen anzusehen.

Die Dominanz der in den Nachbarländern Deutschlands angesiedelten ausländischen Anbie- ter unterstützt die räumliche und mentale Nähe berücksichtigende These des "all business ist local" für den Wirtschaftszweig der Versicherung.

Traditionell erfolgte der Wettbewerb unter den deutschen Versicherungsunternehmen ü- berwiegend auf dem Felde der Distributions- und Kommunikationspolitik. Mit dem Wegfall der präventiven Produktkontrolle am 1. Juli 1994 bestehen zusätzlich Möglichkeiten einer weitgehend freien Produkt- und Prämiengestaltung. Vor dem Hintergrund der zunehmend differenzierten Kundenbedürfnisse und –verhaltensweisen erhebt sich für das Versiche- rungsmanagement die Frage, nach welchen Maßstäben und Regeln die naturgemäß beschränkten Ressourcen auf die Aktivitätenfelder (Marktsegmente) aufzuteilen sind. Die

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hieraus resultierenden Chancen und Risiken für die Qualität des Versicherungsproduktes und der Versicherungsproduktion sowie für die Finanz- und Ertragslage der Versiche- rungsunternehmen sind vielfältig und stellen die Versicherungswirtschaft vor eine Vielzahl von Herausforderungen im Hinblick auf ein effektives und zugleich effizientes Risiko- und Ertragsmanagement.

4. Entwicklung auf den Finanzmärkten

Die teilweise revolutionär anmutende Entwicklung auf den Finanzmärkten birgt insbeson- dere für Finanzintermediäre wie die Versicherungsunternehmen eine nahezu unüber- schaubare Vielfalt neuartiger Gefahren und Gelegenheiten. Dies betrifft zunächst offensichtlich den Bereich der Kapitalanlagepolitik (Versicherungsunternehmen als Inves- toren). So ist beispielsweise der Aktien- und Investmentfondsanteil am Anlageportefeuille der Versicherungsunternehmen seit der zweiten Hälfte der 80er Jahre deutlich angewach- sen. Auch verzeichnen strukturierte Anlageprodukte mit zum Teil weitreichenden Gestaltungsspielräumen für die Beteiligten zunehmendes Interesse. In wachsendem Um- fang nutzen die Versicherungsunternehmen die hochentwickelten Instrumente der Terminmärkte zur Erwerbsvorbereitung, Ertragsmehrung und Portefeuillesicherung. Ande- rerseits induziert die Entwicklung der Finanzmärkte veränderte Wünsche und Bedürfnisse auf Seiten der Versicherungsnehmer. Dies gilt sowohl für das Schaden-/Unfall- aber vor allem auch für das Personenversicherungsgeschäft. Weiterhin erfahren tradierte Vorstel- lungen über den Transfer und die Transformation versicherungstechnischer Risiken vor diesem Hintergrund erhebliche Erweiterungen. Dabei erhöht die Entwicklung der Finanz- märkte zugleich den Druck auf die Versicherungsunternehmen zur wertorientierten Unternehmenssteuerung (Finanzmärkte als Investoren). Das Erfordernis eines unter Ren- dite-Risiko-Gesichtspunkten effizienten Kapitaleinsatzes hat weitreichende Konsequenzen für alle betrieblichen Abläufe (Asset / Liability-Management, risikoorientiertes Kapitalma- nagement) und wirkt zurück auf die Gestaltung der Objekte des Marktverkehrs.

III. Objekte des Marktverkehrs (Versicherungsprodukte)

Die Objekte der Versicherungsmärkte sind die Versicherungsprodukte und der durch sie ges-

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taltete Risikotransfer. Mit diesem Kernbereich der Geschäftstätigkeit sind risikoorientierte Forschungs- und Beratungstätigkeiten sowie die als wirtschaftliches Kuppelprodukt anzuse- hende Vermögensanlagetätigkeit der Versicherungsunternehmen verbunden.

Nach wie vor unterstützen diverse rechtliche, wirtschaftliche und versicherungstechnische Gründe den Fortbestand und die Abgrenzung der Versicherungsgeschäfte nach den Ver- sicherungssparten der Lebens-, Kranken- und Kompositversicherung. Die Kompositver- sicherung, häufig auch Schadenversicherung genannt, umfasst zahlreiche Versicherungszweige, die unterschiedliche Risikoarten zum Gegenstand haben. Beispiele hierzu sind realgüterbezogene Versicherungszweige, besonders Feuer-, Transport- und technische Versicherung, nominalgüterbezogene Versicherungszweige, besonders Haft- pflicht-, Rechtsschutz-, Betriebsunterbrechungs- und Kreditversicherung, sowie eigenständige Versicherungszweige, die unterschiedliche Risikoarten vereinen, besonders Kraftfahrt-, Hausrat- und Wohngebäudeversicherung. In diesem traditionellen Bereich der Versicherungsprodukt- und –prämiengestaltung sind verstärkt unternehmensindividuelle Versicherungsbedingungen und Tarife an der Tagesordnung, mit der Folge einer deutli- chen Verminderung der Markttransparenz.

Der intensive Prämien- und Rabattwettbewerb bewirkte gegen Ende der 90er Jahre in wei- ten Bereichen des Kompositbereichs ein sinkendes Prämienvolumen bei gleichzeitig erhöhten technischen Verlusten. Jüngste Entwicklungen im Bereich des Risikotransfers betreffen die gewohnte Aufgabenteilung zwischen Versicherungs- und Kreditwirtschaft und zielen wesentlich auf die Integration traditionell nicht als versicherbar geltender finanzwirt- schaftlicher und unternehmerischer Risiken. Unter Beachtung sachlicher und zeitlicher Risikoausgleichseffekte beim Versicherungsnehmer konzentrieren sich die Versiche- rungsunternehmen verstärkt auf die Übernahme der (Gesamt-) Risikospitzen im Rahmen sogenannter Multi-Line / Multi-Year Deckungskonzepte (Finite Risk-Produkte) sowie Double-Trigger bzw. Multi-Trigger Lösungen.

Im Bereich der Personenversicherung zeichnet sich eine verschärfte Konkurrenz um das private und betriebliche Vorsorgekapital im Sinne eines Branchen- und Leistungswettbe- werbs ab. Investmentprodukte beginnen sich als alternative Vorsorgeinstrumente gegen- über Versicherungsprodukten zu etablieren. Vor diesem Hintergrund ist die Versicherungswirtschaft zunächst um eine verbesserte Kommunikation und Darstellung

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der besonderen Qualitätsmerkmale und spezifischen Stärkeprofile ihrer traditionellen Pro- dukte (Übernahme biometrischer Risiken, Abgabe langfristiger Finanz-Garantien) bemüht.

Durch Konstruktion neuer Versicherungsprodukte (fondsgebundene und indexgebundene Produkte) sowie durch die Etablierung neuer Geschäftsfelder (Asset Management) ver- sucht die Versicherungswirtschaft zusätzliche Stärken aufzubauen.

IV. Marktprozesse

Dem Wesen der traditionellen Versicherung ist die Transformation der transferierten Einzelri- siken und dabei wesentlich das Phänomen des kollektiven und des zeitlichen Risiko- ausgleichs immanent. Die Transformationsleistung bewirkt den zentralen Versicherungseffekt, wonach die Erhaltung eines definierten Absicherungsniveaus für alle Einzelrisiken insgesamt zu geringeren Kosten möglich wird als bei isolierter individueller und zugleich einzelperiodenbezogener Risikotragung. Die Organisation des Risikoaus- gleichs erfolgt dabei typischerweise ausschließlich innerhalb der Versicherungswirtschaft sowohl durch Integration der Einzelrisiken in das Versicherungsportefeuille des einzelnen Versicherungsunternehmens (Erstversicherung) als auch durch Maßnahmen der unterneh- mensübergreifenden Risikotransformation (Rückversicherung, Mitversicherung, Poolversicherung).

Mit der Entwicklung neuartiger Versicherungsprodukte ist die Veränderung tradierter Bereit- stellungstechniken verbunden. Dem Aspekt der erweiterten Risikotransformation sind aktuelle Bemühungen zuzuordnen, die Tragung versicherungstechnischer Risiken auf die Finanz- märkte zu verlagern (Alternativer Risikotransfer, ART). Wenn auch das derzeitige Markt- volumen dieser Transaktionen noch gering ausfällt, sind die Motive für diese Entwicklung jedoch offensichtlich. Seitens der Versicherungswirtschaft ermöglicht der Alternative Risiko- transfer die Vergrößerung der Kapazitäten bei gleichzeitiger Effizienzsteigerung und gestattet die Ausweitung des Spektrums versicherbarer Risiken. Im Interesse der Finanzmarktinvesto- ren liegt die auf diese Weise erreichbare Erweiterung der Diversifikationspotentiale. Als in diesem Sinne alternative "Versicherungsformen“ beginnen sich Instrumente zu etablieren, die beispielsweise die Zins- und Tilgungsleistungen eines Wertpapiers an den Schadenverlauf eines definierten Versicherungsportefeuilles binden (insurance linked securities). Andere Er- scheinungsformen betreffen fixierte Vereinbarungen über den Umfang und die Modalitäten

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einer Kapitalaufnahme für den Fall einer spezifischen Versicherungsrisikorealisation (contin- gent capital). Die administrative Bewältigung solcher Finanzinnovationen erfolgt unter enger Zusammenarbeit von Versicherungsunternehmen, (Industrie-)Maklern und Investmentban- ken. Die Ermittlung und fortlaufende Publikation versicherungsrelevanter Indizes, die unternehmensunabhängig und transparent den Schadenverlauf für definierte Risikoarten, Zeiträume und Regionen dokumentieren, sind Grundlage für die Entwicklung und den (bör- senmäßigen) Handel sogenannter Versicherungsderivate (insurance derivatives).

Schließlich ist der deutsche Versicherungsmarkt traditionell durch ein umfangreiches staatli- ches Aufsichtswesen geprägt. Die Deregulierung des deutschen Versicherungsmarktes im Zuge der europäischen Harmonisierung bewirkte im Ergebnis eine Intensivierung der auf- sichtsamtlichen Überwachung finanzwirtschaftlicher Sachverhalte der Versicherungstätigkeit und ein Zurückdrängen der tradierten materiellen Versicherungs- aufsicht. Mit Blick auf die zunehmende Marktdynamik bleibt die Auseinandersetzung um ein adäquates Informations- und Gestaltungsinstrumentarium der Versicherungsaufsicht auch in Zukunft aktuell. Dabei wird die Diskussion um Dokumentation und Transparenz der tatsächlichen Finanz- und Ertragslage von Versicherungsunternehmen durch die an- stehende Anpassung deutscher Rechnungslegungsnormen an internationale Standards weiter verschärft.

V. Perspektiven

Die Struktur der deutschen Versicherungswirtschaft hat sich in den 90er Jahren erheblich verändert. Die Veränderung der Risikomanagementkultur sowie die weltweit verstärkte Orien- tierung der Unternehmenspolitik am Shareholder Value lassen ein Ende dieser Entwicklung nicht absehen. Hauptursachen hierfür bleiben der diskontinuierliche Wandel der Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Versicherungsnehmer, die Intensivierung des Wettbewerbs um Kunden und Investoren, begleitet durch eine fortschreitende Konzentration der Anbieter und die Überwindung tradierter Branchengrenzen im Banken-, Versicherungs- und Investmentbe- reich.

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Literatur

Albrecht, P.: Zur Risikotransformationstheorie der Versicherung, Karlsruhe 1992.

Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (Hrsg.): Geschäftsberichte, Berlin (jährlich).

Albrecht, P. / Maurer, R. / Schradin, H. R.: Die Kapitalanlageperformance der Lebensversi- cherer im Vergleich zur Fondsanlage unter Rendite- und Risikogesichtspunkten, Karlsruhe 1999.

Brühwiler, B./Stahlmann, B. H./Gottschling, H. D. (Hrsg.): Innovative Risikofinanzierung, Wiesbaden 1999.

Farny, D.: Versicherungsbetriebslehre, 2. Aufl., Karlsruhe 1995.

Farny, D./Helten, E./Koch, P. et al. (Hrsg.): Handwörterbuch der Versicherung (HdV), Karls- ruhe 1988.

Oletzky, T.: Wertorientierte Steuerung von Versicherungsunternehmen, Karlsruhe 1998.

Referenzen

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