Verantwortlich:
Dietmar Hexel DGB Bundesvorstand
Nachfragen an: Marie Seyboth Stand: 27.06.2006 Abt. Mitbestimmung und Rechtspolitik
Telefon: 030 24060769
Stellungnahme des DGB zum Entwurf eines
Gesetzes über die
Mitbestimmung der
Arbeitnehmer bei einer
grenzüberschreitenden
Verschmelzung (MgVG)
1. Einführung
Der vorliegende Referentenentwurf eines Gesetzes zur
Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung regelt die Umsetzung der Richtlinie 2005/56/EG über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedsstaaten in nationales Recht, soweit sie die Mitbestimmung der Arbeitnehmer betrifft.
Das Ziel der Richtlinie ist es, die grenzüberschreitende Verschmelzung von europäischen Kapitalgesellschaften unterschiedlichen Rechts zu erleichtern.
2. Grundsätzliche Anmerkungen
Der vorliegende Referentenentwurf behandelt ein wichtiges Element zur Sicherung der Mitbestimmung in Europa.
Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer/innen im höchsten Unternehmensorgan ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines sozialen, demokratischen und wirtschaftlich erfolgreichen Europas.
Im Wandel zur industriellen Wissensgesellschaft ist die
Mitbestimmung eine Blaupause für die Zukunft der industriellen Arbeitsbeziehungen in Europa.
Auch diese Richtlinie hat das Ziel, durch das Vorher/Nachher-Prinzip die Mitbestimmung in der EU zu sichern, die dadurch als ein
wesentliches Element des europäischen Sozialmodells bestätigt wird.
Es wird erneut deutlich, dass Europa keine Veränderung der
nationalen Mitbestimmungsmodelle verlangt, sondern sie im Gegenteil akzeptiert und sichern will.
Daher begrüßen wir, dass der vorliegende Referentenentwurf die Sicherung der Mitbestimmung bei grenzübergreifenden
Verschmelzungen ausdrücklich als Ziel benennt.
Weiterhin begrüßt der Deutsche Gewerkschaftsbund ausdrücklich die enge Anlehnung des Referentenentwurfes an die Regelungen des Gesetzes über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gesellschaft (SEBG). Dadurch – und auch durch den damit
verbundenen Rückgriff auf die vielfach bewährten Strukturen der deutschen Mitbestimmung – wird sichergestellt, dass die Interessen der Arbeitnehmer/innen im Verschmelzungsfalle gut vertreten werden können. Begrüßenswert wäre nach Ansicht des DGB jedoch eine zusätzliche Regelung zu einem Missbrauchsverbot in Anlehnung an § 43 SEBG.
3. Anmerkungen zu Einzelaspekten
a) Wahlrecht über die Grenze
In den allgemeinen Erläuterungen des Vorhabens (S. 4) sowie zu § 5 Nr. 3 (S. 15) wird darauf hingewiesen, dass Anknüpfungspunkt für Verhandlungen im Verschmelzungsfall auch das wegen des Territorialitätsprinzips nicht vorhandene aktive Wahlrecht der
Arbeitnehmer über die Grenzen hinweg sei (in der Tat Art. 16 Abs.2 b der 10.GesRRili).
Die Einbeziehung von Arbeitnehmer/innen ausländischer
Belegschaften in die deutschen Aufsichtsräte ist seit längerem in der Diskussion. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der dieses Ziel unterstützt, fordert die Bundesregierung nachdrücklich dazu auf, gemeinsam mit den Sozialpartnern nach Wegen zu suchen, den ausländischen Kolleginnen und Kollegen das passive und letztlich auch das aktive Wahlrecht für einen Aufsichtsrat einzuräumen.
Diese Diskussion einerseits und die Verhandlungslösung des Referentenentwurfs zur Umsetzung der 10. Richtlinie andererseits sollten klar auseinander gehalten werden. An beiden Stellen der Begründung des Gesetzentwurfs wäre also das Wort „kraft Gesetzes“
einzufügen, damit nicht durch Vereinbarungen/Tarifverträge über das aktive Wahlrecht der Arbeitnehmer später der Anknüpfungspunkt für Verhandlungen bei Verschmelzungen über die Grenze entfiele.
b) Änderungen in der Struktur
Dieser aus dem SE-Recht herrührende Begriff taucht auch im
Referentenentwurf des MgVG an mehreren Stellen auf, erstmals in § 7 Abs.4 („Treten während der Tätigkeitsdauer des bVG solche Änderungen in der Struktur oder Arbeitnehmerzahl der beteiligten Gesellschaften...ein“) und dann wieder in § 22 Abs. 2 („In der Vereinbarung soll festgelegt werden, dass auch vor strukturellen Änderungen der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft Verhandlungen… aufgenommen werden“).
Als einzige Erläuterung findet man in der Begründung zu § 7 Abs.4 (S.
18) „eine Veränderung des Verschmelzungsplans oder auch eine erhebliche Änderung des Personalbestandes einer beteiligten Gesellschaft“.
In der Gesetzesbegründung zu § 18 Abs.3 SEBG wurde darauf verwiesen, dass die Richtlinie keine Definition enthalte. Jedoch ist
dann dort selbst nur von „der Aufnahme einer mitbestimmten Gesellschaft in die nicht mitbestimmte SE“ die Rede (BT.-Drs.
15/3405 S. 50 vgl. auch Freis in Nagel/Freis/Kleinsorge, Kommentar zum SEBG, mit dem Hinweis, dass Österreich mit seinen
umfangreichen Regelbeispielen wohl übers Ziel hinausgeschossen sei).
Die juristische Fachliteratur hat auf der Basis des Begriffs „Aufnahme“
vielfach einengende Auslegungen des Begriffs „strukturelle Änderungen“ befürwortet. Dies entspricht nicht der Intention, Beteiligungsstandards auch bei strukturellen Veränderungen zu sichern. Von daher regen wir an, in der Begründung des MgVG den Begriff struktureller Änderungen zu definieren.
c) Anteil der Mitbestimmung/Anzahl der Sitze
Erstmals in § 17 MgVG taucht bei Minderung der Mitbestimmung der Begriff „Anteil“ auf (in der Begründung im allgemeinen Teil erstmals auf S. 7).
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass in der Beratungsliteratur zur SE einerseits zutreffend angeführt wurde, dass damit lediglich der prozentuale Anteil an Sitzen gemeint ist, aber andererseits gegen die Verhandelbarkeit der Zahl der Sitze im Aufsichtsorgan argumentiert wird.
Insofern ist es sehr zu begrüßen, wenn nun (wie schon in der Begründung des am 18.5.2006 verabschiedeten
Umsetzungsgesetzes zur SCE) in der Erläuterung zu § 22 auf S. 30 klargestellt wird, dass die Anzahl der Arbeitnehmervertreter
eigenständig festzulegen ist und hieran die Satzung der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft gebunden sei. Damit werden Diskussionen wie bei der SE darum, ob die Zahl der zu vereinbarenden Sitze durch zwei und durch drei zu teilen sein müsse (s. § 17 SEAG), endgültig hinfällig.
d) Fortbestehen nationaler Arbeitnehmervertretungsstrukturen In § 29 MgVG wird zwar - wie bei der SE - das Fortbestehen der nationalen Arbeitnehmervertretungsstruktur (also z.B. des
Gesamtbetriebsrats) nach Erlöschen der nationalen Gesellschaft durch Eintragung der Verschmelzung geregelt, (s. auch Begründung S. 35 f.). Wie bei der SE-Gesetzgebung ist aber zu kritisieren, dass nicht festgelegt wird, dass diesem Gremium ein autorisierter
Gesprächs- und Verhandlungspartner gegenübergestellt werden muss.
e) Nachfolgende Verschmelzungen
§ 30 MgVG (s. auch die Begründung ab S. 36) ist sehr gelungen: für die weiteren Verschmelzungen innerhalb von drei Jahren gilt als von der Richtlinie verlangter Verlängerungsschutz nationales Recht nach den Regelungen des MitbestG usw.
Der in der Begründung (S.36) anschließende Satz, § 18 Abs. 3 SEBG ermögliche die Neuaufnahme von Verhandlungen, wenn eine
Gesellschaft mit einem höheren Umfang an Mitbestimmung von einer SE aufgenommen werde, ist zwar generell richtig, aber - wie bereits oben ausgeführt- fehlt es an Klarheit über die „strukturellen
Änderungen“ bei der SE und jetzt hier beim MgVG.
Da die Sicherung der Mitbestimmung bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf den gleichen Grundgedanken wie bei der
Europäischen Aktiengesellschaft beruht, wäre es allerdings zu begrüßen, wenn das MgVG hier eine den Missbrauch betreffende Regelung ähnlich der des § 43 SEBG enthalten würde.
4. Fazit und Ausblick
Der Deutsche Gewerkschaftsbund begrüßt den vorliegenden
Referentenentwurf. Er ist grundsätzlich geeignet, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer/innen zu sichern.
Auch die Anlehnung an das SEBG findet die Zustimmung des DGB.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zur praktischen Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) plädieren wir dafür, an einigen Stellen Korrekturen, Ergänzungen und
Klarstellungen vorzunehmen.
Zur nachhaltigen Sicherung und Weiterentwicklung der
Mitbestimmung bleibt die Bundesregierung weiterhin aufgefordert:
• auch ausländische Gesellschaften mit Sitz im Inland sowie ausländische Komplementäre in der deutschen
Kommanditgesellschaft in den Geltungsbereich der deutschen Unternehmensmitbestimmung einzubeziehen
• gegenüber der EU-Kommission dafür einzutreten, die 14.
gesellschaftsrechtliche Richtlinie zur Verlegung des Unternehmenssitzes so auszugestalten, dass nationale Mitbestimmungsstandards nicht umgangen werden können.
• auch bei dem Ende Mai veröffentlichen Referentenentwurf zur GmbH-Novelle (Modernisierung des GmbH-Rechts und Bekämpfung von Missbräuchen- MoMiG-) und den darin
enthaltenen Überlegungen zur Verlegung des
Verwaltungssitzes ins Ausland das Ziel einer Sicherung der Mitbestimmung im Auge zu behalten.