Energiewende – Ziel nicht erreicht !
Energie & Umwelt
Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES – 4/2013
«Die Kernenergie ist eine Technologie, die sich für Japan nicht eignet und vielleicht für kein Land der Welt. Die Risiken sind nicht akzeptabel.»
Gregory Jaczko, ehemaliger Vorsitzender der US-Nuklearaufsicht, Tages-Anzeiger, 14.10.2013
> Acht Thesen zur Energiewende Schweiz
> Die Tops & Flops der Energiestrategie 2050
> Radioaktive Ruine Europa
2 Energie & Umwelt 4/2013
INHALTSVERZEICHNIS
SCHWERPUNKTTHEMA: Energiewende – Ziel nicht erreicht!
4 Acht Thesen zur Energiewende Schweiz
Die fossilen und nuklearen Energien sind endlich und gehen zur Neige. Die Energiewende ist eine Notwendigkeit und findet bereits heute weltweit statt.
Der Schweiz eröffnen sich damit wirtschaftliche Chancen, die es zu packen gilt. – Acht Thesen der SES, wieso die Schweiz die Energiewende jetzt angehen und konsequent umsetzen sollte.
6 SES-Infografik zur Energiestrategie 2050 8 Energiestrategie 2050: viele Flops, kaum Tops
Nach der Atomkatastrophe in Fukushima haben Parlament und Bundesrat beschlossen, die schweizerische Energieversorgung zu reformieren. Resultat ist die Energiestrategie 2050, die jetzt im Parlament beraten wird. Die SES hat die Vorlage analysiert und die wichtigsten Tops und Flops zusammengestellt.
10 Die Energiewende birgt grosse Chancen für die Kantone
Die Energieversorgung der Schweiz wird zu 20% mit erneuerbaren Energien gedeckt. Doch es ist viel mehr möglich: Wie Be rech nungen der SES zeigen, liesse sich der Selbstversorgungsgrad bis 2035 auf 89% steigern. Die Energie
wende schafft neue Arbeitsplätze, fördert Innovationen und sorgt für Wert
schöpfung vor Ort.
12 Gretchenfrage: Wie haben Sie’s mit der Energiewende?
In der Wintersession beginnt die Debatte im Parlament. Immer wieder und überall wird kolportiert, die Idee der Energiewende stosse auf breiten gesell
schaftlichen und politischen Konsens. Ist das tatsächlich so? Die SES hat Par
teien, Unternehmen und Organisationen die Gretchenfrage gestellt.
14 SES-Podium: Energiewende im offenen Markt
Das Rennen um die günstigste Kilowattstunde: In naher Zukunft soll jeder Schweizer Haushalt seinen Stromversorger selber wählen können. Bringt das Schwung in die Energiewende oder bleibt an den Erneuerbaren das Prädikat
«zu teuer» haften? Die SES hat an einer Podiumsdiskussion Experten befragt – aber keine eindeutigen Antworten erhalten.
16 Uranabbau in Tansania
Tansania möchte ins UranabbauGeschäft einsteigen: Andreas Nidecker von ÄrztInnen für soziale Verantwortung und zur Verhütung eines Atomkriegs (PSR/IPPNW Schweiz) hat eine Konferenz veranstaltet, um die lokale Bevölke
rung über die Risiken zu informieren.
18 Radioaktive Ruine Europa
Zahlreiche Atomkraftwerke in Europa warten darauf, rückgebaut und dekon
taminiert zu werden: Doch es fehlt an Erfahrung, an Endlagern – und auch an Mut. Der AKWRückbau dauert länger als gedacht und die Kosten müssen ständig nach oben korrigiert werden. Auch in der Schweiz steigen die Kosten
schätzungen alle fünf Jahre.
21
lNews
lAktuelles
lKurzschlüsse
l22 Artikel-Serie: Wir sind Teil der Energiewende
Wer hat nicht schon mal davon geträumt, Pilot zu werden? Andreas Nagel hat den angesehenen Pilotenjob aufgegeben, um mehr im Einklang mit Ökologie und Klimaschutz zu leben.
Impressum
ENERGIE & UMWELT Nr. 4, Dezember 2013 Herausgeberin:
Schweizerische Energie-Stiftung SES, Sihlquai 67, 8005 Zürich, Telefon 044 275 21 21, Fax 044 275 21 20 info@energiestiftung.ch, www.energiestiftung.ch Spenden-Konto: 80-3230-3
Redaktion & Layout: Rafael Brand, Scriptum, Telefon 041 870 79 79, info@scriptum.ch
Redaktionsrat:
Jürg Buri, Rafael Brand, Tina Berg, Felix Nipkow, Bernhard Piller, Katia Schär, Sabine von Stockar Re-Design: fischerdesign, Würenlingen Korrektorat: Vreny Gassmann, Altdorf Druck: ropress, Zürich,
Auflage: 10’300, erscheint 4 x jährlich Abdruck mit Einholung einer Genehmigung und unter Quellenangabe und Zusendung eines Beleg- exemplares an die Redaktion erwünscht.
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Das E&U wird auf FSC-Papier, klimaneutral und mit erneuerbarer Energie gedruckt.
EDITORIAL
Energiewende JA – aber richtig!
Von CORINNE SCHMIDLIN SES-Stiftungsrätin und Umweltnaturwissenschafterin
Liebe LeserInnen, die Energie
wende ist ein dynamischer Pro
zess, der längst begonnen hat.
Sie birgt grosse Chancen und kann zu einem grossen Erfolg für die Schweiz werden. Aber wir müssen sie richtig und kräftig anpacken. Nur eine entschlossene Energiewende funktioniert. Mit einer halbherzigen Energiewende ersetzen wir das eine Übel (Atomkraft
werke) durch ein anderes (Gaskraftwerke oder Dreck
stromImporte) und akzeptieren Energieverschwendung als Naturgesetz. Möglich, dass wir so in 20 Jahren vor einem Scherbenhaufen mit hohen Kosten, tiefer Ver
sorgungssicherheit und schlechter Klimabilanz stehen.
Damit das nicht eintritt, müssen wir zulegen: beim Tempo und mit griffigen, klaren Massnahmen.
Die Energiewende gestalten und dirigieren nicht die Energiekonzerne alleine. Nein, sie muss in unseren Köpfen und Herzen beginnen. Nicht zuletzt wir alle ermöglichen die Energiewende mit der Überzeugung, dass wir gemeinsam etwas in Gang bringen können und mit Mut aber auch Freude einen neuen Schritt wagen. Jede und jeder kann mithelfen, den Energie
verbrauch zu begrenzen, effizienter zu gestalten oder selber Energie mit erneuerbaren Energien zu produ
zieren. Aber beim Umbau unseres Energiesystems gilt es einige, nicht zuletzt auch physikalische Grundsätze zu befolgen (Seiten 4+5). Nur so kann die Energie
wende rasch und ohne teure Umwege gelingen.
Im September hat der Bundesrat sein Gesetzespaket zum Einstieg in die Energiewende vorgelegt. Es heisst
«Energiestrategie 2050» und ändert Gesetzesartikel in zwölf Gesetzen. Wir haben die wichtigsten Änderun
gen in einer SESInfografik zusammengetragen (Seiten 6+7). So können Sie sich schnell und umfassend orien
tieren und informieren. Aus SESSicht gibt es Tops und Flops, aber auch Unnötiges und gar Kontraproduktives (Seiten 8+9). Wir sind überzeugt davon, dass die Ener
giewende so oder so in diesem Jahrhundert kommt.
Schlicht weil Uran, Erdöl und Erdgas endliche Roh
stoffe sind und wir von diesen heute zu 85% ab
hängen. Umso unverständlicher ist es, dass es immer noch Stimmen gibt, die gegen die Wende und für «billigen» Atomstrom sind (Seiten 12+13).
Die SES wird das Gesetzespaket im Parlament beglei
ten. Wir werden alles daran setzen, dass das erste Massnahmenpaket in unserem Sinn verabschiedet, aber in Sachen Atomausstieg tüchtig nachgebessert wird. Denn ein Atomausstieg ohne Ausstiegsdatum ist grober Unfug und russisches Roulette. Ich möchte kein solches Risiko eingehen... Und Sie? <
Gute Lektüre und frohe Festtage
4 Energie & Umwelt 4/2013
ENERGIESTRATEGIE 2050
Die fossilen und nuklearen Energien sind endlich und gehen zur Neige. Die Energiewende ist eine Notwendigkeit und findet bereits heute weltweit statt. Der Schweiz eröffnen sich damit wirtschaftliche Chancen, die es zu packen gilt. – Acht Thesen der SES, wieso die Schweiz die Energiewende jetzt angehen und konsequent umsetzen sollte.
Anpacken – umsetzen – loslegen:
acht Thesen zur Energiewende Schweiz
These 1: Die Energiewende kommt so oder so
Die fossilen und nuklearen Energieträger sind endlich und gehen – früher oder später1 – zur Neige. Danach steht noch Energie aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung. Die Energiewende ist vorprogrammiert, findet bereits weltweit statt und ist eine klimapolitische Not
wendigkeit. Wer frühzeitig mit dem Um bau beginnt, wird später gut dastehen. Die Schweiz kann dabei von einer sicheren Energieversorgung, volkswirtschaft
lichen Vorteilen in Form von dauerhaften Arbeits
plätzen und neuen Exportchancen profitieren. Hier
für braucht es sorgfältige Planung und Weitblick.
Wichtig ist, die Energiewende als Gemeinschaftswerk anzugehen. Die Politik ist gefordert und muss klare, ambi tionierte Ziele definieren und zielführende Mass
nahmen beschliessen. Die Energiewende wird in 50 Jahren nicht vollendet sein. Ziel muss sein, dass die sichere Versorgung mit Energie in Zukunft gewährleis
tet ist – jedoch aus erneuerbaren Energien.
These 2: Die Energiewende birgt enorme Chancen
Erneuerbare Energien und Effizienztechnologien sind weltweit stark im Kommen und schaffen neue Märkte mit Milliardenumsätzen. Die Entwicklung hin zu mehr Energieeffizienz und einer nachhaltigen Energiever
sorgung wird sich weiter verstärken und lässt sich nicht stoppen. Die weltweite Umsatzentwicklung und Zunahme der Stromproduktion aus Windenergie und Photovoltaik übertreffen jegliche Prognosen – und werden dies auch in Zukunft tun. Die Schweiz muss die Chancen der Energiewende deshalt aktiv nutzen.
Erneuerbare und Energieeffizienz sorgen für eine hohe Wertschöpfung im Inland und schaffen neue Arbeitsplätze und nachhaltige Innovationen.
These 3: Der Atomausstieg ist nur der Anfang
Es brauchte tragischerweise den SuperGAU in Fukushima, damit die Schweiz den Ausstieg aus der Atom
energie beschliesst. Der Atomausstieg alleine greift je
doch zu kurz. Denn die Energiewende betrifft auch die fossilen Energieträger. Strom als ein vielseitig ein
setzbarer Energieträger wird im zukünftigen Energie
mix immer wichtiger. Heute fossil betriebene Anwen
dungen werden zum Teil durch elektrische ersetzt.
Noch wird in der Schweiz ein Viertel der verbrauchten Endenergie in Form von Strom genutzt. Der grosse Rest wird in Form fossiler Energie verfahren und ver
heizt. Nicht nur Uran, auch die fossilen Vorräte an Erdöl, Gas und Kohle gehen zur Neige. Es braucht also nicht alleine den Ausstieg aus der Atomenergie, son
dern mittel bis langfristig auch den Ausstieg aus den nicht erneuerbaren und fossilen Energien. Die Schweiz kann nur profitieren: Denn die Vollversorgung mit Erneuerbaren bringt Unabhängigkeit und Sicherheit.
These 4: Erneuerbare sind bereits günstiger
Wer die Energiewende will, muss die Energieversorgung nachhaltig umbauen: Sämtliche Energie muss in nicht allzuferner Zukunft aus erneuerbaren Quel
len stammen. Solarthermie, Photovoltaik, Wind, Was
serkraft, Biomasse und Geothermie haben das Poten
zial, die Schweiz zu 100% mit nachhaltiger Energie zu versorgen. Die Technologien für die Vollversorgung mit Erneuerbaren existieren, sind mehrheitlich er
probt und haben sich bewährt. Innovationen und Fortschritt sorgen für stetige Verbesserungen, Effizi
enzgewinne und höhere Wirkungsgrade.
Die Erneuerbaren sind heute im Vergleich zu anfäng
lich massiv subventionierten fossilen und nuklearen Energiequellen (noch) nicht voll konkurrenzfähig.
Eine ähnliche Anschubfinanzierung – z.B. durch die kostendeckende Einspeisevergütung – ist nichts an
deres als fair. Die Förderung ist zeitlich begrenzt und passt sich mit sinkenden Vergütungen laufend den günstiger werdenden Technologien an.
Würden wir für konventionelle Energien verursacher
gerechte Preise inklusive nicht gedeckter Kos ten wie Krankheiten, Unfälle oder Umweltzerstörung zahlen, ist klar: Die Erneuerbaren sind heute schon günstiger.
Ist die Infrastruktur erst mal aufgebaut, können er
neuerbare Energien praktisch kostenlos «geerntet»
werden – wir können von den Zinsen leben.
These 5: Energieeffizienz lohnt sich
Energieverschwendung ist Gift für die nachhaltige Energiezukunft. Mehr Energieeffizienz ist eine Frage der technischen Entwicklung, kann nicht von heute auf morgen erzwungen werden und ist mit der zyk
1 «Fracking» wird die «peak oil»-Probleme nicht lösen. Und die unkonventionellen Fossilen verlängern das nahende Ende des billigen Erdöls nur kurz.
lischen Erneuerung von Geräten, Gebäuden, Fahrzeu
gen und Betriebsabläufen verbunden. Umso wichtiger ist es, heute die Anreize richtig zu setzen, damit sich die Investitionen in effiziente Energienutzung (schnel
ler) lohnen. Ziel der Effizienz politik muss die 2000WattGesellschaft sein. Dieses Ziel lässt sich aber nicht alleine durch effiziente Geräte oder Autos er
reichen – es braucht auch «Suffizienz», also den be
wussteren und sorgfältigeren Umgang mit Energie.
Voraussetzung hierfür sind Energiepreise, welche die Kostenwahrheit und die teuren «Nebenwirkungen»
unseres verschwenderischen Energiekonsums bein
halten. Minderverbrauch an Energie bedeutet nicht zwingend Verzicht, sondern ist z.B. in Form von Lebensqualität und sozialem Frieden ein Mehrwert.
These 6: Verbraucher werden zu Produzenten
Die Umgestaltung vom zentralen zum dezentralen Energiesystem wird von unten nach oben, vom Endverbraucher und dessen Solaranlage auf dem Dach zum Stromverteiler erfolgen. Aus den Konsumenten werden Stromproduzenten. Das Hochspannungsnetz verliert tendenziell an Bedeutung, weil in der Region produ
zierter Strom auch dort verbraucht oder gespeichert wird. Dabei gilt es, den Stromverbrauch und Strom
produktion über intelligente Netze zu optimieren. Da
durch wird ein Maximum an Effizienz erzielt und es braucht nur ein Minimum an neuen Kraftwerken.
These 7: Die EVU tragen zur Energiewende bei
Die Energieversorger müssen ihr Geschäftsmodell überdenken und ändern. Die Stromerzeugung mit thermischen Kraftwerken wird immer unattraktiver.Erstens können Grosskraftwerke wie Kohlekraft
werke und AKW wegen des unregelmässig anfallen
den Solar und Windstroms nicht mehr rund um die Uhr kostendeckend betrieben werden. Zweitens wer
den die Betriebskosten wegen steigender Preise und der Verknappung der Rohstoffe ansteigen. Drittens werden sich Massnahmen für erhöhte Sicherheit und Klimaschutz auf die fossile und nukleare Strompro
duktion auswirken. Die Stromwirtschaft wird in Zu
kunft die dezentrale Stromerzeugung beziehungs
weise den Kauf und die Vermarktung von erneuer
barer Energie zu ihrem Standbein machen müssen.
Ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell ist insbe
sondere auch der Energieeffizienzsektor.
These 8: Die Energiewende zahlt sich aus
Ob Atom oder Gaskraftwerke, ob Solaranlagen, Windoder Biomassekraftwerke: Investitionen sind so oder so notwendig. Über die kostendeckende Einspeisever
gütung (KEV) für erneuerbaren Strom beteiligen sich alle Stromverbraucher an den Investitionskosten.
Nach Ablauf der zeitlich begrenzten Einspeisevergü
tung sind die Investitionen amortisiert. Die Betriebs
kosten sinken fast auf null. Konventionelle Kraft
werke sind von steigenden Preisen für Kohle, Erdöl, Erdgas und Uran abhängig, Strom aus erneuerbaren Quellen jedoch nicht. Die Preise solcher Anlagen sin
ken laufend. Investitionen in die nachhaltige Energie
versorgung und die Energieeffizienz zahlen sich des
halb gleich mehrfach aus: Wir profitieren in vielerlei Hinsicht durch tiefere Energiekosten, geringere ex
terne Kosten, durch mehr Versorgungs sicherheit und Unabhängigkeit sowie von der Wertschöpfung und den neuen Jobs in allen Regionen der Schweiz. <
Für die Schweizerische Energie-Stiftung SES:
Rafael Brand, E&U-Redaktor 100%
Vollversorgung mit Erneuerbaren Effizienzpotenziale
nutzen
ab 2050
80%
Importe vor allem fossiler Energie
20%
Eigenversorgung
Heute
6 Energie & Umwelt 4/2013 Energie & Umwelt 4/2013 7
Mobilität Mobilität
Mobilität
Von BERNHARD PILLER und FELIX NIPKOW
Strom ist nur ein Teil der Energiestrategie 2050: Viel
mehr geht es um eine Gesamt
energiebetrachtung. In der seit September 2013 vor
liegenden bundesrätlichen Botschaft sind Ziele, Massnahmen und Instrumente im gesamten Energie
sektor vorgesehen, also im Strom, Wärme und Mo
bilitätsbereich. Zentrales Element im Bereich Strom ist der langfristige Atomausstieg: Die bestehenden AKW sollen weiter betrieben, aber keine neuen ge
baut werden. Wann die Energiestrategie 2050 in Kraft tritt, hängt davon ab, wie lange das Parlament
für die Beratung braucht und ob das Referendum er
griffen wird.
Viele Flops – kaum Tops
Die Energiestrategie 2050 will in der Schweiz die Energiewende einläuten und das ist richtig so. Die Ziele sind lobenswert: die Energieeffizienz fördern und auf einheimische, erneuerbare Energiequellen setzen. Leider aber verpasst es der Bundesrat, die Umsetzung entsprechend konsequent zu verfolgen:
Die vorgeschlagenen Massnahmen haben zu wenig Wirkung, für die gefährlichen Altreaktoren gibt es keine verbindlichen Abschaltdaten und der Bereich Verkehr, der immerhin für einen Drittel des Energie
verbrauchs zuständig ist, wird verschont.
Das Fazit der SES zur Energiestrategie 2050: viele Flops, kaum Tops.
Energiestrategie 2050: die Tops
n Keine neuen AKW: Ausgezeichnet. Für den Bau neuer Atomkraftwerke dürfen keine Rahmenbewilli
gungen mehr erteilt werden. Allerdings würde aus wirtschaftlichen Gründen heute so oder so niemand ein neues Schweizer AKW bauen wollen.
n Weniger Energieverbrauch: Erklärtes Ziel der Energiestrategie ist eine Reduktion des Stromver
brauchs von 13% bis 2035 (vgl. mit dem Verbrauchs
niveau des Jahres 2000). Beim Gesamt energieverbrauch sollen es sogar beachtliche minus 43% sein. Mit den vorgeschlagenen Mass nahmen können diese Ziele allerdings nicht erreicht werden – hier muss nach
gebessert werden (siehe Flop «Zu späte Lenkung»). Für die Erreichung der Ziele der 2000WattGesellschaft ist eine Reduktion des Energieverbrauchs um rund zwei Drittel nötig – und dabei ist die importierte graue Energie noch nicht einmal miteinberechnet.
Das Prädikat «nachhaltig» erhalten die Ziele trotz des langen Zeithorizonts also nicht.
Energiestrategie 2050: die Flops
n Keine Abschaltdaten für AKW: Der langfristige Atomausstieg ist Auslöser und Kernpunkt der Ener
giestrategie 2050. In diesem Punkt ist die Vorlage aber schwach, ja gar unbrauchbar. Es ist keinerlei
Energiestrategie 2050: viele Flops, kaum Tops
EINE BEURTEILUNG DER SES
Nach der Atomkatastrophe in Fukushima haben Parlament und Bundesrat beschlossen, die schweizerische Energieversorgung zu reformieren. Resultat ist die Energiestrategie 2050, die jetzt im Parlament beraten wird. Die SES hat die Vorlage analysiert und die wichtigsten Tops und Flops zusammengestellt. Eine Infografik, welche die Zusammen- hänge veranschaulicht, finden Sie auf den Seiten 6+7.
250
200
150
100
50
0
Top: Der Energieverbrauch soll sinken
Energieverbrauch auf der Basis des UVEK-Massnahmenpakets. Grafik Prognos 2012.
900 800 700 600 500 400 300 200 100 0
n Wasserstoff n Biogas als Treibstoff n Flüssige Biotreibstoffe n Flugtreibstoffe
n Diesel n Benzin n Biogas, Klärgas n Umgebungswärme
n Solarwärme n (Industrie-)Abfälle n Holz n Fernwärme
n Kohle n Erdgas
n Heizölprodukte o. Treibstoffe n Elektrizität
1960 1970 2000 2010 2020 2035 2050
PJ TWh
Energie & Umwelt 4/2013 9 Beschränkung der Laufzeiten unserer alten AKW vor
gesehen. Sie sollen laufen, solange sie sicher sind, wie dies heute schon im Kernenergiegesetz steht. Tatsa
che ist, dass in der Schweiz mit Beznau I das älteste AKW der Welt trotz massiver Sicherheits bedenken nach wie vor in Betrieb ist.
n
Zu tiefe CO2-Abgabe: Die CO2Abgabe auf Brenn
stoffe soll erhöht werden. Doch dies alleine reicht nicht für das Erreichen der Klimaziele: Wollen wir die globale Erwärmung ernsthaft auf weniger als zwei Grad begrenzen, müssen die CO2Emissionen bis 2050 um 80 bis 90 % gegenüber 1990 reduziert werden.
Dazu braucht es eine CO2Abgabe von mindestens 150 Franken pro Tonne mit der Möglichkeit der dyna
mischen Anpassung, die sich an den Reduktionszielen der CO2Emissionen orientiert – und nicht wie vorge
sehen eine CO2Abgabe von nur 84 Franken pro Tonne.
n
Individualverkehr verschont: Die Schweiz gönnt sich eine der treibstoffintensivsten Autoflotten in Europa. Der Absenkpfad bei den CO2Emissionen von Personenwagen ist aber ohne Biss: Mehr als die Übernahme der EUVorgaben wagt der Bundesrat nicht. Bis Ende 2015 sollen die CO2Emissionen von Personenwagen, die neu in Verkehr gesetzt werden, durchschnittlich 130 g CO2/km betragen, bis Ende 2020 95 g CO2/km. Eine CO2Abgabe auf Treibstoffen soll aber nach wie vor nicht erhoben werden. Fakt ist:
So lässt sich nicht einmal das ungenügende Klimaziel des Bundesrats (minus 20 % CO2Emissionen bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990) nicht erreichen.
n Flugverkehr unangetastet: Beim Flugverkehr gibt es keine Kostenwahrheit: Der grenzüberschreitende Flugverkehr ist und bleibt in der Schweiz von der Mineralölsteuer und der Mehrwertsteuer befreit. An
gesichts des ungebremsten Wachstums und der Klima
schädlichkeit des Flugverkehrs ist das unverantwort
lich. Immerhin waren 2012 gut 22% der in der Schweiz abgesetzten Treibstoffe Flugtreibstoffe.
n Ungenügende Ausbauziele: In der Energiestrategie 2050 werden Ziele für den Ausbau an erneuerbaren Energien definiert. Diese sind jedoch zu tief. Wenn bis 2035 alle AKW vom Netz sind, braucht es rund 25’000 GWh erneuerbaren Strom. Der Bund plant bis dahin jedoch nur einen Zubau von 14’500 GWh. Die Aus
bauziele müssen entsprechend erhöht werden. Die Energiewende gelingt nur, wenn der Atomstrom mit Strom aus erneuerbaren Quellen ersetzt wird – in der Schweiz haben wir dank 55 % Wasserkraft ideale Voraussetzungen dafür.
n KEV begrenzt: Der maximale Zuschlag für die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) soll der
einst 2,3 Rappen pro kWh Strom betragen. Ab 1.
Januar 2014 gelten 1,5 Rappen, effektiv wird der Zu
schlag aber nur 0,6 Rappen betragen. Eine Begren
zung ist grundsätzlich nicht sinnvoll, denn so wird der Ausbau der erneuerbaren Energien unnötig blo
ckiert. Auch die Zubaukontingente an Solarstrom – geht es nach dem Willen des Bundesrates – sollen be
grenzt werden, dies obwohl die zentrale Rolle und das enorme Potenzial der Photovoltaik unbestritten ist.
n Kein Elektroheizungsverbot: Elektrische Wider
standsheizungen sind Stromverschwender in reinster Form. Ineffizienter kann man Strom nicht anwenden, als ihn direkt in Wärme umzuwandeln. Hier fehlt der Mut in der Vorlage. Will man den Absenkpfad auf der Verbrauchsseite erreichen, muss man mit einem kla
ren Neubauverbot und finanziellen Anreizen für den Ersatz solcher Systeme operieren.
n Zu späte Lenkung: Generell wird in der Energie
strategie 2050 praktisch ausschliesslich auf Förderung und (noch) nicht auf Lenkungsmechanismen gesetzt – obwohl die Wirkung von ökonomischen Lenkungs
instrumenten breit anerkannt ist. Der Bundesrat will erst in einem zweiten Schritt, frühestens ab 2020, vom Förder zum Lenkungssystem übergehen.
Deswegen fehlt in der Vorlage auch eine Lenkungs
abgabe auf Strom, die einen grossen Effizienzgewinn verspricht.
n Fokus liegt auf dem Stromsektor: Das Schwerge
wicht des ersten Massnahmenpakets zur Energiestra
tegie liegt im Bereich Strom. Der Stromverbrauch je
doch macht nur einen Viertel des schweizerischen Gesamtenergieverbrauchs aus. Der Löwen anteil des Energieverbrauchs fällt im Wärme und Mobilitätsbe
reich an und stammt zu 90 % aus fossilen Quellen.
Wer die Energiewende ernsthaft angehen will, muss hier merklich und spürbar nachbessern!
Flop: fehlende Abschaltdaten für die AKW!
Die Energieversorgung der Schweiz mit Strom, Wärme und Treibstoffen wird heute zu 20%
mit erneuerbaren Energien gedeckt. Doch es ist viel mehr möglich: Wie neue Be rech nungen der SES zeigen, liesse sich der Selbstversorgungsgrad bis 2035 auf 89% steigern. Das Potenzial ist enorm: Die Energiewende schafft neue Arbeitsplätze, fördert Innovationen und
sorgt für Wertschöpfung vor Ort. Den Kantonen eröffnet die Energiewende grosse Chancen.
Es ist in ihrem Interesse, sich für eine ambitionierte Energiepolitik einzusetzen.
Die Energiewende birgt
grosse Chancen für die Kantone
WIRTSCHAFTSFAKTOR ENERGIEWENDE
Von RAFAEL BRAND E&U-Redaktor
Die Energiewende ist mehr als nur energie
politisches Wunschdenken und «ökologische Grünfärberei». Wird die neue Energiestrate
gie 2050 ernsthaft umgesetzt, so werden mit Energieeffizienz und dem Ausbau der Erneu
erbaren mindestens 85’000 neue Arbeitsplät
ze geschaffen, so das Ergebnis der im Oktober 2012 publizierten SESStudie «85’000 Arbeitsplätze für die Schweiz: Die Energiewende als Jobmotor in den Kan
tonen» (siehe E&U Nr. 4/2012).
Neues Webtool veranschaulicht Potenziale
Die SES hat jüngst – basierend auf obiger Studie und den Zahlen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) – neue Berechnungen erstellen lassen. Ein neues Webtool veranschaulicht nun unter www.energiestiftung.ch/kantone den heutigen Selbstversorgungsgrad der Kantone und zeigt, was bis 2035 möglich ist. Die neuen SESBerechnungen basieren wiederum auf dem PotenzialcheckRechner der ZHAW (www.gemeindeenergie.ch) sowie verschiedenen GIS
Daten1 (wie z.B. Wind und Waldkarten, Solarstrah
lung, Niederschläge und Bevölkerungdichte).
Für alle Kantone wurde errechnet, wie viel Energie sich durch Effizienz massnahmen einsparen lässt (effi ziente Technologien und Geräte, Gebäudesanierungen) und wie hoch das nachhaltig nutzbare Potenzial der er
neuer baren Energien ist. Daraus ableitend resultiert für jeden Kanton der Selbstversorgungsgrad2, der bis ins Jahr 2035 möglich ist (siehe Tabelle nebenan).
Selbstversorgungsgrad lässt sich auf 89% steigern
Ein Grossteil der Potenziale für erneuerbare Energien und insbesondere Energieeffizienz liegt derzeit aber noch brach. Heute produzieren nur die Kantone Uri und Graubünden mehr Energie, als sie selbst verbrau
chen. Bis 2035 könnten sich auch die Kantone Appen
zell Innerrhoden, Glarus, Jura, Obwalden, Tessin und Wallis selber mit Energie versorgen. Uri als Spitzenrei
ter könnte sogar fünf Mal mehr Energie produzieren, Neues Webtool «Wirtschaftsfaktor Energiewende»
Die SES veranschaulicht die Chancen und wirtschaftlichen Vor- teile, welche die Versorgung mit einheimischer und erneuerbarer Energie mit sich bringt. Die Schweizer Karte visualisiert, welche Kantone besonders von der Energiewende profitieren. Ein Klick auf einen der Kantone (im Beispiel oben das Tessin) zeigt das Po- tenzial bezüglich Selbstversorgungsgrad und neue Arbeitsplätze bis 2035, welches die Energiewende als Wirtschaftsfaktor für die Kantone birgt. SES-Website: www.energiestiftung.ch/kantone
1 GIS: Geografisches Informationssystem
2 Selbstversorgung ist nicht gleichbedeutend mit Energieautarkie. Es kann nach wie vor z.B. auch fossile Energie importiert werden.
100 = Solarwärme: 64
Solarstrom: 205
*Holzenergie: 772 Windstrom: 153
**Biogas: 21
**Energieeffizient: 2932 Total: 4147 TI
Tessin
Arbeitsplätze Potenzial 2035
Selbstversorgungsgrad 2010 und 2035
Energie & Umwelt 4/2013 11 als im Kanton verbraucht wird. Wird die Energiewende
ernsthaft angepackt, kann sich die Schweiz bis 2035 zu 89% und damit fast vollständig mit einheimischen, erneuerbaren Energien versorgen. Auffallend ist, dass vor allem kleinere, ländlich geprägte Kantone über
durchschnittlich profitieren können.
Im Eigeninteresse der Kantone
Die Energiewende schafft Wertschöpfung vor Ort und sorgt für wirtschaftliche Entwicklung und Innovati
onen. Angesichts von «Peak Oil» und knapper werden
den fossilen Energien bringt die Energiewende mehr Unabhängigkeit und vor allem auch Versorgungs
sicherheit. Das Potenzial und die Chancen liegen also direkt vor Ort. Es ist deshalb im Inter esse der Kan
tone, sich für eine ambitionierte Energiepolitik einzu
setzen. Eine fortschrittliche kantonale Energiepolitik kann die Anreize so setzen, dass die Erschliessung der Potenziale für Unterneh men und Private attraktiv und lohnenswert wird. Dazu gehören jedoch auch griffige Vorschriften, z.B. im Gebäudebereich, die über die Mindestvorschriften hin ausgehen. Die Ener
giewende birgt also Chancen, die es sorgfältig abzu
wägen, aber ebenso konsequent wahrzunehmen gilt.
Und die Energiewende ist ein Wirtschaftsfaktor, eine Investition, die sich lohnen wird. <
E&U: Dr. Beat Vonlanthen, weshalb genau unterstützen die Kantone und Sie als EnDK-Präsident die neue bundesrätliche Energiepolitik inklusive Atomausstieg?
«
Die Kantone haben unterschied- liche Auffassungen bezüglich der Kern- energie. In einem Punkt gehen aber alle mit dem Bundesrat einig: Die Schwei- zer Kernkraftwerke werden bis ins Jahr 2050 nicht durch neue ersetzt wer- den können. Knapp 40% des in der Schweiz produzierten Stroms stammt aus Kernkraftwerken. Um auch in Zukunft eine sichere und erschwingliche Energieversorgung sicherstellen zu können, ist folglich eine Neuorientierung der Energiestrategie unumgänglich. Gleichzeitig gewinnen auch die Ziele der Klimapolitik an Bedeutung.Deshalb müssen vorrangig der Energieverbrauch und die Nutzung erneuer- barer Energien optimiert werden. Die Kantone sprechen sich klar für die Einführung von marktorientierten Rahmenbedingungen aus, die eine grös- sere Kosteneffizienz und die Entwicklung innovativer Lösungen ermöglichen werden. Marktverzerrungen, wie wir sie bereits heute beobachten können, müssen verhindert werden, damit ein Rennen um Subventionen vermieden wird. Die Kantone haben deshalb verlangt, dass die kostendeckende Ein- speisevergütung (KEV) zeitlich befristet wird.
»
E&U: Welchen Chancen eröffnet die Energiewende den Kantonen – und wo und wie können diese profitieren?
«
Diese Neuorientierung der Energiepolitik ist eine grosse Chance, aber auch eine grosse Herausforderung für die Schweiz. Wir sind überzeugt, dass die Energiewende nur über eine föderalistische Energiepolitik gelingt. Ein wichtiger Schritt wird zweifellos der Übergang von einem Fördersystem zueinem Lenkungssystem sein. Gelingt dieser Übergang, so können die ener- giepolitischen Ziele erreicht werden, ohne eine Überregulierung zu verur- sachen, die technisch und administrativ immer komplexer wird.
»
E&U: Was ist wichtig, damit die Energiewende gelingt? Welches sind die zwei wichtigsten Anliegen der Kantone an den Bundesrat?
«
Ich möchte zuerst hervorheben, dass die Kantone das Vorhaben des Bundes generell unterstützen. Dennoch gibt es gewisse Punkte, die den Kantonen wichtig sind und die aus föderalistischer Sicht problematisch bleiben.Erstens schlägt der Bund eine komplette Neuorganisation des Fördersys- tems zu Gunsten der Energieeffizienz im Gebäudebereich vor. Die Kantone haben sich gegen dieses neue System ausgesprochen, insbesondere da uns die von den Kantonen verlangte Mitfinanzierung übertrieben scheint. Ange- sichts des immer grösseren Drucks auf die Kantonsfinanzen wird es dieses Modell nicht erlauben, die gesamten Mittel der CO2-Teilzweckbindung zu nutzen, die für die Förderung energieeffizienter Gebäude bestimmt sind. Die EnDK hat deshalb ein alternatives Modell ausgearbeitet, das sie im Rahmen der parlamentarischen Debatten bereits der nationalrätlichen Kommission unterbreitet hat.
Zweitens: Was die Standortplanung für Anlagen zur Erzeugung von erneu- erbaren Energien betrifft, sind die Kantone bereit, die Planungsarbeiten rasch aufzunehmen und zu koordinieren. Sie verlangen jedoch, dass ihre raumplanerischen Grundkompetenzen beachtet werden. Das aktuelle KEV- System sollte bereits in der ersten Etappe überarbeitet werden, damit die effizientesten Investitionen gefördert werden. Die heutigen Mechanismen benachteiligen künstlich die Stromproduktion aus Grosswasserkraftwerken, obwohl Effizienzinvestitionen in derartige Anlagen oft ein besseres Kosten- Nutzen-Verhältnis aufweisen als andere Massnahmen.
»
Nachgefragt bei Staatsrat Dr. Beat Vonlanthen,
Präsident der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK)
0 % 100 % 200 % 300 % 400 % 500 %
Aargau heute: 23 % | bis 2035: 88 % Appenzell A. Rh. heute: 6 % | bis 2035: 66 %
Appenzell I. Rh. heute: 4 % | bis 2035: 102 % Basel-Land heute: 12 % | bis 2035: 63 % Basel-Stadt heute: 7 % | bis 2035: 34 %
Bern heute: 15 % | bis 2035: 87 %
Genf heute: 10 % | bis 2035: 46 % Graubünden heute: 131 % bis 2035: 408 %
Nidwalden heute: 18 % | bis 2035: 80 %
Obwalden heute: 40 % | bis 2035: 161 % Sankt Gallen heute: 10 % | bis 2035: 64 %
Schaffhausen heute: 12 % | bis 2035: 70 % Schwyz heute: 20 % | bis 2035: 93 % Solothurn heute: 14 % | bis 2035: 77 %
Tessin heute: 36 % | bis 2035: 136 % Thurgau heute: 6 % | bis 2035: 58 %
Waadt heute: 10 % | bis 2035: 67 %
Zug heute: 3 % | bis 2035: 36 % Zürich heute: 6 % | bis 2035: 46 %
Wallis heute: 91 % bis 2035: 278 %
Uri heute: 173 % bis 2035: 516 %
Fribourg heute: 15 % | bis 2035: 86 % Glarusheute: 76 % bis 2035: 215 %
Jura heute: 5 % | bis 2035: 127 %
Luzern heute: 6 % | bis 2035: 55 % Neuenburg heute: 11 % | bis 2035: 75 %
Selbst- versorgungsgrad
CH heute: 20%
CH 2035: 89%
AEE SUISSE – Der Weg aus der Sackgasse führt über die Energiewende
«Eigentlich ist die Ausgangslage einfach.
Die aktuelle Energieversorgung führt in eine Sackgasse, weil sie zwei zentrale Um
weltgifte produziert: CO2 und Plutonium.
Klimaerwärmung und strahlende Abfälle sind die Fol
gen. Die konventionelle Energieversorgung schafft Risi ken, macht die Schweiz abhängig vom Ausland und wird immer teurer. Der Weg aus dieser Sackgasse führt für die AEE SUISSE über die Energiewende:
Ener gieeffizienz, erneuerbare Energien und mehr Intel
ligenz bei den Energiesystemen.»
Christoph Rutschmann, Präsident der AEE SUISSE Dachorganisation der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz
Alpiq – Wasserkraft steht im Zentrum
«Alpiq zählt auf eine nachhaltige Energiepolitik in der Schweiz. Dabei muss speziell die bereits bestehen
de erneuerbare Energiequelle, die Wasserkraft, im Zentrum stehen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, damit wir rentabel klimafreundlichen Strom produ
zieren können. Zudem ist ein Stromabkommen zwi
schen der Schweiz und der EU wichtig, damit die Schweiz in den europäischen Märkten mit dem flexiblen Kraftwerkportfolio partizipieren kann.»
Axpo – kein befristeter Betrieb der Kernkraftwerke
«Für Axpo sind bei der Energiewende vier Punkte zentral: eine vollständige Marktöff
nung für mehr Innovation und mehr Kon
kurrenz bei den Preisen, ein Abkommen mit der EU für die Teilnahme am liquiden europä
ischen Markt, der Abbau von Engpässen im Netz und der Verzicht auf Befristungen beim Betrieb der Kern
kraftwerke.»
BDP – Ohne Wenn und Aber zum geordneten Atomausstieg
«Die BDP steht ohne Wenn und Aber zum geordneten Ausstieg aus der Atomenergie und zur Energiewende. Geordnet bedeutet für die BDP die Gewährleistung der Versor
gungssicherheit sowie der Schutz bereits getätigter
Investitionen. Als erste bürgerliche Partei hat sie im März 2011 in einem Fraktionsvorstoss gefordert, dass es keine neuen Rahmenbewilligungen mehr für AKW geben soll. Die BDP setzt auf den Ausbau der erneuer
baren Energien, insbesondere auch der Wasserkraft.»
BKW – Folgerungen gezogen
«Die BKW hat ihre Folgerungen aus der neuen Ener
giepolitik gezogen: Strategie und Konzernstruktur sind angepasst und ein interner Transformationspro
zess ist initiiert, um aus der BKW die führende Schweizer Energiedienstleisterin zu machen. Die Ver
antwortlichen im Bereich erneuerbare Energien und der Aktivitäten im Dienstleistungsbereich haben Ein
sitz in der Konzernleitung. Zentral ist die Entwick
lung neuer Produkte und Dienstleistungen. Unsere Kunden haben in einem sich verändernden Umfeld neue und unterschiedliche Bedürfnisse, auf die wir uns ausrichten und für die wir die besten Lösungen anbieten.»
CVP – unterstützt den Atomausstieg und die Energiewende
«Die CVP unterstützt den geplanten Atom
ausstieg und damit die Energiewende. Der von Kernkraftwerken produzierte Strom muss durch andere Energieträger ersetzt werden; die Versorgungsicherheit hat oberste Priori
tät. Wir fordern mehr Energieeffizienz, insbesondere durch Gebäudesanierungen, die Modernisierung des Verteilnetzes und technologische Innovationen (Bei
spiel ‹smart grid›). Mittelfristig haben wir zum Ziel, dass die neuen erneuerbaren Energien zu Netzpreisen produziert werden und die Förderin strumente somit überflüssig werden.»
economiesuisse – Klimawandel und Energie- wende betreffen uns alle
«Klimawandel und Energiewende betreffen uns alle – nicht nur die Schweiz. Es muss das Ziel sein, Emissi
onen zu reduzieren und die Risiken der Energieproduk
tion zu minimieren. Der Schlüssel zur Veränderung liegt nicht in einer staatlichen Subventionspolitik, die den Fortschritt nur ausbremst. Viel mehr brauchen wir einen Markt, der uns die Nachfrage und Knapp
heit aufzeigt. Und vor allem brauchen wir Innova
In der Wintersession beginnt die Debatte im Parlament um die Energiestrategie. Immer wieder und überall wird kolportiert, die Idee der Energiewende stosse auf breiten gesell- schaftlichen und politischen Konsens. Ist das tatsächlich so? SES-Kommunikationsleiterin Katia Schär hat Parteien, Unternehmen und Organisationen die Gretchenfrage gestellt.
Wie haben Sie’s mit der Energiewende?
PANOPTIKUM ZUR ENERGIEWENDE 2050
Energie & Umwelt 4/2013 13 tionen, die wir exportieren können. Damit lassen sich
gute Ideen multiplizieren. Deshalb fordert economie
suisse: Pioniergeist und echten Fortschritt statt Staatshilfe!»
Kurt Lanz, Leiter Infrastruktur, Energie & Umwelt economiesuisse
FDP – gegen eine staatlich verordnete Energiewende
«Die FDP sieht ein grosses Potenzial im Be
reich der Energieeffizienz, das wir rasch und unbürokratisch nutzen wollen. Was wir nicht wollen, sind ausufernde Subventionen im Bereich der Energieproduktion. Eine staatlich ver
ordnete Energiewende, wie sie beispielsweise Deutsch
land umzusetzen versucht – und dabei ein milliarden
teures Desaster anrichtet – lehnen wir klar ab.»
Philipp Müller, Präsident FDP Schweiz
Grüne Schweiz – fordern den geordneten Atomausstieg bis 2029
«Atomausstieg und Energiewende sind seit Parteigründung zentrale Forderungen der Grünen. Um den ökologischen Fussabdruck zu reduzieren und möglichst viel Energie einzusparen, haben wir 2011 die Volksinitiative für eine Grüne Wirtschaft eingereicht. Mit einer zweiten Volksinitiative wollen wir den geordneten Ausstieg aus der Atomkraft bis 2029 und setzen dazu ganz auf erneuerbare Energiequellen. Beide Initiativen sind die Grundlage für einen klima und umweltfreundlichen Atomausstieg und die ‹grüne Energiewende›, die auf Öl, Gas und Kohle verzichtet.»
Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen Schweiz
SP – Energiewende ist notwendig
«Die SP fordert die Energiewende seit vielen Jahren und unterstützt alle in diese Rich
tung gehenden Massnahmen mit Nach
druck. Die Energiewende – Ausstieg aus der
Atomkraft, Umstieg auf erneuerbare Energien, Förde
rung von Energieeffizienz – ist notwendig, technolo
gisch möglich und ökonomisch verkraftbar – sofern, und dafür engagiert sich die SP beispielsweise im Rah
men der Diskussion rund um die kostendeckende Ein
speisevergütung (KEV), förderliche Rahmenbedin
gungen geschaffen werden.»
SVP – für Träume die Zeche zahlen
«Die SVP setzt sich für eine sichere, bezahl
bare und möglichst unabhängige Strom
versorgung ein. Der unter dem Schlagwort Energiewende propagierte Umbau des Ener
giesystems ist jedoch das pure Gegenteil: Mit der Einführung planwirtschaftlicher Massnahmen, der Erhöhung bestehender Abgaben sowie der Schaffung von neuen Steuern wird auf unverantwortliche Weise unsere gut funktionierende Energieversorgung aufs Spiel gesetzt und die Auslandsabhängigkeit massiv erhöht. Wirtschaft und Bevölkerung werden für diese Träume am Schluss die Zeche bezahlen, ohne dass sie sich bislang konkret dazu äussern konnten.»
Toni Brunner, Präsident SVP Schweiz
swisscleantech – einsteigen in ein neues Energiezeitalter
«Für swisscleantech geht es bei der Energie
wende um den geordneten Ausstieg aus der nuklearen und aus der fossilen Energie – so
wie um den Einstieg in ein neues Energie
zeitalter. Dieses baut auf Effizienz, erneuerbare Ener
gien und intelligente Netze. Richtig umgesetzt ist die Energiewende wirtschaftlich attraktiv und eine Chance für die Schweiz.»
Die Grünliberale Partei Schweiz hat bis Redaktions
schluss ihre Position nicht eingereicht. <
Katia Schär
Foto: Greenpeace / Jonas Scheu Foto: dreamstime.com
SES-PODIUMSDISKUSSION, 22. OKTOBER 2013: ENERGIEWENDE IM OFFENEN MARKT
Das Rennen um die günstigste Kilowattstunde
In naher Zukunft soll jeder Schweizer Haushalt seinen Stromversorger selber wählen können. Bringt das Schwung in die Energiewende oder bleibt an den Erneuerbaren das Prädikat «zu teuer» haften? Die SES hat an einer Podiumsdiskussion in Zürich Experten befragt – aber keine eindeutigen Antworten erhalten.
Von KATIA SCHÄR Leiterin Kommunikation
Grossverbraucher dürfen es schon heute:
ihren Stromproduzenten frei wählen. Als zweiter Schritt der Marktöffnung sollen das künftig alle Schweizer StromkonsumentInnen können. Wie es uns heute schon freisteht, unsere Milch beim Grossverteiler, im Milchlädeli um die Ecke oder an der Tankstelle zu kaufen, sollen wir bald die Qual der Wahl haben zwischen Atomstrom, Sonnenstrom oder Windstrom von einem grossen Energieunter nehmen, den Stadtwerken oder viel
leicht auch von der genossenschaftlichen Solaranlage im Quartier.
Profitieren Erneuerbare und Effizienz von der Marktöffnung?
Strommarktliberalisierung heisst das Zauberwort, und sie ist eine zwingende Voraussetzung für das Stromabkommen mit der Europäischen Union, für das zurzeit Bundesrätin Doris Leuthard allenthalben nach Brüssel weibelt. Das «ob» steht also kaum zur Debatte, jedoch das «wie» und vor allem vor dem Hintergrund der Energiewende das «was bringts?».
Profitieren Erneuerbare und Effizienz von der vollen Marktöffnung? Diese Frage stellte sich die SES und lud unter dem Titel «Energiewende im offenen Markt»
Energieexperten zur SESPodiumsdiskussion in Zürich.
Marcel Frei, Direktor ewz, muss sich die Frage nicht mehr stellen. In Zürich können die Stromkon sumen
tInnen bereits heute wählen, wie ihr Strom produ
ziert wird. Und wer nicht aktiv zu Atomstrom wech
selt, erhält zu 100 Prozent erneuerbaren Strom. Trotz der Wahlfreiheit und des höheren Preises würden sich zwei Drittel der ZürcherInnen für die Erneuerbaren entscheiden: «Eine Erfolgsgeschichte!»
Andere Erfahrungen hat jedoch Andreas Massüger, Präsident des Dachverbandes der Schweizer Verteil
netzbetreiber (DSV), bei Grosskunden in ländlichen Gebieten gemacht. Obwohl hier eine enge Bindung zwischen der Kundschaft und den Elektrizitätswer
ken bestehe, würden viele bewusst auf Solarstrom ver zichten. Wegen der kostendeckenden Einspeise
vergütung hätten manche das Gefühl, für den teureren Strom doppelt bezahlen zu müssen.
Auf den Preis schauen gerade auch die energieinten
siven Unternehmen. Das musste auch Christian Zeyer, der stellvertretende Geschäftsführer von Swiss Clean
tech, einräumen. Jedoch hätten wir heute einen ver
fälschten Markt, weil viele Kosten – insbesondere die BackEndKosten der AKW – nicht internalisiert seien, argumentierte Zeyer: «In einem wirklich freien Markt werden die Kosten dort bezahlt, wo sie anfallen: Und dann sind die Erneuerbaren die günstigsten.»
Kostentransparenz als Chance – oder «Geiz ist geil»?
Kostentransparenz als Chance für die Erneuerbaren?
Matthias Gysler, Chefökonom des Bundesamts für Energie, hat da seine Zweifel. Wenn die Kundschaft wählen könne, werde es schwierig, die höheren Geste
hungskosten auf den allgemeinen Strompreis zu überwälzen. «Der Kunde wird das billigste Modell oder das billigste Elektrizitätswerk wählen.»
Die Gefahr besteht tatsächlich, dass dann das Rennen auf die billigste Kilowattstunde beginnt. Auch Haus
halte würden dann Preise vergleichen, ist Dore Heim, Zentralsekretärin Schweizerischer Gewerkschafts
bund, überzeugt – wenngleich die Preisdifferenz der einzelnen Kilowattstunde für das Haushaltsbudget Von links: Christian Zeyer, Dore Heim, Marcel Frei, Andreas Massüger, Matthias Gysler.
Fotos: Patrick Bussmann
Energie & Umwelt 4/2013 15 kaum relevant sei. «Geiz ist geil – das funktioniert in
der Schweiz nicht», konterte ewzDirektor Marcel Frei. Die SchweizerInnen würden für Nachhaltigkeit zahlen, ist er überzeugt.
Wo bleibt der Anreiz, Energie zu sparen?
Ob nun der Wunsch nach Nachhaltigkeit oder das Portemonnaie entscheidet: Wo bleibe der Anreiz, Energie zu sparen, fragte NZZRedaktor Davide Scruzzi, der die Diskussion moderierte. ewzDirektor Frei sieht diesbezüglich keinen Zusammenhang. Be
reits heute sei für Unternehmen der Preis pro kWh nicht mehr alleine entscheidend für die Wahl des Stromversorgers. «Viele wünschen eine Beratung zum Energiesparen.» Die Haushalte würden hier sicherlich nachziehen. Andreas Massüger, Präsident der Verteil
netzbetreiber, hingegen war skeptisch, vor allem, wenn der Entscheid davon abhänge, wie wenig Geld effektiv gespart werden könne. Bei den heutigen Strompreisen sei das Sparpotenzial für einen Haus
halt letztlich zu unbedeutend. Dem Blick auf den Preis etwas Gutes abzugewinnen, versuchte Christian Zeyer, stellvertretender Geschäftsführer Swiss Clean
tech: Energie zu sparen mache nie Spass. Aber viel
leicht falle es leichter zu verzichten, wenn dabei die Rechnung tiefer ausfalle. BFEChefökonom Matthias Gysler allerdings blieb skeptisch, ob dann noch Massnahmen zur Energieeffizienz ergriffen werden
könnten: Wenn der Kunde dank Internali sierung und Kostentransparenz den effektiven Preis für den Strom bezahle, müsse Energiesparen eine persönliche Ent
scheidung sein und der Staat könne dann nicht mehr lenkend eingreifen.
Dennoch ist der Ökonom vom künftigen Erfolg der Energieeffizienz überzeugt: Im freien Markt müsste sich ein Unternehmen mit neuen innovativen Produkten, durch seine Einzigartigkeit von seinen Konkurrenten unterscheiden – und da sei Effizienz ein entscheidendes Verkaufsargument. ewzDirektor Marcel Frei aber sieht die Zukunft weit weniger rosig:
Bis dato hätten die privaten KundInnen die Differenz zwischen Marktpreis und Gestehungskosten zahlen müssen. Mit der Marktöffnung werde diese Zeit vor
bei sein: «Das wird der Branche weh tun. Aber wir haben ja lange schön verdient.»
Der zweite Schritt – der liberalisierte Strommarkt für Kleinverbraucher und Haushalte wird kommen. Die Frage, ob er den erneuerbaren Energien zum Durch
bruch verhilft, das konnten die von der SES geladenen Experten nicht beantworten. Letztlich blieb sogar noch eine Frage mehr im Raum: Hat der erste Schritt überhaupt stattgefunden? argwöhnte Dore Heim.
Denn für einen grossen Teil der Kosten gebe es keinen
freien Markt: das Netz. <
Auch sie werden sich bald individuell für einen Stromanbieter entscheiden können: die zahlreichen ZuschauerInnen der Podiumsdiskussion zur Stromliberalisierung.
Risiken und Folgen des Uranabbaus
Uran ist ein Schwermetall, das auch leicht radioaktiv ist. Bleibt es unter der Erde verschlossen, ist es für Mensch und Tier ungefährlich. Die mineralischen, toxischen und radioaktiven Eigenschaften des Erzes sind jedoch für die Arbeiter einer Uranmine ein grosses gesundheitliches Risiko. Wie in anderen Minen fördert der Feinstaub Lungenerkrankungen wie etwa die Staublunge (Silikose).
Beim Uranabbau wird die Erdoberfläche oft grossflächig zerstört, und dann wird Uran gefährlich. Uranverseuchte Luft von den riesigen Abfallhalden und konta- miniertes Wasser aus den künstlich angelegten Abklingbecken gelangen in den menschlichen Körper und konzentrieren sich in Organen, dem Skelett, im Gehirn.
Vor allem das Abbauprodukt beim radioaktiven Zerfall, Radongas, verursacht Nieren- und Lungenkrebs. Die chronisch ionisierenden Strahlen führen zu gene- tischen Defekten, die zu Frühaborten und embryonalen Schädigungen führen können. Schliesslich kann die Toxizität des Schwermetalls zu Haut- und anderen Erkrankungen führen.
Es sind diese gesundheitliche Gefährdung der Arbeiter und die Produktionskosten, die zur Schliessung grosser Uranminen in Europa geführt haben (etwa in Wismut in der ehemaligen DDR). Allerdings wird Uranerz immer noch in vielen Ländern gefördert, zu den grössten Produzenten gehören Kanada, die USA, Australien, Russland, Kasachstan und Niger. Die Minengesellschaften, oft in ausländischem Besitz, haben bislang kaum Massnahmen ergriffen, die Abfälle zu entsorgen oder Landschaft und Lebensraum wieder herzustellen.
Tansania möchte ins Uranabbau-Geschäft einsteigen: Andreas Nidecker von ÄrztInnen für soziale Verantwortung und zur Verhütung eines Atomkrieges (PSR/IPPNW Schweiz) hat mit anderen Nichtregierungsorganisationen eine Konferenz veranstaltet, um die lokale Bevölkerung über die Risiken zu informieren. Im Vorfeld besuchte er mit dem Aktivisten Anthony Lyamunda dessen Heimat, wo bereits Probebohrungen durchgeführt wurden.
«Welche Wunder müssen geschehen, damit wir mit dem Uranabbau reich werden?»
URANABBAU IN TANSANIA
Das Projekt soll bald beginnen. Mindestens 36’000 Tonnen lagern unter der Erde am MkujuFluss. Und das ist nur einer der vielen Standorte, an dem Probe
bohrungen durchgeführt worden sind. Tansanias Regierung möchte zu den Grossen im Weltmarkt gehören und verspricht sich Reichtum und Arbeits
plätze. Das Wort, das all dies verheisst, gibt es in Kisuaheli nicht: Uran.
Die Regierung ist alleine mit ihrer Vision
Von «den Mineralien» reden die Menschen, oder der«Sache», und können sich auch so kaum eine Vorstel
lung davon machen, welche Konsequenzen für die Umwelt und sie selber hinter dem Wort Uranabbau lauert. Wie sollten sie auch, sind sie doch in keinster Weise in die Vision der Regierung involviert. Ohne Anmeldung seien Probebohrungen durchgeführt worden, erzählt Anthony Lyamunda, Direktor von CESOPE, einer NGO, die sich für Bürgerrechte, die Umwelt und gegen die Uranschürfung einsetzt.
Uranvorkommen unter Reisfeldern
Lyamunda führt eine Gruppe von Wissenschaftlern und Ärztinnen, die zur Konferenz «Uranium Mining – Impact on Health and Environment» nach Tansania gereist ist, in seine Heimat, die Bahi Swamps, unweit der Hauptstadt Dodoma. Während der Regenzeit verwandelt sich die Savanne in ein riesiges Reisfeld, eine Seltenheit in Tansania. Danach wird die Region fast wüstenartig trocken, Wasser gibt es nur noch in weit entfernten Quellen.
Australier werden bohren – und verdienen
Auch hier sind Uranvorkommen entdeckt worden, unweit der einzigen Wasserfassung im näheren Umkreis. Auf den ausgetrockneten Feldern ragen alle hundert Meter abgesägte Plastikröhren aus dem Boden, Zeugen der Probebohrungen. Es ist denn auch keine tansanische Firma, die den Zuschlag für die Erkundungslizenz erhalten hat, sondern Mantra Tanzania Limited aus Australien.Die Menschen in den Bahi Swamps sind extrem ver
unsichert: Wird es genug Wasser haben, um Reis anzubauen und Vieh zu halten, wenn doch der Uran
abbau so viel benötigt? Und wird das Wasser radioaktiv belastet werden? Lyamunda erzählt, dass seit Ende letzten Jahres über 200 Bauern – und auch Kinder – die mit dem Wasser des Reisanbaus in Kontakt gekommen sind, mit schweren Gesundheitsproble
men zu kämpfen hätten. Keiner wisse, was es sei und woher es komme. Er habe daraufhin Auskunft über die bei den Bohrungen verwendeten Chemikalien ver
langt – aber keine Antwort erhalten. Dafür steht Akti
vist Lyamunda nun im Fokus der Behörden, und auch dieser «field trip» endet für ihn in einem dreistündigen Verhör auf der lokalen Polizeistation.
Schlechte Erfahrungen mit dem Goldabbau
Für die lokale Bevölkerung steht viel auf dem Spiel:Wie so oft in Afrika, ist das Landeigentum der Bauern
familien nirgends schriftlich festgehalten, für die Dorfgemeinschaft zählt das Gewohnheitsrecht. Ge
genüber einem ausländischen Investor, hinter dem der Staat steht, hat dieses aber kein Gewicht. Der wirt
Energie & Umwelt 4/2013 17 Sein Gesicht kennt in der Region um Dodoma jeder: Anthony Lyamunda, Direktor der Nichtregierungsorganisation CESOPE. Die Botschaft des Widerstands ist ihm das Wichtigste: Er trägt sie auf seinem T-Shirt.
Foto: Andreas Nidecker
schaftliche Wert von Reisanbau und Rinderzucht sei für die lokale Bevölke
rung viel höher als der Ertrag aus dem Uranabbau, unterstreicht Lyamunda. Er zweifle sowieso daran, dass bei ihnen viel vom Erlös ankomme, denn er erin
nert sich an die Erfahrungen Tansanias mit dem Gold: «Hat sich das Land da
durch irgendwie entwickelt? Welche Wunder müssen nun geschehen, damit wir mit dem Uran abbau reich werden?»
Das gilt nicht nur für die Menschen in den Uranabbaugebieten, sondern für das ganze Land. Tansania wird wie beim Gold Förderlizenzen an ausländische Unternehmen abgeben und nur einen Bruchteil ihrer Gewinne erhalten.
Informieren und Widerstand aufbauen
Für Anthony Lyamunda steht fest: Der Preis ist zu hoch, Tansania soll auf den Uranabbau verzichten. Denn auch wenn Sospeter Muhongo, Minister für Energie und Bodenschätze, überzeugt ist, dass durch die Fortschritte in der Nuklear
technik sichergestellt werden könne, dass die Menschen in der Nähe der Minen nicht von der Strahlung der Uranerze betroffen sein würden, so sind die Gefahren für Mensch und Umwelt riesig (siehe Textbox: «Risiken und Fol
gen des Uranabbaus»).
Und Lyamunda und die Aktivistinnen und Aktivisten von CESOPE bleiben hartnäckig dabei, die Bevölkerung über
die Risiken zu informieren und den Wi
derstand auf zubauen: «Bahi without Uranium we can. Paddy is enough.» –
«Wir schaffens in Bahi ohne Uranium.
Reis ist genug.» <
Andreas Nidecker* und Katia Schär
Quellen:
n Die Zeit 2011: www.zeit.de/2011/15/
uranabbau-afrika-umwelt n Deutsche Welle 2013: www.dw.de/
gefährliches-uran-in-tansania/a-17143646 n UmweltFAIRaendern 2013:
www.umweltfairaendern.de/2013/10/
trouble-in-tansania-erkundung-fuer- uranabbau-in-der-region-bahi-bei-dodomo/
Solarstrom statt Uranförderung
Nach der Konferenz «Uranium Mining – Impact on Health and Environment» verfassten die Teil- nehmerInnen eine Erklärung, in der sie unter anderem festhalten, dass Uranabbau eine nachhaltige Entwicklung bremst und empfehlen den Regierungen, stattdessen – für eine bessere ökonomische und öko logische Zukunft – auf technologische Unterstützung für erneuerbare Energien zu setzen.
Energie sei ein wichtiges Thema für die meisten afrikanischen Länder. Aber auch in den Ländern, in denen Uran abgebaut wird oder werden kann, sei Solarenergie die viel bessere Option als Uran.
* Professor Dr. med. Andreas Nidecker ist im Vorstand der Schweizer Sektion von «ÄrztInnen für soziale Verantwortung und zur Verhütung eines Atomkrieges» (PSR/IPPNW Schweiz), eine Organisation, die sich für die weltweite Abschaffung der Atomwaffen und den Aus- stieg aus der zivilen Atomtechnologie einsetzt.
Im Rahmen dieses Engagements fördern die PSR/IPPNW auch generell die Verbreitung des Wissens zu Aspekten der gesamten Nuklearkette.
VonTINA BERG
Praktikantin Strom&Atom SES
Die Katastrophe in Fukushima hat in einigen Ländern eine po
litische Kehrtwendung einge
läutet. 2011 sind weltweit mehr Atomkraftwerke vom Netz ge
nommen worden als je zuvor. Neben sicherheitsre
levanten Aspekten, die 2011 sicherlich höher gewich
tet worden sind als bis anhin, gibt es auch technische und wirtschaftliche Gründe, die zum Entscheid füh
ren, ein AKW ausser Betrieb zu nehmen.
Den «Stecker zu ziehen» reicht bei einem AKW jedoch nicht: Die Anlage muss rückgebaut und der radioak
tive Müll entsorgt werden. In Europa sind bislang ge
rade einmal acht kleinere AKW mit einer Gesamtleis
tung von 447 Megawatt komplett stillgelegt und rück
gebaut worden. Dabei waren die Pläne viel ambitiöser:
Einer Studie der Europäischen Gemeinschaft zufolge
hätten bis 1990 17 grosse Atomanlagen stillgelegt werden sollen, bis zum Jahr 2000 sogar 50.1
Warten auf den Abriss
Zurzeit stehen 152 stromproduzierende AKW in Europa mit einer Gesamtleistung von 146’283 MW. Demgegen
über harren 84 abgeschaltete AKW mit einer Gesamt
leistung von 36’377 MW des Rückbaus. Viele Anlagen sind seit Jahrzehnten ausser Betrieb – Europa gleicht einer radioaktiven Ruine.
«Dass so viele Kernkraftwerke in Europa zwar stillge
legt sind, aber nicht aktiv rückgebaut und abgerissen werden, hat viele Gründe», erklärt Gerhard Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter Nukleartechnik &
Anlagensicherheit beim ÖkoInstitut Darmstadt: Es werde etwa darauf gewartet, dass ein Endlager für die Abfälle gebaut werde, oder die zuständigen Aufsichts
behörden seien zu wenig aktiv oder aber es fehlten schlichtweg die Kenntnisse und der Mut, das Problem ernsthaft anzugehen. «Liegenlassen ist unter un
klaren Bedingungen zwar ein naheliegender Reflex, aber kaum als Beitrag zu einer nachhaltigen Problem
lösung zu bezeichnen.»
STILLLEGUNGSKOSTEN WERDEN MASSIV UNTERSCHÄTZT
Zahlreiche Atomkraftwerke in Europa warten darauf, rückgebaut und dekontaminiert zu werden: Doch es fehlt an Erfahrung, an Endlagern – und auch an Mut. Der AKW- Rückbau dauert länger als gedacht und die Kosten müssen ständig nach oben korrigiert werden. Auch in der Schweiz steigen die Kostenschätzungen alle fünf Jahre.
Radioaktive Ruine Europa
1 «Der richtige Platz für eine Hühnerfarm», Spiegel Nr. 28/1986, S. 62–67.
Quelle: Gerhard Schmidt, Öko-Institut Darmstadt; IAEA