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Die betrogenen Betrüger.
Von Jobannes Hertel.
Wer mit der indischen Erzählungsliteratur und insbesondere mit
der der Cvetämbara vertraut ist, der wird nicht zweifeln, daß der
Boman von den sieben weisen Meistern im großen und ganzen die
Übersetzung eines indiscben Romans ist, obwohl sich eine genau
5 entsprechende Quelle bisläng noch nicht gefunden hat. Eine der
charakteristisch indiscbsten Erzählungen desselben ist die in der
Überschrift genannte: Syntipas ed. Eberhard S. 99, 21 nnd
S. 165,25; Übers, von Sengelmann S. 159 und S. 69; Chauvin,
Bibl. des ouvrages arabes VIII, S. 60 f., Nr. 26.
10 Diese Erzählung bildet den Rahmen zweier indischer Dichtungen,
welche jetzt durch den Druck zugänglich sind. Die erste ist eine
von dem Jaina-Lehrer Jfiänasägara in gutem Sanskrit abge¬
faßte metrische Dichtung von 548 Strophen , die zweite ein in
Altgujaräti von dem Ganin Kanaknidhän gedichteter, aus
15 24 Gesängen bestehender Räs. Die erste ist in der Jain Granth
Mälä (Bhavnagar) unter dem Titel Ratnacüd aka thä („Erzählung
von Ratnacüda), Vira S. 2444, Vikrama S. 1974 (= 1919 n. Chr.)
erschienen, die zweite, Ratnacüd vyavahärino räs („Lieder¬
zyklus vom Kaufmann Ratnacüd') von dem Jaina-Laien Bhimsingh
«0 Mäigek in Ahmedabad 1907 veröfFentlicht worden. Beide Werkehen
verdanke ich der Güte Muniräj Shri Indravijayjis.
Der Druck des Sanskrittextes enthält zwar keine ausführliche Prasasti ; doch nennt sich der Verfasser in der letzten Strophe einen
Schüler Ratnasimha's aus dem TapSgaccha, und in der
ib Unterschrift gibt er seinen Namen Jfiänasägara. Er ist somit
identisch mit dem Schüler Ratnasimha's und dem Lehrer desjenigen
Labdhisägara, der ein Werk im Jahre 1557 Vikr. = 1500/1 n. Chr.
schrieb, und wird als Empfänger geschenkter Manuskripte im Jahre
1515 Vikr. = 1458/9 n. Chr. erwähnt, gehört also der Mitte
30 des 15. nachchristlichen Jahrhunderts an; vgl. Peterson,
4* Report S. xlvii und 5* Report S. xxvi. Daß er ein Güjaräte
war, ergibt die Färbung seines Sanskrit.
Der Dichter des Räs, dem Kharataragaccha angehörig, gibt
in seiner Prasasti die Reihe seiner Lehrer und das Abfassungsdatum
Hertel, Die betrogenen Betrüger. 459
irävati vadi daäami dinern . . . äukraväro, Vikr. 1724 (= 1667/8
n. Chr.). Seine Bearbeitung ist also etwa 200 Jahre jünger, als
der Sanskrittext. Doch scheint der Güjaräti-Text nicht unmittelbar
auf dem Sanskrittext ' zu beruhen. Abgesehen von Abweichungen
in Einzelheiten stimmen die Schalterzählungen nur teilweise überein. 5
Die Erzählung von den betrogenen Betrügern, die in den „Sieben
Weisen Meistern" als Schalterzählung erscheint, bildet in unseren
beiden Dichtungen den Rahmen.
Da ich hoffen darf, diesen wie andere Märchenromane später
in vollständigen Übersetzungen vorzulegen , so begnüge ich mich lo
damit, hier in möglichster Kürze den Inhalt der Sanskritfassung zu
geben.
Ratnacüda, S. des Kaufmanns Ratnäkara in Tämalini,
wird von' Hetäre S au bh ägyam an j ar i seines Hochmuts wegen
getadelt, da Stolz nur auf selbst erworbenes Vermögen berechtigt i5
sei. Er erwirkt vom Vater Erlaubnis zu Handelsreise. Ratschläge
des Vaters und Warnung vor der Gaunerinsel Citraküta („allerlei
Tmg bergend") , Hauptstadt Anitipura („Stadt der mangelnden
Staatskunst'), Kg. Anyäya („Ungerecht", „schlechte Politik
treibend"), Kanzler Avicäraka („Unbedacht"), Polizeimeistcr «o
Sarvagrähya („von allen zu fangen'), oberster Kaufherr Grhi-
tabhaksaka („Verzehrer des Empfangenen'), dessen Sohn Mulanä-
ä ak a („Kapitalsvernichter'), Hetärenmutter Yamaghantä („Glocke
des Todes'), Hetäre Ranaghantä („Kampfglocke').
Abreise mit reicher Ladung , günstige Omina , Ankunft in 25
Citraküta. Vier Kaufleute übernehmen die ganze Ladung gegen
Ladung, die R. selbst bestimmen soll. — Auf Gang zum König
trifft er Schuster, der ihm eine Sandale verkauft unter der Be¬
dingung, daß R. ihn dafür zufrieden stelle. — Einäugiger
Spieler sagt R., er habe sein anderes Auge bei R.'s Vater hinter- »o
legt gegen lüOO Dinare Spielschulden, die jener ihm vorgestreckt;
er übergibt R. 1000 Dinare und fordert sein Auge. — Vier
Kaufleute streiten sich, ob es schwerer sei, die Weiberlisten zu
erkennen, als den Sand der Gangä zu zäblen oder das Wasser
des Meeres zu messen. R. zum Schiedsrichter angerufen, 35
Unternimmt letzteres: Wette um die beiderseitigen Vermögen.
R. geht zu Hetäre Ranaghantä, gibt ihr die 1000 Dinare, er¬
fährt, daß sich in das deh Premden abgeschwindelte Gut Kg.,
Kanzler, Stadtkaufmann, Polizeimeister, Oberhofpriester und ihre
Mutter Yamaghantä teilen , welche die Gauner berät. Ranaghantä 40
nimmt R., als Preundin verkleidet, am Abend mit zu Yamaghantä.
Die ersten vier Kaufleute kommen und erzählen.
Yamagh.: „Wenn er Ladung von Mückenknochen verlangt, habt
ihr verloren'. Auf Einwand, daß R. sehr jung, erzählt sie die
erste Schalterzählung: Röhaka (s. Vf, Das Pancatantra S. 194). 45
Dem Schuster sagt Y. : „Du wirst alles verlieren wie der
Vater des Somasarman" und erzählt diese zweite Schalt-
3 3
460 Hertel, Die betrogenen Betrüger.
erzäblung (Tanträkbyäyika V, 1 usw.). .Dem König ist ein Sohn
geboren worden. Fragt dich R. in Gegenwart des Kgs., ob dich
das zufriedenstellt, so mußt du bejahen«.
Dem einäugigen Spieler sagt sie: „Dein Geld ist hin,
6 wie Subuddhi sogar dem Schicksal seinen Reichtum genommen:
dritte Schalterzählung (= Campaka III, insbes. Variante des
Dharmakalpadruma: ZDMG. 65, 441 ff.). Du wirst zweites Auge
verlieren, wenn Fremdling sagt: , Ich habe noch andere Augen in
Verwahrung. Gib mir das , d.as du noch hast , damit ich es mit-
10 nehme und nach seinem Gewicht dein erstes , bei uns deponiertes
bestimme«.
Den letzten vier Kaufleuten sagt Y.: ,Ihr habt alles
verloren, wenn er euch sagt, er habe sich verpflichtet, das Wasser
des Meeres, nicht aber das der Ströme zu messen und euch auf-
16 fordert, sie abzudämmen. Es wird euch gehen wie der Södhi":
vierte Schalterzählung (= Hemavijaya, Kathäratnäkara 17)')-
Vor Kg. verklagt, befreit sich R. in der von Y. angegebenen
Weise. Kg. verspricht, hinfort die Gaunerei zu verbieten und schenkt
R. die Ranaghantä, die dieser heiratet. Heimgekehrt heiratet
«0 R. aucb die Saubhägyamanjarl.
Allwissender Mönch erklärt R. seine Schicksale aus Vorgängen
in früherem Dasein. — Allegorische Erklärung : Ratnacüda s
Schicksale = Schicksale der Seele im Kreislauf der Geburten. —-
In der Gujaräti-Fassung fehlt die 2. Schalterzählung (Vater
»s des Somasarman) des Sanskrittextes; dagegen hat sie als 3. Schalt¬
erzählung die Geschichte vom Löwen und Häslein (= Tanträ¬
khyäyika I, 6 usw.) und als 5. S ch al t er zäh 1 u n g die von den
vier Toren (= Hemavijaya, Kathär. 226—230 = Amitagati, Dharma¬
pariksä VIII, 73— IX, 89 usw.).
»0 Der indische Ursprung der Erzählung von Ratnacüda ist nicbt
nur durch die Rolle gesichert, welche die Mutter der Hetäre spielt,
die ja in Indien als das verschlagenste Geschöpf gilt, sondern auch
durch den Gaunerstaat, einen im nttidäatra ausgebildeten Stoff, dem
wir nicht nur im Campaka (Prosa-Fassung § 74 ff.), sondern auch
S6 im Dhürtasamägama (, Gaunerzusammenkunft") , im Häsyärnava
(,Meer des Lachens") und in anderen indischen Farcen (Prahasana) begegnen.
1) = Heisterwerke oriental. Literaturen 4.—6. Band. HUnchen, G. Httller 1920 (Band 6 ist noch nicht erschienen).
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Weitere Bemerkungen zu den Upanisads*).
Von Alfred HiUebrandt.
1.
Zu Bfhadära^iyaka Up. IV, 1, 4ff.
Benützer meiner Auswahl ,Aus Brähmanas und Upanisads"
werden vielleicht daran Anstoß nehmen, daß ich S. 50 flf. die Worte
kaatyrsabkam sahasram dadämi anders als bisher übersetzt habe.
Böhtlingk gibt es mit »tausend Kühe mit einem elefanten- s
artigen Stiere" wieder, ähnlich Deussen (60 Upanisad, S. 459) „ein
Tausend Kühe mit einem Stiere wie ein Elefant", ebenso Olden¬
berg (die Lehre der Upanishaden, S. 164) und der Kommentar (ed. .
Anandäärama, S. 197: hastitulya fsabho yasmin gosahasre). Ich
habe lange geschwankt, ob ich mich nicht dem Vorgange der in- lo
dischen und deutschen Autoritäten anschließen soll, habe aber doch
am Ende die Übersetzung .Tausend Elefanten und Stiere gebe ich
dir" vorgezogen ; ich habe formal und sachlich an jener Wiedergabe
Anstoß genommen; sachlich, weil der Elefant nicht an Zeugungs¬
kraft, sondern nur an äußerer Größe den Stier übertrifft und mit is
dem Vergleich an dieser Stelle hier nichts gesagt wäre, formal,
weil ein Hinweis auf .Kühe' hier nicht gegeben ist und nur aus
anderen Pällen, in denen das Zahlwort allein ohne besondere Er¬
wähnung von Rindern auf Geschenke von Kühen bezogen werden muß,
erschlossen ist. Die Hinzufügung von hastyrsabham zeigt, daß in diesen so
Pällen Kühe nicht gemeint sind. Gegen meine Deutung kann man
auf den Akzent verweisen, der nicht auf der Endsilbe ruht, sondern
auf dem Vordergliede, eine Erscheinung, die zwar nicht häufig ist,
aber doch vorkommt ( Wa c k e r n a g e 1 II, § 67, b /?, unter besonderen
Hinweis auf den Akzent des neutralen Dvandva strikumäram, § 69»). S6
Es folgt, daß man an der Akzentuation von hastyrsabham hier,
wenn sie überhaupt richtig ist, Anstoß nicht zu nehmen braucht.
Verwunderlich wird die Art des Geschenkes selber sein. Janaka,
der König, war aber wegen seiner Preigebigkeit berühmt und mag
1) Siehe diese Zeitschrift Bd. 68 (1914), S. 579; Bd. 69 (1915), S. 104;
Bd. 71 (1917), S. 313.
3 3 *