• Keine Ergebnisse gefunden

Entscheidungen - Anwendung des so genannten Entstehungsprinzips bei der Bestimmung von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Entscheidungen - Anwendung des so genannten Entstehungsprinzips bei der Bestimmung von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden"

Copied!
6
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Weisemann & Partner GbR, Neustädter Straße 21, 33602 Bielefeld -

1

2 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BVR 2007/05 -

In dem Verfahren über

die Verfassungsbeschwerde des Herrn Z...

1. unmittelbar gegen

a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 27. Juli 2005 - B 12 KR 75/04 B -, b) das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 5. Oktober 2004 -

L 11 KR 477/04 -,

c) das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 30. Oktober 2003 - S 4 RA 1026/

03 -,

2. mittelbar gegen

die Anwendung des so genannten Entstehungsprinzips bei der Bestimmung von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung

und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Hohmann-Dennhardt

und die Richter Gaier, Kirchhof

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntma- chung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 11. September 2008 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Berechnung des Gesamtsozialversiche- rungsbeitrages. Konkret geht es um die Frage, ob für die Festsetzung der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung das tarifvertraglich geschuldete („Entstehungs- prinzip“) oder das tatsächlich gezahlte (niedrigere) Arbeitsentgelt („Zuflussprinzip“) als Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist.

I.

Der Beschwerdeführer betreibt einen Supermarkt. In den Jahren 1998 bis 2001 be-

(2)

3

4

5

6 schäftigte er sechs Aushilfen als geringfügig Beschäftigte zwischen sechs und zwölf

Stunden in der Woche und zahlte jeweils ein monatliches Arbeitsentgelt zwischen 420 DM und 600 DM. Als Stundenlohn waren 12 DM vereinbart gewesen. Urlaubs- geld und andere Sonderzuwendungen leistete der Beschwerdeführer nicht. Infolge einer Betriebsprüfung stellte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt:

Deutsche Rentenversicherung Bund) die Versicherungspflicht der Aushilfen in der gesetzlichen Sozialversicherung fest und forderte von dem Beschwerdeführer für die Zeit von Januar 1998 bis Dezember 2001 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Hö- he von insgesamt 19.575,74 € nach. Der Berechnung zugrunde gelegt wurden der nach den für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen für den Einzelhandel in Baden-Württemberg geschuldete Mindestlohn und die darin vorgesehenen Sonder- zahlungen. Damit erzielten die Aushilfen jeweils Arbeitsentgelte oberhalb der Ge- ringfügigkeitsgrenze für ein versicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis nach § 8 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV).

Im Verwaltungsverfahren und vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit wandte sich der Beschwerdeführer erfolglos gegen die Nachzahlung von Sozialversiche- rungsbeiträgen und machte geltend, Berechnungsgrundlage für die Beitragszahlung zur gesetzlichen Sozialversicherung dürften nach dem Zuflussprinzip nur die tatsäch- lich geleisteten Arbeitsentgelte sein. Das Sozialgericht und das Landessozialgericht bestätigten die Feststellung der Versicherungspflicht anhand des nach den allge- meinverbindlichen Tarifverträgen geschuldeten Arbeitsentgelts. Das Bundessozial- gericht hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Lan- dessozialgerichts mit der Begründung als unzulässig verworfen, der Beschwerdeführer habe einen Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 Sozial- gerichtsgesetz (SGG) nicht in der nach § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und trägt eine Verletzung sei- ner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vor. Er ist insbesondere der Ansicht, die Ermitt- lung der Sozialversicherungsbeiträge nach dem Entstehungsprinzip stehe im Gegen- satz zu dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Zuflussprinzip und verstoße daher ge- gen den Gewaltenteilungsgrundsatz.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird – ungeachtet eines Antrags auf Wiedereinset- zung in den vorigen Stand - nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG rügt, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzuläs- sig. Für Steuer- und Abgabevorschriften ist anerkannt, dass sie nur dann an Art. 12

(3)

7

8 eines Berufes stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz erkennen lassen

(vgl. BVerfGE 75, 108 <153 f.>; 98, 83 <97>; 110, 274 <288>; stRspr). Dazu hat der Beschwerdeführer jedoch nichts vorgetragen. Auch die bloße Feststellung, Eigen- tumsbeeinträchtigungen bedürften ausnahmslos einer gesetzlichen Grundlage, ge- nügt nicht den Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Begründung nach

§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Das gleiche gilt für die geltend gemachte Verlet- zung des allgemeinen Gleichheitssatzes: Die Behauptung des Beschwerdeführers, das Entstehungsprinzip werde bei Betriebsprüfungen ausschließlich zu Lasten von Arbeitgebern in solchen Branchen angewandt, in denen Tarifverträge für allgemein- verbindlich erklärt wurden, begründet keinen möglichen Verstoß gegen Art. 3 Abs.

1 GG. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die zum strukturellen Vollzugsdefizit im Steuerrecht entwickelten Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 84, 239; 110, 94) auf die Erhebung von Sozialversicherungsbeiträgen Anwendung finden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Juni 2007 - 1 BvR 2204/00 und 1 BvR 1355/03 -; NZS 2008, S. 142 <143 f.>). Jedenfalls be- nennt der Vortrag des Beschwerdeführers weder eine sozialrechtliche Gesetzes- vorschrift, die aufgrund eines strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig sein könnte, noch in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende strukturell gegenläufige Erhebungsregeln, die ein solches strukturelles Vollzugsdefizit erst be- gründen könnten (vgl. BVerfGE 84, 239 <272>; 110, 94 <112 f.>). Allein die - zu- mal fragwürdige – Feststellung, im Rahmen von Betriebsprüfungen bestünde keine realistische Möglichkeit, die Geltung von tariflichen Zahlungsansprüchen über allge- meinverbindliche Tarifverträge hinaus zu klären, genügt nicht.

2. Hinsichtlich der weiteren Rügen kann dahin gestellt bleiben, ob der Beschwerde- führer nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Rechtsweg erschöpft hat, nachdem das Bundessozialgericht die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Ur- teil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg als unzulässig verworfen hat. Eine Verfassungsbeschwerde ist nämlich in der Regel unzulässig, wenn ein an sich gege- benes Rechtsmittel, durch dessen Gebrauch der behauptete Grundrechtsverstoß hätte ausgeräumt werden können, aus prozessualen Gründen erfolglos bleibt (vgl.

BVerfGE 74, 102 <114>; BVerfGK 1, 222 <223>). Jedenfalls ist die Verfassungsbe- schwerde unbegründet.

Die Entscheidungen der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit verletzen den Be- schwerdeführer nicht in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Dieses Grundrecht gewährleistet die allge- meine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne (vgl. BVerfGE 111, 54 <81>;

stRspr). Diese ist allerdings nur in den Schranken des zweiten Halbsatzes von Art. 2 Abs. 1 GG garantiert und steht damit vor allem unter dem Vorbehalt der verfassungs- mäßigen Ordnung (vgl. BVerfGE 80, 137 <153>; 91, 335 <338 f.>; 111, 54 <81>).

Dazu gehören nicht nur die vom Normgeber gesetzten verfassungsmäßigen Vor- schriften, sondern auch deren Auslegung durch den Richter und die im Wege zulässi- ger richterlicher Rechtsfortbildung gewonnenen Entscheidungen (vgl. BVerfGE 74,

(4)

9 129 <152 f.>; 111, 54 <81 f.>). Die Auslegung offener Gesetzesbegriffe und die Fort-

bildung des Rechts müssen ihrerseits mit der Verfassung in Einklang stehen und den Wertentscheidungen des Grundgesetzes, vornehmlich dem Grundsatz der Rechts- staatlichkeit entsprechen (vgl. BVerfGE 74, 129 <152>; 111, 54 <82>). Dabei sind die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen nur in engen Grenzen einer verfas- sungsrechtlichen Überprüfung zugänglich. Dem Sinn der Verfassungsbeschwerde und der besonderen Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts würde es nicht ge- recht, wollte dieses ähnlich wie eine Revisionsinstanz die unbeschränkte rechtliche Nachprüfung von gerichtlichen Entscheidungen in Anspruch nehmen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; stRspr). Die von dem Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidungen lassen jedoch keine Auslegungsfehler erkennen, die auf einer grundsätzlich unrich- tigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereiches, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 42, 143 <149>; 103, 89 <100>; stRspr).

Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit hielten sich in den vom Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidungen auch bei der Bestimmung der Höhe der Bemessungs- grundlage für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Regelung des § 22 Abs. 1 SGB IV (seit dem 1. April 2005: § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV), wonach die Bei- tragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Die Bestimmung in

§ 22 Abs. 1 SGB IV (seit dem 1. April 2005: § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV), wonach die Beitragsansprüche bei einmal gezahltem Arbeitsentgelt entstehen, sobald dieses ausgezahlt worden ist, wurde erst durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleis- tungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S. 4621) mit Wirkung zum 1. Januar 2003 eingefügt. Das Landessozialgericht konnte daher im Umkehrschluss von der Maßgeblichkeit des Entstehungsprinzips für alle Entgeltbestandteile im streit- gegenständlichen Zeitraum ausgehen (vgl. auch Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Juli 2004 - B 12 KR 1/04 R -, BSGE 93, 119 <127>). Ein gegensätzliches Regelungsziel des Gesetzgebers lässt sich auch nicht der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 22 Abs. 1 SGB IV durch das Zweite Gesetz für moderne Dienstleis- tungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S. 4621) entnehmen (vgl.

BTDrucks 15/26, S. 24). Im Übrigen enthielt auch der Gesetzesentwurf zum Sozial- gesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung vom 23. Dezem- ber 1976 (BGBl I S. 3845) keinen klaren Willen des Gesetzgebers zur fortlaufenden Anwendung des Zuflussprinzips. Vielmehr sollte die frühere – als unbefriedigend er- achtete - Regelung nach § 160 Reichsversicherungsordnung (RVO) in Verbindung mit dem Gemeinsamen Erlass des Reichsministers der Finanzen und des Reichsar- beitsministers betreffend weitere Vereinfachung des Lohnabzuges vom 10. Septem- ber 1944 (Reichsarbeitsblatt II S. 281), wonach der Sozialversicherungsbeitrag aus dem für die Lohnsteuer maßgeblichen Betrag zu berechnen war, ersetzt werden (vgl.

BTDrucks 7/4122, S. 32 f.).

(5)

10

11

12 Es verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht, dass durch die Anwendung des

Entstehungsprinzips ein Arbeitgeber erst nachträglich zur Zahlung von Sozialversi- cherungsbeiträgen herangezogen wird. Für einen geringfügig beschäftigten Arbeit- nehmer, dessen Versicherungspflicht sich erst im Nachhinein aufgrund der Zusam- menrechnung mit einer weiteren, dem Arbeitgeber unbekannt gewesenen geringfügigen Beschäftigung ergeben hat, ist dies bereits entschieden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1989 - 1 BvR 1591/87 -, SGb 1989, S. 386). Für einen Arbeitgeber, der sich rechtswidrig verhalten und durch die Einsparung höherer tarifvertraglich geschuldeter Arbeitsentgelte zudem Wettbe- werbsvorteile gegenüber anderen rechtmäßig handelnden tarifgebundenen Arbeitge- bern verschafft hat, kann nichts anderes gelten.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgese- hen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Hohmann-Dennhardt Gaier Kirchhof

(6)

Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. September 2008 - 1 BvR 2007/05

Zitiervorschlag BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Septem- ber 2008 - 1 BvR 2007/05 - Rn. (1 - 12), http://www.bverfg.de/e/

rk20080911_1bvr200705.html

ECLI ECLI:DE:BVerfG:2008:rk20080911.1bvr200705

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

sichtlich, daß die Mutter in der Folge einen Rückführungsantrag nach dem Über- einkommen gestellt hat. Damit liegen - anders als in dem in den Verfassungs- beschwerden

(2) Für ärztliche und zahnärztliche Leistungen, welche wegen der Anforderungen an ihre Ausführung oder wegen der Neuheit des Verfahrens besonderer Kenntnisse und Erfahrungen

Der Ruanda-Strafgerichtshof (Trial Chamber I) hat im Falle Akayesu, dem Bürgermeister der ruandischen Kommune Taba, grundle- gend zum Völkermordtatbestand Stellung genommen. Zu

Soweit der Bundesfinanzhof zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Anmerkungen in den vom Beschwerdeführer aufgemachten Dispachen vornehmlich schifffahrts- kaufmännische

Angesichts der erheblichen Missbrauchsgefahren, die vom Schusswaffenumgang für die Allgemeinheit ausgehen, dient das Bedürfnisprin- zip dazu, nicht mehr Waffen als unbedingt nötig

Das ist bei der Auseinandersetzung mit religiösen Gemeinschaften, die sich vereins- mäßig zusammengeschlossen haben und religiöse Ziele propagieren, auch dann zu beachten, wenn

(dd) Die Regelung ist insgesamt auch nicht unangemessen. Dem Gemeinwohlbe- lang der Sicherung der Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung im Interesse sozial

Im Hinblick auf die hier maßgeblichen Regelungen des hessischen Beamtenrechts und die darauf gestützten Entscheidungen, gegen die sich die Verfassungsbe- schwerde richtet, kann