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Archiv "Die „Nadel der Cleopatra“ - Vor 100 Jahren: Ein Arzt stiftet London eine seiner Sehenswürdigkeiten" (07.12.1978)

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Die Nadel der Cleopatra am Victoria Em- bankment in London, die dank einer Geld- spende von zehntausend Pfund des engli- schen Arztes Sir Erasmus Wilson von Ägypten nach London transportiert werden konnte Spektrum der Woche

Aufsätze Notizen

FEUILLETON

Mancher London-Tourist wird schon achtlos an „Cleopatra's Needle" vorübergegangen sein, an dem 21 Meter hohen, 180 bis 190 Tonnen schweren Obelisk am Victo-

ria Embankment, dem Nordufer der Themse, etwas oberhalb der Water- loo Bridge. Vom anderen Flußufer aus, von den neuen Terrassen vor der Royal Festival Hall, hat man den besten Blick auf den dreieinhalb

Jahrtausende alten Stein, der vor genau 100 Jahren mit finanziellen Mitteln des Dermatologen Sir Eras- mus Wilson aus Ägypten nach Lon- don gebracht und an dem gerade neu gestalteten Themseufer aufge- stellt wurde.

Als einer der ersten deutschen Rei- senden beschrieb Ludwig Freiherr von Ompteda „ . . .die Albert Em-

bankments, über denen die eben aus 1000jährigem Schlafe erwachte Nadel der Cleopatra sich verwundert umschaut, während unter ihnen die städtische Untergrund-Eisenbahn entlang donnert" („Bilder aus dem Leben in England", Breslau 1881, und zwar ausgerechnet in dem Kapi- tel über „Die Trinkkrankheit in Eng- land"). Der gute Freiherr brachte al- lerdings seine Geographie durch- einander: Das Albert Embankment ist am Südufer, Cleopatra's Needle am Nordufer.

Abgesehen von dem reichlich küh- nen sprachlichen Bild von einem Obelisk, der „sich verwundert um- schaut" — an dem „1000jährigen Schlaf" mag etwas dran sein. Ur- sprünglich bestellt wurde der Stein von Pharao Thotmes III. in denßra- nitsteinbrüchen bei Assuan für sei- nen großen Tempel in Heliopolis. Et- was später ließ ein Ramses seinen Namenszug hineinmeißeln. Und et- wa ein Jahrtausend später ging es den Nil noch weiter abwärts nach Alexandria zur Baustelle des großen Palastes der Cleopatra; man kann sich ausmalen, wie Julius Cäsar zwi- schen zwei solcher Obelisken hin- durch (der andere ist möglicherwei- se der, der jetzt im New Yorker Cen- tral Park steht) zu Cleopatra ging, die sich ihm „in Teppiche gehüllt"

entgegentragen ließ (oder vielleicht muß es heißen: „nur in Teppiche ge- hüllt"? — aber lassen wir das).

Jedenfalls wurden die Trümmer von Cleopatras Palast später als Bauma- terial zweckentfremdet, auch der Obelisk verlor seine Spitze, etwa ei- nen Meter, und dann lag er wohl jahrhundertelang unbeachtet im Sand. Im Jahre 1819 schenkte ihn der ägyptische Vizekönig Mehemet Ali den Engländern, als Dank für bri- tisch-türkische Siege über die Fran- zosen. Und — das ist wichtig —: er bot an, auch die Frachtkosten zu be- zahlen.

Allerdings: London war alles andere als begeistert. Wenige Jahre vorher hatte Lord Elgin die noch erhaltenen Teile des Parthenon-Frieses von Athen nach England bringen lassen und dafür aus der eigenen Tasche

Die „Nadel der Cleopatra"

Vor 100 Jahren:

Ein Arzt stiftet London eine seiner Sehenswürdigkeiten

3008 Heft 49 vom 7. Dezember 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Eine der beiden Sphinxe am Fuß des Obelisken, die 1878 versehentlich mit falscher Blickrichtung aufgestellt wurden: Sie blicken nach innen statt nach außen Fotos: BTA

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Die „Nadel der Cleopatra"

70 000 Pfund bezahlt; heute sind sie einer der größten Schätze des Bri- tish Museum. Cleopatra's Needle riß kaum jemanden vom Stuhl: Der Schriftsteller Thackeray soll sogar vorgeschlagen haben, lieber die Nel- son-Säule vom Trafalgar Square (al- so eine Art britisches Nationaldenk- mal) auch noch nach Ägypten zu bringen, damit „beide Monster dort im Sand in Vergessenheit geraten können". Und die „Times" sah die Stadt London „in der Lage einer äl- teren Dame, die in der Lotterie einen Elefanten gewonnen hat".

Sir Erasmus Wilson stiftete 10 000 Pfund für den Transport

Aber dann sprang Dr. Wilson (1809 bis 1884) in die Bresche. Er war un- ter anderem Präsident einer Gesell- schaft für die Erforschung Ägyptens, und Geldstiften, das war er ge- wöhnt: Obwohl von Hause aus Chir- urg und Lehrer der Anatomie am Middlesex Hospital (sein „Compen- dium der Anatomie" erschien auch auf Deutsch), interessierte er sich etwa ab 1840 mehr und mehr für Hautkrankheiten, veröffentlichte

entsprechende Bücher und Aufsätze und stiftete 1869 dem Royal College of Surgeons den ersten Lehrstuhl für Dermatologie, dessen erster In- haber er auch wurde. Das ließ er sich 5000 Pfund kosten; für den Lehr- stuhl für Pathologie in Aberdeen da- gegen wandte er 1881 das Doppelte auf.

1877 jedenfalls spendierte Erasmus Wilson „aus Vaterlandsliebe", wie es am Sockel des Obelisken heißt, 10 000 Pfund für den Transport von Cleopatra's Needle von Ägypten nach London. Man baute ein schwimmfähiges eisernes Futteral und ließ es von einem Schiff in Schlepp nehmen. In der stürmi- schen Biskaya sank die ganze Cho- se, und Cleopatras Nadel wurde erst nach drei Monaten wieder aus dem Meer gefischt. Nach komplizierten ingenieur-technischen Vorbereitun- gen gelang es dann am 12. Septem- ber 1878, den Obelisk innerhalb von nur 45 Minuten am Themseufer auf- zurichten: London hatte eine neue Sehenswürdigkeit. Wilson, der sich das von einem gecharterten Them- sedampfer aus ansah, durfte sich drei Jahre später Sir Erasmus nennen.

Ein Kursbuch, ein Rasierapparat

und die schönsten Frauen

Auch wenn, wie manche behaupten, in Wirklichkeit Cleopatra den Obe- lisk nie gesehen hat, so hat er doch stets die Phantasien entsprechend beflügelt: Im Sockel wurden zwei Steingutgefäße eingemauert. Über ihren Inhalt gehen die Ansichten auseinander („Münzen, Bibeln, Bradshaw's Eisenbahnkursbuch, Zi- garren, ein moderner Rasierapparat, eine komplette Damengarderobe"), aber übereinstimmend wird erwähnt

„eine Sammlung Fotografien der schönsten Frauen Englands". Man- che legten auch mehr Wert auf Ver- bindungen zu anderen historischen Gestalten, wie folgender Vers zeigt, den ein Spaßvogel in der ersten Nacht an Cleopatra's Needle auf- hängte:

This monument as some supposes Was looked at in old days by Moses.

lt passed in time to Greeks and Turks, And was stuck up here by the Board of Works.

(Nicht wortgetreu, aber dem schnoddrigen Ton hauptstädtischer Studenten entsprechend, müßte ei- ne Übersetzung etwa lauten:

Dieses Bauwerk, nimmt man an, sah Moses schon als junger Mann.

Dann ließ es auch Griechen und Tür- ken kalt — jetzt hat's das Bauamt hier hinge-

knallt.) Speziell für deutsche Besucher gibt es an Cleopatra's Needle noch etwas zu entdecken. Eine der beiden Sphinxe am Fuß (sie wurden 1878 versehentlich falsch herum aufge- stellt und blicken stilwidrig nach in- nen statt nach außen) hat ein Loch an der bronzenen Pobacke, und auch aus dem steinernen Sockel sind Stücke herausgeschlagen. Dies

3010 Heft 49 vom 7. Dezember 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

FEUILLETON

Viele sehen seufzend dem Dezem- bermonat entgegen. Das innigste Fest, Weihnachten, naht. Die kind- lich-frohe Erwartung ist uns verlo- rengegangen. Wir fürchten die zu- sätzlichen Mühen der traditionellen Vorbereitungen. Die Freude am Schenken ist einem Geschenk- zwang gewichen. „Die Kinder haben doch schon alles, und uns fehlt doch auch nichts."

Aber hier soll nicht vom Dezember 1978 die Rede sein. Gehen wir ein- mal zweitausend Jahre zurück zu ei- ner Zeit, in welcher es auch schon den Festmonat Dezember gab und in welcher auch der Wohlstand Sor- gen machte.

„ ... ächzt und schwitzt die Stadt"

„Es ist Dezember. Mehr denn je ächzt und schwitzt die Stadt. Lizenz für offene Schlemmerei ist gegeben.

Alles ist vom Trubel ungeheurer Vor- bereitungen erfüllt — als ob noch ir- gendein Unterschied da wäre zwi- schen den Saturnalien und den Werktagen! So völlig ist der Unter- schied verschwunden, daß mir der Mann gar nicht unrecht zu haben scheint, der bemerkte: früher war der Dezember ein Monat; jetzt mutet er wie ein Jahr an."

Das sagte Seneca von den Saturna- lien. Die Kultfeiern und Opfer für Sa- turn waren das ausgelassenste Fest der Römer. Sie begannen am 17. De- zember. Mit dem Jubelgeschrei: „lo Saturnialia" brach das wilde Treiben los. Alle Geschäfte waren geschlos- sen. Tage und Nächte zog man von einer Feststätte zur andern. Prak- tisch war jedes Haus eine Schlem- mer- und Gaststätte. Die Üppigkeit

war maßlos. Es floß der Wein in Strö- men. Martial nannte diese Zeit „die feuchten Tage".

Erinnerung

an das „Goldene Zeitalter"

Horaz bemerkte bissig, daß in Rom jetzt nur noch der Nüchterne auffiel.

Sogar der alte Geizhals und Sparfa- natiker Cato mußte nolens volens seinen Sklaven die doppelte Weinra- tion zugestehen. Es schien, als ob das „Goldene Zeitalter" wieder ein- gekehrt wäre, jene sorglos-glückli- che Urzeit unter dem milden Regime des alten Göttervaters Saturn. In die- ser paradiesischen Frühzeit gab es kein Gesetz, keine Herrschaft, keine Arbeit, keinen Besitz, keine Unter- schiede der Menschen, keine Reiche und keine Arme . . .

In den Tollen Tagen, die an den Fa- sching erinnern, war es Sitte, Ge- schenke zu verteilen und die Rollen zu vertauschen. Die Herren bedien- ten die Sklaven. Diese benutzten die Gelegenheit, das sich angesammel- te Unrecht des Jahres den Servie- renden und Einschenkenden unter die Nase zu reiben.

Im Mittelalter:

Parallelen zu den Saturnalien Dieses Dezembertreiben muß tief wurzeln. Wer die Skulpturen der Ka- thedrale von Autun in Burgund be- trachtet, entdeckt viele Parallelen zu den Saturnalien.

Vor 800 Jahren hat Gislebertus die Weihnachtsgeschichte Vers für Vers in Stein gemeißelt. Sein Werk ver- mittelt heute noch die Kraft, Staunen und Ehrfurcht zu erwecken. Jedes sind Spuren deutscher Fliegerbom-

ben von einem der mehr als hundert Luftangriffe auf London im — Ersten Weltkrieg. Bei diesem Angriff im September 1917, einem der größten, errechnete man 120 Tote und Ver- letzte je Tonne abgeworfenen Sprengstoff, und die Londoner konnten, als sie sich die Schäden an Cleopatra's Needle betrachteten, vorausschätzen, was im Zweiten Weltkrieg auf sie zukommen würde:

600 000 Tote und 1,2 Millionen Ver- letzte innerhalb der ersten 60 Tage hielt man für möglich. Tatsäch- lich ging es dann ja weit glimpflicher ab.

Auf dem Tunnelgitter der Circle & District Line träumt man von Cleopatra

Die Nadel der Cleopatra entging neuen Schäden im Zweiten Welt- krieg wohl nur durch Zufall: Der schwere Angriff am 10. Mai 1941 zum Beispiel (der mit 1436 Toten mehr Opfer forderte als alle hundert Angriffe des Ersten Weltkrieges zu- sammen) traf unter anderem, nur wenige hundert Meter entfernt, die Gerichtsgebäude am Anfang der Fleet Street, und auch dort kann man an der Außenmauer am Erdge- schoß noch die Splitterschäden be- sichtigen.

Die „städtische Untergrund-Eisen- bahn" des Freiherrn von Ompteda hört man ebenfalls noch heute „ent- langdonnern". Das liegt daran, daß diese Strecke — heute die Circle and District Line — damals noch für den Dampfbetrieb gebaut worden war.

Der Tunnel liegt also nicht sehr tief und hat im Park hinter dem Embank- ment mit Gittern verschlossene Öff- nungen, damit der Dampf der Loko- motiven abziehen konnte.

Heute sind dies beliebte Schlafplät- ze für Stadtstreicher: Auf den Git- tern ist es durch die von unten auf- steigende Tunnelluft angenehm warm, nachts donnern keine Züge entlang, und man kann vielleicht von der legendären Cleopatra träu- men ... Günter Burkart

Saturnalien des Wohlstands

Gedanken in der Vorweihnachtszeit

Bernhard Fleiß

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 49 vom 7. Dezember 1978 3011

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