Für den Bluthochdruck ein- schließlich der hypertonen Krisen und die vielen Formen der hypoto- nen Ohnmachten gilt ähnliches: Je- mand „setzt uns unter Druck", ei- nem anderen „steigt das Blut zu Kopfe", oder „sein Blutdruck steigt auf 180" . Und er denkt schließlich
„mich rührt der Schlag" (Furcht vor der hypertonischen Massenblutung).
Anlaß für die Blutdrucksteigerung ist jeweils eine psychische Erregung, ein Affekt. Diese in der Volksmei- nung ganz geläufigen und selbstver- ständlichen Erkenntnisse sind durch viele Untersuchungen bestätigt: Ste- reotaktische Reizungen in diversen limbischen Strukturen führen regel- mäßig zur Blutdrucksteigerung. Sti- mulation des zentralen Kerngebietes des Amygdalums löst konstant sym- pathikotone alpha-adrenerg vermit- telte Vasokonstriktion in den Mus- kelgefäßen und dadurch ausgepräg- ten arteriellen Hypertonus aus.
Ähnliche Effekte sind durch Reizung bestimmter Hypothalamus- regionen oder auch des Locus coeru- leus zu provozieren. Bei Ratten oder Katzen führt Immobilisationsstreß zur Hypertonie, dominante Affen- männchen, die im Käfig gehalten hilflos einem Konkurrenten ausge- liefert sind, reagieren ebenfalls mit Hypertonus. Es gibt gewichtige Ar- gumente, daß auch die essentielle Hypertonie maßgeblich von solchen psychosomatischen Mechanismen in Gang gesetzt und unterhalten wird.
„Da legst di nieder"
Zum Problem der psychosoma- tischen Hypotonie sind Redewen- dungen eher häufiger. Jemand „fällt vor Schreck in Ohnmacht" oder „es schwinden die Sinne", es wird ei- nem „schwarz vor Augen". In Bay- ern sagt man „da legst di nieder", in Preußen würde man eher antworten
„das haut mich um" oder „da bin ich platt". Derartige psychosomati- sche Ohnmachten durch plötzlichen Blutdruckabfall sind häufig und wa- ren in früheren Zeiten sogar schick- lich. Es handelt sich dabei ganz überwiegend um „echte" hypotone Kreislaufregulationsstörungen, die etwa durch Schreck, peinliche oder
auch freudige Überraschung und ähnliches in Gang gesetzt werden.
Hier müssen „reflexartige" Mecha- nismen in limbischen und hypothala- mischen Strukturen zu einer Stimu- lierung des sogenannten cholinergen sympathischen Vasodilatatoren-Sy- stems führen, so daß eine allgemeine Vasodilatation der Muskelgefäße bei Vasokonstriktion der Hautgefä- ße (Blässe) und damit die plötzliche Hypotonie entstehen. Wie beim Hy- pertonus lassen sich auch in den ver- schiedenen limbischen Strukturen durch Reizung, etwa des basalen Mandelkernanteils im Tierversuch, hypotone Blutdruckstürze auslösen.
Dabei sind auch die wichtigen Baro- rezeptorenreflexe blockiert. Ähn- liche Effekte kennen wir auch aus dem Hypothalamus und dem Locus coeruleus sowie durch Experimente aus der Verhaltensphysiologie.
Bei allen diesen kardiovaskulä- ren psychosomatischen Krisen rea- giert das Organsystem auf sympathi- sche oder parasympathische Impul- se, die im Gehirn gestartet werden.
Es kommt entweder zu einer sympa- thikotonen Vasokonstriktion mit Hypertonus und Tachykardie oder zu parasympathikotonem Blut- druckabfall mit Bradykardie, even- tuell bis zur Asystolie. Die Partial- bereiche können auch isoliert oder schwerpunktartig betroffen sein, et- wa mehr das Herz oder mehr das Kreislaufsystem. Vielleicht sind im Gehirn spezielle psychosomatische Reaktionsmuster fest etabliert, die auf spezifische Stimuli reagieren. Re- dewendungen sind also Kurzformeln für psychosomatische Reaktionen und Störungen. Sie sind altes Erfah- rungsgut der Menschheit. Sie lassen sich auch naturwissenschaftlich deu- ten und helfen dem Kranken wie dem Arzt, die Störungen besser zu verste- hen und leichter zu akzeptieren.
Literatur
Schiffter, R.: Neurologie des vegetativen Sy- stems. Springer Berlin-Heidelberg-New York- Tokio 1985
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Roland Schiffter Krankenhaus Am Urban von Berlin-Kreuzberg Abteilung für Neurologie
Dieffenbachstraße 1 • 1000 Berlin 61
FÜR SIE REFERIERT
Karzinomrisiko nach
Magenresektion
Die Diskussion über das „Ope- rationsfolgekarzinom" nach einer Magenteilresektion ist in den letzten Jahren einer kritischen Betrachtung gewichen, hat sich doch gezeigt, daß die ehemaligen Ulkuspatienten nicht nur durch ein Magenstumpfkarzi- nom, sondern durch eine Vielzahl anderer Erkrankungen wie chro- nisch obstruktive Emphysembron- chitis, Bronchialkarzinom und Le- berzirrhose bedroht sind.
Von 5018 Patienten, die vor mindestens 25 Jahren im St. James Hospital, Balham, operiert worden waren, konnten die Autoren 2768 Todesfälle analysieren. In den er- sten 15 Jahren nach der Operation fand sich kein erhöhtes Krebsrisiko, ab dem 20. Jahr ließ sich jedoch ein um den Faktor 3.3 erhöhtes generel- les Krebsrisiko nachweisen. Dabei ließen sich folgende Tumorrisiken ermitteln: Magenkarzinom 4,5fach, Kolonkarzinom 1,6fach, Bronchus- karzinom 3 ,9fach, Pankreaskarzi- nom 4fach, Gallengangskarzinom 9,lfach, Ösophaguskarzinom 2,3- fach, Blasenkarzinom 2,4fach, Mammakarzinom 4fach.
Ursache dieses massiv erhöhten Krebsrisikos könnte die Produktion zirkulierender Karzinogene im ope- rierten Magen sein, wofür auch die Latenzzeit von 20 Jahren sprechen würde.
Caygill, C. P. J., M. J. Hill, C. N. Hall, J.
S. Kirkham, T. C. Northfield: Increased risk of cancer at multiple sites after gastric surgery for peptic ulcer. GUT 28:
924-928, 1987
PHLS Communicable Disease Surveillan- ce Centre, Central Public Health Labora- tories, 61 Colindale Avenue, London NW9 5HT
A-2008 (56) Dt. Ärztebl. 85, Heft 27, 7. Juli 1988