Kleine Anfrage
der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vom 15.11.2005
betreffend Kündigung während der Schwangerschaft, Mutterschutz und Erziehungszeit in Hessen
und
Antwort
der Sozialministerin
Vorbemerkung der Fragestellerin:
Nach § 9 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes ist die Kündigung einer Frau während der Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zur Zeit der Kündigung die Schwangerschaft oder Entbindung bekannt war oder innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.
Nach § 18 Abs. 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes darf ein Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Elternzeit verlangt wurde, und während der Elternzeit nicht gekündigt werden.
Bei beiden Regelungen kann die für den Arbeitsschutz zuständige oberste Landes- behörde oder eine von ihr bestimmte Stelle auf Antrag in besonderen Fällen eine Kündigung für zulässig erklären (§ 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG, § 18 Abs. 1 Satz 3 BErzGG).
Vorbemerkung der Sozialministerin:
Im Mittelpunkt des Mutterschutzrechts steht das Ziel, werdende Mütter und ihre ungeborenen Kinder und die Mütter nach der Geburt sowie deren Kin- der vor Gefahren für Leben oder Gesundheit bei der Arbeit zu schützen. Ein zentrales Element ist damit der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit durch präventive und tätigkeitsbezogene Schutzmaßnahmen. Zudem soll das Risiko schwangerschaftsbedingter Benachteiligungen durch eine finanzielle Min- destabsicherung sowie den Schutz eines bestehenden Arbeitsverhältnisses vor Kündigung bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Niederkunft vermie- den werden. Bei der Beschäftigung werdender oder stillender Mütter hat der Arbeitgeber das Gesetz zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutter- schutzgesetz - MuSchG) und die Verordnung zum Schutze der Mütter am Arbeitsplatz zu beachten.
Der besondere Kündigungsschutz von Personen, die sich in Elternzeit befin- den, ist in § 18 Abs. 1 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) geregelt.
Die Aufsichtsbehörden überwachen die Einhaltung der genannten Bestim- mungen. Ihre Kompetenz erfolgt üblicherweise per Aufgabenzuweisung im Landesrecht.
Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:
Frage 1. Welche von der Landesregierung bestimmten Stellen sind für die Prüfung von Anträgen auf Kündigung während Schwangerschaft, Mutterschutz oder Erzie- hungszeit zuständig?
In Hessen sind die Regierungspräsidien für Zulässigkeitserklärungen von Kündigungen nach § 9 Abs. 3 MuSchG und § 18 Abs. 1 BErzGG zuständig.
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Regierungspräsidiums ergibt sich aus § 1 Abs. 1 der Arbeitsschutzzuständigkeitsverordnung vom 8. Juli 2003 (GVBl. I S. 206), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Oktober 2005 (GVBl I S. 674, 684).
Eingegangen am 10. Januar 2006 · Ausgegeben am 9. Februar 2006
Druck und Auslieferung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden
Drucksache
16/4661
10. 01. 2006 16. Wahlperiode
HESSISCHER LANDTAG
2 Hessischer Landtag · 16. Wahlperiode · Drucksache 16/4661
Frage 2. Wie hat sich in den Jahren seit 1999 jeweils
a) die Zahl der Anträge und der von den Anträgen betroffenen Arbeitnehmerinnen, b) die Zahl der ausgesprochenen Zulässigkeitserklärungen und der davon betrof-
fenen Arbeitnehmerinnen,
c) die Zahl der abgelehnten Anträge und die der davon betroffenen Arbeitnehme- rinnen entwickelt (bitte aufschlüsseln nach Jahren, beauftragten Stellen bzw.
Gebietskörperschaften)?
In Beantwortung der Frage wird auf die als Anlage beigefügten Übersichten verwiesen.
Frage 3. In welchen Vorschriften sind die nach § 18 Abs. 1 Satz 2 Bundeserziehungsgeld- gesetz und § 9 Abs. 3 Satz 1 Mutterschutzgesetz "besonderen Fälle", in denen eine Kündigung ausgesprochen werden kann, geregelt?
Bei dem in § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG und § 18 Abs. 1 Satz 2 BErzGG verwandten Wortpaar "besonderen Fällen" handelt es sich um einen so ge- nannten unbestimmten Rechtsbegriff, der durch Auslegung zu ermitteln ist.
Eine Begriffs- oder Legaldefinition ist in anderen Bestimmungen nicht vor- handen.
Ungeachtet dessen darf die Kündigung während des Mutterschutzes oder der Elternzeit auch bei Vorliegen eines "besonderen Falles" nur "ausnahmswei- se" für zulässig erklärt werden. Diese Bedingung ist nach der Rechtsspre- chung des Bundesverwaltungsgerichtes zu bejahen, wenn außergewöhnliche Umstände das Zurücktreten der vom Mutterschutzgesetz als vorrangig ange- sehenen Interessen der werdenden Mutter oder Wöchnerin hinter die Interes- sen des Arbeitgebers rechtfertigen. Bei Arbeitnehmerinnen oder Arbeitneh- mern, die sich in der Elternzeit befinden, gilt dieser Grundsatz entspre- chend. Nähere Erläuterungen ergeben sich aus der Verwaltungsvorschrift zum Kündigungsschutz bei Erziehungsurlaub vom 2. Januar 1986, Bundes- anzeiger 1986 Nr. 1 S. 4.
Die zuständige Aufsichts- und Genehmigungsbehörde hat dementsprechend in Verfahren nach § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG oder § 18 Abs. 1 Satz 2 BErzGG zweistufig vorzugehen. Zunächst prüft sie, ob ein "besonderer Fall" vorliegt. Bejaht sie dies, so hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob das Interesse des Arbeitgebers an einer Kündi- gung so erheblich überwiegt, dass ausnahmsweise die vom Arbeitgeber beabsichtigte Kündigung für zulässig zu erklären ist.
Frage 4. Inwieweit unterscheiden sich die hessischen Regelungen von denen in anderen Bundesländern?
Regelungen zum Mutterschutz oder Erziehungsgeld und Elternzeit sind we- der im hessischen Landesrecht noch in landesrechtlichen Vorschriften ande- rer Bundesländer vorhanden. Es handelt sich um ein Regelwerk des Bundes.
Gleiches gilt für das Mutterschutzgesetz.
Abweichend hiervon existieren im Wesentlichen inhaltsgleiche mutterschutz- rechtliche Sonderregelungen des Landesrechts für Beamtinnen, da diese vom Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes nicht erfasst werden.
Frage 5. Aus welche Branchen kommen die Unternehmen in der Regel, die Anträge auf Zulässigkeit der Kündigung stellen?
Hierzu liegen keine Daten vor.
Frage 6. Welche Unterstützungsmöglichkeiten bietet das Land den betroffenen Frauen, denen gekündigt wurde?
Die finanzielle Absicherung im Kündigungsfall ist durch Bundesrecht geregelt. Die einschlägigen Vorschriften ergeben sich aus dem Bundeserziehungsgeldgesetz, dem Sozialgesetzbuch III und dem Mutterschutzgesetz. So erhalten Frauen, deren Arbeitsverhältnis während der Schwangerschaft beendet wurde, vom Bundesversicherungsamt Mutterschutzgeld sowie einen im Regelfall vom Arbeitgeber zu erstattenden Zuschuss zum Mutterschutzgeld nach §§ 13, 14 MuSchG.
Wiesbaden, 29. Dezember 2005
Silke Lautenschläger
Anlage
Anlage
Anträge gemäß § 9 Abs. 3 Mutterschutzgesetz RP Gießen 1999 - 2004
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18
Zahl der Anträge 12 12 15 10 8 12
Zahl der von den Anträgen betroffenen Arbeitnehmerinnen 13 13 17 11 9 12
Ausgesprochene Zulässigkeitserklärungen 7 3 5 6 3 8
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 7 3 7 7 4 8
Zahl der abgelehnten Anträge 1 0 0 0 1 0
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 1 0 0 0 1 0
Gießen Gießen Gießen Gießen Gießen Gießen
1999 2000 2001 2002 2003 2004
Anträge gemäß § 9 Abs. 3 Mutterschutzgesetz RP Darmstadt 1999 - 2004
0 20 40 60 80 100 120 140 160
Zahl der Anträge 72 65 83 76 112 107
Zahl der von den Anträgen betroffenen Arbeitnehmerinnen 106 70 99 92 133 136
Ausgesprochene Zulässigkeitserklärungen 36 28 48 47 62 53
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 61 31 60 63 70 67
Zahl der abgelehnten Anträge 9 15 15 17 12 15
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 9 17 17 17 20 15
Darmstadt Darmstadt Darmstadt Darmstadt Darmstadt Darmstadt
1999 2000 2001 2002 2003 2004
Anträge gemäß § 9 Abs. 3 Mutterschutzgesetz RP Kassel 1999 - 2004
0 5 10 15 20 25 30 35 40
Zahl der Anträge 26 16 20 26 31 33
Zahl der von den Anträgen betroffenen Arbeitnehmerinnen 28 16 22 29 36 37
Ausgesprochene Zulässigkeitserklärungen 12 3 13 18 15 23
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 14 3 14 21 19 27
Zahl der abgelehnten Anträge 3 4 2 1 3 1
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 3 4 2 1 3 1
Kassel Kassel Kassel Kassel Kassel Kassel
1999 2000 2001 2002 2003 2004
Anträge gemäß § 18 Abs. 1 BErzGG RP Gießen 1999 - 2004
0 10 20 30 40 50 60
Zahl der Anträge 24 18 29 20 15 25
Zahl der von den Anträgen betroffenen Arbeitnehmerinnen 38 26 51 38 27 25
Ausgesprochene Zulässigkeitserklärungen 24 14 13 9 8 12
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 24 21 22 18 20 12
Zahl der abgelehnten Anträge 2 1 1 0 2 0
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 2 1 1 0 2 0
Gießen Gießen Gießen Gießen Gießen Gießen
1999 2000 2001 2002 2003 2004
Anträge gemäß § 18 Abs. 1 BErzGG RP Darmstadt 1999 - 2004
0 50 100 150 200 250 300 350 400 450
Zahl der Anträge 139 124 145 151 255 171
Zahl der von den Anträgen betroffenen Arbeitnehmerinnen 210 217 234 239 354 412
Ausgesprochene Zulässigkeitserklärungen 90 75 102 104 171 133
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 151 140 172 191 217 294
Zahl der abgelehnten Anträge 22 18 13 15 20 19
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 22 37 17 16 41 29
Darmstadt Darmstadt Darmstadt Darmstadt Darmstadt Darmstadt
1999 2000 2001 2002 2003 2004
Anträge gemäß § 18 Abs. 1 BErzGG RP Kassel 1999 - 2004
0 20 40 60 80 100 120
Zahl der Anträge 46 28 42 53 60 35
Zahl der von den Anträgen betroffenen Arbeitnehmerinnen 82 39 70 98 85 48
Ausgesprochene Zulässigkeitserklärungen 22 15 25 27 44 26
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 38 25 43 62 66 38
Zahl der abgelehnten Anträge 2 1 0 1 1 0
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 2 1 0 1 1 0
Kassel Kassel Kassel Kassel Kassel Kassel
1999 2000 2001 2002 2003 2004
0 100 200 300 400 500 600
Zahl der Anträge 209 170 216 224 330 231
Zahl der von den Anträgen betroffenen Arbeitnehmerinnen
330 282 355 375 466 485
Ausgesprochene Zulässigkeitserklärungen 136 104 140 140 223 171
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 213 186 237 271 303 344
Zahl der abgelehnten Anträge 26 20 14 16 23 19
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen 26 39 18 17 44 29
1999 2000 2001 2002 2003 2004
Statistik Zulassungsanträge an die RPen Kündigung ErzGG 1999-2004
0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200
Zahl der Anträge 110 93 118 112 151 152
Zahl der von den Anträgen betroffenen Arbeitnehmerinnen
147 99 138 132 178 185
Ausgesprochene Zulässigkeitserklärungen 55 34 66 71 80 84
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen
82 37 81 91 93 102
Zahl der abgelehnten Anträge 13 19 17 18 16 16
Zahl der davon betroffenen Arbeitnehmerinnen
13 21 19 18 24 16
1999 2000 2001 2002 2003 2004
Statistik Zulassungsanträge an die RPen Kündigung MuSchG 1999-2004