Peter Meyer (1872-1930), .Die Anbetung", 1920
ANGEWANDTE KUNST
Thomas Röske
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Originalveröffentlichung in: Cuticchio, Christiane ; Söling, Caspar (Hrsgg.): Von der Unbegreiflichkeit Gottes : Atelier Goldstein in der Marienkirche Aulhausen, Regensburg 2016, S. 172-173
ImJahr1911wurde der Kölner Hotelangestellte PeterMeyer(1871-1930) in diepsychiatrische Anstalt Eickelborn eingewiesen, weil er seineFamiliemit einem Revolver bedrohthatte. Dortentwickelte er sichzum religiösen Maler und träumtedavon, dass seine eigenwilligen InterpretationenbiblischerStoffe einmalim Kreuzgang des Kölner Domes hängenwürden. Das mag den Wunsch nachphantastischem Künstlerruhm ausdrücken, spricht abervor allem vom Sehnen nach Normalität und öffentlicher Anerkennung als nützlichesGesell schaftsmitglied. Fürdie Ärzte galt diese Idee jedoch als Indiz für Wahnsinn, und man hätte Meyers Werke, wiedie dermeisten seinerSchicksalsgenossen, sicherlich vernichtet,da man ihnen weder ästhetischennoch anderen Wert beimaß. Dann aber erreichte 1919 oder1920 der Aufruf des Psychiaters Hans Prinzhorn (1886-1933) die Eickelborner Anstalt, der umUnterstützung eines in Heidelberg projektierten „Museums für pathologischeKunst" bat. Der Arzt nahm nicht nur einigeder Werke Meyersin die heute nach ihm benannte Sammlung auf, sondern stellte ihn unter dem Pseudonym „Peter Moog" in seinem Buch „Bildnerei der Geisteskranken" (1922)auchals einen von zehn
schizophrenenMeistern" heraus. Meyers Wunsch nach öffentlicher Schau in einem Kirchenraumhat sichallerdings bis heute nicht erfüllt.
Mitder künstlerischen Ausgestaltung derMarienKirchen von Aulhausen, entstanden 100 Jahrenach diesen Ereignissen, ist etwas Besonderes geglückt, nichtallein für die Künstlerdes Atelier Goldstein, sondernfür die Kunst von Menschenam Rande der Gesellschaftallgemein.Das wird auchim Kontrast zu dendamals unerhörten Wünschen eines historischen Anstaltskünstlersdeut
lich. InAulhausengelang die Anerkennung, dieihmverwehrt blieb. Die künst lerische Ausstattung einerKirche ist eben nicht nur ein Auftragswerk, sondern überdies angewandteKunst von herausgehobenem Status. In der Marien
Kirche werden seit ihrerWiedereröffnungregelmäßig Gottesdiensteabge
halten, innerhalb derer die verschiedenen künstlerischen Werke Funktionen haben. Sie sind Teil des tradierten Rituseiner Gemeinde, dienen undnützen ihm, schmücken und bereichern ihn. Christliche Gemeinschaftengelten gemeinhin als konservativ, nicht zuletzt bei Entscheidungen für Architektur und deren Ausschmückung. Die Aulhausener Gemeinde war bereit, Inklusion auch auf dem Gebiet der ihr stets vor Augen stehenden religiösenBilder und Textgestaltungen dauerhaft zuermöglichen. Diese Wertschätzungjenseits vorwiegendästhetischer Präsentation in Ausstellungen und Privaträumen ist neu und vorbildlich.
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