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Archiv "Das schwerhörige Kind: Das Jervell- und Lange-Nielsen-Syndrom als Ursache" (06.03.1998)

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(1)

Zum Artikel von Professor Ptok muß festgestellt werden, daß die Dia- gnostik des schwerhörigen Kleinkin- des als gelöst betrachtet werden kann (1). Was jedoch aus dem Artikel nicht hervorgeht, sondern als selbstver- ständlich vorausgesetzt wird, ist die Rehabilitation des schwerhörigen Kindes mit Hörgeräten. Dieses Pro- blem ist in Deutschland flächen- deckend ungelöst (2), wie die Analyse der mehr als 5 000 versorgten schwer- hörigen Kleinkinder zeigt, die bis En- de 1995 in unserer Praxis mit Hör- geräten versorgt wurden. Dieses Phä- nomen erkärt sich dadurch, daß nur maximal zwei Kinder von 1 000 Neu- geborenen mit einer Schwerhörigkeit geboren werden.

Überträgt man einmal diese Zahl nur auf Nordrhein-Westfalen, ergibt sich bei einer Einwohnerzahl von 17,4 Millionen und 170 000 Ge- burten im Jahr 1994 eine maximale Zahl von 340 schwerhörigen Kindern eines Jahrganges. Setzt man diese 340 Fälle in Relation zu der Zahl der tätigen HNO-Ärzte, kommen vier Ärzte auf ein schwerhöriges Kind.

Ähnlich ist die Relation auch bei Hörgeräteakustikern. Schon daraus ist ersichtlich, daß Hörgeräteakusti- ker keine große Erfahrung mit der Versorgung schwerhöriger Kleinkin- der haben können, denn diese Be- rufsgruppe behandelt nahezu aus- schließlich Senioren. Aufgrund der geringen Menge geht die Zahl der mit der Hörgeräteversorgung unzu- friedenen Eltern völlig unter; Kinder sind kein relevanter Markt.

Schon 1982 (3) ist aus unserer Praxis ein Konzept zur Optimierung der Hörgeräteversorgung bei Klein- kindern publiziert (3, 4) worden. Die- ses für Kinder äußerst erfolgreiche Konzept interessiert kaum, nicht ein- mal die Bundesinnung der Hörgerä- teakustiker. Auch Universitätsklini- ken kümmern sich nicht um die Reha- bilitation von schwerhörigen Kindern (2). Eigentlich könnte uns dieser Um-

stand egal sein; da wir aber täglich die- se behinderten Kinder, die uns von al- len Elterninitiativen Deutschlands zu- gesandt werden, sehen, möchten wir einmal der Allgemeinheit das Kon- zept vorstellen. Dieses Konzept geht nicht von einem eng umgrenzten Sprachschatz aus, sondern umfaßt das sogenannte Langzeitsprachspektrum, welches frequenzspezifisch analysiert und in das Audiogramm projiziert wurde. Die zündende Idee zu diesem Konzept kam dadurch, daß in einem Waisenhaus eines Entwicklungslandes der Streit zwischen einer Französin,

Japanerin und Amerikanerin um ein Waisenkind, welches zur Adoption freigegeben werden sollte, miterlebt wurde. Die Sprachentwicklung dieses möglicherweise schwerhörigen Kindes ist rein zufällig. Ein kindlicher Mini- malwortschatz kann keine Grundlage einer Hörgeräteversorgung sein, die dem Kind die gesamte Welt der Spra- che eröffnen soll. Das Hörgerät soll dem Kind langfristig die Erarbeitung eines kompletten Wortschatzes er- möglichen, hierzu bietet sich nur ein Langzeitsprachspektrum an. Jedem ist ein derartiges Langzeitsprachspek- trum bekannt, zum Beispiel wenn in einem großen Saal Hunderte von Per- sonen zusammen sprechen. Dieses Gemurmel muß frequenzspezifisch analysiert werden, beziehungsweise auf die einzelnen Phoneme der Spra- che zurückgeführt werden. Der gang- barste und erfolgreichste Weg zur Grundlage einer Hörgeräteversor- gung bei Kleinkindern ist, wenn versucht wird, frequenzspezifisch den Hörverlust des Kindes durch Hör- geräte auszugleichen. Grundlagenfor- schung zur Phonemanalyse fehlt in Deutschland völlig.

Diese Sprachanalyse ist jedem zum Beispiel aus der Computerspra- che in der Telefonauskunft bekannt.

Hörgeräte für Kinder müssen ein kri- tisches Testprogramm, wie beispiels- weise in Skandinavien üblich, absol- vieren. Hierzu werden sie in einer Tiefkühltruhe eingefroren, um da- nach die Wintertauglichkeit im Labor mittels Kunstohr zu überprüfen. We- gen der geringen Anzahl der Kinder sind derartig aufwendige Verfahren nicht üblich, und somit wird auch die Zukunft für diesen Behindertenkreis, der als Senioren-Miniaturausgabe therapiert wird, nicht günstig gesehen.

Literatur

1. Schorn K: Die Früherfassung der kindli- chen Schwerhörigkeit. Dt. Ärztebl 1993; 90:

A-2684–2696 [Heft 41].

2. Kongreßbericht Deutscher Hörgeschädig- tenpädagogen BDH 31. Bundeskongreß, Heidelberg, Mai 1997, Pfalzinstitut Fran- kenthal 1997.

3. Baschek V, Steinert W: Kritische Betrach- tung der Impedanzaudiometrie zur Bestim- mung des kindlichen Hörvermögens und Hörgeräteanpassung bei Schallempfin- dungsschwerhörigkeiten mit Darstellung einer Alternativmethode. Audio-Technik 1982; 32: 8–16.

4. Baschek V, Steinert W: Systematik und Konzept der Hörgeräteanpassung bei Kin- dern. Der Kinderarzt 1992; 23: 1649–1661.

Dr. med. V. Baschek Arzt für HNO-Heilkunde Ebertstraße 20

45879 Gelsenkirchen

In seinem Beitrag gibt Herr Ptok einen umfassenden Überblick über Schwerhörigkeit bei Kindern. Wir möchten aus kardiologischer Sicht ei- nen Aspekt ergänzen, der uns auf- grund der erheblichen prognostischen und therapeutischen Konsequenzen für das betroffene Kind wichtig er- scheint. Eine autosomal-rezessiv ver- erbte Innenohrschwerhörigkeit kann auch Teil des sogenannten Jervell- und Lange-Nielsen-Syndroms (JLNS), ei- ner besonderen Form des QT-Syn- droms, sein. Eine autosomal-domi- nante Variante des QT-Syndroms ohne kongenitale Hörstörung wird als Romano-Ward-Syndrom bezeichnet.

Das schwerhörige Kind

Verbesserungswürdige Hörgeräteversorgung

Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med. Martin Ptok in Heft 28-29/1997

Das Jervell- und Lange-

Nielsen-Syndrom

als Ursache

(2)

Charakteristisch für beide Formen sind eine Verlängerung der frequenz- korrigierten QT-Zeit im Ruhe-EKG sowie eine erhöhte Inzidenz von plötz- lichen Bewußtlosigkeiten, welche auch mit Krämpfen einhergehen können, oder sogar einem plötzlichen Herztod.

Verursacht werden die Symptome durch ventrikuläre Tachykardien vom Typ der Torsade de pointes, aber auch primäres Kammerflimmern kommt vor. Die Mortalität ist hoch, innerhalb eines Jahres nach Auftreten der ersten Symptome versterben unbehandelt zirka 20 Prozent der Patienten. Die Erstsymptomatik findet dabei bereits häufig im Kindes- oder Jugendalter statt. Die herkömmliche Therapie be- steht in einer hochdosierten Beta- blocker-Medikation, bei reanimierten Patienten wird zusätzlich die Implanta- tion eines Cardioverter/Defibrillator empfohlen. Durch diese Maßnahme kann die Mortalität langfristig dra- stisch gesenkt werden. Insgesamt wird dem QT-Syndrom eine Häufigkeit von 1 zu 10 000 bis 15 000 Lebendgeburten zugeschrieben, wobei dem JLNS ein Anteil von etwa sieben Prozent zu- kommt. Aus größeren Studien in den 70er Jahren wird der prozentuale An- teil von Patienten mit einem JLNS an schwerhörigen Kindern auf zirka 0,25 Prozent beziffert (1). Die genetischen Grundlagen des Syndroms waren in den letzten Jahren Bestandteil intensi- ver molekulargenetischer Forschung und sind es noch. Derzeit sind fünf Kandidatengene bekannt, von denen in vier Fällen das Genprodukt – ein kardialer Ionenkanal – bekannt ist.

Zur Untersuchung werden lediglich 10 ml EDTA-Blut (bei Kleinkindern auch weniger) benötigt. Eine Übersicht wurde kürzlich von unserer Arbeits- gruppe im Deutschen Ärzteblatt veröf- fentlicht (2).

Trotz der Seltenheit der Erkran- kung sollte aufgrund der entscheiden- den prognostischen und therapeuti- schen Konsequenzen an das Vorlie- gen eines JLNS beim schwerhörigen Kind gedacht werden. Wichtige zu- sätzliche Hinweise sind plötzliche To- desfälle bei anderen (schwerhörigen) Familienmitgliedern oder gar Sym- ptome beim Patienten selbst, wie zum Beispiel rezidivierende Synkopen oder Krampfanfälle. Spätestens in diesem Fall sollten die Registrierung

eines Ruhe-EKG beim Patienten und den Familienmitgliedern durchge- führt sowie eine kardiologische Dia- gnostik eingeleitet werden. Dabei ste- hen vor allem nichtinvasive Untersu- chungsmethoden im Vordergrund, in jedem Fall sollte auch eine genetische Diagnostik durchgeführt werden.

Literatur

1. Schwartz PJ et al.: Am Heart J 1975; 89:

378–390.

2. Haverkamp W et al.: QT-Syndrome, Dt Ärztebl 1997; 94: A-667–672 [Heft 11].

Marco Hördt

Dr. med. Wilhelm Haverkamp Priv.-Doz. Dr. med. Martin Borggrefe Medizinische Klinik und Poliklinik Innere Medizin C

Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 48129 Münster

Zum Beitrag von M. Hördt et al.

Neben dem Jervell- und Lange- Nielsen-Syndrom, über das Hördt und Kollegen ausführlich aus kardiolo- gischer Sicht berichten, gibt es ei- ne ganze Reihe anderer syndroma- ler Erkrankungen mit Hörstörungen.

Daher sollten nach jeder Erstdia- gnostik einer kindlichen Innenohr- schwerhörigkeit unter anderem auch ein EKG, eine Schilddrüsenuntersu- chung, eine augenärztliche Untersu- chung sowie eine Nierenuntersu- chung zum Ausschluß solcher syndro- malen Erkrankungen durchgeführt werden.

Zum Beitrag von V. Baschek Die Ausführungen von Baschek sind nur teilweise richtig:

Die technischen Möglichkeiten für die Diagnostik kindlicher Hör- störungen sind, wie ja von mir aus- führlich beschrieben, deutlich verbes- sert worden. Dennoch wird in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, die Diagnose einer Schwer- hörigkeit bei Kindern häufig viel zu spät gestellt und damit leider auch ei- ne adäquate Therapie beziehungswei- se Rehabilitationsmaßnahme zu spät eingeleitet. Dies mag einerseits daran

liegen, daß die diagnostischen Mög- lichkeiten noch nicht genug bekannt sind, andererseits aber auch an der Fehlinterpretation von Meßergebnis- sen.

Baschek meint, daß die Hörgerä- teversorgung bei Kindern flächen- deckend ungelöst sei, und beklagt, daß Hörgeräteakustiker keine große Erfahrung mit der Hörgeräteversor- gung bei Kindern haben. In der Tat ist die Hörgeräteversorgung bei Kindern noch deutlich verbesserungswürdig.

Hierfür die Hörgeräteakustiker oder die Hörgeräteakustikerinnung ver- antwortlich zu machen, halte ich in keiner Weise für gerechtfertigt. Rich- tig war zwar, daß bei der Ausbildung von Hörgeräteakustikern die Hör- geräteversorgung bei Kleinkindern und Kindern nicht sehr umfangreich berücksichtigt wird. Es wäre aber auch gar nicht sinnvoll, alle Hörgerä- teakustiker aufgrund einer entspre- chenden Ausbildung zu verpflichten, Hörgeräteversorgungen bei kleinen Kindern durchzuführen. Dies würde dazu führen, daß jeder einzelne Aku- stiker nur sehr selten Kinder mit Hör- geräten versorgen würde. Viel sinn- voller ist, wenn die Hörgeräteversor- gung bei Kindern in der Hand weniger speziell geschulter Hörgeräteakusti- ker bleibt, die dann auch über die ent- sprechende Erfahrung verfügen. Die Akademie für Hörgeräteakustik bie- tet für bereits ausgebildete Hörgerä- teakustiker spezielle Weiterbildungs- kurse für die Kinderversorgung an.

Baschek glaubt, daß bei der Hör- geräteversorgung von Kindern das Langzeitspektrum zu wenig berück- sichtigt wird. Hierzu muß zunächst folgendes präzisiert werden: Schaller- eignisse (Sprache, Umweltgeräusche und andere) kann man analysieren und dann den durchschnittlichen Energiegehalt in einzelnen Frequenz- bereichen messen. Solche Spektral- analysen kann man für individuelle Sprecher (früher auch voice print ge- nannt), für Sprechergruppen oder für andere Schallereignisse (zum Beispiel Verkehrslärm) erstellen. Man hat früher angenommen, daß eine Hör- geräteeinstellung insbesondere bei Kindern dann optimal sei, wenn (je- weils bezogen auf den Hörverlust) nur die Frequenzbereiche der Sprache (Nutzschall) verstärkt werden, aber

Schlußwort

(3)

nicht die des Störschalls. Da sich aber diese Frequenzbereiche überlappen und Hörgeräte nicht „erkennen“ kön- nen, ob es sich um Sprachsignale han- delt, die verstärkt werden sollen, oder um Störschall, der unterdrückt wer- den soll, ist eine solche selektive Ver- stärkung des Nutzschalls derzeit nicht möglich. Heute ist es aber möglich, bestimmte Charakteristika von typi- schen Sprachsignalen anders zu ver- stärken als typische Charakteristika von typischen Störschallereignissen.

Dies ist, insbesondere in der Hörgerä- teindustrie, allerdings seit langem be- kannt und bildete ja die Grundlage für die modernen Verstärkertechnologi- en.

Generelle und seit langem wohl bekannte Grundlage der individuel- len Hörgeräteanpassung ist also, ein Hörgerät oder eine frequenzbezoge-

ne Verstärkung zu finden, die einer- seits den individuellen Hörverlust des Betroffenen ermittelt, andererseits die typischen Charakteristika sowohl von Hintergrundstörgeräuschen wie von typischen Sprachschallsignalen zu berücksichtigen. Dies betrifft aller- dings im wesentlichen nur die soge- nannte Vorauswahl beziehungsweise Grobanpassung. In die endgültige Anpassung der frequenzbezogenen Verstärkungsleistung (sogenannte Feinanpassung) muß dann auch ein- bezogen werden, ab welcher Verstär- kung ein Kind das Hörgerät als unan- genehm empfindet. Hierfür kann man auch schon bei Kindern sogenannte Hörfelder, die nicht nur die Schwelle, sondern auch den Bereich des ange- nehmen Hörens beziehungsweise die Unbehaglichkeitsschwelle zeigen, er- mitteln. Letzlich aber darf die Feinan-

passung nicht nur auf Daten beruhen, sondern muß dann insbesondere die Angaben des Kindes, der Eltern und/oder der Bezugspersonen be- rücksichtigen. Ein striktes Beharren auf Meßdaten und Ignorieren dieser Angaben wäre völlig falsch und ist in diesem Sinne sicherlich auch nicht von Herrn Blaschek gemeint gewe- sen. Zusätzlich muß nochmals betont werden, daß neben einer erfolgrei- chen Versorgung mit einem Hörgerät nicht die Ausstattung mit anderen Hilfsmitteln (zum Beispiel drahtlose Übertragungsanlage) vergessen wer- den darf.

Prof. Dr. med. Martin Ptok Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädandiologie Medizinische Hochschule Hannover 30623 Hannover

Die Einordnung der Akustikus- neurinome unter der Überschrift:

„Kleine inoperable oder nur teilweise resezierbare benigne Tumoren“ ist mißverständlich. Gerade die kleinen Akustikusneurinome sind gut opera- bel. Sie lassen sich auf geeignetem otochirurgischen, neurochirurgischen oder otochirurgisch-neurochirurgisch kombiniertem Weg funktionserhal- tend für Gehör und Fazialis resezie- ren. Auftretende Verwachsungen nach einer Bestrahlung stellen im Fal- le erneuten Tumorwachstums für ein chirurgisches Vorgehen ein erhöhtes Risiko für Gehör und Fazialisfunkti- on dar. Insofern bin ich nicht der Auf- fassung, daß die Bestrahlung in die- sen Fällen generell eine „schonende und sichere Alternative zur Mikro- chirurgie“ ist. Außerdem ist nach ei- ner Bestrahlungstherapie von Aku-

stikusneurinomen, zum Beispiel bei Neurofibromatose Typ 2, im Falle ei- ner neuralen Ertaubung die Chance vergeben, den Patienten mit einer Hirnstammprothese eine akustische

Ankopplung an die Umwelt bis hin zum limitierten Sprachverstehen zu ermöglichen (1). Auch im Hinblick auf diese relativ neue Behandlungs- methode sehe ich in der Bestrah- lungstherapie keine schonende und sichere Alternative zur Mikrochirur- gie.

Prof. Dr. med. R. Laszig Klinikum der

Albert-Ludwigs-Universität

Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde und Poliklinik Killianstraße 5

79106 Freiburg Literatur

1. Laszig R, Sollmann WP, Marangos N: The restoration of hearing in neurofibromato- sis type 2. J Laryngol and Otol 1995; 109:

385–389.

Zunächst möchte ich den Auto- ren zu der ausgezeichneten Übersicht und Darstellung der Möglichkeiten der nicht invasiven Linearbeschleuni- ger beziehungsweise Gamma-Knife- Strahlenchirurgie sowie der interstiti- ellen Bestrahlung gratulieren. Die von ihnen seit Jahren bearbeiteten Methoden bedeuten sicherlich in vie- len Bereichen der Therapie intrakra- nieller Tumoren wesentliche Behand-

lungsfortschritte. !

Die Strahlenchirurgie in

der Behandlung von intrakraniellen Tumoren und Gefäßmißbildungen

Keine schonende Alternative

Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med.Volker Sturm Prof. Dr. med. Rolf-Peter Müller in Heft 23/1997

Kaum Indikationen

(4)

Im Hinblick auf die Therapie der Akustikusneurinome muß ich jedoch als Otochirurg, der die operative Be- handlung dieser gutartigen Tumoren seit vielen Jahren betreibt, einige kri- tische Anmerkungen machen.

¿ Bei Akustikusneurinomen handelt es sich um gutartige Tumo- ren, die sich unter Einsatz moderner mikrochirurgischer Verfahren und des intraoperativen Monitoring in ei- ner für den Patienten schonenden und mit einer geringen Komplikati- onsrate versehenen Weise komplett entfernen lassen. Dies trifft vor allem für kleine und mittlere Tumoren, die von den Autoren als Indikationsge- biet für die Gamma-Knife-Therapie genannt werden, zu.

ÀBei der Gamma-Knife-Thera- pie werden die Tumoren nicht besei- tigt, sondern in der Regel in ihrem Wachstum gehemmt oder in der Größe reduziert. Angaben über die Dauer dieses Effektes kann ich dem Beitrag nicht entnehmen. Ein erneu- tes Tumorwachstum ist in der Litera- tur beschrieben. Somit wird nur ein temporärer Effekt ohne Radikalent- fernung des Tumors erzielt.

ÁDie von den Autoren angege- bene Rate an Hörerhaltung wird bei der Tumorgröße mit chirurgischen Verfahren ebenfalls mindestens er- reicht und nach eigenen Erfahrungen sowie Berichten in der Literatur sogar übertroffen. Dabei ist der Begriff der Hörerhaltung nicht eindeutig defi- niert. Handelt es sich dabei um die Er- haltung des Hörvermögens auf dem präoperativen Stand oder lediglich um die Erhaltung eines Hörvermö- gens ohne Berücksichtigung des Gra- des der Schwerhörigkeit? Die An- wendung der internationalen Klas- sifikation zur Beurteilung der Erhal- tung des Hörvermögens wäre hier si- cherlich hilfreich.

ÂDie von den Autoren angege- benen Komplikationen wie Fazia- lisparese und Trigeminusschädigung sind für die Patienten zum Teil sehr belästigend. Insbesondere die The- rapie des post radiationem auftre- tenden Gesichtsschmerzes kann sich als sehr schwierig erweisen. Solche Schmerzen sind nach konventionel- ler chirurgischer Entfernung, beson- ders bei kleinen Tumoren, nicht vor- handen.

ÃMüssen Tumoren nach voran- gegangener Strahlentherapie den- noch operiert werden, zum Beispiel aufgrund eines erneuten Tumor- wachstums oder mangelnder Tumor- kontrolle, gestaltet sich die operative Entfernung dann sehr viel schwieri- ger. Dies liegt an der strahlenindu- zierten Arachnoiditis sowie der da- durch bedingten Verwachsung mit dem umliegenden Gewebe und den anliegenden Hirnnerven, insbesonde- re des Nervus facialis. Die dabei auf- tretenden motorischen Ausfälle sind wahrscheinlich größer als bei einer primärchirurgischen Therapie.

!Für große Tumoren mit Hirn- stammkompression ist die Gamma- Knife-Therapie nicht einsetzbar. Ge- rade bei diesen Tumoren kommt es je- doch postoperativ häufiger zu Funkti- onsstörungen. Auf diesem Gebiet stellt also die Gamma-Knife-Therapie keine Alternative dar.

Zusammenfassend bestehen für die Gamma-Knife-Therapie zum jetzi- gen Zeitpunkt nur in wenigen Aus- nahmefällen Indikationen. Sie be- schränken sich auf ältere Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko und noch erhaltenem Hörvermögen sowie auf Patienten mit bilateralen Akus- tikusneurinomen im Rahmen einer Neurofibromatose II. Ich kann also der Aussage, daß es sich um eine klare Behandlungsalternative handelt, nicht beipflichten.

Prof. Dr. med. Th. Lenarz

Medizinische Hochschule Hannover Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen- Ohrenheilkunde

Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover

Bevor ich auf die einzelnen Kri- tikpunkte eingehe, möchte ich die we- sentlichen Schwierigkeiten, die einen Vergleich der Wirksamkeit und der Risiken der mikroneurochirurgischen und der strahlenchirurgischen Be- handlungsmethoden erschweren, be- nennen.

Die Nachbeobachtungszeiten strahlenchirurgisch behandelter Pati- enten mit Akustikusneurinomen sind

kürzer als in den mikrochirurgischen Serien. Auch die Fallzahlen sind we- sentlich kleiner. Am Karolinska-In- stitut in Stockholm liegen die läng- sten Nachbeobachtungszeiten vor.

Strahlenchirurgische Behandlungen von Akustikusneurinomen werden dort mit dem Gamma-Knife seit 1969 durchgeführt. Unsere Arbeitsgruppe begann mit der strahlenchirurgischen Behandlung von Akustikusneurino- men im Jahre 1983, amerikanische Arbeitsgruppen 1987 bis 1989.

Die strahlenchirurgischen Be- handlungsmethoden wurden in den letzten Jahren kontinuierlich verbes- sert (Nutzung der Kernspintomo- graphie für Bestrahlungsplanungen, Verbesserungen der Planungspro- gramme, geänderte Planungsstrate- gien mit weltweiter Tendenz zur Er- niedrigung der Tumorranddosen, zu- nehmende Erfahrung). Die Ergeb- nisse der früheren Behandlungspha- sen sind weder in der Strahlenchirur- gie noch in der Mikroneurochirurgie direkt mit den Ergebnissen der späte- ren Behandlungsphasen vergleich- bar.

Kritik von Herrn Prof. Lenarz Zu ¿: Mikrochirurgische Opera- tionsmethoden sind in den letzten Jahren wesentlich schonender und effektiver geworden. Trotzdem sind heute auch kleine und mittlere Tumo- ren nicht immer komplett zu entfer- nen. Die lokalen Kontrollraten kön- nen bei kleinen und mittleren Akusti- kusneurinomen 97 bis 98 Prozent er- reichen (3, 4).

Die mit Strahlenchirurgie erziel- baren lokalen Tumorkontrollraten sind ähnlich (1, 2).

Allerdings muß erwähnt werden, daß bei den relativ kurzen Nachbe- obachtungszeiten die Langzeiteffekti- vität der Strahlenchirurgie in der Be- handlung von Akustikusneurinomen zur Zeit noch nicht definitiv zu beur- teilen ist.

Zu À: Das Ziel der strahlenchir- urgischen Behandlungen mit Linear- beschleuniger und Gamma-Knife ist nicht die totale Entfernung des Tu- mors, sondern die Erzielung loka- ler Tumorkontrolle, das heißt entwe- der Tumorstillstand oder aber eine Verkleinerung des Tumors. Zu der

Schlußwort

(5)

Problematik der Beurteilung der bis- lang vorliegenden Ergebnisse siehe Punkt 1.

Zu Á: Zur Klassifizierung von Hörminderungen wird von den be- reits zitierten Arbeitsgruppen die Hörklassifikation nach Gardner- Robertson verwendet. Andere Ar- beitsgruppen (Strahlenchirurgie so- wie Mikrochirurgie) benutzen ledig- lich Begriffe wie „useful hearing“

oder „complete hearing loss“ zur Klassifikation von behandlungsindu- zierten Hörveränderungen.

Das Strahlenchirurgiezentrum der Mayo Clinic berichtet über weit- gehenden Erhalt des Hörvermögens („useful hearing“ Gardner-Robertson I oder II) in 100 Prozent der Fälle nach einem Jahr, nach zwei Jahren in 41,7 Prozent der Fälle. In Pitts- burgh wurde „useful hearing“ bei 35,1 Prozent der Patienten erhalten.

Die Rate der Hörerhaltung ist in ho- hem Maße von der Höhe der Tumor- randdosis abhängig. Die angegebe- nen Zahlen beziehen sich auf das ge- samte Kollektiv der behandelten Pa- tienten (frühe und späte Phase). Wie auch wir erniedrigten beide Arbeits- grupen die Dosen mit zunehmender Erfahrung. Bei gleicher Tumorkon- trollrate konnten damit die Neben- wirkungen einschließlich der Rate des Hörverlustes in den letzten Jah- ren deutlich gesenkt werden. Eine abschließende Beurteilung der Aus- sichten auf definitiven Erhalt der Hörfunktion nach strahlenchirurgi- scher Behandlung ist derzeit noch nicht möglich.

Zu Â: Fazialisparesen und Sensi- bilitätsstörungen im Trigeminusbe- reich sind nach Strahlenchirurgie in den meisten Fällen inkomplett und oft voll reversibel. Die Komplikati- onsrate ist direkt abhängig von der Höhe der applizierten Strahlendosis und dem Durchmesser des Tumors.

Die noch bis vor drei bis vier Jahren angewandten relativ hohen Dosen (16 bis 20 Gy Tumorranddosis) führ- ten zu Komplikationsraten, die mit den Komplikationsraten der Mikro- chirurgie der 80er Jahre vergleichbar sind. Allerdings waren die Trigemi- nus- und Fazialisparesen meist in- komplett und mild. Mir ist kein Fall einer Anaesthesia dolorsa, das heißt eines schweren Schmerzsyndroms

durch strahlenchirurgische Schädi- gung des N. Trigeminus bekannt.

Die seit zirka drei Jahren von uns und anderen Arbeitsgruppen angewendeten niedrigen Dosen und die Verwendung moderner Therapie- planungsverfahren haben sowohl bei der Linearbeschleuniger- als auch bei der Gamma-Knife-Strahlenchirurgie eine dramatische Senkung der Raten an Hirnnervenschädigungen (Trige- minus, Fazialis, Vestibulo-Cholearis) ergeben.

Bei Anwendung der zur Zeit üb- lichen niedrigen Dosen (10 bis 13 Gy) und optimaler Therapieplanung sind bei strahlenchirurgischer Behandlung

von kleineren Tumoren Läsionen des N. Trigeminus und des N. Facialis sehr selten geworden.

Zu Ã: Grundsätzlich sind Rezi- divoperationen nach Strahlen- und auch Mikrochirurgie immer proble- matischer als Ersteingriffe.

Ä: Strahlenchirurgie ist tat- sächlich nur bei kleinen und mittel- großen Akustikusneurinomen ein- setzbar. Die in den verschiedenen Zentren akzeptierten Maximaldurch- messer sind unterschiedlich. In Stock- holm werden Tumoren bis zu einem Durchmesser von 4 cm strahlenchirur- gisch behandelt. Wir behandeln keine Patienten mit Tumoren von mehr als 3 cm Durchmesser. Bei größeren Tumo- ren ist eine mikrochirurgische Teilre- sektion vor einer möglichen strahlen- chirurgischen Behandlung zwingend erforderlich.

Die in der Literatur mitgeteilten Ergebnisse der strahlenchirurgi- schen Behandlung von Akustikus- neurinomen und unsere eigenen Er- fahrungen haben uns ermutigt,

strahlenchirurgische Behandlungen auf ausdrücklichen Patientenwunsch auch bei kleinen und mittelgroßen Akustikusneurinomen anzuwenden, bei denen natürlich auch eine mikro- chirurgische Operation mit ausrei- chender Sicherheit möglich wäre. Ei- ne definitive Klärung der Effekti- vität und der Risiken strahlenchirur- gischer Behandlungen im Vergleich zur Mikrochirurgie ist nur durch eine multizentrische prospektive, rando- misierte Vergleichsstudie möglich, deren Durchführung wegen der ge- ringen Fallzahlen und der erforderli- chen langen Nachbeobachtungszei- ten jedoch sehr problematisch wäre.

Nach meiner Meinung können mit beiden Methoden ausgezeichnete Ergebnisse erzielt werden. Aus- schlaggebend ist weniger die ange- wandte Technik (Linearbeschleuni- ger beziehungsweise Gamma-Knife- Strahlenchirurgie versus Mikrochir- urgie) als die Erfahrung der Opera- teure.

Kritik von Herrn Prof. Laszig Bei Akustikusneurinomen im Rahmen einer Neurofibromatose Typ II ist sowohl die mikrochirurgische Resektion als auch die strahlenchirur- gische Behandlung mit einem erhöh- ten Ertaubungsrisiko belastet.

Literatur

1. Flickinger J C, Dade Lunsford L, Linskey M E, Duma M C, Kondziolka D: Gamma knife radiosurgery for acoustic tumors:

multivariante analysis of four year results.

Radiother and Oncol 1993; 27: 91–98.

2. Foote R L, Coffey R J, Swanson J W, Har- ner S G, Beatty C W, Kline R W, Stevens L N, Hu T C: Stereotactic radiosurgery using the gamma-knife for acoustic neuromas.

Int. J. Radiat Oncol Biol Phys 1995; 32:

1153–1160.

3. Mendenhall, W M, Friedman W A, Guatti J M, Bova F J: Preliminary results of linear accelerator radiosurgery for acoustic schwannomas. J Neurosurg 1996; 85:

1013–1019.

4. Flickinger J C, Kondziolka D, Dade Luns- ford L: Dose and diameter relationships for facial, trigeminal, and acoustic neuro- pathies following acoustic neuroma radio- surgery. Radiother and Oncol 1996; 41:

215–219.

Prof. Dr. med. Volker Sturm

Klinik für Neurochirurgie, Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie Universität zu Köln

Josef-Stelzmann-Straße 9 50924 Köln

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