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Entscheidungen - Verkennung der Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit durch mit den gebotenen verfassungskonformen Einschränkungen nicht zu vereinbarender Auslegung und Anwendung zahnärztlicher Berufsordnung

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Aktie "Entscheidungen - Verkennung der Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit durch mit den gebotenen verfassungskonformen Einschränkungen nicht zu vereinbarender Auslegung und Anwendung zahnärztlicher Berufsordnung"

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- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Carl-Otto Heer und Koll., Elisabethstraße 43, Kiel -

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2 BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BVR 547/99 -

Im Namen des Volkes In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde 1. der Zahnklinik...

2. des Zahnarztes Dr. M...

gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. November 1998 - I ZR 179/96 - hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den

Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Hömig am 4. Juli 2000 einstimmig beschlossen:

1. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. November 1998 - I ZR 179/96 - verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben.

Das Verfahren wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.

2. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beschwerdeführern die ihnen ent- standenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführer - eine Zahnklinik und ein für sie tätiger Zahnarzt - wenden sich gegen eine wettbewerbsrechtliche Verurteilung wegen unzulässiger Werbung.

1. Nach § 29 des Gesetzes des Landes Schleswig-Holstein über die Kammern und die Berufsgerichtsbarkeit für die Heilberufe (Heilberufegesetz; im Folgenden: Heil- BerG) vom 29. Februar 1996 (GVBl S. 248) sind die Kammermitglieder verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen im Zusammenhang mit dem Be-

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4 ruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Nähere Bestimmungen über die

Berufspflichten treffen die Kammern durch Satzung (Berufsordnung), insbesondere über die Einschränkung der Werbung gemäß § 31 Abs. 1 und 2 Nr. 12 HeilBerG.

Auf dieser Grundlage wurde die Berufsordnung der Zahnärztekammer Schleswig- Holstein (im Folgenden: BO) erlassen. Nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 BO ist jede Werbung und Anpreisung dem Zahnarzt untersagt, insbesondere ist es unzulässig, anpreisen- de Veröffentlichungen zu veranlassen oder zuzulassen.

2. Die Beschwerdeführerin zu 1) betreibt in der Rechtsform einer GmbH eine im Handelsregister eingetragene Zahnklinik. Die von ihr angebotenen zahnärztlichen Leistungen werden von dem Beschwerdeführer zu 2) erbracht, der in demselben Ge- bäude auch eine Praxis als niedergelassener Zahnarzt unterhält. Die Zahnklinik ver- fügt über ein Zimmer mit zwei Betten für einen stationären Aufenthalt von Patienten.

Unter der Bezeichnung "Zahnklinik am Ostufer - Zentrum für Implantologie GmbH"

warb die Beschwerdeführerin zu 1) für Implantatbehandlungen und prothetische Be- handlungen mit einem farbigen Faltblatt, das in der Klinik auslag. In diesem Faltblatt werden Technik und Ablauf von Implantatbehandlungen als eine Methode der Zahn- behandlung geschildert, die anders als herkömmliche Behandlungen mehr Lebens- qualität sichern könne ("Der Natur ein Stück näher... sicher"; "Implantate - ein guter Weg"; "Zahn für Zahn mehr Lebensqualität"; "sicher - bequem - ästhetisch"). Die Zahnärztekammer Schleswig-Holstein und ein konkurrierender Zahnarzt haben ge- gen diese Werbung eine wettbewerbsrechtliche Unterlassungsklage erhoben. Das Landgericht Kiel hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger des Ausgangs- verfahrens blieb erfolglos.

Der Bundesgerichtshof hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben (vgl. NJW 1999, S. 1784). Der Beschwerdeführer zu 2) habe durch Dulden der Werbung mit dem Faltblatt gegen § 27 Abs. 1 BO und damit zugleich gegen § 1 UWG verstoßen.

Zwischen Werbung für Kliniken für stationäre Leistungen einerseits und den Werbe- beschränkungen für niedergelassene Ärzte andererseits sei zu unterscheiden. Klini- ken, die neben der ärztlichen Behandlung noch weitere, gewerbliche Leistungen wie Unterbringung und Verpflegung anbieten und meist mit größerem personellen und sachlichen Aufwand arbeiten, seien zur Sicherung ihrer Existenz darauf angewiesen, auf ihr Leistungsangebot aufmerksam zu machen. Im vorliegenden Fall werbe das von der Beschwerdeführerin zu 1) herausgegebene Faltblatt allerdings im Wesentli- chen für Leistungen, die in ambulanter Praxis zu erbringen seien, nicht für Leistungen der Beschwerdeführerin zu 1) als Trägerin einer Klinik zur stationären Behandlung von Patienten. Damit sei sie den gleichen Beschränkungen unterworfen, die für nie- dergelassene Ärzte gälten. Die Faltblattwerbung verstoße als "gezielte" anpreisende Werbung gegen das Berufsrecht. Der Beschwerdeführer zu 2), der als einziger Ver- tragszahnarzt der Beschwerdeführerin zu 1) begünstigt werde, habe eine solche Werbung nicht dulden dürfen. Die Beschwerdeführerin zu 1) hafte als Störerin, weil sie durch ihre Faltblattwerbung bewusst auf den dargelegten Wettbewerbsverstoß des Beschwerdeführers zu 2) hingewirkt habe.

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8 3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ih-

rer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 5, Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 GG durch die ange- griffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Für den Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung fehle es an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage. Außerdem entspreche die Satzung nicht der gesetzlichen Vorgabe. Die Satzung sei zu weitge- hend, wenn § 27 Abs. 1 Nr. 2 BO sogar die bloße Duldung von anpreisenden Veröf- fentlichungen untersage. Der Bundesgerichtshof habe zudem bei der Auslegung und Anwendung von § 27 BO eine grundlegend unrichtige Anschauung von der Bedeu- tung und dem Umfang der betroffenen Grundrechte erkennen lassen. Das Gericht habe außer Acht gelassen, dass der Beschwerdeführer zu 2) das Faltblatt nicht sel- ber herausgebe. Er sei nicht einmal im Text des Faltblattes namentlich aufgeführt.

Ferner habe das Gericht unberücksichtigt gelassen, dass die sachliche Information über die Implantatbehandlung im Vordergrund des Faltblattes stehe. Durch das Wer- beverbot werde auch in das Recht der freien Meinungsäußerung verfassungswidrig eingegriffen. Zudem greife das Urteil in die durch Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete Rechtsanwendungsgleichheit und Rechtsetzungsgleichheit ein, wenn die Verbrei- tung von sachlichen Informationen mit werbendem Charakter in Schleswig-Holstein verboten werde, diese in anderen Ländern - etwa in Bayern - jedoch erlaubt sei. Auch widerspreche es dem Gleichheitssatz, dass gewerbliche freie Unternehmen auf dem Gebiet der Krankenpflege sowie andere Berufe keinem derart streng gehaltenen Werbeverbot unterlägen. Schließlich verletze das Urteil den Beschwerdeführer zu 2) in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Bundeszahnärztekammer, die Zahn- ärztekammer Schleswig-Holstein und der Bundesverband der Freien Berufe Stellung genommen. Nach diesen Stellungnahmen ist die Annahme der Verfassungsbe- schwerde nicht zur Durchsetzung von Grundrechten der Beschwerdeführer ange- zeigt. Das streitgegenständliche Faltblatt sei nur einmalig hergestellt und ausgelegt worden. Selbst wenn eine Grundrechtsverletzung angenommen würde, wäre diese jedenfalls nicht so erheblich, dass die Verfassungsbeschwerde Erfolg haben könnte.

Jedenfalls sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Sachliche Informationen medizinischen Inhalts seien nach den Berufsordnungen ausdrücklich gestattet. Die hier vorliegende berufsrechtswidrige Werbung liege nicht im Informationsinteresse des Patienten und sei weiterhin nicht zulässig.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdefüh- rer in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).

1. Soweit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gerügt wird, ist die Verfas- sungsbeschwerde unzulässig, da der Schutzbereich des allgemeinen Persönlich-

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11 keitsrechts nicht berührt ist. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt Elemente

der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand besonderer Freiheitsgarantien sind (vgl.

BVerfGE 54, 148 <153>; 99, 185 <193>; stRspr). Das Verbot der Duldung des Falt- blattes fällt vorrangig unter die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungs- freiheit.

2. Der Verfassungsbeschwerde kommt zwar keine grundsätzliche verfassungs- rechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zum ärztlichen Werberecht hat das Bundesverfas- sungsgericht bereits wiederholt entschieden (vgl. BVerfGE 33, 125 <169 ff.>; 71, 162; 71, 183; 85, 248). Auch ist geklärt, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, dessen Schutz- gut die Äußerungsfreiheit ist, nicht nur Anforderungen an die Auslegung und Anwen- dung grundrechtsbeschränkender Gesetze stellt, sondern auch an die Deutung der in ihrem Wortlaut feststehenden oder vom Gericht festgestellten Äußerungen. Insbe- sondere dürfen die Gerichte der Äußerung keinen Sinn beilegen, den sie nach ihrem Wortlaut objektiv nicht haben kann (vgl. BVerfGE 43, 130 <137>; 94, 1 <9>). Darüber hinausgehende ungeklärte verfassungsrechtliche Fragen von allgemeiner Bedeu- tung wirft die Verfassungsbeschwerde nicht auf.

3. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist aber zur Durchsetzung des Grund- rechts der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buch- stabe b BVerfGG).

a) Grundlage der angefochtenen Entscheidung sind § 27 BO, §§ 29, 31 HeilBerG und § 1 UWG. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer handelt es sich bei den §§ 29, 31 HeilBerG um eine ausreichende gesetzliche Ermächtigung für das in

§ 27 BO geregelte Werbeverbot, das grundsätzlich auch keinen verfassungsrechtli- chen Bedenken begegnet. Zwar ist danach dem Zahnarzt "jede Werbung und Anprei- sung" untersagt. Jedoch ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass trotz dieses Ver- bots dem Arzt neben der auf seiner Leistung und seinem Ruf beruhenden Werbewirkung eine Reihe von Ankündigungen mit werbendem Charakter unbenom- men ist (BVerfGE 71, 162 <174>). Dementsprechend ist § 27 BO verfassungskon- form dahingehend auszulegen, dass nur berufswidrige Werbung unzulässig ist, die keine interessengerechte und sachangemessene Information darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. April 1993, NJW 1993, S.

2988). Berufswidrig sind neben irreführenden Aussagen auch solche, die geeignet erscheinen, das Schutzgut der Volksgesundheit zu beeinträchtigen. Das kann bereits dadurch geschehen, dass Ärzte Kranken aus Gewinnstreben falsche Hoffnungen machen. Das in § 27 Abs. 1 Nr. 2 BO normierte Duldungsverbot bewahrt das Werbe- verbot vor Umgehung und ist als solches verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu be- anstanden (vgl. BVerfGE 85, 248 <259 f.>); dabei steht das Duldungsverbot seiner- seits wieder nur vermittelt durch das Werbeverbot in Beziehung zum Gesundheitsschutz. Dadurch entfernt es sich von dem Schutzgut so weit, dass es je- denfalls nicht generell Vorrang vor der Berufsausübungsfreiheit beanspruchen kann (vgl. BVerfGE 85, 248 <261>).

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16 b) Den Fachgerichten obliegt es, die Grenze zwischen erlaubten und verbotenen

Handlungsformen - unter Abwägung des Grundrechts auf Berufsausübungsfreiheit mit der Sicherung des Werbeverbots - im Einzelfall zu ziehen. Die Auslegung und An- wendung der Bestimmungen des einfachen Rechts können vom Bundesverfas- sungsgericht - abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot - nur darauf über- prüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte, insbeson- dere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite der Grundrech- te nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheiten führt (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>;

85, 248 <257 f.>; 87, 287 <323>).

So liegt es hier. Die angegriffene Entscheidung wird dem Maßstab des Art. 12 Abs.

1 GG nicht gerecht.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs stellt das Faltblatt in erster Linie eine be- rufswidrige Anpreisung der zahnärztlichen Leistungen des Beschwerdeführers zu 2) im Sinne des § 27 Abs. 1 Nr. 2 BO dar, die dieser geduldet habe, womit er zugleich gegen § 1 UWG verstoßen habe. Damit ist der Bundesgerichtshof dem Sachverhalt nicht in der Weise gerecht geworden, die angesichts seiner grundrechtsbeschrän- kenden Würdigung angezeigt gewesen wäre; zudem hat er die genannten Normen nicht mit den gebotenen verfassungskonformen Einschränkungen ausgelegt und an- gewendet.

aa) Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs zielt die Faltblattwerbung auf die am- bulanten zahnärztlichen Leistungen des Beschwerdeführers zu 2). Dies begründet der Bundesgerichtshof damit, dass bei Implantatbehandlungen ein stationärer Auf- enthalt nur ausnahmsweise vorgesehen sei, worauf im Faltblatt auch hingewiesen werde. Letzteres ist zwar zutreffend, stellt aber noch keinen Zusammenhang mit dem Beschwerdeführer zu 2) her, der in dem Faltblatt nicht genannt wird. Das Faltblatt lag auch nicht in seiner Praxis aus, sondern bei der Beschwerdeführerin zu 1). Unter die- sen Umständen hätte es besonderer Begründung bedurft, warum nicht regelmäßig nur die für einen Klinikaufenthalt in Betracht kommenden Patienten überhaupt von dem Faltblatt Kenntnis genommen haben.

Insgesamt sind Auslegung und Anwendung von § 27 Abs. 1 Nr. 2 BO in dem ange- fochtenen Urteil mit Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht zu vereinbaren. Diese berufsrechtliche Norm betrifft die Werbung für die ärztli- che Tätigkeit des niedergelassenen Arztes. Für Kliniken gelten nicht dieselben Wer- bebeschränkungen. Das Angebot der Beschwerdeführerin zu 1) geht auch über die üblicherweise von niedergelassenen Zahnärzten erbrachten Leistungen hinaus. Es besteht laut Faltblatt die Möglichkeit, umfangreiche Implantationen in Vollnarkose durchzuführen und in diesem Fall eine stationäre Behandlung vorzusehen. Überwie- gend werden solche Maßnahmen nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts

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19 außer in Spezialunternehmen in der Universitätszahnklinik durchgeführt. Kliniken ste-

hen auch dann nicht niedergelassenen Ärzten gleich, wenn dort Eingriffe ambulant vorgenommen werden. Je nach den denkbaren Risiken sind Kliniken auch bei am- bulant geplanten Behandlungen vorzuziehen, weil im Fall von Komplikationen kein Transport in ein Krankenhaus nötig wird. Sofern die Eingriffe in der Klinik stattfinden und als klinische Leistungen abgerechnet werden, werden hiermit gewerbliche Um- sätze erzielt. Die Berufsordnung betrifft solche Leistungen und die für sie vorgenom- mene Werbung nicht.

Auch bei Kliniken, die mit Belegärzten arbeiten, darf die Grenze zwischen der ge- werblich tätigen Klinik und dem freiberuflichen Arzt nicht in der Weise verschoben werden, dass die Klinik unmittelbar an die Berufsordnung für Ärzte gebunden wird.

Solange die Klinik weder durch Namensnennung noch durch Telefonnummern oder sonstige Kontakte auf einen bestimmten Arzt hinweist, hält sie sich im Rahmen der Klinikwerbung. Sofern die Klinik nicht nur als Vorwand betrieben wird, bleiben auch die dort angebotenen ambulanten Leistungen solche des Gewerbebetriebes. Ob eine Klinik-Ambulanz mit Belegärzten betrieben werden darf, ist eine Frage des Arztrechts und nicht eine solche der Werbung.

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer zu 2) auch eine Praxis als niedergelassener Zahnarzt unterhält, die in dem Faltblatt nicht bewor- ben wird. Arztrechtlich, aber auch hinsichtlich der Werbung ist zwischen diesen bei- den Tätigkeitsformen zu unterscheiden. Soweit sich für Belegärzte in Kliniken zusätz- liche Erwerbschancen eröffnen, nehmen sie in zulässiger Weise am gewerblichen Erfolg solcher Einrichtungen teil. Dies ist bei ihnen nicht anders als bei angestellten Ärzten. Da Kliniken generell nicht den ärztlichen Werbeverboten unterliegen, lässt ihr Marketingverhalten auch keinen negativen Rückschluss auf die dort beschäftigten oder sonst tätigen Ärzte zu. Eine Verunsicherung der Patienten oder eine Kommer- zialisierung ärztlicher Tätigkeit setzt insoweit das Vorliegen besonderer Umstände voraus. Würde man - wie dies der Bundesgerichtshof für angemessen hält - die ge- werblichen Unternehmen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben Belegärzte benötigen, den Werbeverboten des § 27 BO unterwerfen, würde man sie in ihrer Selbstdarstellung im Verhältnis zu den großen Mitbewerbern empfindlich einschränken. Dies muss nicht ausnahmslos unzulässig sein, bedarf aber der Rechtfertigung vor Art. 12 Abs. 1 GG. Gründe hierfür werden in der angegriffenen Entscheidung nicht aufgezeigt. Im konkreten Fall fällt zugunsten der Beschwerdeführer vor allem ins Gewicht, dass in dem Faltblatt in erster Linie Nutzen und Vorteile der Implantatbehandlung als solcher herausgestellt werden und hierbei nur auf das Angebot der Beschwerdeführerin zu 1) hingewiesen wird, nicht aber auf den Beschwerdeführer zu 2) (so auch Henssler, EWiR, § 1 UWG 5/99, S. 375).

bb) Selbst wenn aber der Ansicht des Bundesgerichtshofs gefolgt werden könnte, dass vorliegend für ambulante nicht klinische Behandlung durch den Beschwerdefüh- rer zu 2) geworben werde, hätte der Bundesgerichtshof im Einzelnen begründen müssen, dass die Informationen, die das Faltblatt enthält, in ihrer Präsentation den

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26 Rahmen sprengen, der einerseits einer Klinik gezogen ist und den andererseits ein

niedergelassener Arzt beachten muss. Das Faltblatt enthält in erster Linie ausführ- liche Informationen über die Technik und den Ablauf von Implantatbehandlungen.

Diese Informationen sind sachlicher Natur und für den Patienten verständlich. Mögli- cherweise enthalten sie noch zu wenig Aufklärung über die Risiken der Behandlungs- methode. Das aber wäre vor allem bei Arzthaftungsprozessen von Belang. Der Teil der Aufklärung, der sich darauf bezieht, dass nicht jede Behandlung "klinisch" sein muss, ist jedenfalls nicht zu beanstanden; denn ohne diesen Inhalt wäre die Informa- tion unrichtig.

Außerdem enthält das Blatt drei verschiedene Slogans, die optisch vom informati- ven Text abgesetzt sind:

"Ihre Gesundheit ist unser Anliegen"

"Der Natur ein Stück näher sicher"

"Zahn für Zahn mehr Lebensqualität".

Es ist nicht ersichtlich, mit welchen vernünftigen Gemeinwohlbelangen sich das Verbot dieser Aussagen insgesamt rechtfertigen ließe. Auch aus den Stellungnah- men lassen sich keine Gründe des Gemeinwohls entnehmen, die über die Gründe hinausgehen, die für die Rechtfertigung des allgemeinen ärztlichen Werbeverbots genannt werden.

An einer sachlich zutreffenden und dem Laien verständlichen Informationswerbung über die Behandlungsmethode der Implantation besteht ein Allgemeininteresse. Es handelt sich um eine relativ neue Methode, die nicht allgemein bekannt ist. Der Inhalt des Faltblatts dient vor allem der Aufklärung von Patienten, die sich bereits in der Kli- nik oder in der Praxis des Beschwerdeführers zu 2) befinden. Insofern ist nicht er- sichtlich, dass die Zusätze wie "Der Natur ein Stück näher... sicher"; "Implantate - ein guter Weg"; "Zahn für Zahn mehr Lebensqualität"; "sicher - bequem - ästhetisch"; "Ih- re Gesundheit ist unser Anliegen" es rechtfertigen, das Faltblatt insgesamt als berufs- widrige, anpreisende Werbung für den Beschwerdeführer zu 2) zu qualifizieren. Die- se Zusätze gehen zwar über den Rahmen einer sachangemessenen Information hinaus und unterstreichen die Vorteile der Implantate, beziehen sich aber nicht auf den Beschwerdeführer zu 2) als Person. Es geht nicht um die Anpreisung eines be- stimmten Arztes, sondern um die Bewerbung einer bestimmten Methode. Zudem ist kaum vorstellbar, dass durch diese Slogans ein Irrtum der Patienten entstehen kann.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass das Faltbaltt nur in der Klinik ausgelegt und niemandem unverlangt zugeschickt wird. Es spricht daher nur Menschen an, die sich schon als Patienten in der Klinik aufhalten. Diese macht es mit einer andersartigen Methode bekannt. Weshalb es niedergelassenen Ärzten verwehrt sein soll, in ihrer Praxis durch allgemein gehaltenes Informationsmaterial über von ihnen beherrschte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu informieren, erschließt sich aus der angegriffenen Entscheidung nicht.

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28 c) Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem dargelegten Verstoß gegen Art.

12 Abs. 1 GG, da nicht auszuschließen ist, dass das Gericht im Ausgangsverfahren anders entschieden hätte, wenn es § 27 Abs. 1 Nr. 2 BO verfassungskonform ausge- legt und angewandt hätte. Die angegriffene Entscheidung ist daher aufzuheben, da- mit dies nachgeholt werden kann. Auf die sonstigen von den Beschwerdeführern ge- rügten Grundrechtsverstöße war daher nicht mehr einzugehen.

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Kühling Jaeger Hömig

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Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Ju- li 2000 - 1 BvR 547/99

Zitiervorschlag BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juli 2000 - 1 BvR 547/99 - Rn. (1 - 28), http://www.bverfg.de/e/

rk20000704_1bvr054799.html

ECLI ECLI:DE:BVerfG:2000:rk20000704.1bvr054799

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