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Archiv "Keine Häufung der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit in der Bundesrepublik Deutschland" (26.08.1996)

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M E D I Z I N KURZBERICHT

D

as Forschungsprojekt „Epi- demiologie, Frühdiagnose und molekulare Pathologie humaner spongiformer En- zephalopathien“ wird seit drei Jah- ren vom Bundesgesundheitsministe- rium gefördert. Die Untersuchung ist eingebunden in eine europäische Studie (Biomed 1), an der sich die Länder Großbritannien, Frankreich, Italien, Niederlande und Deutsch- land beteiligen. Dieses Forschungs- projekt soll einerseits epidemiologi- sche Basisdaten zur Häufigkeit der Erkrankung auf Populationsebene bereitstellen. In einer darin einge- betteten Fall-Kontroll-Studie sollen andererseits mögliche Risikofakto- ren untersucht werden.

Das Vorgehen ist in allen Län- dern gleich: Nach einheitlichen Klas- sifikationskriterien wird die Wahr- scheinlichkeit der sporadischen Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ab- gestuft: Als sicher werden nur die Fäl- le bezeichnet, bei denen eine Bestäti- gung der Diagnose durch Autopsie oder Biopsie erfolgt ist. Wahrschein- lich sind Fälle, die eine progressive Demenz von höchstens zwei Jahren Dauer und mindestens zwei der fol- genden vier Symptome aufweisen:

1. Myoklonien,

2. visuelle oder zerebelläre Symptome,

3. pyramidale oder extrapyra- midale Symptome,

4. akinetischer Mutismus.

Das EEG muß periodische sharp-wave-Komplexe zeigen. Feh- len diese EEG-Veränderungen, so wird die Diagnose als möglich be- zeichnet.

Die Meldung der Fälle an das jeweilige Referenzzentrum (in Deutschland: Göttingen) erfolgt frei- willig aus Kliniken, die vorher über das Projekt informiert wurden. Ein Arzt des Forschungsteams untersucht

den Patienten in der betreffenden Kli- nik, interviewt Angehörige und die je- weilige Kontrollperson. Die Daten werden im Team diskutiert und dann anonym in die zentrale Datenbank in Rotterdam eingegeben.

Epidemiologie in Deutschland

Insgesamt haben wir in den drei Jahren in Deutschland 361 Ver- dachtsfälle prospektiv erfaßt, bei 20 Fällen war nur eine neuropatholo- gische Untersuchung möglich. Die Aufgliederung ist im Textkastendar- gestellt.

Von den ursprünglich als mög- lich eingestuften Fällen hat sich in 45 Fällen die diagnostische Klassifikati- on geändert: 29 sind durch Autopsie gesichert und fünf durch inzwischen aufgetretene EEG-Veränderungen wahrscheinlich geworden. Bei sie- ben Patienten fand sich neuropatho- logisch eine andere Todesursache.

Bei drei Kranken hat sich der Zu- stand gebessert, so daß sie einer an- deren Diagnose zugeordnet wurden.

Ein Fall konnte durch Nachweis der Mutation als letale familiäre Insom- nie identifiziert werden. Die übrigen Patienten werden weiter beobach- tet; denn viele Kranke leben noch.

Ähnliches gilt für die Gruppe der

„anderen Diagnosen“. Erwartungs-

gemäß war hier die häufigste Diagnose ein Morbus Alzheimer. Bei drei Fällen wurde neuropathologisch eine Creutz- feldt-Jakob-Krankheit gefunden.

Bisher mußte nur in einem von 74 sezierten Fällen eine wahrschein- liche Diagnose revidiert werden. Bei diesem Patienten ergab sich eine Kombination von M. Alzheimer, Hirninfarkt und Subependymom.

Wegen dieser hohen diagnostischen Sicherheit ist es berechtigt, für die Berechnung der Inzidenz die siche- ren und die wahrscheinlichen Fälle zusammenzufassen. Im Jahr 1994 waren es 62. Daraus errechnet sich eine Inzidenz von 0,76 pro eine Mil- lion Einwohner. Für 1995 liegt die Zahl der Fälle bei 74. Dies ergibt ei- ne Inzidenz von 0,90 pro eine Milli- on Einwohner.

Im Vergleich zu den übrigen im Biomed-1-Programm vertrete- nen europäischen Ländern liegt Deutschland somit im mittleren Be- reich (höchster Wert in den Nieder- landen 1,04; niedrigster in Italien 0,53). Bisher ließ sich in keinem der Länder eine Erhöhung der Inzidenz feststellen, die nicht durch die erhöh- te Aufmerksamkeit der Ärzte erklärt werden könnte. Wir sind uns bewußt, daß wir nicht alle Fälle erfassen.

Die über die Meldepflicht be- kannt gewordenen Zahlen liegen wesentlich niedriger. Der Daten- schutz macht einen direkten Ver- gleich beider Kollektive derzeit un- möglich. Wir hoffen jedoch, in Zu- kunft durch Vergleich der beiden Meldesysteme mittels Capture-Re- capture-Techniken die Dunkelziffer abschätzen zu können.

In Österreich werden alle Ver- storbenen seziert, wenn sie nicht zu Lebzeiten Widerspruch eingelegt haben. Die Inzidenz liegt dort für die letzten Jahre zwischen 1,25 und 1,5 pro eine Million Einwohner.

A-2149 Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 34–35, 26. August 1996 (43)

Keine Häufung der

Creutzfeldt-Jakob-Krankheit in der Bundesrepublik

Deutschland

Sigrid Poser

1

Thomas Weber

3

Inga Zerr

1

Armin Giese

2

Olaf Gefeller

4

Klaus Felgenhauer

1

Hans Kretzschmar

2

1Neurologische Klinik und Poliklinik (Direktor:

Prof. Dr. med. K. Felgenhauer) der Uni- versität Göttingen

2Institut für Neuropathologie (Direktor: Prof.

Dr. med. H. Kretzschmar) der Universität Göt- tingen

3Neurologische Klinik (Direktor: Chefarzt PD Dr. med Thomas Weber), Marienkranken- haus, Hamburg

4Abteilung für Medizinische Statistik (Direk- tor: Prof. Dr. med E. Brunner) der Universität Göttingen

(2)

Bei den 170 sicheren und wahr- scheinlichen Fällen unserer Stu- die waren die ersten Symptome meistens Gedächtnisstörungen, die sich allmählich zur Demenz ent- wickelten. Ataxie, Myoklonien und Pyramidenbahnzeichen kamen im Verlauf hinzu, ein akinetischer Mutismus prägte die Endstadien.

Durch die prospektive Erhebungs- methode ließen sich auch die in der Literatur bisher wenig beobach- teten Frühsymptome

erfassen. Die An- gehörigen berich- teten über unge- wöhnliche Ermü- dung, abnormes Ver- halten und Wesens- änderungen in mehr als der Hälfte der Fälle. Bei den mei- sten Patienten konn- ten diese unspezifi- schen Prodromaler- scheinungen erst re- trospektiv als krank-

heitsbedingt eingeordnet werden und führten nicht primär zum Psych- iater.

Die neue Variante

Bei der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung – 12 Fälle aus Großbritannien (4), ein Fall aus Frankreich (1) – standen die Ver- haltensauffälligkeiten in fast allen Fällen so im Vordergrund, daß als er- ster Arzt ein Psychiater zugezogen wurde. Zeichen einer Demenz ent- wickelten sich erst spät im Verlauf der Erkrankung. Weitere Unterschei- dungsmerkmale zwischen der neuen Variante und der „klassischen“ Form der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit sind das frühere Erkrankungsalter, die längere Krankheitsdauer, die feh- lenden EEG-Veränderungen und vor allem der neuropathologische Be- fund mit zahlreichen, von Vakuolen umgebenen Amyloid-Plaques vom Kuru-Typ (3). In Deutschland wurde bisher kein derartiger Fall beobach- tet. Wir haben 16 Patienten unter 40 Jahren untersucht (darunter ein si- cherer, zwei wahrscheinliche, zwei mögliche Fälle). Die einzige Autop- sie ergab das für eine klassische CJD-

Erkrankung typische Muster, ein Fall erwies sich als iatrogen (10 Jahre nach Duratransplantat), in einem Fall wurde keine Autopsie durchge- führt, und zwei Patienten leben noch.

Denkbare Risikofaktoren

Die von uns im Rahmen der Fall- Kontroll-Studie untersuchten Risiko- faktoren (Beruf, Ernährung, Tier-

kontakt) ergaben keine signifikanten Unterschiede zu den Kontrollen. Die einzige nicht zu erklärende Auffällig- keit war der Umgang mit Hornspä- nen. 21 der 116 Fälle hatten Hornspä- ne als Rosendünger verwendet, hin- gegen nur 7 von 113 Kontrollen. Ein signifikanter Unterschied ergab sich auch für die Häufigkeit einer De- menz in der Familie der Creutzfeldt- Jakob-Kranken: 17 von 116 im Ver- gleich zu 2 von 113 bei den Kontrol- len (ohne bekannte familiäre Fälle).

Insgesamt ist bei der Interpreta- tion dieser vorläufigen Ergebnisse Zurückhaltung geboten, da wir eine Vielzahl möglicher Risikoassoziatio- nen simultan untersucht haben, so daß einzelne Auffälligkeiten auch Zufallsbefunde sein können.

Zusatzuntersuchungen

Da offensichtlich auch ein großer Teil der möglichen Fälle aut- optisch gesichert werden kann (bei denen die EEG-Veränderungen per Definition fehlen), verliert das EEG an Bedeutung. Auch in 12 von 13 Fällen der neuen Variante war das EEG nicht typisch verändert. Ein europäisches Komitee ist derzeit mit

der Erarbeitung von diagnostischen Kriterien für die neue Unterform der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit befaßt, zu denen auch liquordiagno- stische Befunde gehören werden.

Mit der Bestimmung der neuronspe- zifischen Enolase (NSE) im Liquor ließen sich eine Sensitivität von 80 Prozent und eine Spezifität von 92 Prozent bei den bisher untersuchten klassischen Fällen erreichen (5).

Auch der Nachweis der von Harring- ton (2) erstmals beschriebenen Pro- teine p130 und p131 erwies sich als diagnostisch außerordentlich hilf- reich und dürfte in Zukunft eine noch höhere diagnostische Sicher- heit bieten. Wir hoffen, daß – ähn- lich wie bei der Multiplen Sklerose – durch Einbeziehung der Liquordia- gnostik Fehldiagnosen zunehmend seltener werden und – zumindest bei den klassischen Fällen – eine Dia- gnose auch schon klinisch gesichert werden kann. Ob dies auch für die neue Variante gilt, bleibt abzuwar- ten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine Autopsie erforderlich.

Bei Verdachtsfällen erbitten wir Benachrichtigung unter der Telefon- nummer: 0551/39 6636 oder 8401 Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-2149–2150 [Heft 34-35]

Literatur:

1.Chazot G, Broussolle E, Lapras C, Blättler T, Aguzzi A, Knopp N: New variant of Creutzfeld-Jakob disease in a 26-year-old French man. Lancet 1996; 347: 1181 2.Harrington MG, Merril CR, Asher DM,

Gajdusek DC: Abnormal proteins in the ce- rebrospinal fluid of patients with Creutz- feldt-Jakob disease. N Engl J Med 1986; 315:

279-283

3.Kretzschmar HA, Giese A, Schulz-Schaeffer WJ, Windl O, Groschup MH, Riesner D: Be- steht ein Zusammenhang zwischen BSE und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit? Dt Ärztebl 1996; 93: A-960-962 [Heft 15]

4.Will RG, Ironside JW, Zeidler M et al.: A new variant of Creutzfeldt-Jakob disease in the UK. Lancet 1996; 347: 921-925

5.Zerr I, Bodemer M, Räcker S et al.: Cere- brospinal fluid concentration of neuron-spe- cific enolase in diagnosis of Creutzfeldt-Ja- kob disease. Lancet 1995; 345: 1609-1610

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Sigrid Poser

Oberärztin der Klinik und Poliklinik für Neurologie

Georg-August-Universität Göttingen Postfach 3742

37070 Göttingen

A-2150

M E D I Z I N KURZBERICHT

(44) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 34–35, 26. August 1996 Sporadische Fälle

Sicher ... 81 Wahrscheinlich ... 89 Möglich ... 74 Genetische Fälle

Familiäre Creutzfeldt-Jakob-Fälle ... 4 Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom ... 1 Letale Familiäre Insomnie (FFI) ... 1 Andere ... 111

Referenzen

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