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Kriminalität im Gesundheitswesen

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Academic year: 2022

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Phnomenologische Betrachtung zu „Weiße-Kittel-Kriminalitt“

Manipulationen und Missbrauch im Gesundheitswesen betreffen einen bedeutenden Teil unseres sozialen und wirtschaftlichen Lebens. Von den betreffenden Taten geht eine hohe Sozialschdlichkeit aus, die sich unter anderem in einer Vielzahl an Opfern und Einzeltaten ausdrckt. Zudem entfaltet das strafrechtliche Fehlverhalten von Leistungserbringern eine korrumpierende Sog- und Spiralwirkung auf Mitbewerber, Konkurrenten und Berufsangehçrige. Diese werden zu hnlichem Verhalten gezwungen, um auch vom „Sozialkuchen Gesundheitswesen“ profitieren zu kçnnen.56 Jedes Delikt kann also Ausgangspunkt eines angepassten Fehlverhaltens sein. Im Folgenden werden einige Fallvarianten von „Weiße-Kittel-Krimi- nalitt“ exemplarisch dargestellt.

2.1 Fallvarianten des Abrechnungsbetruges

Beim Abrechnungsbetrug zum Nachteil von Krankenkassen und Kas- sen(zahn)- rztlichen Vereinigungen gibt es eine Flle verschiedener Fall- varianten. Pflegedienste, die Rente verstorbener Patienten kassieren57, ein Arzt, der den Meniskus eines Patienten schdigt, um ihn dann aus „abrech- nungstechnischen Grnden“ zu entfernen, Doppelabrechnung gegenber dem Privatpatient und der KK bzw. KV, Pflegedienste mit „doppelter Buch- fhrung“, regelmßiges Einlesen von Patienten, die nicht (mehr) behandelt werden, (sog. Chipkarten-„Busse“) sind nur einige Beispiele von Abrech- nungsbetrug im Gesundheitswesen. „Dem Erfindungsreichtum und der Fantasie des einzelnen Arztes sind hier keine Grenzen gesetzt.“58Nachfol- gend werden typische Fallvarianten des Abrechnungsbetruges fr den ver- trags- und privatrztlichen Bereich genannt59:

56 Vgl. Hempler: Abrechnungsmanipulationen, S. 27 f.; Wabnitz u. a.: Handbuch des Wirt- schafts- und Steuerstrafrechts, S. 19, Rd. 17.

57 Weitere Fallvarianten siehe Kondziela, in: Korruption und Abrechnungsbetrug im Gesund- heitswesen, S. 64 ff.

58 Janovsky, in: Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, S. 698, Rd. 12.

59 Siehe auch KBV (Hrsg.): § 6 der Richtlinien der Kassenrztlichen Bundesvereinigung und der Spitzenverbnde der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchfhrung der Abrechnungs- prfungen der Kassenrztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen, S. 4. Bundeskrimi- nalamt (Hrsg.): Bundeslagebild Wirtschaftkriminalitt 2001, S. 184; Dessin: Abrechnungs- betrug durch rzte und andere Angehçrige medizinischer Berufe, S. 400 ff.

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– Abrechnung nicht erbrachter Leistungen.

– Abrechnung nicht persçnlich erbrachter Leistungen.

– Konsequent unwirtschaftlich abgerechnete Leistungen (strittig:60).

– Abrechnung medizinisch nicht indizierter bzw. nicht erforderliche Leis- tungen.61

– Abrechnung von medizinisch sinnvollen, aber (noch) nicht anerkannten Leistungen.

– Abrechnung bei unzulssigem Beschftigungsverhltnis oder bei vor- getuschter Praxisgemeinschaft/Gemeinschaftspraxis.62

– Abrechnung von Leistungen ohne vorliegenden Fachkundenachweis und fehlender Prfung der Geeignetheit der vorgehaltenen medizinischen Gerte durch die KV (sog. Abrechnungsverbot).63

– Rabattbetrug: Gewhren von Barrckzahlungen und Rabatte (z. B. fr Sprechstundenbedarf) an rzte ohne Weitergabe der Mehreinnahmen an die Krankenkassen als Kostentrger.64

– Betrugsverfahren betreffend privatrztliche Verrechnungsstellen.65 Einige Fallgruppen im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind ebenso fr den Bereich der Privatliquidation gltig, wie etwa die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen. Da der Patient im Rahmen der Privatliquidation die Rechnung des Arztes unmittelbar erhlt, scheiden hier Fallgruppen aus, die im Zusammenhang mit der Manipulation des Gesamt- bzw. Honorarverteilungsplanes stehen. Andere Fallgruppen, wie Betrug bei wahlrztlichen Leistungen im Krankenhaus kommen fr den Bereich der Privatliquidation hinzu.66

Anlsslich der 3. Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV (2001) wies Rehborn auf Abrechnungsmanipulationen an der Schnitt- stelle zwischen ambulanter und stationrer Behandlung hin.67Im Folgen-

60Teyssen, in: Arzt und Abrechnungsbetrug, S. 50. Anderer Auffassung Hess, in: Arzt und Abrechnungsbetrug, S. 46 f.; Hellmann u. a.: Der rztliche Abrechnungsbetrug, S. 91 ff.

61Vertiefend zur Materie medizinisch nicht notwendiger Leistungen siehe Hellmann u. a.: Der rztliche Abrechnungsbetrug, S. 141 – 144.

62Zur Unterscheidung zwischen Gemeinschaftspraxis und Praxisgemeinschaft siehe: Hellmann u. a.: Der rztliche Abrechnungsbetrug, S. 6 f.

63Vertiefend Schnapp u. a.: Handbuch des Vertragsarztrechts, S. 508.

64Vertiefend Hellmann u. a.: Der rztliche Abrechnungsbetrug, S. 145 – 147.

65Verrechnungsstellen bieten etwa den Service der „maximalen Abrechnung“, bei der die Gebhrenziffern zu einer vom Arzt gestellten Diagnose sinnvoll ergnzt werden, siehe Janov- sky, in: Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, S. 708, Rd. 61.

66Siehe weiterfhrend Kondziela in: Korruption und Abrechnungsbetrug im Gesundheits- wesen, S. 62 ff.; Hellmann u. a.: Der rztliche Abrechnungsbetrug, S. 117 ff.; Dahm: in: Plausi- bilittsprfung, Rechtsfragen der Gemeinschaftspraxis, Abrechnungsmanipulation, S. 237 – 256.

67Rehborn, in: Plausibilittsprfung, Rechtsfragen der Gemeinschaftspraxis, Abrechnungs- manipulation, S. 257 – 273.

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den werden zwei Fallvarianten des Abrechnungsbetruges, welche die Delikte in qualitativer und quantitativer Hinsicht besonders charakterisie- ren, vertiefend behandelt.

2.1.1 Abrechnung nicht erbrachter Leistungen

Bei der Methode, dass auf den Krankenscheinen der Patienten nicht erbrachte Leistungen aufgefhrt und den Krankenkassen in Rechnung gestellt werden,68handelt es sich um die am weitesten verbreitete Variante des Abrechnungsbetruges zum Nachteil der Krankenversicherung bzw. Kas- senrztlichen Vereinigungen.69 Bei der Abrechnung nicht erbrachter Leis- tungen sind drei Fallgruppen zu unterscheiden:70

a) Luftabrechnungen

b) eine Leistung wurde erbracht, es wird jedoch eine hçher vergtete nicht erbrachte Leistung abgerechnet

c) Leistungssplitting

Zu a)BeiLuftabrechnungenwird eine fingierte Leistung abgerechnet. Vor- nehmlich am Quartalsende wird der Behandlungsschein um nicht erbrachte Leistungen ergnzt. Aus dem Bereich des Rezeptbetruges sind Flle einer klassischen „Win-Win-Situation“ zwischen Arzt und Apotheker bekannt. Hierbei stellt der Arzt gegen Provision bzw. Rckvergtungen Rezepte auf Patienten aus, ohne dass diese die Arznei jemals erhalten haben. Der Apotheker rechnet seinerseits diese Luftrezepte gegenber der KK ab, ohne die Arznei herauszugeben. „Patienten kommen [beispiels- weise] mit einem Rezept ber das Potenzmittel „Caverject“ in die Apothe- ke, wollen jedoch Viagra ausgehndigt bekommen. Der Patient gibt an, dass ihm das sein Arzt versprochen htte. Der Arzt versieht die Rezepte mit einem gelben Klebezettel, worauf er „Viagra 100“ notiert. Tatschlich ist das Potenzmittel „Caverject“ teurer als Viagra. Die Apotheker rechnen gegenber der KK das teure Rezept ab, geben jedoch nur Viagra aus. Die Differenz des Betrages teilen sich dann Apotheker und Arzt gemß ihrer Absprache.71Nicht nur die KK tritt hier als Geschdigte dieser Geschfts- praxis auf. Bei Menschen mit Herz-Kreislaufschwche kann Viagra zur tçd- lichen Gefahr werden, so dass die Verschreibung und Ausgabe von „Caver- ject“ medizinisch notwendig sein kann. Die Methode des Rezeptbetruges

68 Dies besttigen auch erste Zwischenergebnisse einer aktuellen Studie der Universitt Hanno- ver zu Betrug im Gesundheitswesen, wonach in 22 % der untersuchten Flle Luftleistungen und in 10,9 % hçherwertige Leistungen abgerechnet wurden, s. Meier: Betrug im Gesund- heitswesen.

69 Das besttigt auch eine Studie der Universitt Hannover siehe Homann: Betrug in der gesetz- lichen Krankenversicherung, S. 310.

70 Hess, in: Arzt und Abrechnungsbetrug, S. 36 ff.

71 Michels: Weiße Kittel – dunkle Geschfte, S. 61 ff.

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steht in der Praxis auch hufig im Zusammenhang mit der Anforderung von Sprechstundenbedarf.72 Diesen darf der Arzt ber ein Sprechstundenbe- darfsrezept in der Apotheke nach den Regelungen ber die Verordnung von Sprechstundenbedarf der KK und KV erwerben. „Als Sprechstunden- bedarf gelten nur solche Mittel, die bei mehr als einem Berechtigen regel- mßig mit einem nur geringen Teil einer Einzelpackung in den Behand- lungsrumen des Arztes angewendet werden oder bei Notfllen zur Verfgung stehen mssen.“73 Tatschlich wird der Sprechstundenbedarf unzulssigerweise fr Privatpatienten verwendet und ihnen in Rechnung gestellt oder Rezepte im Tausch mit Privatgtern fr den Arzt verwendet.

Janovsky spricht in diesem Zusammenhang von einem kriminellen Netz- werk zwischen rzten und Apothekern.74Auch Tauschgeschfte zwischen Apothekern und Patienten sind bekannt. Dem Patienten, vor allem Drogen- und Medikamentenabhngigen, werden anstelle der auf dem Rezept notier- ten Medikamente nicht-medizinische Artikel, wie Alkohol oder Kosmetika ausgegeben. Die Apotheke rechnet ihrerseits das Rezept jedoch gegenber der KV ab. Die Kriminalpolizeiinspektion Amberg bearbeitete 2002 bei- spielsweise einen Fall des Abrechnungsbetruges zum Nachteil der Kran- kenkassen durch betrgerisches Zusammenwirken einer Patientin und zweier Apotheker aus Schwandorf. Rezepte fr das teure Medikament San- dium wurden in Apotheken gegen Waren aus dem gesamten Sortiment ein- gelçst. Der Gesamtschaden belief sich auf ca. 63.000,– Euro.75

Neben Betrug wird auch der Tatbestand der Urkundenflschung erfllt, wenn Apotheker nachtrglich vernderte Rezepte gegenber den Kranken- kassen abrechnen.

Zu b)Bei dieser Fallvariante entsteht der „[. . .] Schaden [. . .] in der Dif- ferenz zwischen dem abgerechneten und dem richtigerweise anzusetzen- den Steigerungssatz und dem daraus resultierenden [Euro-]Betrag.“76Diese Betrugsform kommt vielfach bei Privatpatienten zum Tragen, wenn unbe- rechtigt ein hçherer Gebhrensatz nach der GO abgerechnet wird. Mit dem genderten Abrechnungsverfahren fr stationre Behandlungen im Krankenhaus auf der Grundlage von Pflegestzen (diagnoseabhngige Fall- pauschalen und Sonderentgelte, gemß §§ 10 Bpfl V)77 seit 2007, ist die Gefahr dieser unzulssigen „Abrechnungsoptimierung“ gestiegen. So sind Flle denkbar bei denen einfach gelagerte Behandlungsvorgnge als hçher vergtete Flle mit Komplikationen abgerechnet werden. Durch die flsch-

72Hempler u. a.: Abrechnungsmanipulationen, S. 89.

73Hempler u. a.: (Fn. 72), S. 62.

74Janovsky, in: Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, S. 721, Rd. 116.

75Bundeskriminalamt (Hrsg.): Bundeslagebild Wirtschaftkriminalitt 2002, S. 76.

76Hellmann u. a., in: Der rztliche Abrechnungsbetrug, S. 119, Rd. 352.

77Sonderentgelte werden fr einzelne Leistungskomplexe eines Behandlungsfalles bezahlt.

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licherweise hçhere Abrechnung von Leistungen in einem Quartal erhçht der Leistungserbringer die eigene durchschnittliche Fallzahl und kann im Folgequartal fr die gleiche Gesamtleistung ein hçheres Honorar ohne Kr- zungen der KV erhalten.78

Zu c)BeimLeistungssplittingwerden Leistungen wegen des Verbotes der Nebeneinanderberechnung von bestimmten Behandlungen pro Behand- lungstag auf mehrere Abrechnungstage verteilt und dann gegenber der jeweiligen KK abrechnet. Hintergrund ist, dass in bestimmten Leistungszif- fern mehrere Behandlungsschritte abgegolten und daher nicht einzeln ver- gtungsfhig sind. Fraglich ist, wie die Frage der Strafbarkeit zu beantwor- ten ist, wenn der Arzt eine andere Leistung als erbracht abrechnet, beide Leistungen jedoch gleichwertig sind und demnach das gleiche Honorar bringen. Mit dieser Abrechnungspraxis wollen einige rzten einer eventu- ellen Prfung der Kassenrztlichen Vereinigung entgehen, die bemerken kçnnte, dass ber dem Durchschnitt abgerechnet wurde. Dr. Rainer Hess, ehemaliger Hauptgeschftsfhrer der Kassenrztlichen Bundesvereinigung (Kçln)79 spricht davon, dass sich der betreffende Arzt durch die Abrech- nung einer nicht erbrachten Leistung der Wirtschaftlichkeitsprfung der Kassenrztlichen Vereinigung entziehen will und damit auf weniger Kr- zungen in diesem Leistungsbereich spekuliert. Daher verschaffe sich der Arzt einen Vermçgensvorteil, so dass der Straftatbestand des Betruges geprft werden msse. Michels schildert aus ihrer Erfahrung als Chef- ermittlerin der KKH einen Fall, bei dem mehrere rzte einer Klinik fr Patienten zwar die Krankheit Borreliose diagnostizierten, diese jedoch nicht gegenber dem Patienten ußerten. Sie rechneten die in der Summe wesentlich teureren Einzelbehandlungen gegenber der KK ab. Wrde die offizielle Diagnose Borreliose lauten, wrde die KK eine geringere Aufent- haltsdauer im Krankenhaus erstatten. Lauten die Diagnosen jedoch auf

„[. . .] Entzndung der Herzinnenhaut, krankhafte Erweiterung der Haupt- schlagader, verminderte Pumpfunktion des Herzens, Herzrhythmusstçrun- gen und Gelenkschmerzen [. . .]“ dann kçnne ein lngerer Krankenhausauf- enthalt abgerechnet und vielfltige Behandlungen durchgefhrt werden.

Die Schadenssummen im betreffenden Fall lagen im fnf- bis sechsstelligen Bereich, so Michels.80

2.1.2 Nicht persçnlich erbrachte Leistungen

Der Arzt hat grundstzlich die Pflicht zur persçnlichen Leistungserbrin- gung. Nheres ist in § 76 Abs. 4 SGB V, BMV- (§§ 15, 25) EBM 2000 plus,

78 Vgl. Hellmann u. a.: Der rztliche Abrechnungsbetrug, S. 42, Rd. 120.

79 Hess, in: Steinhilper, Arzt und Abrechnungsbetrug, S. 53 f.

80 Michels: Weiße Kittel – dunkle Geschfte, S. 140 – 144.

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im Gesamtvertrag81 und in den Richtlinien der Kassenrztlichen Bundes- vereingung (KBV) geregelt.82 Der Arzt darf nur Leistungen abrechnen, die er persçnlich erbracht oder bei zulssiger Delegation an geeignetes Personal fachlich berwacht hat.83„Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass Leis- tungen im ,Kernbereich‘ der Leistungserbringung vertretbar, aber nicht delegierbar sind, Leistungen außerhalb dieses Bereiches vertretbar und delegierbar sind.“84 Nachweise hierzu drften in der Praxis schwierig sein.85Betrugsvorwrfe stehen hufig im Zusammenhang mit unberechtig- ter Abrechnung von Wahlleistungen im Krankenhaus durch Chefrzte, wenn die betreffende Leistung nicht hçchst persçnlich von ihnen erbracht wurde.86In der Ausstellung eines Blanko-Rezepts fr die Sprechstunden- hilfe etwa liegt eine verbotene Delegation rztlicher Leistungen an Nicht- rzte. Hier kann zustzlich der Tatbestand der Anstiftung/ Beihilfe zur ver- botenen Ausbung der Heilkunde (§ 5 Heilpraktikergesetz) erfllt sein.

2.2 Fallvarianten von Korruption im Gesundheitswesen

Auch bei den Korruptionsdelikten im Medizinalbereich sind eine Flle von Fallgestaltungen denkbar.87 „Das Sndenregister reicht von unethischen Verkaufspraktiken, manipulierten oder nicht verçffentlichten Studien- ergebnissen, ber vielfachen Betrug zu Lasten von Sozialkassen, irrefhren- der Werbung und Vermarktung von Pseudoinnovationen bis hin zur Ver- heimlichung von Nebenwirkungen und Bestechung von rzten.“88 Chefarzt Dr. Lutz Steinmller konkretisierte anlsslich des 5. Sicherheits- forums der Wirtschaft (2004) folgende Anknpfungspunkte fr unzulssige

„Zuwendungen“ und „Vorteile“ im Zusammenhang mit dem Gesundheits- system:89

81In jedem Bundesland schließen die Kassen(zahn)rztlichen Vereinigungen mit den Landes- verbnden der Krankenkassen und den Verbnden der Ersatzkassen Gesamtvertrge, in denen die Einzelheiten der vertragsrztlichen Versorgung und der Gesamtvergtung auf der Grund- lage des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs geregelt werden.

82Hellmann u. a.: Der rztliche Abrechnungsbetrug, S. 75, Rd. 230.

83Zur Delegation rztlicher Ttigkeit auf nichtrztliches Personal siehe Andreas, in: ArztRecht, S. 144 – 152.

84Dahm, in: Plausibilittsprfung, Rechtsfragen der Gemeinschaftspraxis, Abrechnungsmani- pulation, S. 244.

85Zur Vertiefung des materiell-rechtlichen Problems der „Persçnlichen Leistungserbringung“

siehe: Hellmann u. a.: Der rztliche Abrechnungsbetrug, S. 71 ff., ab Rd. 217.

86Vertiefend Genzel, in: Plausibilittsprfung, Rechtsfragen der Gemeinschaftspraxis, Abrech- nungsmanipulation, S. 97 – 122.

87Albus: Die Zusammenarbeit zwischen Industrie und rzten an medizinischen Hochschulein- richtungen, S. 28 ff.

88Weiss: Korrupte Medizin, S. 18.

89Steinmller: in: Korruption und Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen, S. 22.

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1. Gewhrung von Rabatten durch Preisnachlass

2. Gewhrung von Vorteilen materieller und immaterieller Art wie:

– Finanzielle Rckvergtung

– Gertestellung (befristet und unbefristet) – Zahlungen an Beteiligte (Arzt, Personal, Dritte) – Ausstattung mit Gegenstnden des gehobenen Bedarfs – Einladung zum Essen und zu Reiseveranstaltungen [. . .]

– Gelegenheitsgeschenke werblicher Natur

3. Entgeltliche Studien, Auftragsforschung, Beratervertrge

Darber hinaus sind folgende Akquisitionsstrategien bzw. Strategien zur Bindung von Leistungserbringern und Apotheken an Leistungs- und Warenanbieter denkbar90:

– Veranstalten luxuriçser Kongresse und Fachtagungen – Mçglichkeit der Publikation in Fachzeitschriften – Mçglichkeit als Referent auf Fachtagungen aufzutreten

– Unzulssige Abgabenhçhe von Medikamentenmusterpackungen (rzte- muster)

– Kostenlose Medikamentenabgabe an Krankenhuser, um Patienten an das betreffende Medikament zu gewçhnen

– Vertragliche Bindung von Chefrzten an die Produkte eines Herstellers Wenn rzte ihren Patienten solche Medikamente verschreiben, an denen sie finanziell von Pharmafirmen und Medizinprodukteherstellern beteiligt sind (Pharma-Sponsoring), handeln sie korrupt. TI spricht von „korruptiv gesteuerten Vertriebsstrukturen“91 beim Sponsoring im Krankenhaus.

Beim LKA Thringen wurden 2002 acht Verfahren mit insgesamt 17 be- schuldigten niedergelassenen rzten wegen erhaltener unzulssiger Rabatt- gewhrungen eines großen Pharmaherstellers fr die Verabreichung eines bestimmten Rçntgenkontrastmittels an ihre Patienten gefhrt. Die Schmier- zahlungen sollten durch die Initiierung einer Anwendungsbeobachtung ber dieses Kontrastmittel gedeckt werden.92ber die Anzahl der tatsch- lich durchgefhrten Anwendungsbeobachtungen gibt es jedoch selten Unterlagen, so dass sich der Tatnachweis schwierig gestaltet. „Bei der Ver- marktung von Arzneimitteln spielen rztliche Meinungsbildner eine emi- nent wichtige Rolle, weil sie fr den wirtschaftlichen Erfolg eines Konzerns ausschlaggebend sind. Sie sitzen oft an den entscheidenden çkonomischen Positionen, vor allem in den Krankenhusern.“93Seit kurzer Zeit versuchen pharmazeutische Unternehmen bei ihren Marketingstrategien beim Patien-

90 Vgl. Stephan, in: Korruption und Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen, S. 46 f.

91 Fried, in: KZ 2005, S. 8.

92 Bundeskriminalamt (Hrsg.): Bundeslagebild Wirtschaftkriminalitt 2002, S. 79.

93 Weiss: Korrupte Medizin, 56.

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ten oder auch bei Selbsthilfegruppen anzusetzen. Besonders heftig fllt die Kritik von Transparency Deutschland an der Praxis der rztlichen Fortbil- dung aus. Diese erfolge laut Arzneimittelkommission der Deutschen rzte- schaft zu einem großen Teil durch die Industrie – und niemand stoße sich daran. „rzte und rztinnen schtzen oft falsch ein, dass die wissenschaft- liche Information und rztliche Fortbildung sowohl bei Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen als auch in der Fachpresse unabhngig von der anbietenden Wirtschaft bleiben muss“.94Unter welcher Kontrolle rzte von der Pharmaindustrie stehen, beschreibt Weiss in seinem Buch „Kor- rupte Medizin-rzte als Komplizen der Konzerne“. Mit Hilfe einer Daten- bank der Marktforschungsfirma IMS Health kçnnen Pharmavertreter gezielte Informationen ber das Verschreibungsverhalten von rzten, all- gemeine Patientendaten, Laborergebnisse, Teilnahme an Fortbildungsver- anstaltungen etc. erhalten. Gegen eine geringe Kostenerstattung liefern die rzte die Daten selbst an und machen sich damit zum Opfer der Pharma- industrie.95

Leistungserbringer kçnnen zudem schnell in den Verdacht der Vorteils- nahme geraten, wenn sieDrittmittel96fr medizinische Forschung und Ent- wicklung erwerben. „Medizinische Fachgesellschaften, medizinische Fakultten und Kliniken an Universitten, Berufsverbnde und medizi- nische Sachverstndige sind auf vielfltige Weise mit der Pharmaforschung und Pharmakonzernen durch enge Kontakte und persçnliche Netzwerke verflochten.“97 Im Rahmen einer optimalen Gesundheitsversorgung der Bevçlkerung gilt es, stndig das Spannungsverhltnis zwischen der erfor- derlichen Nhe bei der Zusammenarbeit zwischen Medizinprodukteher- stellern und Pharmafirmen mit medizinischen Einrichtungen, rzten und sonstigen Leistungserbringern im Gesundheitswesen einerseits und einer kritischen Distanz contra Profit- und Machtstreben aller Beteiligten ande- rerseits aufzulçsen.98

2.3 Sonstige Fallvarianten von „Weiße-Kittel-Kriminalitt“

Es sind auch Fallkonstellationen denkbar, bei denen neben dem Tatbestand des Betruges mçglicherweise auch die Begehung eines Korruptionsdeliktes in Betracht kommt. Nach Bannenberg sind „Begleitdelikte von Korruption

94Fried (Fn. 91), S. 7.

95Vgl. Weiss (Fn, 90), S. 32 ff.

96Bei Drittmitteln handelt es sich um zweckgebundene finanzielle Zuwendungen durch die Industrie.

97Zimmermann: Entwicklungstendenzen im Gesundheitswesen, S. 431.

98Zur rechtlichen Problematik und Einordnung der Gesamtthematik vgl. Wrackmeyer: Drittel- mittelfinanzierung im Gesundheitswesen.

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[. . .] in der Regel Betrug und Untreue [. . .].“99 Diese Fallkonstellation kçnnte etwa dann gegeben sein, wenn es der „[. . .] Arzt unterlsst, der KK mitzuteilen, dass eine Lieferfirma fr Kontrastmittel oder ein Großhndler die Kosten fr Entsorgung von Sondermll bernommen hat [. . .]“100und die kostenlose Entmllung den Leistungserbringer zugleich zum strkeren Absatz der gelieferten Produkte veranlasst. Die Verwirklichung der Tat- bestnde des Betruges und der Korruption kommen auch dann in Betracht, wenn rzte auf Bezahlung von Pharmaunternehmen ihre Patienten fr Medikamentenstudien ohne deren Einwilligung missbrauchen und zugleich die Versuche als Behandlung gegenber der KK abgerechnet wer- den.

ber die Delikte wie Abrechnungsbetrug und Korruption hinaus spielen weitere Delikte, vor allem der Tatbestand der Untreue gemß § 266 StGB, eine Rolle. Mit dem BHG Beschluss 4 StR 239/03 vom 25. November 2003 wurde der Tatbestand der Untreue gegenber der Strafbarkeit wegen Abrechnungsbetruges aufgewertet. Demnach ist der Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB101erfllt, wenn eine im Außenverhltnis wirksame, aber im Verhltnis zum Geschftsherrn bestimmungswidrige Ausbung der Befugnis zur Vermçgensverfgung (Missbrauchstatbestand) gegeben ist.

Auch als Vertreter der KK drfe der Vertragsarzt den Rahmen der kassen- rztlichen Versorgung nicht verlassen, so heißt es weiter in der Begrndung des BGH Beschlusses. „Verschreibt der Kassenarzt dennoch ein Medika- ment zu Lasten der KK, obwohl er weiß, dass er die Leistung nicht bewirken darf, missbraucht er diese ihm vom Gesetz eingerumten Befugnisse. Damit verletzt er seine Betreuungspflicht gegenber dem betroffenen Vermçgen der Krankenkasse.“102 Lehne fasst folgende Fallkonstellationen des § 266 StGB exemplarisch zusammen:103

– Kick-Back-Zahlungen beim Bezug von Waren an den Arzt

– berweisung von Gehltern fiktiver Mitarbeiter auf ein privates Konto durch Mitarbeiter der Personalabteilung

– Abschließen von Scheinvertrgen durch den Geschftsfhrer zum Nach- teil des Krankenhauses und zum Vorteil einer von ihm selbst betriebenen medizinischen Einrichtung

– Kollusives Verhalten zwischen Krankenhausgeschftsfhrer und Betrei- ber der Krankenhauskantine im Falle der Abzeichnung und Genehmi- gung berhçhter Rechnungen

99Bannenberg, in: Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, S. 639, Rd. 51.

100Schmitz, in: Der Kassenarzt-Berater, S. 3.

101Gesetzestext siehe Anhang.

102Beschluss BGH: 4 StR 239/03 vom 25. November 2003, S. 11.

103Lehne: Whistleblowing, S. 32.

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Mit dem Delikt der Untreue im Zusammenhang mit dem Gesundheitswesen gehen Strafverfolgungsbehçrden in der Praxis unterschiedlich um. Der Kri- minalbeamte Engelhardt machte im Rahmen des durchgefhrten Experten- interviews deutlich, dass der Tatbestand der Untreue bei den Ermittlungen der EG Medicus keine Rolle spiele. Die Staatsanwaltschaft Berlin vertrete die Auffassung, dass sich ein Vertragsarzt nicht der Untreue strafbar machen kçnne. Bei der AG Rhein-Lahn in Rheinland-Pfalz hingegen wer- den Untreuedelikte einer Bearbeitung unterzogen.104Hier besteht offenbar ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

Im Rahmen einer Tagung der Kriminalistischen Studiengemeinschaft Bremen in 2009 machte Wolfgang Bonn, Mitarbeiter der AOK in Hessen, auf Fehlverhalten von Pflegepersonal im ambulanten Pflegebereich auf- merksam. Die Zahl der hessischen Pflegedienste hat sich 1995 von 660 auf 999 Dienste in 2008 erhçht. Im Rahmen von ganzheitlichen Qualittspr- fungen der AOK Hessen auf der Grundlage von § 112 ff. SGB XI wurden seit 1996 beispielhaft folgende Fehlverhalten im Pflegebereich festge- stellt:105

– Schlechte Qualitt der Pflege/Behandlungspflege und dadurch Gefahr fr Leib und/oder Leben des Patienten.

– Pflichtverletzungen aufgrund derer eine Verletzung der vermçgenswerten Rechte der Patienten eintritt.

– Abrechnung nicht erbrachter/nicht dokumentierter Leistungen.

– Abrechnung von durch nicht ausreichend qualifiziertes Personal er- brachten Leistungen (husliche Krankenpflege SGB V).

– Forderung von zustzlichen Zahlungen im Rahmen der Vertragsleistun- gen.

– Manipulation der Pflegedokumentation.

– Urkundenflschung.

Insgesamt kann festgestellt werden, dass es eine Vielzahl mçglicher Fall- varianten von „Weiße-Kittel-Kriminalitt“ im Gesundheitswesen gibt. Eine abschließende Aufzhlung muss an der Dynamik des Phnomens sowie der Komplexitt des Gesundheitswesens mit einer Flle mçglicher Tatbege- hungsweisen scheitern.

2.4 Situations- und tterbezogene Merkmale

Zur Darstellung situations- und tterbezogener Merkmale anhand derer das Phnomen „Weiße-Kittel-Kriminalitt“ charakterisiert werden kann, wird

104Experteninterview mit Franz Schmitz.

105Bonn: Vortrag anlsslich der Tagung „Betrug im Gesundheitswesen“ der Kriminalistischen Studiengemeinschaft Bremen vom 26. 02. 2009.

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