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ermeintliche ärztliche„Kunstfehler“ sind im- mer wieder ein gefunde- nes Fressen für die Boule- vardpresse: „Rentner falsches Bein amputiert“, „Neugebo- renes durch Narkosefehler dauerhaft geschädigt“ oder
„Nach Operation Schere in Bauchhöhle vergessen“ lau- ten die Schlagzeilen, die heut- zutage häufiger zu lesen sind als noch vor einigen Jahren.
Fakt ist, dass trotz des hohen Standards der medizinischen Versorgung in Deutschland die Zahl der Fälle deutlich zu- genommen hat, bei denen die Haftpflichtversicherungen für Gesundheitsschäden eintre- ten müssen, die von Ärzten an ihren Patienten verursacht wurden. Vor allem bei den
„schweren“ Fachrichtungen (Chirurgie, Orthopädie, An- ästhesie und Gynäkologie) und im Bereich der Kranken- häuser haben sich die Ver- sicherungsleistungen verviel- facht. Dazu beigetragen hat neben dem gestiegenen An- spruchsbewusstsein der Pati- enten die Rechtsprechung, die die Haftung der Ärzte für ihre „Kunstfehler“ in den letzten Jahren verschärft hat.
Die Haftung von Arzt und Krankenhaus
Nach deutschem Recht haftet der Arzt gegenüber seinem Patienten aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag (§ 611 BGB); daneben auch aus un- erlaubter Handlung (§ 823 ff.
BGB).Voraussetzung ist al- lerdings, dass diese unerlaub- te Handlung oder Unterlas- sung des Arztes den Tat- bestand einer Körperverlet- zung erfüllt. Dann hat der Pa- tient neben den üblichen Schadenersatzleistungen (Er- satz der materiellen Schäden, Renten) auch Anspruch auf Schmerzensgeld. Dieser An- spruch ist beim Vertrags- recht nicht vorgesehen. Beim Klinikaufenthalt des Kassen- patienten besteht das Ver- tragsverhältnis zwischen dem Krankenhausträger und dem Patienten.
Die Grundlagen des Haf- tungsrechtes sind in den letz-
ten 25 Jahren zugunsten des Patienten erweitert worden.
Während früher Haftung und Versicherungsschutz auf den objektiven und vom Arzt ver- schuldeten – aber vom Pa- tienten vielfach nur schwer
nachweisbaren – Behandlungs- fehler ausgerichtet waren, hat die Rechtsprechung mehr und mehr Chancengleichheit zwi- schen Arzt und Patient her- gestellt.
Um dem Patienten die Ent- scheidung darüber zu ermög- lichen, welche Behandlung er zulässt und welche nicht, wur- de dem Arzt eine umfassende Pflicht zur Aufklärung des Patienten über den Behand- lungsplan, mögliche Alterna- tivmethoden und die jeweili- gen Risiken auferlegt. Klärt der Arzt seinen Pati- enten nicht oder nur unzureichend auf, haf- tet er für die negati- ven Auswirkungen der Behandlung und feh- lerhaften Aufklärung.
Hand in Hand mit der Aufklärungspflicht geht die Dokumenta- tionspflicht des Arz- tes. Auch hier gilt: Ist die Dokumentation unvollständig, haftet
der Arzt für daraus resultie- rende Behandlungsfehler.
Bei Krankenhäusern kommt ein weiterer Haftungsaspekt dazu: das „Organisationsver- schulden“. Dieses kann zum Beispiel dann vorliegen, wenn kein Ärzteteam ver- fügbar ist, das medizi- nische Hilfspersonal nicht qualifiziert ge- nug ist, es an Hygiene mangelt oder der Zu- stand der Einrichtun- gen zu Patientenscha- den führt. Die Ent- wicklung der Recht- sprechung sowie die für den Arzt damit verbundenen erhöh- ten Anforderungen zu Aufklärungs- und Do- kumentationspflicht hatten zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Haftpflichtversiche- rung im Heilwesenbereich.
Vor allem in den Bereichen der „schweren“ Fachrichtun- gen verdreifachten sich die Schadenbedarfszahlen in fünf Jahren – nicht nur durch eine größere Anzahl von Fällen, sondern vor allem durch ei- nen starken Anstieg bei den Großschäden. Ähnlich sieht es bei den privaten und öf- fentlichen Krankenhäusern aus. Hier stiegen die Schaden- zahlungen im Fünfjahreszeit- raum auf das Doppelte an. In-
folge der rapide wachsenden Versicherungsleistungen in einzelnen medizinischen Be- reichen wurden die Haft- pflichtprämien immer mehr differenziert. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Tarifposi- tionen, die eine risikogerech- te Prämienfindung möglich machen sollen.
Die verbesserte haftungs- rechtliche Position des Pati- enten muss nicht zwangs- läufig zu immer mehr Haf- tungsprozessen und damit zu einer Verschlechterung des Verhältnisses Arzt – Patient führen. Deshalb wurden in allen Ärztekammerbezirken Gutachter- und Schlichtungs- stellen eingerichtet, deren Aufgabe es ist, für den Patien- ten kostenfrei den Sachver- halt aufzuklären und objektiv zu begutachten. Immerhin 30 Prozent der Fälle werden von den Schlichtungsstellen zu- gunsten des Patienten ent- schieden. In den anderen Fäl- len haben die Patienten un- eingeschränkt die Möglich- keit, Haftungs- und Entschä- digungsfragen vor Gericht klären zu lassen.
Die Patientenversicherung In Skandinavien, aber auch in einigen außereuropäischen Ländern, gibt es zum Teil schon seit mehr als 25 Jahren
„Patientenversicherungen“, bei denen das Haftungsrecht in ein Wiedergutmachungs- recht umgewandelt ist. Ein Verschulden oder ein Fehler des Arztes ist dann irrele- vant. Etwaige Entschädigun- gen für den „Behandlungsun- fall“ werden aus der Sozial- versicherung (getragen von allen Sozialversicherten) und einem Entschädigungsfonds (getragen von Ärzten und Krankenhäusern) bezahlt.
Doch auch die Patientenver- sicherung ist nicht ohne Pro- bleme: So werden Bagatell- fälle meist nicht entschädigt.
Auch liegen die Entschädi- gungshöchstgrenzen bei rund einer halben Million Euro.
Und drittens muss ein Teil der Entschädigungen von der Sozialversicherung erbracht werden. Rolf Combach
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1616. April 2004 [51]
V E R S I C H E R U N G E N
Haftpflichtversicherung
Immer unverzichtbarer
Die Grundlagen des Haftungsrechts sind in den letzten 25 Jahren erweitert worden.
So sollte sich ein Arzt mindestens versichern
Deckungssummen:
> Personenschäden 1 000 000 Euro
> Sachschäden 150 000 Euro
> Vermögensschäden 25 000 Euro Manche Versicherer bieten eine Police mit Selbstbeteiligung an. rco Selten sind ärztliche „Kunstfehler“ so
eindeutig wie auf diesem Röntgenbild.
Foto:ddp