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Zur aktuellen Lage des Feminismus in Spanien

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Rosa María Rodríguez Magda

Zur aktuellen Lage des Feminismus in Spanien

Seit den 1970er und 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts haben entscheidende soziale Bewegungen und eine Rechtsentwicklung in Spanien stattgefunden, die die aktuellen feministischen Strömungen und Diskurse theoretisch und praktisch stark beeinflussen. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die neueren Ten- denzen und Auseinandersetzungen.

Die zweite Welle des Feminismus in Spanien

Die Ursprünge des heutigen Feminismus in Spanien sind im historischen und politischen Kontext der 1970er Jahre zu suchen, dem Ende der Francodikta- tur und der Zeit der Transición1 bis hin zur heutigen Demokratie. Die Debatten konzentrierten sich zu dieser Zeit auf das Verhältnis zwischen Kapitalismus und Patriarchat, auf Arbeit als Produktion und Reproduktion und auf die Option der doble militancia (doppelter Kampf),2 welche zur ersten Spaltung zwischen dem sozialistischen und dem radikalen Feminismus führte. Diese Spaltung hatte über die politische Praxis hinaus zur Folge, dass sich zwei theoretisch entgegengesetzte Positionen gegenüber standen, die zum Ausgangspunkt des Streites zwischen Gleichheitsfeminismus und Differenzfeminismus werden sollten.

In den 1980er Jahren konsolidierte sich die Demokratie. Es wurden Reformen zugunsten der Gleichstellung (Scheidungsgesetz von 1981, Teillegalisierung der Abtreibung von 1985) durchgeführt sowie die Einbindung der Frauen in die politischen Parteien mit Regierungsverantwortung gestärkt. Mit der Einrich- tung von Seminaren und Studiengängen zu Frauenstudien an verschiedenen spa- nischen Universitäten entstand der Akademische Feminismus.3

Die internationale theoretische Auseinandersetzung in diesen Jahren begrün- dete die Postulate eines radikalen Feminismus, in dem Frauen und Männer, be- zogen auf ihre unterschiedlichen Positionen in der Produktion und auch auf die

1 Anmerkung der Übersetzerin: Mit dem Begriff Transición ist der politische Übergangsprozess nach dem Ende der Francodiktatur 1975 zur Demokratie in Spanien gemeint. Zumeist wird das Ende der Transición mit der Regierungsübernahme durch die sozialistische Partei (PSOE) datiert.

2 Anmerkung der Übersetzerin: Doble Militancia, der doppelte Kampf, bezeichnet den aktiven Einsatz der Frauen für die linken Parteien und deren Anliegen des Klassenkampfes und zu- gleich die feministische Bewegung.

3 Zum ausführlichen Studium dieser Epoche empfehle ich Mercedes Agustín Puerta: Feminismo:

identidad personal y lucha colectiva. (Análisis del movimiento feminista español en los años 1975 a 1985). Granada 2003. Und: Carmen Martínez Ten / Purificación Gutiérrez López / Pilar Gon- zález Ruiz (Hrsg.): El movimiento feminista en España en los años 70, Madrid 2009.

Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1 / 11

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Geschlechterdifferenz, als voneinander getrennte und sich gegenüberstehende Klassen aufgefasst werden. In Spanien führte diese Strömung auf der politischen Ebene zur Gründung der Feministischen Partei. Im Zuge ihrer zunehmenden Verbreitung gründete sich der Verlag Vindicación feminista.4 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang das Werk von Lidia Falcón, Crítica de la razón feminista (Falcón 1981). Der erste Band widmet sich der Frau als sozialer und ökono- mischer Klasse und der häuslichen Produktion, der zweite der Reproduktion des Lebens. Mit der Regierungsübernahme durch die Sozialistische Arbeiter- partei (PSOE) im Jahre 1982 bewegte sich die feministische Debatte zwischen Konsolidierung eines sozialistischen Feminismus, die mit der Notwendigkeit, in den politischen Institutionen aktiv zu intervenieren, formuliert wurde und den Gruppen, die gerade hierin einen Verlust an revolutionärem Potenzial der Bewe- gung sahen. Mit Gründung des Instituto de la Mujer (Fraueninstitut) im Jahre 1983 vereinigte sich unter diesem Dach ein Großteil des sogenannten institutionellen Feminismus. Demgegenüber positionierte sich der autonome Feminismus, der aus den Jornadas de Granada 1979 hervorging, in zahlreichen Treffen zu Beginn der 1980er Jahre. Zur gleichen Zeit etablierte sich, ausgehend von den neuen universitären Frauenstudien und -zentren, die unter anderem von Judith As- telarra, Marina Subirats oder Celia Amorós gegründet wurden, der akademische Feminismus. In diesem Umfeld entstanden eine Reihe erwähnenswerter Studien, die eine solide Grundlage bilden, um die androzentrischen Sichtweisen der ver- schiedenen Disziplinen einer wissenschaftskritischen Revision zu unterziehen und gleichzeitig die Sichtbarkeit der wissenschaftlichen Beiträge von Frauen zu erhöhen.5 In der Auseinandersetzung zwischen Gleichheits- und Differenzfemi- nismus spitzten sich die entgegengesetzten theoretischen Positionen weiter zu.

Die Kontroverse hatte während der bereits erwähnten Jornadas Feministas de Gra- nada 1979 ihren Ausgangspunkt, verteidigt wurde der Aspekt der Differenz, auch aus lesbischer Perspektive, durch Gretel Atman. Dies blieb Streitthema auf den nachfolgenden Kongressen. Die Zeitschrift El viejo topo veröffentlichte Artikel zu den beiden widerstreitenden Positionen: während Empar Pineda und Ame- lia Valcárcel Gleichheitsforderungen verteidigten, setzte Genoveva Rojo darauf

„Frau [zu] sein und stolz auf diese Bezeichnung [zu sein].“ 1994 nahm dieselbe Zeitschrift das Thema erneut auf: Alicia Puleo entwickelte den Gleichheitsansatz weiter, Milagros Rivera Garretas den der Differenz. Letztere und Victoria Sendón de León, sind die Autorinnen, die das theoretische Gerüst des Differenzfeminis- mus detailliert und ideenreich entwickelt haben.

4 Der Verlag wird von Lidia Falcón, der Mitbegründerin der Feministischen Partei geleitet. Ver- lag und Partei sind jedoch voneinander getrennt, siehe: http://www.unizar.es/gobierno/vr_

institucionales/observatorio/vindicacion/index.htm

5 Diese Theoretisierung habe ich in meinem Text „La Teorización del género en España“ vorge- nommen und sie an verschiedenen Stellen meines Buches El Placer del simulacro. Mujer, razón y erotismo (Rodríguez Magda 2003) wieder aufgenommen. Der Text kann unter http://webs.

uvigo.es/pmayobre/pdf/3text_paridad_ya.pdf gelesen werden.

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In meinem Buch La seducción de la diferencia (Rodríguez Magda 1987) habe ich den Versuch unternommen, diesen Widerstreit zu überwinden, indem ich mich sowohl vom Essentialismus als auch vom Universalismus entferne, um stattdessen für die Vervielfältigung der Differenzen und für die Konstruktion eines strate- gisch starken weiblichen Subjekts einzutreten. In einem weniger theoretischen Feld hat sich der Differenzansatz in Selbsthilfe- und Selbsterfahrungsgruppen verselbstständigt, von denen einige an die New Age Bewegung anknüpfen.

Konsolidierung der Gleichstellungspolitik

Diese von mir mit fliegender Feder beschriebene jüngste Vergangenheit bildet den Kontext für die Situation, in der die Protagonistinnen heute produzieren und aktiv in das aktuelle Geschehen eingreifen. Auch wenn divergierende Strö- mungen und Theoriebeiträge anzuerkennen sind, so hat der Gleichheitsfeminis- mus doch den Kampf gewonnen, vor allem was das Vorantreiben von Projekten zur Transformation der spanischen Gesellschaft betrifft. Dies war nur möglich, weil sich der Gleichheitsfeminismus dem Thema Macht zugewendet hat. Kon- krete Aktionen des Gleichheitsfeminismus beruhen auf einer von verschiedenen Autorinnen verfassten theoretischen Arbeit. Eine dieser Autorinnen, die das Ver- hältnis von Macht und Feminismus besonders gründlich untersucht hat, möchte ich im Folgenden vorstellen.

Amelia Valcárcel

Amelia Valcárcel ist Professorin an der spanischen Universität für Fernstudien (UNED) und zurzeit Mitglied des Regierungsrates. Der Gleichheitsbegriff ist einer der grundlegenden Säulen ihres Denkens. Mit ihrer Analyse der hegelia- nischen Philosophie konnte sie die Dialektik der Anerkennung des Anderen er- gründen und der Forderung nach einer sozialen Ethik nachgehen. Denn auch der philosophische Diskurs ist nicht neutral; er hat die Frau als universelles Subjekt und als Rechtssubjekt negiert. Eine kritische Lektüre der Geschichte des Den- kens erscheint notwendig, um deren Trugschlüsse zu entlarven – zum Beispiel eine angenommene Trennung zwischen Natur und Kultur, welche den Frauen Unsichtbarkeit bescherte – und so den Weg zur Equipotencia6 zu ebnen. Valcárcel spricht sich für einen Gleichheitsfeminismus aus, den sie zugleich als ethische Theorie und Politik auffasst. Ein entscheidender Beitrag zur Bestimmung des Verhältnisses zwischen Feminismus und Macht ist die Dekonstruktion der Vor- stellung, dass Macht etwas Negatives sei. Von Seiten der anarchistischen Kritik

6 Anmerkung der Übersetzerin: wortwörtlich Potenzausgleich, ausgleichendes Machtverhältnis der Gleichheit: Valcárcel versteht Equipotencia als die notwendige Machtausübung zur Errei- chung von Gleichstellung als Voraussetzung für Gleichheit.

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und in der Perspektive der 1968er erscheint Macht als etwas, das unbedingt zu- rückzuweisen ist. Der Feminismus, der sich im Kontext dieser Kritik verortete, schien sich in einer nahezu messianischen Geste in ein von der Macht nicht kontaminiertes Projekt zu verwandeln. Amelia Valcárcel konnte klar zeigen, dass, wenn Macht korrumpiert, sie um so mehr korrumpiert, wenn sie nicht zu haben ist. Sie forderte das ein, was später el derecho al mal (das Recht auf das Böse) ge- nannt wurde. Der Feminismus konnte sich nicht länger vor einer direkten Kon- frontation mit der Macht verstecken, auch wenn damit seine angestrebte Ein- stimmigkeit gefährdet wurde. Er durfte sich nicht selbst in die Falle begeben, sein Vorhaben an eine Utopie der Machtlosigkeit zu binden, ohne dass hier und jetzt ein Raum der Equipotenz geschaffen würde.

Der Weg zur Gleichheit bedeutet, sich als ethisches Subjekt mit allen Rechten zu konstituieren, wozu Autonomie notwendig ist, das heißt, die Fähigkeit, Rechte zu beanspruchen, die die Freiheit des Handelns bestimmen. Um die Hindernisse in diesem paradoxen Prozess sichtbar zu machen, nutzt Amelia Valcárcel das Kon- zept der Heteronomie: Es sind die Anderen, die uns benennen, die beanspruchen, uns unsere Identität zu verleihen und die Normen vorzuschreiben, denen wir uns unterwerfen müssen: „Im Ursprung der Gattung begegnet die Frau dieser heteronormativen Anrufung, die die Frauen aus der Sphäre der Individualität und des Vertrages ausschließt“ (Valcárcel 1991, 109). Die Wegstrecke vom Ihr zum Ich muss überwunden werden, vom Nominalismus und der Pragmatik ausgehend bis hin zur Konstruktion eines Wir, das die Fremdbezeichnung hinter sich lässt.

Dieser Nominalismus muss jeglichem essentialistischen oder Differenzfeminis- mus entsagen: „Frauen verbindet nicht eine Essenz, denn unsere sozialen und individuellen Unterschiede können enorm sein. Was uns verbindet, ist eine Gat- tungsposition und der Wille, deren herabsetzenden Aspekte aufzuheben.“ (Val- cárcel 1997, 79)

Auch wenn der Feminismus das gesamte Werk von Amelia Valcárcel durch- dringt, so ist doch einem großen Teil ihres philosophischen Schaffens eine all- gemeine ethische Dimension eigen, die sich, wie wir gesehen haben, auf das Konzept der Gleichheit stützt, ist doch die Gleichheit zugleich par excellence die Voraussetzung für die Formulierung einer Moral und für politische Handlungs- fähigkeit. Die Gleichheit ist das Vermächtnis des Projektes der Aufklärung. Aus Sorge um das vermeintliche Scheitern dieses Projektes beabsichtigt Valcárcel, die Grundlagen für sein notwendiges Fortbestehen zu umreißen, eine Aufgabe, die sie in ihrem Buch El miedo a la igualdad (Die Angst vor der Gleichheit) (Valcárcel 1993) in Angriff nimmt. Dieses Thema greift sie in ihrem Essay Ética para un mundo global (Valcárcel 2001) wieder auf. Für die Autorin können Globalisierung und Multikulturalität (multiculturalismo) weder als Vorwand für einen eklektischen Relativismus dienen, noch dürfen diese zum Abschied von den Idealen der Mo- derne führen. Das Gewicht der Freiheit verpflichtet uns, Internationalistinnen zu sein und uns für einen Universalismus der menschlichen Würde im zeitgenös-

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sischen Kosmopolitismus einzusetzen. Denn, wie sie an anderer Stelle bemerkt,

„wir brauchen in diesem neuen Jahrtausend eine Philosophie, die sich mit un- serer tatsächlichen Größe befasst“ und das ist nicht nur eine ethische Forderung, sondern auch eine ästhetische:

„Das, was wir als Menschheit sind, und das, was wir im Lichte der Vielen, die voran- schreiten, sein könnten, diese Distanz, die die essenzielle Spannung zwischen Sein und Sein-Sollen evoziert, Ethik und Ästhetik, immer präsent und unverzichtbar in jeder Konzeption von Moral, wenn sie intellektuell angegangen wird, ist erhaben. Und niemand kann darauf verzichten, diese Fragen aufzuwerfen.“(Valcárcel 1998, 167)

Institutioneller Feminismus – Legislative Errungenschaften

In den letzten Jahren sind eine Reihe legislativer Maßnahmen ergriffen worden, die darauf abzielen, die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu verringern:

das Gesetz zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (39 / 1999), das umfassende Programm zur Unterstützung von Familien (2001), das Gesetz zum Kindergeld, nach dem erwerbstätige Mütter monatlich 100 Euro für jedes Kind unter drei Jahren beziehen (46 / 2002), das verfassungsrechtlich verankerte Gesetz zum um- fassenden Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt (2004), das Gesetz zur Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern (13 / 2005), das Gesetz zur Förderung der persönlichen Autonomie und zur Betreuung von pflegebedürftigen Personen (2006), das Gesetz zur Geschlechtsidentität, das transsexuellen Personen eine Na- mensänderung ermöglicht (3 / 2007), das in der Verfassung verankerte Gesetz zur Gleichstellung von Frauen und Männern (2007), das Gesetz zum Schwanger- schaftsabbruch und sexueller und reproduktiver Gesundheit (2010).

Diese Gesetzesinitiativen zogen heftige gesellschaftliche Debatten nach sich, so- wohl innerhalb wie auch außerhalb feministischer Diskurse, die ich im Folgenden genauer analysieren möchte. Der sogenannte Institutionelle Feminismus steht für bestimmte ideologische Werte, die sich auf relevante theoretische Grundlagen stützen, auch wenn wir noch nicht von einem geschlossenen System sprechen können. Ich habe die Arbeiten von Amelia Valcárcel aufgeführt, aber zweifellos haben auch all diejenigen Arbeiten, die von der philosophischen Reflexion, der Soziologie und der Ethik ausgehen, ebenfalls zur Entstehung eines in der Auf- klärung verwurzelten Feminismus beigetragen und die Trugschlüsse des patriar- chalischen Denkens aufgedeckt.7 Dies bildet eine produktive theoretische Basis für die politische Praxis. Ein Text, der diese Strömung gut zusammenfasst, ist das

7 In diesem Sinne ist zweifellos die Arbeit von Celia Amorós von entscheidender Bedeutung, die als Leiterin des Instituto de Investigaciones Feminista de la Universidad Complutense de Madrid und des Seminars Feminismus und Aufklärung eine Schule der feministischen Revision der Ge- schichte der Philosophie begründet hat. Ihre Arbeiten dazu sind: Hacia una crítica de la razón patriarcal. Barcelona 1985; Tiempo de feminismo. Madrid 1997; Vetas de ilustración (Das Relief der

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Buch von Alicia Miyares, Vorsitzende des Kabinetts von María Teresa Fernández de la Vega, der amtierenden Vizepräsidentin (Miyares 2003). In diesem Buch wird das Ziel verfolgt, die Geschlechterideologie zu überwinden, insbesondere die sexuellen Normen und Geschlechterstereotypen, die die Diskriminierung von Frauen aufrecht erhalten. Dies impliziert ein neues feministisches Konzept von Staatsbürgerschaft, Gleichheit und Anerkennung, welches die Gleichstellung der Geschlechter durch zivilgesellschaftliche Bildung und Erziehung fördert. Auch für Judith Astelarra (Astellara 2005) hat der Feminismus durch das Aufzeigen ver- steckter Geschlechterdifferenzen in staatsbürgerschaftlichen Strukturen den Weg geebnet, die Praxis und das Konzept von Staatsbürgerschaft zu transformieren.

Granada, dreißig Jahre später

Im Dezember 2009 fanden in Granada die Jornadas Estatales Feministas statt, drei- ßig Jahre nachdem die erste Konferenz von der staatlichen Koordinierungsstelle der feministischen Organisationen einberufen wurde, die für die ersten Bewe- gungen des spanischen zeitgenössischen Feminismus so wichtig waren, das heißt für den sozialistischen und den radikalen Feminismus, den Gleichheits- und den Differenzfeminismus. Der Vergleich zwischen beiden Treffen damals und heute veranschaulicht die seither eingetretenen Veränderungen und drängenden Fra- gestellungen der Bewegung. Die Konferenz von 2009 wurde von der Frauen- versammlung Granada (CEOF) organisiert und hatte zum Ziel, einen kritischen Feminismus zur Sprache zu bringen, der nicht institutionalisiert und der an den Rändern der Diskurse organisiert ist. In diesem Sinne hat er die Nachfolge des radikalen und unabhängigen Feminismus angetreten.

Gegenüber der homogenen Ästhetik der Progressiven, die 1979 die Gesellschaft verändern wollten, springt nun zuerst die Diversität ins Auge: Feministinnen der ersten Stunde gemeinsam mit jungen Frauen mit kurzen Haaren und Piercings, oder superfeminine Frauen zusammen mit Queers, Lesben und Transsexuellen, Frauen mit Palästinensertuch und grauhaarige Frauen im fortgeschrittenen Al- ter. Hundertzwanzig Vorträge und Podiumsdiskussionen in drei Tagen über den Neoliberalismus, die Globalisierung und über feministische Aktionen, über kul- turelle Praktiken des feministischen Widerstandes. Themen, die sich wiederhol- ten oder ganz neu waren: geschlechtsspezifische Gewalt, Abtreibung, Sexualität, Prostitution, die Finanzkrise, fehlende Rechte für Haushaltshilfen, für Migranten und Migrantinnen. Neue Formen des Begehrens, die Überwindung der binären Stereotype von Frauen und Männern, die Wirksamkeit des Mythos romantischer Liebe usw. Die Präsenz junger Frauen, die sich von alternativen und grenzüber-

Aufklärung). Madrid 2009, oder die drei Bände Teoría feminista: de la Ilustración a la globalización, gemeinsam herausgegeben mit Ana de Miguel, Madrid 2005.

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schreitenden Ideen angezogen fühlen, fällt ins Auge und steht in starkem Kontrast zur fehlenden Erneuerung des institutionell organisierten Feminismus, an dessen Versammlungen überwiegend Frauen jenseits der Vierzig teilnehmen, die sich in gesicherten beruflichen oder führenden Positionen befinden.

Die Anderen Feministinnen

An dem Treffen nahmen einige der wichtigsten Vertreterinnen des Manifestes Ein Feminismus, der auch existiert! (Un feminismo que también existe, 2006) teil. Mit dem Manifest sollten die Stimmen der Anderen Feministinnen hörbar werden ge- genüber einem – wie sie es sahen – ideologischen Monopol des institutionellen Feminismus. Das Manifest bewertete einleitend die institutionellen Maßnahmen und Gesetzesentwürfe der Regierung Zapatero als durchaus positiv, um dann jedoch die Unzufriedenheit über fehlende Debatten über diese Maßnahmen und die Sorge um die eingeschlagene Richtung zu äußern:

„Wir wollen das Bemühen der Regierung gegenüber den Problemen, die speziell Frauen betreffen, positiv hervorheben. Aber wir wollen auch unsere Besorgnis über einen übermäßigen Schutz durch Gesetze, die das Leben von Frauen betreffen, nicht unerwähnt lassen. Denn dies kann eine protektionistische Haltung begünstigen, die Frauen erneut als Personen festschreibt, die unfähig sind, ihre Autonomie auszuüben.

Es gibt uns auch zu denken, dass die Vorstellung entstehen könnte, nur mit Gesetzen könne das Leben der Menschen verändert werden. Eine angemessene Gesetzgebung kann zweifellos unterstützend sein, wir glauben jedoch, dass es auch einer sozialen Bewegung und einer Verpflichtung sowie der Bildung und einer individuellen und kollektiven Bewusstwerdung bei Frauen und Männern bedarf, die es uns schließlich erlauben wird, unsere Ziele weiter zu verfolgen.“

Heftige Divergenzen bestehen zum Thema Prostitution. Die Anderen Feministin- nen wollen sie legal regeln anstatt ihre Abschaffung zu fordern, wodurch dieser Beruf ausschließlich als eine unwürdige und degradierende Beschäftigung ange- sehen wird. Was das umfassende Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt be- trifft, wird die Kritik an einer „Philosophie der Bestrafung“ geführt, die männ- liche Dominanz als auslösende Ursache von Gewalt gegen Frauen konstatiert, aber zugleich präventive Maßnahmen vernachlässigt.

Die Anderen Feministinnen unterstützen eindeutig das gemeinsame Sorgerecht für Kinder nach einer Scheidung, sie lehnen jedoch Tendenzen zur Viktimisie- rung der Frau ab. Nach Auffassung dieser Gruppe ist in den Medien und in den politischen Entscheidungspositionen in Spanien ein Feminismus der Überpro- tektion gegenüber Frauen vorherrschend, der zugleich Männer verurteilt. Dies fördere Revanchismus und Verdächtigungen und trage nicht zur Gleichheit zwi- schen Menschen bei.

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Das Manifest wurde zu einem großen Teil von der Sprecherin der Anderen Femi- nistinnen, Empar Pineda, getragen und von namhaften Akademikerinnen, Theo- retikerinnen und Aktivistinnen unterzeichnet.

Die Reaktion der konservativen Katholiken

Die oben beschriebenen rechtlichen Maßnahmen haben nicht nur eine Auseinan- dersetzung innerhalb des feministischen Spektrums hervorgerufen. Sie haben auch eine soziale Gegenmobilisierung entstehen lassen, und zwar die Ablehnung durch ultrakonservative Teile der Gesellschaft, die den Feminismus und seine „Gen- derideologie“ jenseits von Parteienstreitereien kritisieren und die angeblich ver- steckte Agenda der Reformen dämonisieren. Der Feminismus in Spanien wurde nun nicht länger als eine überholte Minderheitenbewegung angesehen, sondern, so einige Medienstimmen, als eine gefährliche Kraft, die in der Regierung die Fä- den in der Hand hält und den moralischen Zerfall der Gesellschaft vorantreibe.

Die Substitution des Abtreibungsgesetzes, das Abtreibung durch das Gesetz zum straffreien Schwangerschaftsabbruch im Jahre 2010 nur in besonderen Fällen und ohne soziale Indikation vorsah, hat in Spanien eine Debatte wieder aufleben lassen, die bereits seit 25 Jahren schwelte. Diese Entwicklung zeigte sich in ver- schiedenen Demonstrationen der „Provida“-Bewegungen, in heftigen sozialen Auseinandersetzungen und auch in den Medien. Selbst die Bischofskonferenz wurde von der Debatte und von der Frage bestimmt, ob Politikerinnen und Po- litiker die für das neue Gesetz stimmten, nicht exkommuniziert werden sollten.

Der Streitpunkt ist die Anerkennung der Fristenregelung des neuen Gesetzes, nach dem der Schwangerschaftsabbruch in den ersten 14 Wochen als ein Recht der Frauen proklamiert wird. Während dieses Recht für die Frauenbewegung eine historische Forderung bedeutet, ist die Reform für konservative Katholiken die unmoralische Akzeptanz der Tötung ungeborenen Lebens.

Zuvor waren in der spanischen Gesellschaft bereits Verwerfungen aufgetreten, als es um das Gesetz zur künstlichen Befruchtung (14 / 2006) und um das Ge- setz der Biomedizin (14 / 2997) ging, die beide von den kirchlichen Autoritäten abgelehnt wurden. Weiterhin erscheint den Konservativen das Gesetz der gleich- geschlechtlichen Ehe (13 / 2005) als Angriff auf die Funktion der Familie wie auch das bereits zitierte Gesetz der Geschlechtsidentität (3 / 2007). Ein weiteres Thema, welches heftige Kontroversen hervorbrachte, ist die Einführung des Fachs

„Staatsbürgerschaftskunde“ und die Schaffung neuer Erziehungshandbücher. Die Gegner sehen hierin eine Indoktrination durch „Genderideologie“.

Die Gegner des Feminismus sind zahlreicher geworden. Das illustrieren bei- spielsweise Texte von Jesús Trillo-Figueroa: Una revolución silenciosa. La política sexual del feminismo socialista (Die schleichende Revolution. Die Genderpolitik des sozialistischen Feminismus) (Trillo-Figueroa 2007), oder sein Buch La ideolo-

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gía de género (Genderideologie) (Trillo-Figueroa 2009). In den Essays der ideología versucht der Autor minutiös, den sozialistischen Feminismus als eine radikale Gen derideologie vorzuführen, welche bereits den Dreh- und Angelpunkt des Regierungshandelns der spanischen Regierung bilden würde. Für den Autor ist die Frage, was es bedeutet eine Frau oder ein Mann zu sein, eine natürliche Realität, während die Repräsentation der Geschlechterbeziehungen in Begriffen von Macht und Dominanz als Ausgangspunkte einer „geschlossenen politischen Ideologie mit totalitären Anwandlungen“ gelten müsse.

Der backlash gegen den institutionellen Feminismus ist auch von Seiten der Justiz gekommen. Das 2004 verabschiedete Gesetz zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt verschärfte das Strafrecht gegenüber Männern, die physische oder psychische Gewalt gegen „ihre derzeitige oder frühere Ehefrau oder Partnerin oder Freundin, die mit ihm eine Liebesbeziehung führt oder führte auch ohne mit ihm zusammen- zuleben“ ausüben. Verschiedene Gerichte haben bemängelt, dass die Strafverschär- fung bei männlichen Tätern gegen die Prinzipien des Grundgesetzes der Gleichheit beider Geschlechter vor dem Gesetz verstoße, und Männer somit nicht nur stig- matisiert, sondern dass Falschanzeigen Tür und Tor geöffnet würden. Diese Punkte wurden vor dem Ausschuss gegen häusliche Gewalt und Geschlechterfragen der Jus- tiz debattiert und lösten aufgebrachte Reaktionen von verschiedenen Frauenver- bänden aus, unter ihnen der Verband progressiver Frauen, der Verband geschiedener Frauen und die Juristinnenvereinigung Themis.8 Sie alle protestieren.

Ein weiteres Beispiel für Angriffe, die sich selbst in intellektuellen Kreisen for- mieren, die nicht dem konservativen Lager zuzuordnen sind, ist der in der Ta- geszeitung El País vom 19. 11. 2009 publizierte Artikel „Revanchismo de género“9 von Enrique Lynch. In diesem beschuldigt er das Gleichstellungsministerium und die Regierung Zapatero im Zusammenhang mit einer Medienkampagne, den „Kampf zwischen den Geschlechtern anzufeuern, so wie es der missgelaunte Feminismus seit Jahren versucht“ und macht schließlich den Feminismus für das Ansteigen geschlechtsspezifischer Gewalt verantwortlich.

Dieser Artikel löste große Empörung aus, was auch auf die Zeitung selbst zu- rückfiel, die sich zum Sprachrohr für eine derartig offensichtliche Frauenfeind- lichkeit gemacht hatte. Aber noch relevanter ist, dass die öffentliche Attacke auf das Bild des Feminismus zeigte, dass weder die Intellektuellen sich bestimmter Diskurse enthielten, von denen wir dachten, sie gehörten längst der Vergangen- heit an, noch dass die „progressiven“ Medien diese reaktionäre Positionierung

8 Anmerkung der Übersetzerin: Im Jahr der Einführung des Gesetzes lag die Zahl der Femizide in Spanien im europäischen Vergleich hoch. Der Diskurs um Falschanzeigen wird von Frauen- verbänden und der Sprecherin des Ausschusses gegen häusliche Gewalt und Geschlechterfragen der Justiz scharf verurteilt, weil er die Glaubwürdigkeit der Opfer in Frage stellt und die Hemm- schwelle zur Anzeige erhöhen kann. Tatsächlich tauchten nur in einem von 530 Gerichtsver- fahren falsche Indizien auf. (www.observatorioviolencia.org,www.poderjudicial.es)

9 http://www.elpais.com/articulo/opinion/Revanchismo/genero/elpepiopi/20091119 elpepiopi_4/Tes

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korrigieren würden. Stattdessen wurde grünes Licht für einen wahrhaften Neo- machismo in den Medien gegeben. Dieser erreichte einen seiner Höhepunkte in einer so niedrig gehängten Angelegenheit wie der Bewilligung von Geldern des Frauenministeriums für „Arbeiten zu feministischen Studien, Frauenstudien und Gender Studies“. Dabei wurde nicht nur Kritik am Haushaltsbudget geäußert, was in einem demokratischen System vollkommen normal wäre, sondern es wur- den alle möglichen Disqualifizierungen und grobe Verunglimpfungen, verbunden mit besorgniserregender machistischer Unkenntnis geäußert, die den Imagescha- den des Feminismus deutlich aufzeigen und auch, wie schwach die soziale Wahr- nehmung von Sexismus noch ist.

Diese Beispiele sollten ausreichen, um die Anschuldigungen zu verdeutlichen, denen sich der institutionelle Feminismus derzeit in Spanien ausgesetzt sieht, trotz oder gerade wegen seiner relativ starken Position. Zu den Angriffen aus dem ultrakonservativen Lager und dem Aufkommen eines Neomachismo seitens der Intellektuellen kommt Kritik aus dem unabhängigen Flügel der Frauenbe- wegung selber hinzu, wie wir es bereits bei den Anderen Feministinnen gesehen haben, aber auch Kritik seitens der jüngsten Strömungen und alternativen Bewe- gungen des Feminismus.

Die dritte Welle des Feminismus

Die neuen Strömungen des Feminismus profitieren von den Fortschritten der vorhergehenden Generation von Feministinnen, der sie allerdings kritisch ge- genüber stehen, sobald diese Machtpositionen bekleiden. Allgemein kann nicht behauptet werden, dass sich die Jugendlichen in der Tradition des Feminismus verstehen. Sie glauben, dieser gehöre der Vergangenheit an und sei bereits über- wunden. Obgleich Jugendliche ein bestimmtes egalitäres Verhalten angenommen haben, hat das Bewusstsein für Diskriminierung und Sexismus abgenommen.10 Innerhalb einer gesellschaftlichen Minderheit vereinigt die dritte Welle des Femi- nismus in Spanien unterschiedliche Tendenzen: Postfeminismus, Ökofeminismus, Cyberfeminismus, Queer-Feminismus, in mehr oder weniger enger Verbindung zu den LGBT-Bewegungen (Lesbian-, Gay-, Bisexual-, Transgenderbewegung), insbesondere auch lesbische und transsexuelle Bewegungen, BefürworterInnen der Legalisierung der Prostitution, GlobalisierungskritikerInnen, die Alternativ- und Hausbesetzerszene, Ökos und Multikultis und infolge der Migration auch postkolonialer und islamischer Feminismus. Allgemein handelt es sich eher um einen sozialen und kulturellen Aktivismus, der, bis auf wenige Ausnahmen, je- doch noch keine relevante Theorieproduktion vorweisen kann.

10 Ein interessantes Buch das versucht, den nachfolgenden Generationen die Errungenschaften des Feminismus zu vermitteln, ist das von Elena Simón Rodríguez (Simón Rodríguez 2009).

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Transmoderner Feminismus

Ich muss an dieser Stelle anerkennen, dass mich die neuen Wege und konkreten Fragestellungen des Cyberfeminismus, des Postfeminismus und der Queer Theo- rie zu einigen wichtigen Reflexionen über das bewogen haben, was die Ent- wicklung meines Denkens konstituiert hat – die Philosophie im Allgemeinen und der Feminismus im Besonderen. Ausgehend von einer poststrukturalistischen und postmodernen Position beabsichtigte ich mit meinem Buch La seducción de la diferencia (Die Verführung der Differenz; Rodríguez Magda 1987) neue Wege für den Feminismus zu eröffnen, zu einer Zeit, als in Spanien der Streit um Gleich- heit und Differenz festgefahren war. Als ich im selben Jahr das Buch im Maison de l’Amerique Latine de Paris vorstellte, sagte ich:

„Wir sind nichts hinter den Worten, erst recht, wenn diese nicht uns gehören […]. Die Kritik, das Fragmentarische, die Kunst der Ungläubigkeit und die Flüchtigkeit finden uns ohne Groll (resentimiento) und auf der Stelle tretend. Vielleicht hätten wir diese Kultur, die uns vergessen hatte, durchschreiten und durchleiden müssen, damit die Ironie und der Zweifel wirklich radikal genug werden, damit das Simulacrum ein wahrhaftiger Kampf der Negation hätte sein können und nicht eine blindgläubige Affirmation der Leerstelle. […] Es geht um etwas Umfassenderes, wozu es nicht unverzichtbar ist, Frau zu sein – obwohl es vielleicht damit einhergeht. Denn dieser immer mehrdeutige Ort könnte es uns jetzt leichter machen: Es geht darum das Fragmentarische und das ‚Post-‘

ohne die leidigen Ressentiments der Aneigner der Moderne zu lesen, den unmittelbaren Tod der Frau und des Mannes zu feiern, und dabei den Frei-Raum der Vervielfältigung der Differenzen zu nutzen, auf individuelle Weise mit Rollen zu spielen. Denn eines Tages wacht eine auf mit dem Geist von Julia, eine andere mit dem von Othello, wieder eine andere mit dem von Narziss oder dem einer Amazone. Es entlockt uns ein Lächeln, nicht notwendigerweise an etwas glauben zu müssen, während wir die Masken mit ihr und mit ihm tauschen, verführt durch die Differenz aller Zärtlichkeiten“.11

1988 habe ich die Konferenz „Von der Zukunft als Frauen zur transsexuellen Zukunft“ 12 abgehalten und später den Transmodernen Feminismus im Rahmen meiner gesamten Theorie der Transmoderne definiert13. Meine Intention war es nicht, mich dem Relativismus und der Hybridität der Postmoderne unterzuord- nen, sondern die Kritik, die multiplen Öffnungen, die Abwesenheit der Meta- physik und die Möglichkeiten eines situierten Subjektes aufzunehmen, welches sich selbst durch das Simulacrum konstituiert, um eine Handlungsfähigkeit zu er- reichen, welche sich nicht der ausstehenden Versprechen der Moderne – Emanzi- pation, Freiheit, Autonomie – entledigt.

11 Dieser Text findet sich in meinem Buch El placer del simulacro (Rodríguez Magda 2003, Kap. 1).

12 Ebd, Kap. 2.

13 Um meine Theorie weiter zu vertiefen empfiehlt sich: Rodríguez Magda 2004. Sie können auch un- ter http://transmodernitat.blogspot.com/ und http://transmodern-theory.blogspot.com/ nachlesen.

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Das Denken der 1980er Jahre repräsentierte den Bruch mit den marxistischen und psychoanalytischen Strömungen, die die vorhergehenden Dekaden domi- niert hatten, vor allem durch die Dynamik des französischen Poststrukturalismus unter dem Einfluss von Autoren wie Foucault, Derrida, Bourdieu, Lacan, Lyotard, Deleuze oder Baudrillard. Mir erschien es dringlich, das weibliche Subjekt von diesen Strömungen her neu zu denken, denn andernfalls würde der Feminismus Gefahr laufen, die zukunftsweisenden zeitgenössischen Theorien zu ignorieren.

Zeitgleich formierten sich an den nordamerikanischen Universitäten, aufgrund einer erneuten Lektüre dieser Autoren, die Literaturkritik, die Kulturtheorie, die Kulturwissenschaften oder Cultural Studies.

In Foucault y la genealogía de los sexos (Foucault und die Genealogie der Ge- schlechter; Rodríguez Magda 1999) wendete ich Foucaults Denken ausgehend von seinen Konzepten der Archäologie, der Genealogie, der Analytik der Macht, der Bio-Macht und der Geschichte der Sexualität auf den Feminismus an. In dieser Zeit debattierte ein Großteil der nordamerikanischen feministischen Be- wegung den Postmodernismus und die theoretischen Beiträge von Teresa de Lauretis, Linda Nicholson, Nancy Fraser, und insbesondere Donna Haraway’s Cyborgtheorie sowie Judith Butlers Queer Theorie begannen den neuen Kurs der feministischen Theorie zu bestimmen.

Bis zu welchem Punkt, abgesehen von den Ähnlichkeiten, stimmten meine Vorschläge mit den radikalen Gebilden dieser feministischen Richtung und dem Poststrukturalismus überein? Wenn ich heute meine Formulierungen des Trans- modernen Feminismus betrachte, stelle ich fest, dass mein Vorschlag zur multiplen Konstruktion von Geschlecht und die Strategie der Simulation eine Synthese zwischen Gleichheit und Differenz zum Ziel hatte, wodurch ich mich von den veränderten und marginalen Provokationen einiger zeitgenössischer postfeminis- tischer und queerer Strömungen in Spanien entferne.

Cyberfeminismus

Der Cyberfeminismus geht international von Kultgruppen wie der 1991 in Aus- tralien gegründeten VNS Matrix sowie der ersten Cyberfeministischen Interna- tionale auf der Dokumenta X für zeitgenössische Kunst in Kassel aus. Autorinnen und Referenztexte dieser Strömung sind die bereits zitierten von Donna Hara- way und ihr Manifest für Cyborgs, oder die Arbeit nullen + einsen von Sadie Plant, die aus der performativen Betrachtung von Geschlecht Judith Butlers schöpft sowie die eher auffallenden denn soliden Arbeiten der transsexuellen Essayistin Sandy Stone oder die Reflexionen über Nomadische Subjekte und Cyberkörper von Rosi Braidotti. Eine Bewegung, aus der sich der cibergrrlism und der feministische Netzwerkaktivismus herausbildeten, eine Mischung aus Provokation, Nutzbar- machen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und des

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künstlerischen Experimentierens.14 In Spanien hat sich diese Tendenz insbeson- dere durch Ana Martínez Collado über ihre Seite Estudios online sobre arte y mujer (Online Studien über die Kunst und die Frau)15 und ihr Buch Tendenci@s. Per- spectivas feministas en el arte actual (Tendenzen. Feministische Perspektiven in der zeitgenössischen Kunst) (Martínez Collado 2005) verbreitet.

Unter allgemeineren Gesichtspunkten kann zur Reflexion über die Nutzung der neuen Technologien für den Feminismus oder als Kommunikationsmedium als erste Annäherung das Buch Viaje de las internautas. Una mirada de género a través de las nuevas tecnologías (Die Reise der Internauten. Eine Blick auf das Geschlecht durch die neuen Technologien) von Montserrat Boix, Cristina Fraga und Victoria Sendón heran gezogen werden (Boix / Fraga / Sendón 2001). Montserrat Boix ist auch Herausgeberin der Online-Zeitschrift Mujeres en red16 (Frauen im Netz).

Ein weiterer sehr aktiver Raum ist die Ciudad de Mujeres17 (Stadt der Frauen). Ein Portal des spanischen Cyberfeminismus ist http://ciberfeminista.org/.

Queer Theorie

In Spanien hat sich die Queer Theorie von Autorinnen wie Judith Butler, Eve Kosowky Sedgwick oder Diana Fuss etabliert: sie manifestiert sich in zwei Be- reichen, dem akademischen und dem aktivistischen, die übereinstimmen kön- nen oder auch nicht. Auf der Grundlage der Kritik am Geschlecht, des Körpers, des Subjektes und der unterlegten „performativen Umkehrung“ und Diversität bietet die Queer Theorie nützliche Elemente an, nicht nur zur Analyse der Ge- schlechtsidentität, sondern auch zur Normierung durch Klasse oder Race sowie zur künstlerischen und literarischen Produktion aus postmoderner Perspektive, beispielweise zu Body Art. In diesem Feld treffen wir in Spanien verschiedene Autorinnen und akademische Gruppierungen an.

Auf der anderen Seite, bezogen auf den Aktivismus, kann die Queer Theorie in der Entwicklung der Lesbenbewegung verankert werden. Lesbische Kollektive, die sich in Spanien seit den 1980er Jahren organisiert haben, verorten sich inner- halb der feministischen Bewegung und setzen Gender gegen eine sexuell ein- deutige Festlegung. Zunächst gibt es lesbische Feministinnen, die sich mehr und mehr als feministische Lesben verstehen, und so eine erste Differenz markieren.

Von einer radikalen und unabhängigen Position aus verteidigt eine der Pionie- rinnen der Bewegung, Gretel Atman, die Existenz eines lesbischen Geschlechts, das unabhängig von der feministischen oder Gay-Bewegung auftreten sollte. Spä-

14 Einen Überblick gibt die Zeitschrift Debats, número 76, primavera 2002 mit dem Titel „Del post al ciberfeminismo“. http://www.alfonselmagnanim.com/debats/76/presentacion.htm

15 http://www.estudiosonline.net/

16 http://www.mujeresenred.net/

17 http://www.ciudaddemujeres.com / .

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ter in den 1990er Jahren vereinigten sich lesbische mit Gaykollektiven und bil- deten die LGBT’s. Moderate Gruppen dieser Vereinigung haben sich zuletzt für einen Dialog mit den Institutionen eingesetzt, um eine rechtliche Anerkennung und die Verbesserung von Gesetzen zu erreichen. Dadurch haben sie sich wiede- rum von den radikalen Gruppen der Queerbewegung abgespalten.18

So distanziert sich die Queerbewegung oder Queer Theorie sowohl vom Gleichheitsfeminismus, dem vorgeworfen wird, sich an heterosexuelle Muster angepasst zu haben und eine einfache Gleichsetzung der Geschlechter zu su- chen, wie auch vom Essentialismus des Differenzfeminismus. Bemängelt wird der blinde Fleck des klassischen Feminismus, durch den die marginalisierten Gruppen wie Gays, Lesben oder Transsexuelle ausgeschlossen werden. Es werden Grup- pen kritisiert, die sich für eine Normalisierung entschieden und den marginalen Gruppen den Rücken gekehrt haben.

Die Spanierin Beatriz Preciado ist die Theoretikerin und Aktivistin, die diese theoretische Strömung in ihren Arbeiten Manifiesto contra-sexual (Kontrasexuelles Manifest) und Testo Junkie vertieft und weiter entwickelt hat. Im ersten Text, der zunächst auf Englisch und Französisch erschien, definiert sie:

„Die Kontrasexualität ist erstens eine kritische Analyse von sex und gender als Pro- dukt des heteronormativen Gesellschaftsvertrags, dessen normative Performativität sich in den Körpern als biologische Wahrheit eingeschrieben hat. Zweitens zielt die Kontrasexualität darauf, diesen Vertrag, den wir Natur nennen, durch einen kon- trasexuellen Vertrag zu ersetzen, in welchem Körper als solche, und nicht erst als Frauen oder Männer, anerkannt werden. Diese schreiben sich selbst die Möglichkeit zu, Zugang zu allen signifikanten Praktiken wie auch zu allen Sprecherpositionen zu haben, als Subjekte, welche die Geschichtsschreibung als männlich, weiblich oder als jenseits des ‚Normalen‘ determiniert hat.“ (Preciado 2002, 18)

Die Autorin hat diese theoretische Sichtweise in ihrem Buch Testo Yonki (Pre- ciado 2008) analysiert und in die Praxis umgesetzt. Sie berichtet von ihrem zwi- schengeschlechtlichen Experiment mit Testosteron, das sie selbst als „Körperliche Inszenierung, als autopolitische Fiktion und Selbsttheoretisierung“ begreift. Die Autorin entwickelt dabei eine eigene Terminologie. Die foucault’sche Bio-Poli- tik der Biofrauen und Biomänner, die Biocodes produzieren (welche bei Judith Butler nichts als erste illusorische Momente einer leiblich-diskursiven Konstruk- tion sind) wird bis in die letzte Konsequenz verfolgt. Der postindustrielle Bioka- pitalismus konfiguriert in dieser Sicht eine pharmapornografische Ära in welcher uns nur noch die Position der „Genderhacker“ bleibt.

18 Um den Prozess zu vertiefen empfehle ich Trujillo Barbadillo 2009. Der Verlag Egales von Mili Hernández und ihr Buchladen Berkana sind die wichtigsten Verteilungsorgane der LGTB Kultur in Spanien. Eine weitere interessante Seite zum Queeraktivismus ist QUEEREMOS SABER, EL FANZINE MARIBOLLO DE INTERNET http://www.hartza.com/QUEER.html

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Angesichts dieser Thesen möchte ich eine kritische Bewertung vornehmen. Die posthumane Rekonstruktion des Körpers, die wir bei Sterlac, Moravec oder Cro- nenberg oder in den Reflexionen des Cyborg von Donna Haraway, den cinema- tografischen Erscheinungen des Universums bei Philip K. Dick in Matrix oder Gamer finden, üben noch über die Dekonstruktion hinaus aus meiner Sicht eine Art Beschwörung aus, einen Ritualismus monströser Körper, in dem der Kör- per als ein zu eliminierendes toxisches Requisit erscheint, der in letzter Instanz nicht die Vorstellungen einer hypertechnologischen Kultur hinterfragt, sondern diese verstärkt. Die Ästhetik einer Selbstauslöschung, des Mutierenden feiert sich selbst. Das mag künstlerisch legitim sein, jedoch vermischt sich dabei ein radi- kaler Vorschlag mit einer Botschaft, die sich den disziplinierenden Körpertech- niken unterwirft, die sie eigentlich freilegen will. Die chirurgische Transforma- tion des Körpers, die Abhängigkeit und technologische Verschmelzung desselben, das Begeh ren und die Identität als bloße Konsumobjekte, all das bedeutet keine radikale Absage an die Macht, die sich in unsere Körper einschreibt, sondern ist genau die Form, in der diese Macht auftritt und uns unterwirft – angefangen bei der Nachahmung von medialen Icons über den Markt der Pharmaindustrie und der Schönheitsmedizin. Es wird von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Das Marginale ist nicht per se subversiv und Herrschaft ist nicht einfach durch Passivi- tät, sondern auch durch folgsame Aktivität gekennzeichnet.

Allein der Wille zur Provokation einer Annie Sprinkle mit ihren Thesen zum Postpornmodernismus reicht nicht aus, damit Pornografie nicht länger eine phal- lokratische Ausbeutung der Frauen bleibt. Es bringt nichts, sich freiwillig einer chirurgischen Operation zu unterziehen, um der Objektivierung des weiblichen Körpers oder der Medikalisierung des Körpers im Allgemeinen zu entgehen.

Dieser Verwechslung von Kampfansage mit Unterordnung fällt meiner Ansicht nach Beatriz Preciado in Testo Yonki anheim. Ihre Haltung steht dem Feminismus der 1970er und 1980er Jahre sichtlich kritisch gegenüber. Aber wiederholt sie nicht die Herrschaftsrituale, die Feministinnen so eindrücklich offen gelegt ha- ben, wenn sie das Maskuline als Wahlmöglichkeit einfordert? Und bindet sie sich nicht mit ihrem Experiment an die Vorstellung eines biologisch determinierten Geschlechts? Dass eine Frau wie ein Mann auftritt und in den Genuss seiner symbolischen Rechte kommt, kann nicht die Befreiung der Frauen bedeuten und auch nicht das System von Herrschaft und Unterwerfung anfechten. Wo ist hier eigentlich die Subversion?

Die Erfahrung drag queen zeigt uns, dass das Feminine theatralisch hervorge- bracht ist, die Erfahrung drag king hat uns gelehrt, dass auch das Maskuline ins- zeniert ist – soweit waren wir also schon. Dass eine Frau, ohne aufzuhören eine Frau zu sein, sich in einen von ihnen verwandelt, nicht nur in einen Mann, son- dern auch in einen dominanten Mann, der von all den Begleitumständen der Macht profitiert, macht uns nicht freier. Das Buch beschreibt auf brillante Weise, wenn auch in verfälschender Übertreibung, das, was es als das „pharmaporno-

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grafische Regime“ bezeichnet. Aber wenn dieses unterdrückend fungiert, dann nicht nur, weil wir nicht die Zügel der Pharmakologie oder des Pornografischen in unseren Händen halten, sondern weil beide Strukturen von Grund auf unter- drückend und objektivierend sind, insbesondere für Frauen.

Ich sehe das Problem in diesen Lesarten dann auftauchen, wenn die Simula- tionen aufhören, umkehrbar zu sein, und wir das werden, was wir repräsentieren, wenn die Verkleidung, die Performance, spielerisch oder pragmatisch eingesetzt, nicht fragwürdig erscheinen, dann beginnen wir wahrhaftig zu werden, dann bilden sich Begehren und Identität nicht nur für einen Moment, sondern sie sind in unsere Subjektivität eingeschlossen. Wenn das, was als Spiel oder erotische Fantasie lohnend erscheinen kann, dazu übergeht integraler Bestandteil unseres ureigenen Selbst zu werden, wenn gesellschaftliche Klischees und sich unser In- Szene-Setzen aus Sicht der Anderen sich als dauerhaft bestätigt, dann erscheint es unumgänglich zu sein, eine tiefer gehende Analyse vorzunehmen. Bis zu wel- chem Punkt kann diese Inszenierung eine Komplizenschaft oder Befreiung von Herrschaftsprozessen sein und wie könnte all dies nicht nur der Vergewisserung des Selbst, sondern auch der Emanzipation als Individuen, als Gruppe dienen?

So wie aus der Queer Perspektive der Feminismus wegen seiner blinden Fle- cken gegenüber diesen Fragen kritisiert wurde, sollten wir andererseits nicht vergessen, dass die Queer Theorie mit der Erforschung oder Affirmation einer determinierten Subjektivität eine minoritäre Gruppe betrifft, in der Marginalität sich zu einem neuen Elitismus wandeln könnte. Eine gelebte soziale Wirklich- keit, in welcher sich die Konstruktion der Identität der Mehrheit der Frauen und Männer vollzieht, würde dann nicht Ernst genommen werden.

Universum der Differenz : Matria von Victoria Sendón de León

Ich möchte das Panorama der feministischen Strömungen im heutigen Spanien nicht beenden, ohne nicht kurz bei der jüngsten Arbeit von Victoria Sendón zu verweilen, in der sie ein Universum der Differenz errichtet. Matria19 ist ein reifes Werk. Die Untersuchungsfragen und inhaltlichen Ausführungen sind durch den persönlichen Werdegang strukturiert. Die Autorin konstruiert in diesem Buch ein eigenes symbolisches Universum, in dem Erkenntnis, mystische, soziologische und politische Dimensionen integriert sind.

Matria ist der „kollektive Ort des Zusammentreffens“, eines „sich selbst ver- pflichteten Bewusstseins“. Mit diesem Ziel vor Augen versucht Victoria Sendón de León die Ziele einer „Lebenslogik“ zu umschreiben. Anders als die Identitäts- logik, die im okzidentalen Denken vorherrscht, ist es notwendig, ein Denken des

19 Sendón 2006, XXI. Weitere Werke von Victoria Sendón sind: Mujeres en la era global: contra un patriarcado neoliberal. Barcelona 2003. Marcar las diferencias: discursos feministas ante un nuevo siglo, Barcelona 2002. Feminismo holístico. Madrid 1994.

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Lebens zu postulieren. Dieses Anliegen führt die Autorin zur erneuten Lektüre der Schlüsselbegriffe der Metaphysik des Selbst. Die Beschreibung der „Realität“

als kollektives Konstrukt erlaubt ihr, darüber hinaus zu gehen, in dem sie das

„Reale“ als Begrenzung, als Gesamtheit und Erfahrung in Erscheinung treten lässt. Hierzu wendet sie Hypothesen der Quantenphysik auf die orientale Philo- sophie an, und streift dabei die Ritualisierung des Heiligen.

Genauso geht sie in ihrer Theoretisierung des Symbolischen und des Ima- ginären vor. Kühn kritisiert sie die Elemente der scholastischen Psychoanalyse.

Die Überwindung von Ödipus durch Narziss ist dabei eine der brillantesten und neuartigsten Brüche. Die psychopolitische Behandlung des Patriarchats beleuch- tet neue und folgenreiche Perspektiven für die feministische Theorie. Im zweiten Teil des Buches wird eine umfangreiche subversive Reformulierung der symbo- lischen Beziehung zwischen Mann und Frau vorgenommen. Um die Grundfeste des Patriarchats zu dekonstruieren, ist eine kulturelle Revolution erforderlich, in der sich das Feminine als wahrhaftiges Element des Geschlechtes zeigt. Sendón folgt Autorinnen und Autoren wie Riane Eisler, Marija Gimbutas oder Robert Graves und beleuchtet neu, aus der Perspektive von Jung, die Kraft der femininen Mythen. Nach dem Imperium der neolitischen Gottheiten oder der neolitischen Gottheit Mutter kommt es zu einem Prozess ihrer symbolischen Verdrängung durch den archetypischen virilen Helden. Dadurch kann sich erst die kulturelle Konstruktion der männlichen Herrschaft herausbilden, das heißt ein Universum des Wissens und der Macht, in dem wir uns heute noch bewegen. Dies impli- ziert, die Kriterien der Subjektivierung neu zu bewerten und die Freud’schen Schemata sowie den Topos der Gender Studies zu überwinden, um eine neue Vermittlung zwischen dem Femininen und dem Maskulinen, die unbeschriebene Räume der Freiheit eröffnet, zu gestalten.

Die Autorin verortet sich in der Überwindung der Divergenz zwischen Mo- derne und Postmoderne um eine globalisierte Welt „transmodern“ denken zu können, die den politischen Kampf notwendigerweise auf demokratischer Basis führen muss, eine Demokratie, die sich immer wieder neu erfindet. Mit der For- derung nach einem neuen humanistischen Feminismus schließt die Autorin. Der Feminismus ist bei ihr nicht eine Option des Geschlechts, sondern eine Perspek- tive, zu der wir alle, Frauen und Männer, eingeladen sind, um uns der Herausfor- derung zu stellen, den „Horizont des Möglichen“ zu erobern.

Multikulturalismus

Zunehmende Migrationsbewegungen und enge Verbindungen mit dem latein- amerikanischen Feminismus haben in Spanien den Feminismus-Multikulturalismus- Diskurs hervorgebracht. Ein Beispiel für dieses Zusammenwirken sowie für die Strömungen des hispanischen Denkens ist das Werk der eng mit der spanischen

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Bewegung verbundenen Argentinierin María Luisa Femenías Perfiles del pensa- miento Iberoamaericano (Konturen des iberoamerikanischen Denkens) (Femenías Bd. 1 2003, Bd. 2 2005, Bd. 3 2007).

Der Einfluss des postkolonialen Denkens zeigt sich am ehesten in den akade- mischen Literaturwissenschaften. Obgleich das Phänomen der Migration relativ neu ist, existiert zwar kaum eine theoretische Aufarbeitung durch die ethnischen Gruppen selbst, jedoch eine Anteilnahme um die zugewanderten Frauen als einer benachteiligten Gruppe. Denn abgesehen von ihrer oftmals prekären Situation – viele leben illegal in Spanien – erleiden sie in größerem Umfang geschlechts- spezifische Gewalt oder sind Opfer von Frauenhandel. Im besten Fall überlässt man ihnen die Übernahme traditioneller Rollen wie Hausangestellte oder Pfle- gerin. In der letzten Zeit haben internationale Tagungen über den islamischen Feminismus stattgefunden, die unter anderem von den zum Islam konvertierten Spanierinnen und Spaniern organisiert wurden. Ein weiteres Thema von wach- sendem Interesse ist die Frage nach der Einstellung muslimischer Frauen gegen- über dem Laizismus, dem religiösen Fundamentalismus, dem Kopftuch und der Polygamie.

Allgemein gesprochen nehmen Migrantinnen, weibliche Muslime, autonome und radikale Feministinnen und der Queeraktivismus zunehmend multikultu- relle Positionen ein. Sie beschuldigen den institutionellen und den Gleichheitsfe- minismus eine eurozentristische und neokolonialistische Haltung einzunehmen, während dieser vehement die Einwände der Frauen, die einen multikulturellen Kommunitarismus repräsentieren, zurück weist.

Schlussbemerkung

Mit dem vorliegenden Text wollte ich Schlüsselszenen der aktuellen Situation des Feminismus in Spanien abbilden, einem starken Feminismus, der soziale Er- folge erzielte und dennoch von inneren und äußeren Kritiken umringt ist. Ich habe versucht, seine neuesten Strömungen zu skizzieren. Um diese kohärent ein- zuordnen, müsste vertiefend die spanische feministische Bewegung der letzten dreißig Jahre studiert werden. Insbesondere müssten auch theoretische Beiträge der Autorinnen detailliert analysiert werden, die aufgrund ihrer erst in den letz- ten Jahren begonnen Arbeiten hier nur kurz erwähnt werden konnten.

Aus dem Spanischen von Christiane Krämer Redaktionelle Bearbeitung Mechthild Veil

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Literatur

Astelarra, Judith (2005): Veinte años de políticas de igualdad. Madrid.

Boix, Montserrat / Fraga, Cristina / Sendón, Victoria (2001): Viaje de las internautas. Una mirada de género a través de las nuevas tecnologías. Madrid.

Falcón, Lidia (1981): Crítica de la razón feminista. Barcelona

Femenías, María Luisa (Catalogos, Tomos 1, 2 und 3, 2003, 2005, 2007): Perfiles del pensamiento Ibero- amaericano. Buenos Aires.

Martínez Collado, Ana (2005): Tendenci@s. Perspectivas feministas en el arte actual. Murcia.

Miyares, Alicia (2003): Democracia feminista. Madrid.

Preciado, Beatriz (2002): Manifiesto contra-sexual. Madrid.

Preciado, Beatriz (2008): Testo yonki. Madrid.

Rodríguez Magda, Rosa María (1987): La seducción de la diferencia. Valencia. (2. Aufl. 1994: Femenino fin de siglo. La seducción de la diferencia. Barcelona.)

Rodríguez Magda, Rosa María (1999): Foucault y la genealogía de los sexos. Barcelona.

Rodríguez Magda, Rosa María (2003): El Placer del simulacro. Mujer, razón y erotismo. Barcelona.

Rodríguez Magda, Rosa María (2004): Transmodernidad. Barcelona.

Sendón de León, Victoria (2006): Matria. Madrid.

Simón Rodríguez, Elena (2009): Hijas de la igualdad, herederas de la injusticia. Madrid.

Trillo-Figueroa, Jesús (2007): Una revolución silenciosa. La política sexual del feminismo socialista. Madrid.

Trillo-Figueroa, Jesús (2009): La ideología de género. Madrid.

Trujillo Barbadillo, Gracia (2009): Deseo y resistencia. Treinta años de movilización lesbiana en el Estado español (1977 – 2007). Madrid.

Valcárcel, Amelia (1991): Sexo y filosofía. Barcelona.

Valcárcel, Amelia (1993): El miedo a la igualdad. Barcelona.

Valcárcel, Amelia (1997): La política de las mujeres. Madrid.

Valcárcel, Amelia (1998): Ética contra estética. Barcelona.

Valcárcel, Amelia (2002): Ética para un mundo global. Madrid.

Referenzen

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