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Archiv "Physiologische und pathophysiologische Bedeutung von Leptin beim Menschen" (31.10.1997)

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D

ie Adipositas stellt die häu- figste Ernährungs- und Stoff- wechselstörung westlicher Ge- sellschaften dar. Sie ist mit ei- nem erhöhten Risiko für kardiovas- kuläre Erkrankungen und Diabetes mellitus assoziiert und bildet ein enor- mes medizinisches und sozioökonomi- sches Problem (9). Als Ursachen wer- den verschiedene genetische, metaboli- sche, kulturelle, wirtschaftliche und psychologische Faktoren angenom- men, die insgesamt zu einem Ungleich- gewicht zwischen Kalorienaufnahme und Energieverbrauch führen. Die Re- gulation des Körpergewichts durch Ausschüttung eines löslichen Sätti- gungsfaktors wurde bereits vor über 40 Jahren im Rahmen der „Lipostase- Theorie“ postuliert (44). Sie geht da- von aus, daß vom Fettgewebe in enger Abhängigkeit vom Ausmaß der Fett- gewebedepots lösliche Signalstoffe ge- bildet und in die Blutbahn sezer- niert werden (44), die nach Bindung an Rezeptoren im Zentralnervensystem zu einer Abnahme der Nahrungsauf- nahme und einer Steigerung des Ener- gieverbrauchs führen (33). Unterstüt- zung fand diese Theorie später in soge- nannten Parabiose-Experimenten: Die Kopplung der Blutkreisläufe normal- gewichtiger und adipöser Mäuse führte bei den letzteren zu einer deutlichen Gewichtsabnahme (22). Obwohl zahl- reiche Hinweise dafür sprechen, daß genetische Faktoren das Körperge- wicht beeinflussen und die Manifestati- on einer Adipositas begünstigen, war über die molekularen Ursachen der po- lygen bedingten Adipositas bis vor kurzem wenig bekannt. Erst Ende des Jahres 1994 gelang die Identifikation des „obese“-Gens (ob-Gen) und seines Genproduktes Leptin (leptos: dünn) (90), deren Rolle bei der Körperge- wichtsregulation seitdem intensiv un- tersucht wird. Die Vielzahl der in kur- zer Zeit erhobenen, zum Teil weit über

das Thema Adipositas hinausreichen- den Befunde ist faszinierend und hat zu einem viel differenzierteren Verständ- nis der molekularen Mechanismen ge- führt, die an der Entstehung der Adi- positas beteiligt sind. Andererseits illu- strieren die vielschichtigen und teilwei- se widersprüchlichen Befunde aber auch die Komplexität und multifaktori- elle Genese der für die Adipositas ver- antwortlichen Regulationsstörungen.

Identifizierung und Charakterisierung des ob-Gens

Für die Entdeckung des ob-Gens waren Untersuchungen am Tiermodell wegweisend: Die bekanntesten und am besten untersuchten Tiermodelle zur Adipositas sind die homozygoten ob/ob- und db/db-Mäuse und fa/fa- Ratten, bei denen es aufgrund von

Punktmutationen bestimmter Gene (ob-, db- beziehungsweise fa-Gen) zu massiver Adipositas, zum Auftreten ei- nes Diabetes mellitus Typ II sowie zur Abnahme von körperlicher Aktivität, Körpertemperatur und Grundumsatz kommt (33, 69). Zhang und Mitarbei- tern gelang im Jahre 1994 die Klonie- rung und Sequenzierung des ob-Gens bei ob/ob-Mäusen (90). In nachfolgen- den Experimenten an normalgewichti- gen Mäusen und Ratten zeigte sich, daß die ob-Boten-RNA-Expression vom Ernährungsstatus abhängt: Durch Fasten nimmt die ob-Boten-RNA-Ex- pression ab, während sie bei Wieder- fütterung zunimmt (83). Dabei korre- lieren die ob-Boten-RNA-Spiegel mit dem Körpergewicht beziehungsweise der Adipozytengröße und der gespei- cherten Fettmenge (59, 83).

Bei genetisch fetten ob/ob-Mäu- sen beruht die Adipositas auf einer Punktmutation im ob-Gen, die zum vorzeitigen Abbruch der Proteinsyn- these führt, so daß die Bildung des biologisch aktiven ob-Proteins (Lep- tin) unterbleibt. Das ob-Gen-Produkt Leptin ist ein 16 kDa großes Protein, das fast ausschließlich von Adipozyten gebildet wird (90). Die Serum-Leptin-

Physiologische und pathophysiologische Bedeutung von Leptin beim Menschen

Christine Spitzweg

1

Werner Joba

1

Georg Brabant

2

Armin E. Heufelder

1

1 Medizinische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Dr. h. c. Peter Christian Scriba), Klinikum Innen- stadt, Ludwig-Maximilians-Universität München

2 Abteilung Endokrinologie (Direktor: Prof. Dr.

med. Alexander von zur Mühlen), Medizinische Hochschule Hannover

Mit der Entdeckung des „obese“-Gens (ob-Gen) und seines Genproduktes Leptin

wurde ein schon seit Jahrzehnten postulierter „Sättigungsfaktor“ identifiziert, der

eine zentrale Rolle bei der Regulation des Körpergewichts spielt, indem er das Ge-

hirn über die peripheren Fettspeicher informiert und die weitere Nahrungsaufnah-

me reguliert. Schon bald gelang es, einen leptinbindenden Rezeptor im Gehirn

und zahlreichen anderen Organen zu identifizieren, so daß ein geschlossener Re-

gelkreis zwischen peripheren Fettspeichern und zentralnervösen Regulationszen-

tren im Zwischenhirn entsteht. Die Adipositas des Menschen geht mit einer Resi-

stenz gegenüber körpereigenem Leptin einher, deren Ursache noch weitgehend un-

geklärt ist. Die Fülle der dabei gewonnenen neuen Erkenntnisse über die moleku-

laren und neuroendokrinen Mechanismen in der Pathogenese der Adipositas

lassen langfristig auf neue, stärker kausal orientierte Therapieansätze hoffen.

(2)

konzentrationen korrelieren positiv mit dem Körpermasse-Index (Körper- gewicht [kg]/Körpergröße [m2]), wo- bei Fasten zu einer Abnahme der Lep- tinkonzentrationen führt (56).

Eine zentrale Rolle von Leptin für die Körpergewichtsregulation (Grafik 1) dokumentieren Versuche an ob/ob-Mäusen mit defekter Lep- tin-Synthese, bei denen die intraperi- toneale Injektion von rekombinan- tem Leptin zu Gewichtsabnahme, verminderter Nahrungsaufnahme, Abfall der Insulin- und Glukose-Se- rumkonzentrationen sowie zur Zu- nahme von Grundumsatz, Körper- temperatur und Aktivitätsgrad führt (38, 69, 75, 87). Interessanterweise lassen sich diese Effekte in noch stär- kerem Ausmaß nach direkter intraze- rebroventrikulärer Applikation von Leptin beobachten (10).

Identifizierung und Charakterisierung des Leptinrezeptors

Nach der Identifizierung des ob- Gens und seines Genproduktes Lep- tin wurde 1995 ein leptinbindender Rezeptor im Plexus choroideus der Maus (81) kloniert. Der Leptinrezep- tor setzt sich aus einer leptinbinden- den extrazellulären Domäne, einer Transmembranregion und einer intra- zellulären Domäne zusammen und zeigt strukturelle Ähnlichkeit mit der Zytokin-Rezeptorfamilie Klasse I (4, 81). Im Mausmodell konnte gezeigt werden, daß Varianten des Leptinre- zeptors mit einer langen intrazel- lulären Domäne (ob-Rb), die vermut- lich der Signalübertragung dient, und solche mit einer kurzen intrazel- lulären Domäne existieren (ob-Ra, ob-Rc, ob-Rd). Letztere sind mögli- cherweise für den Leptintransport über die Blut-Hirn-Schranke verant- wortlich. Eine weitere kurze Variante des Leptinrezeptors, die nur aus Tei- len der extrazellulären Domäne be- steht (ob-Re), könnte einer löslichen Rezeptorform entsprechen und als Transportprotein für Leptin dienen (51)(Grafik 2).

Mehrere Arbeitsgruppen ent- deckten bei db/db-Mäusen eine de- fekte Leptinrezeptorform, die eine verkürzte zytoplasmatische Region

aufweist und keine Signaltransdukti- on ermöglicht (14, 17, 51). Die starke ob-Boten-RNA-Expression im Fett- gewebe und die hohen Leptin-Serum- konzentrationen bei db/db-Mäusen (32, 55, 56) sind am ehesten als Kom- pensationseffekt bei Leptin-Resi- stenz infolge eines defekten Leptinre- zeptors zu interpretieren. Auch die ausbleibende Gewichtsreduktion bei db/db-Mäusen nach Leptininjektion

ist auf die fehlende Wirkung von Lep- tin infolge des Leptinrezeptorde- fektes zurückzuführen (10, 38, 69).

Eine Punktmutation im Leptinrezep- tor-Gen ist vermutlich auch für das Übergewicht genetisch adipöser Rat- ten (fa/fa-Ratten) und die abge- schwächte Wirkung von Leptin nach intraventrikulärer Injektion verant- wortlich (18, 28).

Leptinrezeptor-Transkripte sind bei Nagetieren außer im Plexus choroideus (53, 62, 81) auch in ande- ren Bereichen des Gehirns, wie Hy- pothalamus (62, 81), Leptomeningen, Cortex piriformis, Thalamus, Hippo- campus und Kleinhirn (15, 62), nach- zuweisen. Interessanterweise konn-

ten Leptinrezeptor-Transkripte bei Maus und Ratte auch in zahlreichen Organen außerhalb des ZNS nachge- wiesen werden. Die Funktionen des Leptinrezeptors in diesen Organen ist jedoch noch weitgehend unbekannt (51, 81).

Der ventromediale Hypothala- mus gilt als primärer Wirkort von Leptin. Dafür sprechen die Gewichts- zunahme bei Mäusen mit Läsionen im

ventromedialen Kerngebiet des Hy- pothalamus und begleitender ob- Gen-Überexpression im Fettgewebe (34, 55), der Nachweis von Leptinre- zeptor-RNA im Hypothalamus (62, 81) und die eindrucksvolle Gewichts- abnahme von ob-Mäusen nach intra- ventrikulärer Injektion von Leptin (10).

Aufgrund der bisher bekannten Befunde zum ob-Gen, seinem Gen- Produkt Leptin und dem leptinbin- denden Rezeptor ist ein Regelkreis zwischen den peripheren Fettgewe- bedepots und dem Hypothalamus mit dem Leptinspiegel als afferentem Signal anzunehmen. Eine Unterbre- chung dieses Regelkreises kann an

Nahrungsaufnahme Energieverbrauch ADIPOZYT

LEPTIN

Periphere Organe Fasten

Sympathisches Nervensystem

Androgene Nahrungsaufnahme

Insulin Glukokortikoide Östrogene

ZNS

HYPOTHALAMUS

NPY Grafik 1

Schematische Darstellung des Leptin-Regulationssystems; NPY: Neuropeptid Y

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verschiedenen Stellen erfolgen (Gra- fik 3).Bei ob/ob-Mäusen, die ein de- fektes Leptinmolekül bilden, bleiben die negative Rückkopplung („Feed- back-Hemmung“) von Leptin auf den hypothalamischen Leptinrezep- tor und das dadurch vermittelte Sätti- gungsgefühl aus. Dies führt zu einer ungebremsten Nahrungsaufnahme und zur Zunahme der Fettdepots mit konsekutiv weiter ansteigender Lep-

tinsekretion (90). Umgekehrt führt bei db/db-Mäusen die Expression ei- nes funktionsuntüchtigen Leptinre- zeptors trotz Bildung von intaktem Leptin zur Leptinresistenz, was zu ei- ner ungehemmten Nahrungsaufnah- me, einem Anwachsen der Fettde- pots und konsekutiv weiter anstei- gender Leptinsekretion führt (22).

Eine Unterbrechung des Regelkrei- ses kann auch durch Läsionen im Hypothalamus selbst bedingt sein und zu einer gestörten hypothalami- schen Signalrezeption beziehungs- weise -transduktion führen (34, 55).

Bei der Regulation des Körper- gewichts durch Leptin spielt das Neu- ropeptid Y (NPY) als efferentes Sig- nal eine wesentliche Rolle. Neuro- peptid Y wird im Nucleus arcuatus des Hypothalamus gebildet, wo eine

parallele Expression des Leptinrezep- torgens und des NPY-Gens nachge- wiesen wurde (63). NPY senkt den Energieverbrauch, erhöht die Serum- spiegel von Insulin und Kortikostero- iden und stimuliert die Nahrungsauf- nahme (6, 89). Da die Gewichtsab- nahme von ob/ob-Mäusen nach syste- mischer Leptingabe mit einer Abnah- me der erhöhten hypothalamischen NPY-Gen-Expression einhergeht, ist

zu vermuten, daß die Effekte von Leptin auf die Nahrungsaufnahme und Stoffwechselprozesse zumindest partiell über eine Hemmung der NPY-Produktion vermittelt werden (74, 80). Umgekehrt führt Gewichts- abnahme über eine Abnahme der Leptinspiegel zu einer gesteigerten hypothalamischen NPY-Produktion, die ihrerseits eine weitere Gewichts- abnahme verhindert (75). Neueste Untersuchungen bestätigen, daß die durch Leptinmangel ungehemmte NPY-Expression bei ob/ob-Mäusen eine zentrale Rolle bei der Ausbil- dung ihres charakteristischen Phäno- typs spielt (31). Die Hemmung der NPY-Expression im Hypothalamus stellt somit einen wesentlichen Wirk- mechanismus von Leptin im Rahmen der Körpergewichtsregulation dar.

Leptin und Leptinrezeptor beim Menschen

Zeitgleich zur Entdeckung des ob-Gens bei der Maus erfolgte die Klonierung des weitgehend homolo- gen ob-Gens beim Menschen (60).

Das ob-Gen, das auf Chromosom 7 lokalisiert ist (42), wird von differen- zierten Adipozyten, nicht jedoch von Präadipozyten exprimiert, was auf ei- ne Induktion der ob-Gen-Expression im Laufe der Fettzelldifferenzierung hindeutet (60). Während zahlreiche Untersuchungen beim Menschen kei- ne Mutationen im ob-Gen als Ursa- che für die Entstehung von Überge- wicht identifizieren konnten (23, 25, 57, 67), deutet die Kopplung der hu- manen ob-Gen-Region mit extremen Formen von Adipositas auf eine Mu- tation oder Variante des ob-Gens als Ursache extremer Adipositasformen hin (20, 70). Erst kürzlich konnte eine Mutation im ob-Gen identifiziert wer- den, die mit einem kongenitalen Lep- tinmangel verbunden ist und schon im Kindesalter zu massiver Adipositas, Hyperphagie und Hyperinsulinämie führt (64).

Ähnlich wie im Tiermodell kor- relieren die ob-Boten-RNA-Spiegel auch beim Menschen mit dem Kör- pergewicht, der Adipozytengröße und der gespeicherten Fettmenge (39). Adipöse Personen zeigen im Vergleich zu schlanken Probanden ei- ne um 79 Prozent höhere ob-Boten- RNA-Expression (52). Adipöse Frau- en weisen deutlich höhere ob-Boten- RNA-Spiegel auf als adipöse Männer, was eine geschlechtsabhängige Regu- lation der humanen ob-Gen-Expres- sion vermuten läßt (52). Da die ob- Gen-Expression intra- und interindi- viduell beträchtlichen Schwankungen unterliegt, ist auch eine genetische Determinierung wahrscheinlich (60).

Die Serum-Leptinkonzentrationen zeigen eine zirkadiane Rhythmik mit Maximalwerten um Mitternacht und in den frühen Morgenstunden sowie niedrigeren Konzentrationen am Nachmittag (78). Wie bei der Maus, korrelieren die Serum-Leptinkonzen- trationen auch beim Menschen posi- tiv mit dem Körpermasse-Index. Fa- sten führt dabei zu einer Abnahme der Leptinkonzentrationen (26, 40, 46, 50, 56). Die physiologische Regu- Leptin-Transport

im Serum

Transport über die Blut-Hirn-Schranke

Signal-Transduktion JAK

ob-Rb ob-Re

ob-Ra ob-Rc ob-Rd

Zellmembran

,

,,,, ,,,,

,

Grafik 2

Darstellung der wichtigsten bisher beschriebenen Leptinrezeptor-Varianten bei der Maus. ob-Rb besitzt eine lan- ge intrazelluläre Domäne und dient vermutlich der Signaltransduktion. ob-Ra, eine Variante mit kurzer intrazel- lulärer Domäne, ist möglicherweise für den Leptintransport über die Blut-Hirn-Schranke verantwortlich. ob-Re umfaßt lediglich einen Teil der extrazellulären Domäne und könnte einer löslichen Rezeptorform entsprechen.

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lation von Leptin bleibt selbst bei ex- trem niedrigem Körpergewicht und Körperfettanteil erhalten, was Unter- suchungen an Frauen mit Anorexia nervosa belegen, bei denen sich auch noch bei starkem Untergewicht eine enge Korrelation der Leptinspiegel mit dem Körpergewicht und dem Körperfettanteil zeigte (36). Frauen haben unabhängig von ihrem höheren relativen Körperfettanteil höhere Se- rum-Leptinwerte als Männer (40, 56, 88). Auffallend ist außerdem, daß bei prämenopausalen Frauen höhere Leptinwerte zu finden sind als bei postmenopausalen Frauen. Diese Be- funde sprechen für eine Regulation der Leptinexpression durch Sexual- hormone (Stimulation durch Östro- gene/Progesteron, Suppression durch Androgene), wobei sich die Hinweise auf eine negative Steuerung der Lep- tinexpression durch Androgene meh- ren (43, 72). Mit zunehmendem Le- bensalter sinken die Leptin-Serum- spiegel bei beiden Geschlechtern (68).

Die positive Korrelation der In- sulin- und Glukose-Serumspiegel mit den Leptinserumspiegeln signalisiert, daß sowohl Insulin als auch Glukose bei der Regulation der Leptinproduk- tion eine Rolle spielen (7, 88). Eine hormonelle Regulation der Leptinse- kretion konnte auch für Glukokorti- koide nachgewiesen werden: Gluko- kortikoide führen zu einer Stimulati- on der ob-Gen-Expression und Lep- tinsekretionsrate (49, 86). Dagegen folgt auf eine Aktivierung des sympa- thischen Nervensystems (82) eine Ab- nahme der ob-Boten-RNA. In Adi- pozyten konnte eine Hemmung der Leptin-Gen-Expression durch Appli- kation von Norepinephrin und Iso- proterenol nachgewiesen werden (48). Die Trias aus erhöhten Glu- kokortikoidspiegeln, verminderter Ak- tivität des sympathischen Nervensy- stems und Hyperinsulinämie – sämt- lich typische Merkmale des adipösen Tiermodells und der Adipositas des Menschen – dürfte somit wesentlich zum Anstieg der Leptinspiegel bei Adipositas beitragen (Grafik 1).

Parallel zur Identifizierung eines leptinbindenden Rezeptors bei der Maus konnte auch der entsprechende humane Rezeptor kloniert werden (81). Eine Mutation im Leptinrezep-

tor-Gen, wie sie bei db/db- und fa/fa- Ratten vorliegt, konnte beim Men- schen bisher nicht als Ursache für die Entstehung der Adipositas identifi- ziert werden (24). Im menschlichen Gehirn findet man Leptinrezeptor- Transkripte im Hypothalamus (24), in der Amygdala, dem Nucleus cau- datus, Corpus callosum, Hippocam- pus, Nucleus subthalamicus und in der Substantia nigra (79). Es gibt Hinweise auf einen Leptinrezeptor in humanen Gehirnkapillaren, der für eine spezifische, erschöpfbare Bin-

dung und Endozytose von Leptin an der humanen Blut-Hirn-Schranke sorgt (35). Wenngleich die genaue Rolle des Leptinrezeptors im ZNS noch unbekannt ist, unterstreichen diese Befunde, daß das ZNS ein Hauptzielorgan der Leptinwirkung im Sinne der „Lipostase“-Theorie darstellt. Ob der Leptinrezeptor di- rekt für die Signaltransduktion ver- antwortlich ist oder lediglich für den Leptin-Transport über die Blut-Hirn-

Schranke sorgt und die Freisetzung anderer Mediatoren kontrolliert, be- darf weiterer Untersuchungen. Neue- ste Untersuchungen an Patienten nach Operation eines hypothalami- schen Kraniopharyngeoms, die auf- fallend hohe postoperative Leptin- spiegel aufwiesen, belegen, daß auch beim Menschen der Hypothalamus ein zentrales Zielorgan der Leptin- wirkung ist (8).

Wie im Tiermodell, konnten auch beim Menschen Leptinrezeptor- Transkripte in zahlreichen Organen

außerhalb des ZNS nachgewiesen werden (Herz, Leber, Lunge, Skelett- muskel, Milz, Plazenta, Pankreas, Schilddrüse, Prostata, Ovar, Hoden, Nebennierenrinde, Magen, Dünn- darm, Kolon) (21, 79). Die Funktion des Leptinrezeptors in diesen Orga- nen ist noch weitgehend unbekannt.

Der Nachweis von Leptinrezeptor- Transkripten in hämatopoetischen Geweben und Zellinien läßt auf eine Rolle des Leptinrezeptors als Häma- Bindungs- bzw. Signaltransduktions-

defekt bei mutiertem

hypothalamischem Leptinrezeptor Gebremste Nahrungs-

aufnahme Adipozytenvolumen Körperfettmasse

Adipozytenvolumen Körperfettmasse Keine Bindung an

hypothalamischen Leptinrezeptor

Bindung an hypothalamischen

Leptinrezeptor

LEPTIN

Adipozyten

Defektes Leptin- Molekül

Ungebremste Nahrungsaufnahme Grafik 3

Physiologische Regulation des Körpergewichts durch Leptin: Leptin bindet nach Sekretion durch Adipozyten an seinen hypothalamischen Rezeptor. Durch eine negative Feedback-Hemmung wird die weitere Nahrungsauf- nahme gedrosselt, wodurch langfristig eine weitere Zunahme des Adipozytenvolumens und des Körpergewichts ausbleibt. Zunahme des Körpergewichts bei Defekt des Leptinrezeptors infolge einer db-Gen-Mutation (Maus):

Aufgrund einer abnormen Struktur oder Signaltransduktion des Leptinrezeptors unterbleibt die hypothalami- sche Wahrnehmung und Verarbeitung des Leptinsignals. Zunahme des Körpergewichts bei Produktion eines funktionsunfähigen Leptinmoleküls infolge einer ob-Gen-Mutation (Maus): Durch die abnorme Struktur des Leptinmoleküls erfolgt keine Bindung an den Leptinrezeptor, die Feedback-Hemmung bleibt aus.

(5)

topoetin-Rezeptor im Rahmen der Blutbildung schließen (5, 19). Außer- dem konnte die Fertilität von ob/ob- Mäusen, bei denen gewöhnlich eine Sterilität vorliegt, durch die Applika- tion von Leptin wiederhergestellt werden (3, 12). Leptin könnte durch Wirkung auf die Hypothalamus-Hy- pophysen-Gonaden-Achse das repro- duktive System darüber informieren, ob die peripheren Fettspeicher für ei- ne erfolgreiche Fortplanzung ausrei- chend sind. Über einen ähnlichen Me- chanismus scheint Leptin auch eine bedeutende Triggerfunktion bei der Auslösung der Pubertät zu haben (13, 16). Der Nachweis von Leptinrezep- tor-Boten-RNA im Ovar und Hoden- gewebe (51, 79) läßt jedoch auch eine direkte Wirkung von Leptin auf die peripheren Erfolgsorgane vermuten.

Das Absinken der Leptinspiegel un- ter Hungerbedingungen ist mögli- cherweise mitverantwortlich für die verminderte Fertilität, die erniedrig- ten Thyroxin-Serumkonzentrationen und die erhöhte Streßhormonsekreti- on, die das Überleben während einer längeren Hungerphase ermöglichen (1). Da Leptinrezeptor-Transkripte auch im Ovar, in der Schilddrüse und in der Nebennierenrinde nachzuwei- sen sind, muß neben einer Leptinwir- kung auf hypothalamisch-hypophysä- rer Ebene auch eine direkte Wirkung von Leptin auf diese peripheren Or- gane angenommen werden (79).

Insulinsensitivität und Leptin

Neuere Untersuchungen zeigen, daß die Leptin-Serumkonzentratio- nen sowohl mit der Insulinsekretions- rate als auch mit dem Ausmaß der In- sulinresistenz korrelieren (50, 77, 88).

Sowohl Insulin als auch Glukose scheinen bei der Regulation der Lep- tinproduktion eine Rolle zu spielen (7, 88). Die ob-Boten-RNA-Produk- tion im Fettgewebe wird sowohl durch Insulin als auch durch die post- prandiale Hyperinsulinämie stimu- liert (27, 73, 86). Umgekehrt senken fallende Insulinspiegel und erhöhte Konzentration an freien Fettsäuren im Blut die ob-Boten-RNA-Expressi- on im Fettgewebe (54, 73). Beim Menschen konnte in einer Reihe von

Studien gezeigt werden, daß nicht akute Veränderungen der Insulin- und Glukosekonzentrationen, son- dern vielmehr chronisch erhöhte In- sulinsekretionsraten die Leptinaus- schüttung im Sinne einer Langzeitre- gulation stimulieren (29, 47, 58, 66, 77, 84, 85).

Die erhöhten Leptinspiegel bei Adipositas (26, 32, 52, 56) und die As- soziation der Adipositas mit der Insu- linresistenz führen zu der Frage, ob Leptin auch an der Manifestation des Diabetes mellitus Typ II beteiligt sein

könnte. Eine insulinantagonistische Wirkung von Leptin konnte in jüng- ster Zeit auf verschiedenen Ebenen nachgewiesen werden. Sowohl in He- patozyten, die den Leptinrezeptor ebenfalls exprimieren, als auch in iso- lierten Rattenadipozyten konnte ge- zeigt werden, daß Leptin spezifisch zahlreiche metabolische Wirkungen von Insulin hemmt und so eine Insu- linresistenz induziert (21, 65). Auch in Pankreasinselzellen konnte die ba- sale und glukosestimulierte Insulinse- kretion durch Leptin gehemmt wer- den (30). Da Leptinrezeptoren auch in Pankreasinselzellen nachgewiesen wurden, könnte Leptin als Signalmo- lekül in einem Regelkreis zwischen Pankreasinseln und Fettzellen agie- ren: Mit der Zunahme der Fettdepots steigen die Leptin-Serumspiegel, wo- durch über Leptinrezeptoren in den Pankreasinselzellen die Insulinaus- schüttung gehemmt würde (30, 45).

Da hierdurch eine weitere Fettspei-

cherung verhindert wird, sinken auch die Leptinspiegel wieder ab. Die bei adipösen Personen bestehende Lep- tinresistenz könnte über eine unge- hemmte Insulinausschüttung zur Hy- perinsulinämie und zur Gewichtszu- nahme führen (45). Dieses vorläufig noch hypothetische Modell würde so- wohl die Abnahme der Insulinspiegel nach Leptininjektion (38, 69, 75, 87) als auch die Steigerung der Leptinse- kretion durch Insulin (27, 73, 86) er- klären. Die genauere Klärung der Rolle von Leptin bei der Entstehung von Diabetes mellitus Typ II steht je- doch noch aus.

Leptin,

Körpergewichtsregulation und klinische Relevanz

Trotz der zahlreichen bisher durchgeführten Untersuchungen bleibt unklar, an welcher Stelle des oben beschriebenen Regelkreises (Grafik 3) die für das Übergewicht mitverantwortliche Störung beim Menschen lokalisiert ist. Da die bei Adipösen stark erhöhten Leptin-Se- rumkonzentrationen keine gewichts- reduzierende Wirkung haben, dürfte die Resistenz gegenüber Leptin in der Pathogenese der Adipositas beim Menschen eine wichtige Rolle spielen (26, 61, 71). Bislang ist aber nicht ge- klärt, ob die Leptinresistenz beim Menschen durch noch unentdeckte Mutationen im Leptinrezeptor-Gen verursacht ist oder auf Störungen der dem Leptinrezeptor nachgeschalte- ten intrazellulären Signalmechanis- men oder der Hypothalamusfunktion beruht. Möglicherweise sind auch Leptinantikörper und Leptinantago- nisten bei der Manifestation der Lep- tinresistenz beteiligt. Andere Unter- suchungen zeigen, daß Leptin über ein erschöpfbares Transportsystem ins Gehirn gelangt, wobei die Leptin- Transportrate mit steigenden Leptin- spiegeln abnimmt (2, 11, 76). An der Leptinresistenz adipöser Personen könnte somit auch ein reduzierter Leptintransport ins Gehirn nach Ab- sättigung der Leptin-Transporter- moleküle durch die hohen Leptin- Serumkonzentrationen beteiligt sein.

Außerdem gibt es Hinweise, daß Leptin im Serum an Trägerproteine Insulinresistenz

Diabetes mellitus Typ II b

Adipositas

Hämatopoese

Pubertät Reproduktion Anorexie

Kachexie

„Wasting“- Syndrom Hungerstoffwechsel

LEPTIN Grafik 4

Pleiotrope Funktionen des Leptin-Leptinrezeptor- Systems beim Menschen.

(6)

gebunden ist, die für seinen Trans- port und seine funktionelle Aktivität verantwortlich sind. Bei Übergewich- tigen ist der Anteil des ungebunde- nen und damit möglicherweise funk- tionell weniger aktiven Leptins er- höht, was ebenfalls zur Leptinresi- stenz bei Adipositas beitragen könn- te (41). Bei seltenen Formen einer massiven Adipositas beim Men- schen scheinen Mutationen des ob-Gens, ähnlich wie bei ob/ob- Mäusen, eine pathogenetische Rolle zu spielen (64).

Leptin – ein

pleiotropes Hormon

Die Identifizierung des ob-Gen- Produktes Leptin und seines im Ge- hirn und in diversen peripheren Ge- weben lokalisierten Rezeptors hat in jüngster Zeit zu einem enormen Zu- wachs an Erkenntnissen über die mo- lekularen Mechanismen der Adiposi- tas geführt (Grafik 1). Mit Leptin wurde einer der seit langem postulier- ten Sättigungsfaktoren identifiziert, der im Sinne der „Lipostase“-Theorie das Körpergewicht reguliert. Es gibt zahlreiche Hinweise dafür, daß Leptin neben seiner zentralen Wirkung auf den Hypothalamus auch Wirkungen auf periphere Organe besitzt, die über peripher lokalisierte Leptinrezepto- ren vermittelt werden und zahlreiche Körperfunktionen steuern (zum Bei- spiel Pubertät, Reproduktion, Häma-

topoese). Neben der Regulation von Energiehaushalt und Körperfettmas- se wird dem Leptin derzeit auch eine wichtige Rolle bei metabolischen Störungen zugeschrieben, insbeson- dere bei der Manifestation des Diabe- tes mellitus Typ II. Eine Endorganre- sistenz gegenüber Leptin dürfte einen wesentlichen Mechanismus bei der Entstehung der Adipositas und des Diabetes mellitus Typ II beim Men- schen darstellen. Die unter Zytokin- und Endotoxinfreisetzung erhöhten Leptinserumspiegel könnten ferner an der Anorexie und Gewichtsabnah- me beteiligt sein, die im Rahmen schwerer Infektionen, Allgemeiner- krankungen und Tumorleiden auftre- ten (37, 74) (Grafik 4).

Ob sich die im Tiermodell so ein- drucksvolle Gewichtsabnahme nach peripherer Applikation von Leptin auch beim Menschen bestätigen wird, ist derzeit offen, angesichts der bei Adipösen vorliegenden Leptinresi- stenz jedoch fraglich. Eine routi- nemäßige Bestimmung der Leptin- spiegel bei Adipösen hat bislang kei- ne therapeutischen Konsequenzen und ist deshalb nur zu Forschungs- zwecken sinnvoll. Die Entwicklung von Medikamenten, die eine Verstär- kung der Leptinwirkung und eine Ab- nahme der Leptinresistenz bewirken, könnte jedoch eine sinnvolle, kausal- orientierte Therapie der Adipositas beim Menschen ermöglichen. Für die Intensivmedizin und Infektiologie verbindet sich mit der Entwicklung

von Leptinantagonisten die Hoff- nung, das „Wasting Syndrome“ im Rahmen schwerer Infektionen thera- peutisch beeinflussen zu können. Mit der Herstellung von Leptinrezeptor- agonisten und -Antagonisten sowie durch pharmakologische Manipulati- on der ob-Gen-Expression und der Leptinfreisetzung aus Adipozyten bieten sich künftig neue Therapie- ansätze für die Behandlung der Adi- positas sowie für andere Störungen, bei denen Leptin eine wesentliche Rolle spielt. Allerdings sollte nicht außer acht gelassen werden, daß die Regulation des Energiehaushalts ein höchst komplexes, multifaktorielles Geschehen darstellt, in dem das ob- Gen, sein Genprodukt Leptin und der Leptinrezeptor nur eine Regulations- schleife neben vielen anderen bilden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2909–2914 [Heft 44]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser Priv.-Doz. Dr. med.

Armin E. Heufelder Medizinische Klinik Klinikum Innenstadt

Ludwig-Maximilians-Universität Ziemssenstraße 1

80336 München

Nach brusterhaltender operativer Therapie des Mammakarzinoms und anschließender systemischer Nachbe- handlung entsprechend des Östro- genrezeptor-Status (Gabe von 20 Mil- ligramm Tamoxifen pro Tag bei positi- vem Östrogenrezeptor-Status oder sechs Zyklen CMF-Chemotherapie bei negativem Status) ist eine Bestrah- lung der betroffenen Brust weiterhin mit insgesamt 50 Gray Herddosis empfehlenswert. Dies ist das Ergebnis einer randomisierten Studie mit 585 Mammakarzinompatientinnen unter 70 Jahren, in der untersucht wurde, ob bei entsprechender systemischer

Nachbehandlung auf eine lokale Radiotherapie verzichtet werden könnte. Bei der Hälfte der Frauen, de- ren primäres Mammakarzinom weni- ger als vier Zentimeter Durchmesser hatte und mit einem tumorfreien Si- cherheitsabstand von einem Zentime- ter entfernt worden war, wurde eine lokale Strahlentherapie durchgeführt;

die andere Hälfte erhielt keine lokale Therapie. Obwohl die Überlebensra- ten in der ersten Auswertung nach ei- ner mittleren Nachbeobachtungszeit zwischen fünf und sieben Jahren in beiden Gruppen ähnlich waren, traten bei den bestrahlten Frauen signifikant

seltener lokoregionale Rezidive in der ipsilateralen Brust auf (5,8 Prozent im Vergleich zu 24,5 Prozent). Neben dem Vorteil der verlängerten rezidiv- freien Überlebenszeit zeigte sich bei den bestrahlten Frauen auch ein nicht signifikanter Trend zu weniger Fern-

metastasen. silk

Forrest AP, Stewart HJ, Everington D et al.: Randomised controlled trial of conservation therapy for breast cancer:

6-year analysis of the Scottish trial. Lan- cet 1996; 348: 708–713.

Sir Patrick Forrest, Scottish Cancer Tri- als Office, Medical School, University of Edinburgh, Teviot Place, Edinburgh EH8 9AG, Großbritannien.

Brusterhaltende Therapie und Nachbehandlung des Mammakarzinoms

Referenzen

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