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Archiv "Zweideutige Sicht: Zu Chabrols Film „Eine Frauensache“" (02.03.1989)

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„Ich wählte Isabelle Huppert - Foto - für die Rolle der Marie, weil sie Gefühle hervorzurufen vermag, ohne sie mimisch auszudrücken", erklärt Chabrol hierzu. „Mir war die Distanz zur Figur wichtig, ich wollte eine Identifikation des Zuschauers vermeiden, sonst wäre der Film unter Umständen ins Melodramatische abgerutscht."

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

ER KOMMENTAR

Der französische Regisseur Claude Chabrol (58) hat sich vor al- lem einen Namen gemacht als Mei- ster diskreter Psychodramen, in de- nen scheinbar heile Welten von Pro- vinzbürgern sich als morsche Fassa- den der Kriminalität und Korruption entpuppen. Für seinen 42. Film ver- ließ Claude Chabrol diesen Privat- kosmos, um sich dem zeitlos brisan- ten Gesellschaftsproblem der Ab- treibung zu widmen. „Eine Frauen- sache" behandelt die authentische Geschichte der Marie-Louise Gi- raud, die im Frankreich zur Zeit der deutschen Besatzung wegen vielfa- cher Tätigkeit als „Engelmacherin"

zum Tode verurteilt wurde.

Die Abtreibungshilfe, die Marie (gespielt von Isabelle Huppert) zu Filmbeginn einer Nachbarin noch aus Solidarität leistet, entwickelt sich durch die Umstände der Kriegsnot rasch zu einer kommerziell florieren- den Betätigung. Den so erwachten Geschäftssinn nutzt die Mutter zwei- er Kinder, indem sie durch Zimmer- vermietung an Prostituierte ihren be- scheidenen Wohlstand weiter aus- baut. Ihr Ehemann schließlich, längst verdrängt von einem jüngeren Liebhaber, verrät seine Frau der Ju- stiz, die für Marie das Todesurteil verhängt.

Chabrols Film bezieht klar Stel- lung gegen die Härte des Urteils, mit dem ein besatzerfreundliches Son- dergericht ein Exempel statuieren wollte; der Richter war zum Zeit- punkt des Urteils bereits pensioniert gewesen und später für unzurech- nungsfähig erklärt worden. In bezug auf seine Hauptdarsteller und ihre Handlungen hingegen enthält sich der Film einer eindeutigen morali- schen Wertung. Zwar hat Marie zu Anfang als alleinstehende Mutter die Sympathien ebenso auf ihrer Sei- te wie später ihr Ehemann, der als kriegsinvalider Heimkehrer zur Un- tätigkeit verurteilt ist. Beide aber verspielen diese Sympathie: Sie durch ihren geschäftlichen Überei- fer, er, indem er seine Frau denun-

ziert. Die Abtreibungsszenen hat Chabrol ohne falsche Beschönigun- gen beklemmend dokumentarisch in- szeniert. Erst die harte Bestrafung Maries, ihre entwürdigenden letzten Stunden vor der Hinrichtung relati- vieren alle vorangegangenen Ereig- nisse und scheinen Marie rehabilitie- ren zu wollen.

Auf einer Pressekonferenz an- läßlich der deutschen Premiere des Films in Bonn bestätigte Chabrol die Zweideutigkeit seiner Sicht: Es sei

nicht seine Sache, eine Fürsprecher- position einzunehmen, „Eine Frau- ensache" beziehe keine Position, we- der für die Abtreibung noch gegen die Todesstrafe. Wohl aber richte sich der Film gegen die Ungerechtig- keit, daß eine Frau wegen einer An- gelegenheit zum Tode verurteilt wor- den sei, auf die schon damals in Frankreich schlimmstenfalls eine mehrjährige Gefängnisstrafe gestan- den hätte und die heute auf Kran- kenschein erledigt werde.

Über seine persönliche Einstel- lung zur Abtreibung sagte Chabrol, daß er die gesetzliche Freigabe der Abtreibung befürworte. In Frank- reich sei nach der Freigabe Mitte der 70er Jahre die Zahl der Abtreibun- gen um ein Drittel gesunken. „Die Frauen sind von der Panik befreit worden, die früher oft zu überstürz- ten Abtreibungen führte", erklärte er dazu. Daß „eine Abtreibung kein Spaziergang" ist, zeigt indes auch der Film Marie führt im Film ihre Ab- treibungen mit Hilfe von Seifenwas- ser durch. „Die technische Beratung für die Abtreibungsszenen kam von meiner eigenen Frau, die in ihrer Ju- gend auch einmal mit Hilfe von Sei- fenwasser abgetrieben hat. Uns

schien es die beste Methode, um dem Zuschauer kein allzu unange- nehmes Blutbad zu zeigen."

Chabrol betonte, daß eine Ab- treibung nichts Gutes sei, dennoch dürfe die Entscheidungsgewalt dar- über einzig bei den Frauen liegen.

Politiker und Kirchenvertreter könn- ten zwar Grundsätze zur Sprache bringen, doch die Verantwortung da- für, ob das Kind eine Seele habe, sei, gemäß dem Filmtitel, ausschließlich

„Eine Frauensache". cue

Zweideutige Sieht

Zu Chabrols Film „Eine Frauensache"

Dt. Ärztebl. 86, Heft 9, 2. März 1989 (25) A-521

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