Fallpauschalen
Zu dem Beitrag „Kopernikanische Wende?“ von Dr. rer. pol. Harald Cla- de in Heft 28–29/2000:
Phrasen
. . . Einmal mehr fragt man sich, ob denn unter den vie- len Verhandlungspartnern (GKV, Verband der privaten Krankenversicherer, DKG) auch der gesunde Menschen- verstand mit am Tisch geses- sen hat. Auch wenn die Ver- abschiedung nur unter dem Termindruck der ministeriel- len Vorgabe erfolgt sein soll- te, wäre das keine Rechtferti- gung für ein derart kurzsich- tiges und folgenschweres Werk. Dabei mag die Reform für die einzelnen Verhand- lungspartner ja sogar Ver- sprechungen bereithalten:
Für die GKV hofft man si-
cher auf mehr „Transpa- renz“, obwohl bereits jetzt die Datenflut nur unter im- mer höher steigenden Ver- waltungskosten zu bewälti- gen ist. Die privaten Kran- kenversicherer glauben, dass die Quersubventionierung zur GKV abgebaut werden kann. Die (durch einen Ver- waltungschef vertretenen) Krankenhausträger sehen in der aufwendigen Dokumen- tation eine Chance, ihre Wirtschaftlichkeit zu bewei- sen, vielleicht hofft Herr Achner auch auf eine noch höhere Dominanz der Ver- waltung in der Klinik- führung, zumindest auf einen Profilzuwachs.
Aber: Man muss sich doch darüber im Klaren sein, dass allein die Einführung dieses neuen Entgeltsystems minde- stens eine Milliarde Mark ko- sten wird – von den zusätz-
lich von den Kliniken und Kassen aufzubringenden Mehrleistung in Dokumenta- tion und Bürokratie (EDV) ganz zu schweigen. Da das DRG-System „budgetneu- tral“ umgesetzt wird, wird vor der Verteilung des Gel- des keine Mark mehr im Topf sein – aber die Vertei- lung wird viel mehr kosten.
Fazit: Für die Leistungser- bringer bleibt weniger übrig.
Bei der heute bereits außer- ordentlich angespannten Si- tuation in den Krankenhäu- sern wird das zu weiteren Einsparungen (meist nur über Personalabbau erziel- bar) führen: Auch diese Rechnung zahlt zum Schluss (nach dem „leistungserbrin- genden Personal“) der Pati- ent.
Unbestritten könnte ein sol- ches System zu einer verän- derten und gerechteren Um-
verteilung des Geldes führen, wobei der Stellenwert einer
„entgeltträchtigen“ Doku- mentation sehr hoch einge- schätzt werden muss (wer gut organisiert dokumentiert, profitiert prinzipiell). Die Dokumentation wird wichti- ger als die Versorgung. Dage- gen mag ja noch nichts einzu- wenden sein, wenn denn für alle Häuser am Markt gleiche Voraussetzungen herrschen:
Es gewinnt letztendlich der, der auf Dauer die kostengün- stigste Leistung erbringt.
Nur: Dieser Effekt wird doch schon von Anfang an durch
„regionale Differenzierung“,
„Zu- und Abschläge für be- sondere Tatbestände“,
„Strukturkomponenten“ un- terlaufen – so kann Wettbe- werb doch nun nicht funktio- nieren.
Und: Wie bitte schön soll die
„Wettbewerbsfähigkeit der
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 36½½½½8. September 2000 AA2305
B R I E F E
Krankenhäuser innerhalb Europas gestärkt“ und der
„Dienstleistungsaustausch über nationale Grenzen hin- weg gefördert“ werden, wenn das System doch im bundesrepublikanischen Al- leingang eingeführt wird?
Wo bleibt denn die Europäi- sche Union in diesem Kon- zept?
Diese und andere von Herrn Clade flüssig formulierten Phrasen können doch eigent- lich niemanden darüber hin-
wegtäuschen, dass die Fahrt von München nach Frankfurt in Zukunft eben nicht nur über Bonn (FP/SE), sondern auch noch über Berlin (ARDRG) führen muss; das Ziel (Budget) steht fest, die zusätzlichen Reisekosten fehlen beim Verteilen. Merkt das denn keiner?
Kopernikus dürfte sich im Grabe wenden.
Priv.-Doz. Dr. med. B. Greger, Klinikum Lichtenfels, Prof. Arneth- Straße 2, 96215 Lichtenfels
A
A2306 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 36½½½½8. September 2000
B R I E F E
Ambulante Versorgung
Zu dem Beitrag „Hausärzte fühlen sich erneut übervorteilt“ von Josef Maus in Heft 28–29/2000:
Quo vadis collega?
Der Artikel zur ambulanten Versorgung, in dem die For- derung des GHB wiederge- geben wird, treibt mir die Zornesröte ins Gesicht. Auf der einen Seite sollen und werden Praxisnetze im Ver- bund Allgemeinärzte und Fachärzte gegründet, auf der anderen Seite fordert der GHB harte Fronten, ergo ei- ne Aufspaltung der niederge- lassenen Ärzteschaft in zwei Lager.
Die Forderung des GHB, fachärztliche Leistungen von hausärztlichen Überweisun- gen abhängig zu machen, ist geradezu grotesk, gerade das Gegenteil muss eingefordert werden, nämlich, dass ein Hausarzt nicht uneinge- schränkt Leistungen von Fachärzten anfordern darf, ohne dass dafür auch Finanz- mittel aus dem Hausarzttopf in den fachärztlichen Topf fließen; gemeint ist hier zum Beispiel das Veranlassen von MRT.
Der Zugang zu diesen „teu- ren“ Untersuchungen darf eben nur nach fachärztlicher Indikationsstellung erfolgen.
Gleichzeitig käme die er- zwungene Überweisung des Hausarztes an den Facharzt einer Entmündigung des Bundesbürgers gleich, das zu
einer Zeit, in der die Politik den mündigen Bürger ho- fiert.
Es sollte also endlich wieder Frieden einkehren in die deutsche Ärzteschaft, derar- tige Forderungen, in der eine Fachgruppe, hier die Hausärzte, eine andere oder gar viele andere bevormun- den will, sollte unterbleiben, damit wir als gesamte Ärzte- schaft eine ernst zu nehmen- de politische Meinung ge- genüber der misslungenen Gesundheitspolitik haben.
Dr. med. Fritjof Bock, Marienplatz 79, 88212 Ravensburg
Erneut übervorteilt
Schon die Überschrift ist fa- tal: denn die Hausärzte fühlen sich nicht nur so, son- dern sie wurden, erneut, übervorteilt.
Die Berufsverbände tun nichts Wesentliches. Die Standesorganisation, welche wir jährlich mästen, tut fast nichts, auch nicht, wo zur Zeit das Krankenhaus Moa- bit (siehe Meldung Heft 28–29/2000) frontal angegrif- fen wird. Kein Protest von- seiten der Kammer, die KV lacht sich kaputt, bis sie weg- rationalisiert worden sind, weil die Ärzte eigene Verträ- ge mit den Kassen haben – nur besser wird dadurch gar nichts. Im Gegenteil.
Und da soll die Ministerin helfen, die das BSeuchG seit 1970 (siebzig!) schleifen lässt?
Man habe jetzt schon, nach über zehn Jahren, die Vor-
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 36½½½½8. September 2000 AA2307 stellungen der DDR – eines
untergegangenen Staates – eingearbeitet und ist noch stolz darauf . . . Verlangt von uns, dass wir den sowjetzona- len Dummquatsch aus der tiefsten Zonenzeit – vom 22.
Mai 1967 –, damals war ich noch Student, zu unserer Richtschnur machen. Ob- wohl keine anderen europäi- schen Länder hier nur gewillt sind, mitzumachen und medi- zinische Diagnosen – sofern sie nicht von Herrn Duden stammen – weltweit verstan- den werden, will man uns das aufs Auge drücken.
Aber, selbst nicht in der Lage oder willens, das BSeuchG oder Infektionsschutzgesetz den europäischen Vorstellun- gen anzupassen . . . Dass sol- che Menschen, die sich dar- auf verlassen, verlassen wer- den, ist so sicher wie das
„Amen“ in der Kirche. Par- kinson hat Anfang der 20er- Jahre ein Buch geschrieben:
„Die Parkinsonschen Geset- ze“, und dies wird jetzt im Gesundheitszirkus Groß- deutschland mit aller Macht demonstriert. Simpler gehts kaum noch.
Die Meinung eines Prakti- kers zum Gesundheitszirkus Deutschland: Bei mir bleibt eine „L“ eine L, und ich brauche dazu auch keine Nummer, die dann wieder zu verschlüsseln ist. Meine Handschrift ist unleserlich genug. Und Datenschutz kann ich nur auf meiner Kar- te garantieren – nicht auf dem Rechner.
Ulrich Schmid, Scharnweberstraße 126, 13405 Berlin
Tinnitus
Zu dem Beitrag „Von Ohrgeräuschen, die nicht im Ohr entstehen“ von Prof.
Dr. med. Michael Forsting in Heft 26/2000:
Nonnensausen?
Vor Jahrzehnten hörte ich als junger Mann eines Tages in der Wohnung ein mäßig zi- schendes, intermittierendes rhythmisches Geräusch, des- sen Quelle ich zunächst
außen suchte. Die zu syn- chronem Schweigen angehal- tenen Familienmitglieder vernahmen nichts. Ich wurde ob der Ruhe nun der Puls- synchronizität und Rechts- Lateralisierung des akusti- schen Vorganges gewahr.
Kurzes Belesen machte mir als Nichtchirurgen klar, dass ich entgegen meinen Prinzi- pien wohl doch eines fach- spezifischen Rates bedurfte.
Da war denn anderntags im ambulanten Ad-hoc-Ge- spräch im Klinikumsgelände von ernsten differenzialdia- gnostischen Konsequenzen (im Sinne des Artikels) bis zum Aneurysma die Rede, die mich mehr als das Geräusch selbst beunruhig- ten. Der Abend dieses Tages führte mir den wesentlich äl- teren Physiologen unserer Fakultät als Hausmusikpart- ner zu. Vor dem Einstimmen der Instrumente war von dem weniger tonhaften my- stischen Geräusch die Rede.
Der vielerfahrene Physiolo- gieprofessor (Wolfgang Kal- koff) sagte mir auf den Kopf zu, ich hätte Nonnensausen und erläuterte, dass der bei den frommen Frauen wegen des monatlichen Blutverlu- stes und vielem Fasten gera- dezu schicksalhafte Eisen- mangel die Viskosität des Blutes bis zum Entstehen von Turbulenzgeräuschen (in der V. jugularis communis) verringere. Ich sollte ein Ei- senpräparat nehmen, dann würde sich zeigen, ob er Recht hätte.
In diese Richtung gelenkt, fand ich auch zusammen, dass mich seit einer eitrigen Angina eine extreme Müdig- keit und Blässe heimsuchten und ich also eine so genannte Infektanämie haben konnte.
Schon nach drei Tagen oraler Eisentherapie war ich von dem geschilderten Geräusch befreit und um eine diagno- stische Kenntnis mit sozio- kulturellem Einschlag rei- cher, die noch zum selbstver- ständlichen Paratwissen mei- ner Vorgängergeneration gehörte.
Prof. Dr. med. Giselher Schuschke, Erlenweg 2, 39120 Magdeburg B R I E F E