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Art. 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit

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Artikel 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit

1. Bericht von Professor Dr. Hans-Peter Schneider, Hannover

Inhalt

Seite I. Vorüberlegungen zu „Arbeit" und „Beruf' als Gegenständen des

Verfassungsrechts (verfassungsgeschichtliche Bestandsaufnahme). 8

1. Staatsphilosophische Wurzeln 9 2. Historische Entwicklung 11 3. Berufssoziologischer Befund 12 II. Die Arbeits- und Berufsfreiheit in der modernen Industriegesell-

schaft (verfassungstheoretische Grundlegung) 14

1. Arbeit als Existenzform 15 2. Beruf als Organisationsform 16 3. Die „Arbeits- und Berufsfreiheit" als einheitliches Grundrecht. 18

III. Funktions- und Realisierungsbedingungen der Arbeits- und Berufs- freiheit im marktwirtschaftlichen System (verfassungspraktische

Problemstellung) 19 1. Funktionswandel von Arbeit und Beruf 20

2. Berufsfreiheit und Berufslenkung 20 3. Berufsfreiheit und Arbeitsmarkt 21 4. Artikel 12 GG - ein Grundrecht unter „Konjunkturvorbehalt"?. 22

IV Das Grundrecht der Arbeits- und Berufsfreiheit im Grundgesetz

(verfassungsrechtlicher Regelungsgehalt) 24 1. Schutzbereiche (Arbeit als „Beruf') 25

2. Schutzgegenstand „Beruf 27 3. Schutzgegenstand „Ausbildung" 28 4. Schutzgegenstand „Arbeit" 30 5. Schutzzwecke (Funktionen und Dimensionen) 34

6. Schutzumfang (Regelungsschranken) 36 V Die Arbeits- und Berufsfreiheit im Kontext von Verfassung und

Rechtsordnung (verfassungsdogmatische Konsequenzen) 38 1. Verhältnis zu anderen Grundrechten und Ordnungsprinzipien . 38

2. Normative Kerngehalte der Arbeits- und Berufsfreiheit 40

3. Auswirkungen für einzelne Rechtsgebiete 41

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I. Vorüberlegungen zu „Arbeit" und „Beruf' als Gegenständen des Verfas- sungsrechts (verfassungsgeschichtliche Bestandsaufnahme)

Kennen Sie den Unterschied zwischen Friseur und Perückenmacher?

Wenn nicht, umso besser; Sie befinden sich in guter Gesellschaft: Auch Kant hatte nämlich bei dem Versuch, die Selbständigkeit des Menschen als „Bürger" zu bestimmen, seine Schwierigkeiten damit. Denn das Bür- gerrecht setze voraus, daß jemand „sein eigener Herr (sui juris) sei, mithin irgendein Eigentum habe..., welches ihn ernährt" Hausbediente, Laden- diener oder Taglöhner dagegen J a „selbst der Friseur sind bloß operarii, nicht artifices..., mithin auch nicht Bürger zu sein qualifiziert". Obgleich sich beide, der Arbeiter und der Unternehmer, „in ganz ähnlichen Ver- hältnissen gegen mich zu befinden scheinen, so ist doch jener von die- sem, wie Friseur vom Perückenmacher (dem ich auch das Haar dazu gegeben haben mag), also wie Taglöhner vom Künstler oder Handwerker ... unterschieden". Für sehr überzeugend freilich hielt der Philosoph diese Differenzierung schon damals nicht: „Es ist", so seufzt er, „ich gestehe es, etwas schwer, die Erfordernis zu bestimmen, um auf den Stand eines Menschen, der sein eigener Herr ist, Anspruch machen zu können"1.

In weiser Voraussicht hätte Kant statt des Friseurs vielleicht besser das Beispiel des Pharmazeuten wählen sollen, um mit der Gegenüberstel- lung von selbständigem und abhängigem Apotheker als verschiedenen

„Berufen" wenigstens die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts auf seiner Seite zu haben2. Oder sollte gar umgekehrt die derzeitige Verfassungsjudikatur noch hinter Kant zurückgefallen sein? Heute wer- den Arbeit und Beruf in der Bundesrepublik Deutschland durch Art.

12 GG, in Österreich durch Art. 6 Abs. 1 und 18 StGG und in der Schweiz durch Art. 13 quinquies und 31BV verfassungsrechtlich geschützt. Und dennoch bleiben wie ehedem viele Fragen offen: Umfaßt dieser Schutz in gleicher Weise die selbständige wie die abhängige Arbeit? Besteht er ausschließlich in einer Abwehr staatlicher Eingriffe oder begründet er auch Ansprüche auf Teilhabe an staatlichen Leistungen? Verpflichtet er

1 I. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793), hg. von J. Ebbinghaus, 1968, S. 46 f.

2 Das BVerfG begründet diese Aufspaltung in zwei Berufe„innerhalb des einen Standes der ,Apotheker'" mit „allgemeiner Anschauung" und „dem Urteil der Berufsangehörigen selbst". Auf diese Weise wird „der Übergang von der Tätigkeit eines angestellten zur Tätigkeit eines selbständigen Apothekers" zu einem „Akt der Berufswahl ..., der dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG untersteht"

(BVerfGE 7, 377, 398 f.). Kritisch bereits H. Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 120 f., über diesen „goldenen Herbst der Mittelstands- romantik".

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zugleich den Staat, lenkend und fördernd tätig zu werden, u m die realen Voraussetzungen einer effektiven Grundrechtswahrnehmung zu schaf- fen? Wie weit reicht hierbei die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers und welchen Schranken oder Kontrollmaßstäben unterliegt sie? All dies ist - trotz verstärkter Bemühungen um die Berufsfreiheit als „Grundrecht der Arbeit" in jüngster Zeit3 - noch immer weitgehend ungeklärt. So erweist sich der Art. 12 GG (mit einem Wort WalterJellineks) nach wie vor als die „schlimmste crux des Grundrechtsteiles"4.

1. Staatsphilosophische Wurzeln

,Arbeit" und „Beruf gehören seit Beginn des konstitutionellen Zeital- ters zum liberalen Kernbestand verfassungsrechtlicher Gewährleistung.

3 Vgl. vor allem die wegweisenden Arbeiten von P. Badura, Grundfreiheiten der Arbeit, FS Berber, 1973, S. 11 ff.; ders., Arbeit als Beruf (Art. 12 Abs. 1 GG), FS Her- schel, 1982, S. 21 ff.; ferner die bei U. Scheuner entstandene Dissertation von U.

Hannig, Die Berufsfreiheit (Art. 121 Grundgesetz) der Arbeitnehmer, Bonn 1970;

H. Hege, Das Grundrecht der Berufsfreiheit im Sozialstaat, 1977; W. Hoffmann- Riem, Die grundrechtliche Freiheit der arbeitsteiligen Berufsausübung, FS Ipsen, 1977, S. 385 ff.; G. Hoffmann, Berufsfreiheit als Grundrecht der Arbeit, 1981; Κ. M.

Meessen, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, JuS 1982, S. 397 ff.; R. Pitschas, Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983; H. Ryffel/J. Schwartländer (Hg), Das Recht des Menschen auf Arbeit, 1983; darin: W. Brugger, Freiheit des Berufs und Recht auf Arbeit im Verfassungsrecht, S. 111 ff.; P. Häberle, Arbeit als Verfassungs- problem, JZ1984, S. 345 ff. - Wichtig sind auch die umfangreichen neueren Kom- mentierungen des Art. 12 G G von R. Scholz, Maunz-Dürig, 1981, und von H. Ritt- stieg, AK-GG, 1984, Bd. 1, S. 944 ff. sowie die Begleitaufsätze zu dieser Tagung von H.-J. Papier, Art. 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, DVB1.

1984, S. 801 ff; R. Wendt, Berufsfreiheit als Grundrecht der Arbeit, DÖV1984, S. 601 ff; J. Pietzcker, Artikel 12 Grundgesetz - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, NVwZ 1984, S. 550 ff; B.-O. Bryde, Art. 12 Grundgesetz - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit, NJW1984, S. 2177 ff Inzwischen kann also von einem Nachholbedarf gerade der „abhängigen Arbeit" jedenfalls im Schrifttum zu Art. 12 GG keine Rede mehr sein. Zum „Recht auf Arbeit" vgl. die in Fn. 102 und 104 genannte Literatur. - Aus älterer Zeit grundlegend: G. Uber, Freiheit des Berufs (Artikel 12 des Grundgesetzes), 1952; U. Scheuner, Handwerksordnung und Berufsfreiheit, Deutsches Handwerksblatt 1955, S. 339 ff, 361 ff, 387 ff.; ders., Das Grundrecht der Berufsfreiheit, DVB1.1958, S. 845 ff;

Η. P. Ipsen, Verfassungsfragen zur Handwerksordnung, DVB1.1956, S. 358 ff;

O. Bachof, Freiheit des Berufs, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grund- rechte, Bd. III, 1,1958, S. 155 ff; Η. H. Rupp, Das Grundrecht der Berufsfreiheit, NJW 1965, S. 993 ff - Informativ sind schließlich die Rechtsprechungsberichte von Η. H. Rupp, Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 92 (1967), S. 212 ff, und von P. J. Tettinger, Das Grundrecht der Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts, AöR 108 (1983), S. 92 ff.

4 W. Jellinek, Rezension zu G. Uber (Fn. 3), DÖV 1952, S. 383. Auch Scheuner (Handwerksordnung [Fn. 3], S. 340) hielt Art. 12 GG für „einen der am schwierig-

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Nachdem Grotius die Freiheit der Meere proklamiert5 und die Levellers schon Mitte des 17. Jahrhunderts den freien Warenverkehr gefordert hat- ten6, fand die Handels- und Gewerbefreiheit erstmals Eingang in die Ver- fassung der Französischen Republik von 17937. Das Preußische Allge- meine Landrecht enthielt hingegen noch den „Zunftzwang", nahm aber bereits Fabrikarbeiter („Fabrikanten") davon aus8. Mit den preußischen Reformen, vor allem durch das Edikt über die Bauernbefreiung (1807), das Gewerbesteueredikt (1810) und das Gewerbepolizeigesetz von 18119, wurde die Handels- und Gewerbefreiheit auch in Deutschland einge- führt.

Diese Entwicklung beruhte auf Ideen frühbürgerlicher Rechts- und Staatsphilosophie. In Anknüpfung an die christliche Arbeitsethik hatte bereits Locke die menschliche Arbeit zur natürlichen Quelle des Eigen- tums und zum maßgeblichen Faktor aller Wertschöpfung erklärt10. Rous- seau sah in der Arbeitsteilung die Hauptursache der Ungleichheit unter den Menschen11. Besondere Hochachtung wurde zusammen mit Besitz und Bildung der Arbeit im Deutschen Idealismus zuteil: Trotz seiner Geringschätzung des abhängigen Erwerbs erblickte Kant in ihr den „End-

eten zu interpretierenden Artikel des Grundgesetzes". Zuletzt Pietzcker (Fn. 3), S. 551: „ein schwieriges Grundrecht".

5 H. Grotius, Mare liberum (1609), übers, von R. Boschan, 1919.

6 Vgl. das zweite „Agreement of the People" vom 10.12.1648, Nr. 3 des Anhangs:

„It shall not be in their power (der Abgeordneten) to continue or make any laws to abridge any person from trading unto any parts beyond the seas, unto which any are allowed to trade, or to restrain trade at home" (zit. nach A. S. P. Woodhouse, Puritanism and Liberty, 2nd ed., 1974, p. 364 sq.).

7 Vgl. Art. 17: „Nul genre de travail, de culture, de commerce ne peut etre inter- dit ä l'industrie des citoyens" (zit. nach F. Härtung, Die Entwicklung der Men- schen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart, 1964, S. 48).

8 Vgl. ALR II 8 §§ 179-400 (Von Handwerkern und Zünften), insbes. §§ 224 ff.;

ferner §§ 401-423 (Von Künstlern und Fabrikanten), insbes. § 417.

9 Preuß. GS 263; die Reformedikte sind abgedr. bei E. R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1,1961, S. 38 ff., 43 f. Zur Geschichte der Handels- und Gewerbefreiheit vgl. F. Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsge- schichte, 1976; H. Bechtel, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 19. und 20.

Jahrhundert, 1956; I. Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806-1844, 1965; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1,1957, S. 203 ff;

Bd. 4,1969, S. 973 ff.

10 J. Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of Government [1689]), hg. von P. C. Mayer-Tasch, Hamburg o. J., Kap. V Nr. 25-32,36,40,45 (S. 26 ff.).

11 J.-J. Rousseau, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Un- gleichheit unter den Menschen (Discours sur l'origine et les fondements de l'ine- galite parmi les hommes [1754]), hg. von H. Mende/K. Peter, 1955,2. Teil, S. 99 f.

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zweck" des Menschen12. Fichte erhob sie in seiner Arbeitslehre sogar zur

„sittlichen Pflicht"13 und Hegel betrachtete die Arbeit als vornehmsten Ausdruck menschlicher „Selbstverwirklichung"14. Folglich mußte die fremdbestimmte (unfreie) Lohnarbeit aus materialistischer Sicht (ζ. B.

bei Marx ) als ,yerdinglichung" und „Entfremdung" des Menschen erscheinen15. Für die Staats- und Gesellschaftstheorie vom 17. bis zum 19. Jahrhundert enthielten daher Arbeit, Beruf, Besitz und Bildung die Grundbedingungen menschlicher Freiheit und Gleichheit.

2. Historische Entwicklung

Mit der Forderung nach freiem Handel und Wandel einerseits, der Ar- beits- und Berufsethik andererseits waren zwei Komponenten der wirt- schaftlichen und geistigen Entfaltung des Menschen anerkannt, die im Verfassungsstaat des Vormärz auf unterschiedliche Weise ihren positiv- rechtlichen Niederschlag fanden: (1) als Handels- und Gewerbefreiheit, die jeweils in Verbindung mit der Vereinigungsfreiheit (Aufhebung des Zunftzwangs), der Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit geschützt sowie durch den Übergang von der Bürger- zur Gewerbesteuer fiskalisch abgesichert wurde (ökonomische Dimension) und (2) als Frei- heit der Berufswahl, die - zum Bildungsgut erhoben - stets mit der freien Wahl der Ausbildungsstätte, der Wissenschaftsfreiheit, dem Recht zum Studium außerhalb der Landesgrenzen und dem Zugang zum Staats- dienst verknüpft worden ist (kulturelle Dimension)16. Seit Mitte des vori-

121. Kant, Kritik der Urteilskraft (1790), § 83, in: Werke, hg. von W. Weischedel, 1981, Bd. 8, S. 551 ff. - Vgl. dazu auch P. Krause, Die Lehre von der Arbeit in der Phi- losophie des Deutschen Idealismus und ihre Bedeutung für das Recht, Diss. jur.

Saarbrücken 1965, S. 37 ff. (89); ferner H.-G. Deggau, Die Aporien der Rechtslehre Kants, 1983, S. 213 ff.

13 J. G. Fichte, Die Sittenlehre (1812), in: Nachgelassene Werke, hg. von I. H.

Fichte, 1834/35, Bd. 11, S. 91 f., 96.; dazu Krause(Fn. 12), S. 118 ff. (177). Vgl. ferner Z. Batscha, Die Arbeit in der Sozialphilosophie J. G. Fichtes, in: Archiv für Sozial- geschichte XII (1972), S. 1 ff.

14 G. W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts (1821), § 187 (bezogen vor allem auf die „harte Arbeit" der Bildung), §§ 196 ff., hg. von J. Hoffmeister, 4.

Aufl. 1955, S. 168 f., 173 ff. - Dazu Krause (Fn. 12), S. 203 ff.; S.-Z. Lim, Der Begriff der Arbeit bei Hegel, 1963.

15 K. Marx, Zur Kritik der Nationalökonomie. Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844), in: MEW, Erg. Bd., 1. T., 1968, 465 ff. - Dazu W.Schild, Das Problem eines Rechts auf Arbeit bei Karl Marx, in: Ryffel/Schwartländer (Fn. 3), S. 153 ff.

16 Vgl. Art. 29 und 31 der Verfassungsurkunde für das Königreich Württemberg vom 25.9.1819 (RegBl. S. 633; abgedr. bei Huber, Dokumente [Fn. 9], S. 171 ff.);

Art. 27 und 36 der Verfassungsurkunde fur das Kurfürstentum Hessen vom 5.1.

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gen Jahrhunderts wurde jedoch die kulturelle von der ökonomischen Dimension zeitweilig verdrängt oder überlagert.

So garantierte die Weimarer Reichsverfassung neben dem Schutz der Arbeitskraft (Art. 157 Abs. 1) und der Arbeitspflicht (Art. 163) in Art. 111 und 151 Abs. 3 lediglich die freie Erwerbstätigkeit, unter die freilich schon seit der Paulskirchen-Verfassung auch die abhängige Beschäftigung fiel, wie der in beiden Texten verwendete Begriff des „Nahrungszweigs" zeigt, der bereits 1848 auf Drängen von Eisenbahn- und Fabrikarbeitern statt der Worte „Kunst und Gewerbe" in den Frankfurter Entwurf aufgenom- men worden war17. Die landläufige Vorstellung, wonach das Grundrecht der Berufsfreiheit in Art. 12 GG lediglich auf die Handels- und Gewerbe- freiheit des 19. Jahrhunderts zurückgehen und heute mit seinen umfas- senden Gewährleistungen von selbständiger und abhängiger Tätigkeit sowie von Arbeit, Beruf, Gewerbe und Ausbildung „traditionsspren- gende Originalität"18 besitzen soll, ist verfassungsgeschichtlich unhaltbar.

Trotz vorübergehender Akzentverschiebung von der kulturellen auf die ökonomische Dimension haben sich beide Traditionslinien eines schon seit dem Vormärz mehrschichtig verbürgten „Grundrechts der Arbeit"

bis in die Gegenwart nebeneinander zu behaupten vermocht, wie ihre getrennte Verankerung in Art. 6 Abs. 1 und 18 StGG, aber auch die Unter- scheidung zwischen „Berufswahl" und „Berufsausübung" in Art. 12 Abs. 1 GG noch zeigen. Diese historische Bipolarität der Berufsfreiheit darf durch einen „stufentheoretischen" Uniformismus nicht überspielt wer- den.

3. Berufssoziologischer Befund

Ein Blick auf die heutige Berufswirklichkeit läßt erkennen, in welch starkem Maße die Regelungsbereiche des Art. 12 GG gesellschaftlichen Einflüssen und damit tiefgreifenden Veränderungen unterliegen19. Die

1831 (GVS. S. 1 f f . , Huber, a. a. O., S. 201 ff.); Art. 28 der Verfassungsurkunde für das Königreich Sachsen vom 4.9.1831 (GVB1. S. 241; Huber, a. a. 0 . , S. 223 ff.); Art.

158 und 133 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28.3.1849 (RGBl. S. 101;

Huber, a. a. O., S. 304 ff.). Auf diese über die Gewerbefreiheit hinausgreifenden kulturellen Aspekte der Berufsfreiheit haben schon Bachof (Fn. 3, S. 157) und Hoffmann (Fn. 3, S. 65) hingewiesen.

17 H. Scholler, Die sozialen Grundrechte in der Paulskirche, Der Staat 13 (1974), S. 51 ff. (57). Vgl. Art. 133 Abs. 1 RV1849.

18 So Papier (Fn. 3), S. 801: der durch Art. 12 G G bewirkte „Gewährleistungszu- sammenhang" sei „signifikant" und „neuartig"; R. Herzog, Art. „Berufsfreiheit", EvStL 19752, Sp. 186.

19 Dazu grundlegend H.-A. Hesse, Berufe im Wandel, 2. Aufl. 1972; vgl. auch ders., Der Einzelne und sein Beruf: Die Auslegung des Art. 12 Abs. 1 G G durch

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moderne Arbeits- und Berufswelt ist durch zunehmende Arbeitsteilung, Spezialisierung, Professionalisierung und Mobilität gekennzeichnet20. Die Arbeitsteilung verlangt nach einer rationalen Form der Erwerbstätig- keit, die - berechenbar, stetig und prinzipiell auf Dauer angelegt - in einer Vielzahl von „Berufen" organisiert ist. Diesem Pluralismus der Berufe21

entsprechen unterschiedliche, gesellschaftlich vorgeprägte „Berufsbil- der", die durch bestimmte Tätigkeiten idealtypisch determiniert und als

„Berufsrollen" Gegenstand einer Berufswahl sind. Zugleich bedingen der rasche soziale Wandel, die ökonomische Entwicklung und der tech- nische Fortschritt ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität der Beschäftigten. Der mit dem Übergang vom Lebens- zum Zeitberuf ver- bundene Verlust an Rationalität und Verläßlichkeit muß einerseits durch verminderte Erwartungen an eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit aus- geglichen, zum anderen in seinen gesellschaftlichen Folgen durch Maß- nahmen der Erwerbssicherung aufgefangen werden.

Der Beruf wird damit zur sozialen Lebensform des arbeitenden Men- schen. Er setzt in der Regel eine spezielle Vor- oder Ausbildung voraus, knüpft an bestimmte Qualifikationen an22, vermittelt gesellschaftliche Anerkennung und Prestige. Überkommene Privilegien, Besitzstände und Gewohnheiten werden von individuell erworbenen Fähigkeiten, Fachkenntnissen und persönlichen Leistungen in den Hintergrund gedrängt. Demgemäß eröffnet die zum Beruf verfestigte Arbeit vorgege- bene Aufstiegsmöglichkeiten (Karrieren) bei permanenter Kontrolle und Konkurrenz. Insgesamt können die durch Art. 12 GG geschützten Freiheiten unter den Bedingungen der Arbeitsteilung nur in ständiger Interaktion und Kooperation mit anderen Grundrechtssubjekten ver- wirklicht werden23. Beruf, Arbeit und Ausbildung stehen daher für den erwerbstätigen Menschen in einem untrennbaren gesellschaftlichen Funktionszusammenhang. Daraus ergibt sich für das heutige Verständ- nis der Berufsfreiheit die Notwendigkeit einer komplexen Betrachtungs-

das Bundesverfassungsgericht aus soziologischer Sicht, in: AöR 95 (1970), S. 449 ff.; ders., Die Einbeziehung der Soziologie in die juristische Dogmatik am Beispiel der Auslegung von Art. 12 G G , DVB1.1976, S. 657 ff.; ders., Die Berufsunfähigkeit des Arbeiters, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 16 (1983), S. 68 ff.

20 Vgl. H. Daheim, Der Beruf in der modernen Gesellschaft, 2. Aufl. 1970; Th.

Luckmann/W. Μ. Sprondel (Hg.), Berufssoziologie, 1972; 0. Neuloh, Arbeits- und Berufssoziologie, 1973; U. Beck/M. Brater/H. Daheim, Soziologie der Arbeit und der Berufe, 1980. - Dazu Hoffmann (Fn. 3), S. 87 ff.

2' So Scholz (Fn. 3), RdNr. 250 ff. zu Art. 12 GG.

22 Dazu Hoffmann (Fn. 3), S. 137 ff.

23 Rittstieg (Fn. 3), RdNr. 12 zu Art. 12 G G ; ähnlich schon Hoffmann-Riem (Fn. 3), S. 385 (et passim); kritisch Pietzcker (Fn. 3), S. 51 ff.

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weise, welche die sozialen Rückwirkungen einer vorwiegend berufs- orientierten Grundrechtsdogmatik auf Arbeit und Ausbildung stets mit- bedenkt.

II. Die Arbeits- und Berufsfreiheit in der modernen Industriegesellschaft (verfassungstheoretische Grundlegung)

Die Tatsache, daß Art. 12 G G die menschliche Arbeit zum Gegenstand hat - sei es in Beruf, Ausbildung oder am Arbeitsplatz ist lange Zeit durch eine zu einseitig auf den „Beruf als selbständige Erwerbstätigkeit fixierte Interpretation verdunkelt worden24. Zwar wurde niemals ernst- haft bestritten, daß die Berufsfreiheit auch abhängig Beschäftigten zusteht25; insoweit hielt man aber das geltende Arbeits- und Sozialrecht für eine ausreichende verfassungsgemäße Konkretisierung. Diese Ver- engung des Anwendungsbereichs von Art. 12 G G auf einen spezifischen

„Mittelstandsschutz" hatte vielerlei Gründe: Zu unkritisch war man der schon in der Weimarer Zeit vertretenen26, irrigen Ansicht gefolgt, die Berufsfreiheit sei allein aus der Handels- und Gewerbefreiheit des 19. Jahrhunderts hervorgegangen. Hinzu kommt der Umstand, daß berufsbezogene Eingriffe des Staates in erster Linie direkt nur die Selb- ständigen und Unternehmer betreffen, weil die Arbeitnehmertätigkeit überwiegend nicht gesetzlich, sondern arbeits- bzw. tarifvertraglich gere- gelt ist und sich daher hier die Geltungsfrage für Art. 12 GG von vorn- herein höchstens als Drittwirkungsproblem stellt. Vor allem aber scheint völlig in Vergessenheit geraten zu sein, daß jeder berufstätige Mensch im weiteren Sinne zugleich ,»Arbeiter" ist, Arbeit und Beruf also keinen

Standesunterschied mehr andeuten wie noch bei Kant, sondern lediglich funktionell zu differenzierende Daseinsformen ein und desselben Men- schen sind. So gesehen, müßte - wenn dieser Hinweis erlaubt ist - unser Thema eigentlich „Freiheit des Berufs als Grundrecht der Arbeit" hei- ßen.

24 So auch Häberle (Fn. 3), S. 345, der noch kürzlich daraufhingewiesen hat, daß die verfassungsrechtliche Literatur zum Thema „Arbeit" nach wie vor „nur zögernd" ihren Weg suche. Ähnlich Bryde (Fn. 3), S. 2177 f.

25 Seit BVerfGE 7, 377 (397 ff.) std. Rspr.; vgl. auch BVerfGE 54, 301 (322). In der Literatur hat sich diese Ansicht ebenfalls durchgesetzt: so bereits Bachof (Fn. 3), S. 160; weitere Nachweise bei Badura, Arbeit (Fn. 3), S. 23 ff.

26 Schon G. Anschütz (Die Verfassung des deutschen Reiches, 14. Aufl. 1932, Anm. 1 zu Art. 111) hielt in Art. 111 WRVdie „Freiheit der Berufswahl" für verbürgt.

Ebenso noch v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl. 1966, Anm. II, 1 zu Art. 12.

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1. Arbeit als Existenzform

Arbeit ist Ausdruck menschlicher Selbsterhaltung und Selbstentfal- tung. Durch Arbeit vermag der Mensch nicht nur seinen Lebensunter- halt zu sichern, sondern darüber hinaus Produkte herzustellen, Leistun- gen zu erbringen und Wirklichkeit zu gestalten, in denen sich jeweils ein Stück objektivierter Persönlichkeit wiederfindet. Damit tritt der Mensch in der Arbeit „aus sich heraus", ek-sistiert als schaffendes Wesen und gewinnt aus dem Arbeitsprozeß einen Teil seiner Identität und Selbst- achtung. So wird die Arbeit zur Existenzform des Menschen in der „vita activa" - und zwar auch dann, wenn sie ihm nicht oder nur sehr begrenzt ermöglicht, sich selbst zu „verwirklichen". Denn „Arbeit" bedeutet für ihn immer zugleich beides: Notwendigkeit und Freiheit. Der Mensch ist zur Arbeit verdammt und „zur Arbeit berufen"27; in ihr manifestieren sich Wert und Würde der Person. Das Arbeitsleben bestimmt weitge- hend seinen personalen Status.

Das Verfassungsrecht wäre freilich überfordert, wenn man von ihm verlangen wollte, daß es dem Menschen zur „Selbstverwirklichung" ver- hilft (was immer dies heißen mag). Gleichwohl ergeben sich aus dem unmittelbaren Persönlichkeitsbezug der Arbeit für das Verständnis des Art. 12 G G drei wichtige Folgerungen: (1) Niemand darf vom Staat daran gehindert werden, sich durch eigene Arbeit seine Existenzgrundlage zu schaffen. In diesem „Recht zur Arbeit" ist der Menschenrechtskern der Berufsfreiheit enthalten28. (2) Angesichts vielfältiger Sach- und System- zwänge, verstärkter Abhängigkeit von staatlichen oder gesellschaftlichen Vorgaben sowie wachsender Entpersönlichung des Arbeitsprozesses ver- langt Art. 12 GG Vorkehrungen, welche die Arbeitsfreiheit für alle Bevöl- kerungsschichten und Berufsgruppen in der Weise gewährleisten, daß die reale Möglichkeit individueller Selbstbestimmung durch Arbeit auch unter den Bedingungen industrieller Produktion und maschineller Dienstleistung erhalten bleibt. (3) Schließlich wird die Auslegung der Berufsfreiheit insgesamt durch den existentiellen Charakter der Arbeit und ihren hohen Persönlichkeitswert geprägt.

27 So die Formulierung in der Enzyklika „Laborem exercens" vom 15. 5.1981, Vorrede (dt. Ausgabe, Aschaffenburg 1981, S. 16). Vgl. dazu W. Klei n/W. Krämer (Hg.), Sinn und Zukunft der Arbeit. Konsequenzen aus Laborem exercens, 1982;

ferner A. Baruzzi, Arbeit und Beruf. Drei Thesen, in: Ryffel/Schwartländer (Fn. 3), S. 191 ff. - Zur Sozialenzyklika „Mater et magistra": Chr. Holzel, Die Arbeit - ein Ausdruck des Personwesens des Menschen, Diss. Erlangen-Nürnberg 1964.

28 Ähnlich Scholz (Fn. 3), RdNr. 44 zu Art. 12 GG; vgl. auch ders., Recht auf Arbeit. Verfassungsrechtliche Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen der Kodifikation, in: Böckenförde/JekewitzJRamm (Hg.), Soziale Grundrechte, 1981, S. 75 ff. (75).

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2. Beruf als Organisationsform

Beruf ist Ausdruck kulturell anerkannter und geordneter Erwerbstä- tigkeit29. Über historisch gewachsene Berufsformen und Berufszweige wird die Arbeit gesellschaftlich organisiert und verteilt. Obwohl inzwi- schen ständische Berufsgliederungen weitgehend durch ein ausbildungs- abhängiges, zweckrational strukturiertes „Beschäftigungssystem" abge- löst worden sind, bildet der Beruf auch in der modernen Industriegesell- schaft weiterhin die dominante Organisationsform der Arbeit30. In ihrer konkreten rechtlichen Ausprägung sind die einzelnen Berufssparten und Berufsrollen stets das Ergebnis einer „Gemengelage", eines Zusammen- wirkens und Ineinandergreifens von öffentlicher (staatlicher oder gesell- schaftlicher) Normierung und privater (individueller oder vertraglicher) Gestaltung. Dabei reicht die Skala der Regelungsdichte von umfassender staatlicher Berufsordnung (ζ. B. für Beamte oder staatlich gebundene Berufe) bis hin zur völligen persönlichen Berufsfreiheit (etwa des Astro- logen). Obwohl der Gesetzgeber nicht gehindert ist, bestimmte „Berufs- bilder" festzulegen31, wird unter „Beruf allgemein jede beliebige ertrag- bringende und der dauerhaften Sicherung des Lebensunterhalts die- nende Beschäftigung verstanden32.

Im Interesse einer möglichst freien, persönlichkeitsnahen Berufswahl ist an diesem von Rechtsprechung und Literatur gleichermaßen aner- kannten „weiten" Berufsbegriff festzuhalten33. Denn im Beruf mani-

29 Dazu G. GundlachSJ/A. Horn, Art. „Beruf, in: Staatslexikon, 6. Aufl., Bd. 1, 1957, Sp. 1087 ff.; W. Conze, Art. „Beruf, in: O. Brunner/W. Conze/R. Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1,1972, S. 490 ff.

30 Dazu M. Brater/U. Beck, Berufe als Organisationsformen menschlichen Arbeitsvermögens, in: Littek/Rammert/Wachtler (Hg.), Einführung in die Arbeits- und Industriesoziologie, 1982, S. 208 ff. Ähnlich bereits H.-A. Hesse, Berufsunfähigkeit (Fn. 19), S. 69: „Daß die Arbeit beruflich organisiert ist, ist ein zentrales Moment der Arbeitsverfassung und des Arbeitsmarktes in Deutsch- land". - Für das Gesellschaftsrecht: E. J. Mestmäcker, Zur gesellschaftlich organi- sierten Berufsfreiheit, FS Westermann, 1974, S. 411 ff.

31 So BVerfGE 13,97 (106,117); vgl. auch BVerfGE 54, 301 (314,322 f.); 59,302 (315 f.).

32 Seit BVerfGE 7, 377 (397 ff.) std. Rspr.; zuletzt BVerfGE 54, 301 (313). Vgl.

auch BVerwGE 1,54 in std. Rspr. - Von dieser Definition geht auch das Schrifttum aus: statt anderer Scholz (Fn. 3), RdNr. 17-27 zu Art. 12; M. Gubelt, in: I. v. Münch, Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl. 1981, RdNr. 8 zu Art. 12.

33 Er ermöglicht vor allem eine individuelle Entscheidung und gestattet es dem Einzelnen, „seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Gesamtleistung" selbst zu bestimmen (so BVerfGE 7,377,397; 50,290,362). Mit dieser Anknüpfung an das

„Selbstverständnis des Grundrechtsträgers" fällt zugleich ein Stück Definitions- macht von Freiheit in die Kompetenz des Individuums: vgl. J. Isensee, Wer defi- niert die Freiheitsrechte?, 1980, S. 49. Insofern entspricht der weite Berufsbegriff auch dem personalen Charakter des Freiheitsrechts aus Art. 12 GG.

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festieren sich Erfolg und Leistung der Person, von denen wiederum weit- gehend ihr sozialer Status abhängt34. Deshalb erübrigt, ja verbietet es sich sogar, unter „Beruf im Sinne von Art. 12 Abs. 1GG nur „erlaubte" Betäti- gungen zu verstehen oder wirtschaftlich sinnlose bzw. sozial schädliche Erwerbsformen davon auszuschließen35. Denn der Regelungsvorbehalt des Satzes 2 läßt in diesen Fällen hinreichend Spielraum für eine Schran- kenziehung.

Allerdings ist dabei zu bedenken, daß ein solch „offener" Berufsbegriff nach der „Stufentheorie"36 sofort auf die Ebene der Berufswahl durch- schlagen kann, bei deren Begrenzung der Gesetzgeber erhöhten Begrün- dungsanforderungen unterliegt. Zumindest hat sich die Judikatur durch den „weiten" Berufsbegriff genötigt gesehen, immer exotischeren Tätig- keiten die Weihe des „Berufs" zu verleihen und folglich, verstrickt in die Fesseln der eigenen Schrankendogmatik, schon relativ harmlose Aus- übungsregelungen als Eingriff in die Berufswahl verwerfen zu müssen.

Den bisherigen Rekord solcher „Bocksprünge auf dem Trampolin"37 hält seit kurzem - noch vor dem BGH, dessen „Richtungsanzeiger-Herstel- ler" durch eine Änderung der StVO geschädigt wird 38 - nunmehr das OYG Lüneburg mit der Erfindung des „Wochenendautomarkt- Gebrauchtwagenhändlers", der in seiner Berufswahlfreiheit durch das Feiertagsgesetz unzulässig eingeschränkt werde, weil er ein bestimmtes Betriebsgrundstück eben nur am Wochenende als Verkaufsgelände nut- zen könne39. Ein solches Vorgehen, über einen weiten Berufsbegriff zu- gleich diejenigen Merkmale zu rechtfertigen, derentwegen der Gesetz- geber eingreifen zu müssen glaubt, erinnert fast an die Palmström'sehe

34 Nach einer treffenden Formulierung von Scholz (Fn. 3, RdNr. 9 zu Art. 12) ist die Berufsfreiheit als „Garantie selbstverantwortlicher Existenzgestaltung, indivi- dualer Persönlichkeitsbildung sowie sozialer Statusbestimmung des Einzelnen"

zu verstehen. Ebenso Pitschas (Fn. 3), S. 477 ff.

35 So bereits W. Berg, Berufsfreiheit und verbotene Berufe, GewArch 1977, S. 249 ff.; im Anschluß daran auch Scholz (Fn. 3), RdNr. 23-29 zu Art. 12 GG.

36 Seit BVerfGE 7, 377 (399 ff.) std. Rspr., modifiziert allerdings bereits in BVerfGE 13, 97 (113 ff.); 25,1 (10 ff.); über neuere Entscheidungen dazu infor- miert Tettinger (Fn. 3), S. 117 ff. - Zur Kritik vgl. Rupp (Fn. 3), AöR 92 (1967), S. 232 ff.; Kidder (Fn. 2), S. 120 ff.; B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, S. 48 ff, 68 ff.; abgeschwächt Scholz (Fn. 3), RdNr. 319 zu Art. 12 GG.

37 In diesem Sinne Ridder{Fn. 2), S. 120.

38 BGH NJW1968,293; dazu Bryde{Fn. 3), S. 2181.

39 OVG Lüneburg, Urteil vom 22. 3.1984 - 12 OVG A 345/81 S. 10 f. Selbst Scholz (Fn. 3, RdNr. 263 ff. zu Art. 12 GG) erkennt an, daß es bei einem „autono- mein) Berufsschöpfungs- und Berufsprägungsrecht" erhebliche „Abgrenzungs- probleme" gibt. Kritisch neuerdings vor allem Bryde{Fn. 3), S. 2181 f., derzu Recht darauf hinweist, daß sich mit Hilfe eines weiten Berufsbegriffs fast alle gesetzli- chen Restriktionen in „Berufsverbote" umdefinieren lassen.

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Logik, freilich in umgekehrtem Sinne: „Und so Schloß Palmström absichtsvoll, daß auch sein muß, was nur sein soll!" Immerhin hat Hans Peter Ipsen in seinem weitsichtigen Aufsatz über „Wochenend' und Grundgesetz", wo er bereits 1950 die Regelung der Ladenschlußzeiten als

„Fundgrube staatsrechtlicher Problematik" entdeckte, durchaus recht behalten mit der Feststellung: „Das Grundgesetz wirkt tief in den Alltag hinein"40.

3. Die „Arbeits- und Berufsfreiheit" als einheitliches Grundrecht

Die in der Personalität und Sozialität des Menschen angelegte Verbin- dung von Arbeit und Beruf fuhrt bei Art. 12 Abs. 1GG nicht nur zu einer Kohärenz von kultureller und ökonomischer Dimension, d. h. von Berufswahl und Berufsausübung, sondern auch zu einer Verknüpfung von „werktätiger" Existenz- und Organisationsform. Daß die Arbeit in Berufen organisiert und damit notwendig auch staatlich reglementiert ist, macht die strukturelle Eigenart des Grundrechts der Berufsfreiheit aus. Insofern erscheint das Eingriffs- und Schrankendenken, welches die Ideologie einer „vorstaatlichen" Berufsfreiheit pflegt, in die der Staat nur unter erheblichem Legitimationszwang allenfalls nachträglich „interve- nieren" darf, für Art. 12 GG besonders unangemessen. Schließlich sind infolge des wechselseitigen Funktionsbezuges von Arbeit, Beruf und Ausbildung in Art. 12 Abs. 1 GG - soweit nicht ausdrücklich genannt - bei

„Beruf die Schutzbereiche „Arbeit" und „Ausbildung" stets mitzuden- ken (und umgekehrt). Demnach erweist sich Art. 12 GG als einheitliches Grundrecht der „Arbeits- und Berufsfreiheit" in dreifacher Hinsicht: (1) durch den von der „Stufentheorie" zutreffend hergestellten Sachzusam- menhang zwischen Berufsausübung und Berufswahl, (2) durch den im Menschen selbst angelegten Konnex von Arbeit und Beruf sowie (3) durch die mit jeder staatlichen Regelung einhergehende Interdependenz von Ausgestaltung und Begrenzung.

Der beherrschende Grundzug dieser so verstandenen einheitlichen -„Arbeits- und Berufsfreiheit" der sich (um den beliebten „roten Faden"

zu vermeiden und Peter Häberles Kulturidee wenigstens symbolisch näherzukommen) gleichsam als „basso continuo" vielleicht sogar „osti- nato" durch alle Themen und Variationen des Art. 12 GG hindurch Gehör verschafft, ist ihr personaler Charakter4l. Der verfassungsrecht-

40 Η. P. Ipsen, Wochenend' und Grundgesetz, DVB1.1950, S. 385 ff.

41 Ebenso bereits BVerfGE 30,292 (334); vgl. auch BVerfGE 54,301 (313); 59, 172 (210); im Anschluß daran betonen den unmittelbaren Persönlichkeitsbezug des Art. 12 GG vor allem Badura, Arbeit (Fn. 3), S. 23 ff. (m. w. Nachw.); Häberle (Fn. 3), S. 351, und Bryde (Fn. 3), S. 2181 f.

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liehe Schutz von Beruf und Arbeit dient nicht nur der Sicherung existenz- notwendiger materieller Daseinsgrundlagen, sondern soll dem Men- schen zugleich als Person eine freie, autonome Gestaltung seines Erwerbslebens ermöglichen. Damit reiht sich die Arbeits- und Berufs- freiheit „dem Schutzversprechen ein, das dem Staat für die Würde des Menschen und die freie Entfaltung der Persönlichkeit obliegt"42. Im Hin- blick auf seine existentiellen und organisatorischen Elemente weist Art. 12 Abs. 1GG mit jener personalen Grundtendenz eine der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit analoge Normstruktur auf. Mehr noch als die Eigentumsgarantie enthält er für den Lebensentwurf des Menschen in der modernen Industriegesellschaft das zentrale Freiheits- und Persön- lichkeitsrecht43.

ΠΙ. Funktions- und Realisierungsbedingungen der Arbeits- und Berufs- freiheit im marktwirtschaftlichen System (verfassungspraktische Problemstellung)

Um die konkrete verfassungspraktische Bedeutung und Tragweite der Arbeits- und Berufsfreiheit in der Gegenwart beurteilen zu können, darf die ihr zugrunde liegende und von ihr mitgeprägte soziale Wirklichkeit, insbesondere die marktwirtschaftliche Ordnung, nicht außer Betracht bleiben. Denn Art. 12 GG entfaltet seine personalen Schutzwirkungen ja nicht im luftleeren Raum. Vielmehr ist die Berufsfreiheit eingebettet in ein bestimmtes Wirtschaftssystem, fungiert insoweit jedoch zugleich als Maßstab und Grenze staatlicher Regelung. Ersteres fördert nun aber Erscheinungen zutage, die offenbar mit den Gewährleistungen des Art. 12 GG in eklatantem Widerspruch zu stehen scheinen. Was nützt die freie Wahl der Ausbildungsstätte beispielsweise jenen 70000 Jugend- lichen, die in diesem Jahr noch keine Lehrstelle gefunden haben? Wieviel ist die freie Wahl des Arbeitsplatzes bei Beschäftigungsmangel und Mas- senarbeitslosigkeit noch wert? Um diese Fragen befriedigend beantwor- ten zu können, ohne dabei einerseits vor einer angeblichen „Realitäts- blindheit" der Verfassung zu kapitulieren und andererseits in einer Art

„Verfassungsrausch"44 ihre normative Kraft zu überfordern, muß man sich jener verfassungspraktischen Problematik äußerst behutsam nähern.

42 So Badura (Fa. 3), S. 23, der damit eine Brücke zu Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG schlägt; vgl. auch Wendt (Fn. 3), S. 601 f.

43 Ähnlich Scholz (Fn. 3), RdNr. 9 f. zu Art. 12 G G ; vgl. bereits Scheuner, Hand- werksordnung (Fn. 3), S. 361: im Verhältnis zu Art. 2 Abs. 1 GG die „umfassendere Gesamtregelung bestimmter Fragen aus dem Bereich von Arbeit und Beruf'.

44 So Papier (Fn. 3), S. 810.

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1. Funktionswandel von Arbeit und Beruf

Bevölkerungswachstum, technologische Entwicklung und der Aus- bau des Sozialstaates haben zu einem Funktionswandel von Arbeit und Beruf in der Gegenwart geführt, der zugleich die Geltungsvoraussetzun- gen des Art. 12 GG im marktwirtschaftlichen System tiefgreifend ver- ändert. Angesichts fortschreitender Automatisierung des Produktions- prozesses, massenhafter Freisetzung von Arbeitskräften, der auf abseh- bare Zeit weder quantitativ noch qualitativ genügend neue Arbeitsplätze gegenüberstehen, und nicht zuletzt eines entsprechenden Mangels an Ausbildungsplätzen droht die menschliche Arbeit als Produktionsfaktor nachhaltig und dauerhaft entwertet zu werden.

Da dies ein strukturell irreversibler Wandlungsprozeß zu sein scheint, stellt sich die Frage, ob das „Markt- und Kontraktprinzip"45 als maßgeb- licher ökonomischer Steuerungsmechanismus die Arbeits- und Berufs- freiheit nicht partiell „leerlaufen" läßt und diese deshalb, soll sie nicht fak- tisch obsolet werden, von Staats wegen gefordert und verstärkt werden muß. Um hier Klarheit zu gewinnen, bedarf es zunächst einer Rückbesin- nung auf die der Berufsfreiheit und der Marktwirtschaft gemeinsamen Elemente, sodann der Überprüfung falscher Alternativen, etwa des

„Scheingegensatzes" von Berufsfreiheit und Berufslenkung, und schließ- lich einer kritischen Analyse der Realisierungsfähigkeit und -bedürftig- keit des Art. 12 GG am Beispiel des Arbeitsmarktproblems.

2. Berufsfreiheit und Berufslenkung

Die Privatautonomie ist und bleibt unverzichtbare Grundlage sowohl des marktwirtschaftlichen Systems als auch der Arbeits- und Berufsfrei- heit46. Damit wird jedoch eine staatliche Arbeits- und Berufsregulierung keineswegs ausgeschlossen, sondern geradezu notwendig, wenn und soweit die Privatautonomie des arbeitenden Menschen durch wirtschaft- liche Abläufe oder technische Zwänge eingeschränkt oder ausgehöhlt ist.

Wie bei Maßnahmen zum Schutze des Wettbewerbs im Rahmen des Kartellrechts wird staatliche Gestaltung zur Voraussetzung beruflicher oder wirtschaftlicher Freiheitsentfaltung47.

45 Dazu R. Scholz, Die Berufsfreiheit als Grundlage und Grenze arbeitsrechtli- cher Regelungssysteme, ZfA 12 (1981), S. 265 ff. (274 ff.); ferner Wendt (Fn. 3), S. 604.

46 Unter „Privatautonomie" ist freilich nicht bloße Willkür oder Beliebigkeit, sondern immer schon (vor-)geordnete private Rechtsmacht zu verstehen. In die- sem Sinne wohl auch Wendt (Fn. 3), S. 603 f.

47 So Rittstieg (Fn. 3), RdNr. 48 (m. w. Nachw.), insbes. unter Bezug auf Scheu- ner, Handwerksordnung (Fn. 3), S. 361, und Ipsen (Fn. 3), S. 360.

(15)

Hinzu kommt, daß die Arbeits- und Berufsfreiheit bereits nach gelten- dem Recht in ein nahezu lückenloses System staatlicher Berufsregulie- rung eingefügt ist, das von der Gewerbeordnung über die gesamte Wirt- schaftsverwaltung, die Strukturpolitik und die Unternehmensgestaltung bis hin zum Arbeits-, Sozial- und Ausbildungsrecht reicht. Angesichts sowohl des staatlichen Lenkungsbedarfs als auch dieser Lenkungsrealität können Berufsfreiheit und Berufslenkung nicht mehr als Gegensatz ver- standen werden - etwa mit der Konsequenz, daß aus Art. 12 GG ein gene- relles Lenkungsverbot abgeleitet wird48. Um einer wirksamen Freiheits- sicherung willen sind vielmehr beide wechselseitig aufeinander verwie- sen. Damit wird die Berufslenkung letztlich sogar zum unverzichtbaren

„Funktionselement" einer offenen Berufs- und Arbeitsordnung49.

3. Berufsfreiheit und Arbeitsmarkt

Unter den Bedingungen gegenwärtiger Massenarbeitslosigkeit garan- tiert Art. 12 GG zwar weiterhin den freien Wettbewerb auf dem Arbeits- markt50, stellt dem Staat aber mit dem Regelungs- und Ausgestaltungs- vorbehalt in Satz 2 zugleich die Aufgabe, zum Schutz der Arbeits- und Berufsfreiheit beschäftigungssichernde undausbildungsfördernde Maß- nahmen zu ergreifen51. Diese Verpflichtung ergibt sich nicht erst sekun- där oder subsidiär aus externen Strukturnormen, abgedrängt etwa in das Sozialstaatsprinzip, sondern ist wesentlicher Bestandteil der Arbeits- und Berufsfreiheit selbst und folgt insbesondere aus deren Menschen- würdegehalt und Persönlichkeitsbezug. Allerdings vermag Art. 12 GG nur das „Ob" staatlicher Arbeits- und Ausbildungsforderung zu verbür- gen und für das „Wie" lediglich die Grenzen offensichtlicher Willkür oder

48 Vgl. Bryde (Fn. 3), S. 2180. Auch Scholz (Fn. 3), RdNr. 89 zu Art. 12 GG, (vgl.

auch RdNr. 338) erkennt ein „bedingtes Mandat staatlicher Berufslenkung" an.

Papier (Fn. 3, S. 814) wendet sich lediglich gegen eine gezielte „Bedarfslenkung".

49 So bereits I. Richter, Ausbildung und Arbeit, JZ 1981, S. 176 ff. (180); neuer- dings insbes. Pitschas (Fn. 3), S. 262 ff. (et passim); ähnlich auch Hege (Fn. 3), S. 111 ff.

50 In diesem Sinne Scholz (Fn. 45), S. 279 ff. m. w. Nachw.; ders. (Fn. 3), RdNr. 84 zu Art. 12 GG, und vor allem D. Reuter, Die freie Wahl des Arbeitsplatzes - ein nicht realisierbares Grundrecht?, RdA 1973, S. 345 ff.

51 So U. Scheuner, Wirtschaftslenkung im Verfassungsrecht des modernen Staa- tes, in: Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, 1971, S. 9 ff. (32). Ähnlich Pit- schas (Fn. 3), S. 502 ff. im Sinne einer staatlichen Pflicht zur „Grundrechtsvor- sorge"; vgl. auch BrydeQFn. 3), S. 2184. Badura (Grundfreiheiten, [Fn. 3], S. 21) und ihm folgend P. Schwerdtner (Die Garantie des Rechts auf Arbeit - ein Weg zur Knechtschaft?, ZfA 8 [1977], S. 47 ff. [69 f.]) sowie Scholz (Fn. 3, RdNr. 45 f. zu Art. 12 GG) stützen sich dabei allerdings lediglich auf das Sozialstaatsprinzip und Art. 109 Abs. 2 GG.

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Untauglichkeit festzulegen. Der Auftrag zu einer konkreten Beschäfti- gungspolitik oder gar zu bestimmten Einzelmaßnahmen (ζ. B. Arbeits- beschaffungsprogrammen) läßt sich daraus nicht entnehmen52.

Im übrigen stellt das Ziel der Vollbeschäftigung ein „überragend wich- tiges Gemeinschaftsgut" dar, das auch Eingriffe in das Markt- und Kon- traktsystem legitimieren kann, welche die Freiheit der Berufswahl berüh- ren53. Der relativierende Hinweis auf das „gesamtwirtschaftliche Gleich- gewicht" nach Art. 109 Abs. 2 GG als eines „offenen" wirtschaftspoliti- schen Optimierungsproblems innerhalb des „magischen Vierecks" geht insofern fehl, als den übrigen Komponenten: dem Wirtschaftswachstum, der Preisstabilität und dem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht, eben gerade kein Grundrecht zur Seite steht, dessen „Maßgabedimension"54

sogar noch zusätzlich durch internationale Vereinbarungen verstärkt wird. Daher kann das Vollbeschäftigungsziel, nicht zuletzt wegen des Rechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes, verfassungsrechtliche Priorität beanspruchen55.

4. Artikeln GG - ein Grundrecht unter „Konjunkturvorbehalt"?

Der „Maßgabecharakter" des Art. 12 Abs. 1 GG läßt sich verallgemei- nern: seine freiheitsverbürgende Wirkung verpflichtet Staat und Gesell- schaft generell, die effektive Möglichkeit seiner Inanspruchnahme für jedermann und alle Berufe zu sichern und zu verstärken. Wenn damit der Arbeits- und Berufsfreiheit im Rahmen der Verfassung ein staatliches Mandat zur Grundrechtsrealisierung entnommen wird, bedeutet hierbei Verwirklichung" freilich nicht die Herstellung eines tatsächlichen

52 Dies würde im Widerspruch zur wirtschaftspolitischen „Offenheit" des Grundgesetzes stehen (vgl. BVerfGE 4, 7, 17 f.; 50, 290, 338). Danach darf der Gesetzgeber Jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte beachtet".

Ebenso Scholz (Fn. 3), RdNr. 46 zur Art. 12 GG. - Zu den Möglichkeiten aktiver Arbeitsmarktpolitik vgl. Ph. Herder-Dorneich (Hg.), Arbeitsrecht und Arbeits- marktpolitik, 1982; M. Kittner {Hg.), Arbeitsmarkt - ökonomische, soziale und rechtliche Grundlagen, 1982; K-J. Bieback u. a., Arbeitsmarktpolitik (Jahrbuch für Sozialökonomie und Gesellschaftstheorie), 1978.

53 So auch H.-J. Papier, Versagung der Nebentätigkeitsgenehmigung aus ar- beitsmarktpolitischen Gründen, DÖV 1984, S. 536 ff. (539).

54 Vgl. Pitschas (Fn. 3), S. 543 ff.

55 M. Kriele (Menschenrechte zwischen Ost und West, 1977, S. 42) spricht sogar von einer „absoluten Priorität" der Vollbeschäftigungspolitik; a. A. Scholz (Fn. 3), RdNr. 44 ff; E. Benda, Zur Berufsfreiheit der Arbeitnehmer, in: FS Stingl, 1984, S. 35 ff. (42); Papier {Fn. 3), S. 811.

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Zustandes, sondern lediglich die Schaffung von rechtlichen und fak- tischen Voraussetzungen, welche dem einzelnen die reale Möglichkeit der Grundrechtsausübung eröffnen. Der Staat ist nicht verpflichtet, etwa die freie Wahl der Ausbildungsstätte in der Weise zu „verwirklichen", daß ein Jugendlicher tatsächlich mindestens zwei Lehrstellen zur Auswahl hat; er muß aber die Bedingungen der Möglichkeit einer freien Berufs- wahl gewährleisten, d. h. fur so viele Lehrstellen sorgen, daß jeder Bewer- ber wenigstens die reale Chance hat, überhaupt einen einzigen Ausbil- dungsplatz zu finden, und nicht zu ungelernter Beschäftigung gezwun- gen ist56. Es geht also bei der so heftig umstrittenen „Grundrechtsver- wirklichung"57 niemals um den tatsächlichen Freiheitsgebrauch, son- dern immer nur um die Bedingungen seiner realen Möglichkeit58.

Anderenfalls bliebe die Arbeits- und Berufsfreiheit im marktwirt- schaftlichen System weitgehend funktionslos. Bei Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung wäre sie nahezu überflüssig, bei Arbeitslosigkeit und Mangel an Ausbildungsplätzen hingegen für einen Großteil der Bevölkerung praktisch ohne reale Bedeutung. Mit einer verfassungs- rechtlichen Kapitulation vor ökonomischen Entwicklungen darf die frei- heitssichernde Wirkung des Art. 12 GG aber nicht unter „Konjunkturvor- behalt" gestellt werden, wenn das Grundrecht der Arbeits- und Berufs- freiheit nicht zum Privileg selbständiger Erwerbstätigkeit verkümmern soll. Die Grundrechte enthalten zwar kein „Programm des sozialen Fort- schritts"59, sind aber auch nicht nur ein „Spielball" des Schicksals und des Marktes60. Der Hinweis auf das Sozialstaatsprinzip allein würde diesen

56 Insofern würde staatliche Untätigkeit zumindest mittelbar auch die Berufs- freiheit des Einzelnen beeinträchtigen. Über den Zusammenhang von Berufsaus- bildung und Berufswahl Richter{Fn. 49), S. 176 ff.; ferner BVerfGE 59,172 (205 f.).

57 Vgl. Chr. Starck, Staatliche Organisation und staatliche Finanzierung als Hil- fen zur Grundrechtsverwirklichung?, in: Bundesverfassungsgericht und Grund- gesetz, 1976, Bd. 2, S. 480 ff. - Kritisch Badura, Arbeit (Fn. 3), S. 21.

58 So auch Meessen (Fn. 3), S. 404: „Die Gewährleistung des Art. 12 I umfaßt auch die tatsächlichen Voraussetzungen der Berufsfreiheit. Die Aufgabe, die Berufsfreiheit zu verwirklichen, und nicht irgendein grundrechtstheoretisches Modell, bestimmt die Auslegung von Art. 121". - Zur Gesamtproblematik eines

„Grundrechtsvoraussetzungsschutzes" wegweisend M. Kloepfer, Grundrechte als Entstehenssicherung und Bestandsschutz, 1970, S. 15 ff. (et passim).

59 So mit Recht Badura, Arbeit (Fn. 3), S. 21.

60 Diesem Mißverständnis setzt sich aber Wendt (Fn. 3, S. 609) aus, wenn er einerseits davon spricht, daß die gesamte „verfassungsrechtliche Ordnung dem Vorbehalt des Schicksals wie des Marktes" unterliege, zum anderen aber im Sozialstaatsprinzip einen - offenbar konjunkturunabhängigen (?) - Auftrag zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit erblickt.

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Funktionsmangel des Art. 12 GG61 nicht zu beheben vermögen62, weil die Erfüllung sozialstaatlicher Postulate zu Recht von den jeweiligen wirt- schaftlichen Bedingungen abhängig gemacht wird63. Diese Konsequenz aber erscheint bei Art. 12 G G als unangemessene Verkürzung seines Normgehalts. Denn „die Arbeit als,Beruf hat für alle gleichen Wert und gleiche Würde"64.

IV. Das Grandrecht der Arbeits- und Berufsfreiheit im Grundgesetz (verfassungsrechtlicher Regelungsgehalt)

Ich komme nun zum verfassungsrechtlichen Regelungsgehalt der Arbeits- und Berufsfreiheit im einzelnen. Befragt man danach Recht- sprechung und Literatur, so zeigt sich, daß die Vielfalt und Mehrschich- tigkeit des Normbereichs von Art. 12 Abs. 1 GG zwarzunehmend erkannt wird, sein Anwendungspotential aber noch keineswegs ausgeschöpft ist.

Ein Delinquent, dessen Strafe ausgesetzt wurde, wendet sich gegen die Bewährungsauflage, zur Wiedergutmachung des Schadens unverzüglich ein Arbeitsverhältnis zu begründen65. Ein Diplom-Geologe hält die ihm vom Arbeitsamt angebotene Stelle als Prüfer elektronischer Bauteile für

„unzumutbar"66. Eine Beamtin beanstandet die ihr auferlegte Verpflich- tung, ihre vom Dienstherrn getragenen Ausbildungskosten bei einem Wechsel des öffentlichen Arbeitgebers sogar innerhalb desselben Bun- deslandes zurückerstatten zu müssen67. Alle drei Beispiele aus der neue- ren Judikatur dreier Bundesgerichte betreffen in drei verschiedenen Rechtsgebieten von jenem bunten Spektrum des Art. 12 GG nur den schmalen Ausschnitt des „Arbeitszwangs" Auf der anderen Seite hatte man den Maßstab der Berufsfreiheit in der Mitbestimmungsdiskussion anfangs nahezu außer acht gelassen, obwohl in der Literatur der Zusam- menhang zwischen Berufsfreiheit und innerbetrieblicher Mitbestim-

61 Insofern stellt der Regelungsvorbehalt in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einen ech- ten „Funktionsvorbehalt" dar (vgl. Rupp, Berufsfreiheit [Fn. 3], AöR 92 [1967], S. 227 f.); Pitschas (Fn. 3, S. 262 ff.) bezeichnet deshalb die Berufslenkung auch ausdrücklich als „Funktionselement der,offenen' Berufsverfassung".

62 Ebenso die Sachverständigenkommission „Staatszielbestimmungen/Gesetz- gebungsaufträge" in ihrem Bericht vom Dezember 1983, RdNr. 119 (S. 78); zit.:

Kommissions-Bericht (dazu E. Wienholtz, AÖR 109 [1984], S. 532 ff.).

63 Statt anderer J. Isensee, Der Sozialstaat in der Wirtschaftskrise, FS Broer- mann, 1982, S. 365 ff.

64 So BVerfGE 7, 377 (397); 50, 290 (362).

65 Vgl. BVerfGE 58, 358 (363 ff.).

66 BSG SozR 4100 § 119 AFG Nr. 3.

67 BAG AP Nr. 45 zu Art. 12 GG.

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mung längst erkannt worden war68. Trotz wachsender Aktualisierungs- bereitschaft besteht daher für das Anwendungsfeld der Arbeits- und Berufsfreiheit noch immer ein beträchtlicher „Erschließungsbedarf'.

1. Schutzbereiche (Arbeit als „Beruf)

Der Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1GG ist weit zu fassen. Die Arbeits- und Berufsfreiheit schützt sowohl die selbständige Erwerbstätigkeit in freien oder staatlich gebundenen Berufen als auch die abhängige Beschäftigung69. Da keine bestimmten „Berufsbilder" maßgeblich sind, erstreckt sich der Schutz auch auf freie oder faktische Arbeitsverhältnisse und schließt mit dem „Zugang zur Arbeit" sogar Arbeitslose und Sozial- hilfeempfänger ein. Bezogen auf den arbeitsteiligen Produktionsprozeß in der Wirtschaft, umfaßt Art. 12 GG die Unternehmer- oder Arbeit- geberfreiheit einerseits70, aber zugleich auch die Arbeitnehmerfreiheit auf der anderen Seite71. Beide können zur Erreichung eines bestimmten Arbeitsergebnisses oder Produktionszieles nur gemeinsam aktualisiert werden und stehen daher - ähnlich wie bei Art. 9 Abs. 1 GG die Grund- rechte von Vereinsmitgliedern - in einem funktionellen Kooperations- zusammenhang72. Konflikte rufen hier eine grundrechtsinterne Kolli- sionslage hervor, die mangels unmittelbarer Drittwirkung des Art. 12 GG in erster Linie nach Maßgabe des einfachen Rechts zu entscheiden ist.

Nur soweit dieses schweigt, wird ein schonender Ausgleich beider Posi- tionen im Wege „praktischer Konkordanz" erforderlich73.

68 Statt anderer Dietz/Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 6. Aufl. 1982, RdNr.

4-7 der Vorbem. zu § 92.

69 Seit BVerfGE 7,377 (397 ff.) std. Rspr. - Im Schrifttum statt anderer Bachof (Fn. 3),S. 161; ihm folgend die gesamte Literatur mit Ausnahme von Uber{Fn.3, S.

83 ff.), der den Begriff „Beruf' nur auf selbständige Tätigkeiten bezieht, die abhän- gige Arbeit aber unter „Arbeitsplatz" subsumiert, und M. v. d. Heide (Das Recht der freien Berufswahl nach Art. 12 des Grundgesetzes, BB 1950, S. 485 ff), der abhängig Beschäftigte vollständig ausschließen will.

70 Vgl. BVerfGE 50, 290 (363); dabei ist für die Schutzintensität ebenfalls der personale Gehalt des Art. 12 GG maßgeblich: ferner BVerfGE 32, 311 (317); 46, 120 (137).

71 Zusammengefaßt im Begriff der „Erwerbsfreiheit" (vgl. Scholz [Fn. 3], RdNr.

21 zu Art. 12 GG m. w. Nachw.). Was „Arbeitnehmerfreiheit" im einzelnen bedeu- ten kann, wird in Verbindung mit dem Schutzgegenstand „Arbeit" erörtert (vgl.

unten S. 30 ff).

72 Vgl. H.-J. Papier, Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtli- chen Ordnung der Wirtschaft, in: W D S t R L 35 (1977), S. 55 ff. (87); in ähnlichem Sinne spricht auch Hoffmann-Riem (Fn. 3, S. 385 ff.) von „arbeitsteiliger Grund- rechtsausübung".

73 Dazu BVerfGE 59,231 (261 ff.) in bezug auf den Ausgleich zwischen den aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 G G entnommenen Grundrechten der Rundfunkanstalten und der Rundfunkmitarbeiter.

(20)

Über das Recht, ein Unternehmen zu gründen und zu betreiben, hin- aus kann ein umfassender Schutz des Unternehmens selbst - nämlich als

„sozialer Verband"74 im Sinne einer Personen- und Sachgesamtheit - aus der Arbeits- und Berufsfreiheit nicht direkt abgeleitet, sondern nur über Art. 19 Abs. 3 GG begründet werden. Dabei darf freilich die Grundrechts- fähigkeit von Unternehmen keinesfalls benutzt werden, um Beschrän- kungen zu durchbrechen, die ihnen gerade im Interesse individueller Freiheitssicherung auferlegt sind, wenn der personale Kerngehalt des Art. 12 GG nicht in sein Gegenteil verkehrt werden soll75. Aus ähnlichen Gründen ist zwar prinzipiell auch die klassische Handels- und Gewerbe- freiheit mitverbürgt, aber nur in ihren subjektiven Elementen, nicht als objektives Prinzip der Wirtschaftsordnung76 (was gewisse institutionelle Gewährleistungen in Art. 12 Abs. 1 GG nicht ausschließt77). Ebensowenig geschützt wird eine bestimmte „Berufs"-, „Arbeits"- oder „Wirtschaftsver- fassung"78, und zwar auch nicht als „offenes System"79, weil die Annahme überindividueller Systemstrukturen gleich welcher Art nicht nur der

74 Papier {Fn. 72), S. 66 ff.

75 Vgl. W.Rupp-v. Brünneck, Zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, in:

Verfassung und Verantwortung, hg. von H.-P. Schneider, 1983, S. 110 ff. (122). - Befürwortend Papier {Fn. 72), S. 88; ablehnend Rittstieg{¥n. 3), RdNr. 65 zu Art. 12 G G ; zweifelnd BVerfGE 50,290 (363).

7« So mit Recht BVerfGE 50,290 (362) unter Bezugnahme auf BVerfGE 7,377 (397). Zwar ist „auch die Freiheit..., eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit, insbesondere ein Gewerbe zu betreiben", in der Berufsfreiheit enthalten; diese reicht jedoch weiter als die Gewerbefreiheit (BVerfGE 21, 261, 266; vgl. auch BVerfGE 30, 292, 314; 38, 61, 85 f.; 50, 290, 364).

77 Dazu unten S.40; vgl. ferner U. Scheuner, Grundrechtsinterpretation und Wirtschaftsordnung. Zur Auslegung des Art. 12 G G , DÖV1956, S. 65 ff.

78 Neuerdings scheint jedoch die längst erledigte Kontroverse über eine dem Grundgesetz immanente „Wirtschaftsverfassung" (vgl. dazu H. C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3. Aufl. 1965; speziell zu Art. 12 G G : ders./K. Adomeit, Die Berufsfreiheit als ein Grundelement der sozialen Marktwirt- schaft, in: BB 1966, S. 417 ff.; H. Krüger, Staatsverfassung und Wirtschaftsverfas- sung, DVB1.1951, S. 361 ff; kritisch//. Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, 1961, S. 7 ff; vgl. auch Scheuner[Fn. 51], S. 21 ff.) im Gewände des Art. 12 G G wiederaufzule- ben : So sprechen mit Bezug auf Art. 12 G G Herzog (Fn. 18, S. 155) von „Wirtschafts- verfassung" Pitschas (Fn. 3, S. 262 ff.) von „Berufsverfassung", Scholz (Fn. 45, S. 270 f.) von „grundgesetzlicher Arbeitsverfassung" im Sinne eines „verfassungs- rechtlich-systematischen Zusammenhangs arbeitsrechtlich wirksamer Verfas- sungsentscheidungen", Papier (Fn. 3, S. 807) von „gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Funktionen des Art. 12 GG", die nicht ignoriert werden dürften, und Wendt{Fn. 3, S. 603) sogar von „wirtschafts- und arbeitsverfassungs- rechtlichen Grundentscheidungen", zu denen auch die Berufsfreiheit gehöre. - Vgl. schließlich R. Scholz, Bundesarbeitsgericht und Arbeitsverfassung, FS 25 Jahre BAG, 1979, S. 511 ff.

79 So insbes. Scholz (Fn. 3), RdNr. 81 ff. zu Art. 12 G G ; ihm folgend Wendt (Fn. 3), S. 603; dagegen bereits Scheuner (Fn. 51), S. 23 (Anm. 65).

(21)

wirtschaftspolitischen Offenheit des Grundgesetzes für eine Vielzahl ökonomischer Optionen zuwiderlaufen, sondern auch mit dem persona- len Grundzug der Arbeits- und Berufsfreiheit kaum vereinbar sein würde80.

2. Schutzgegenstand „Beruf

Schutzgegenstände der Arbeits- und Berufsfreiheit sind gleicher- maßen „Beruf, „Arbeit" und „Ausbildung". Der Schutz des Berufs reicht von der Berufswahl über die Berufsvorbereitung, den Zugang zum Beruf und die Berufsausübung bis hin zur vorübergehenden oder dauernden Berufsbeendigung. Erneut an diese ausgedehnte Spannbreite der Berufsfreiheit zu erinnern, gibt sowohl die noch nicht überwundene Ver- engung der Judikatur auf die „Zugangsperspektive" Anlaß81, als auch die Tatsache, daß die genannten Berufsstationen zunehmend seltener in kontinuierlicher Abfolge stehen, sondern bei derzeit häufig anzutreffen- dem Berufswechsel oder Berufsausbau ineinander übergehen oder sich wiederholt ablösen („Mehrphasigkeit" der Berufsfreiheit). Deshalb hat die von der „Stufentheorie" vorgenommene Verknüpfung von Berufs- wahl und Berufsausübung zwar heute mehr denn je ihre Berechtigung;

die darin enthaltene Schrankenskala vermag aber aus dem gleichen Grunde immer weniger zu überzeugen.

Unter „freier Berufswahl" ist in erster Linie die Freiheit zur eigenen, autonomen Berufsentscheidung über die Art des Berufes und die Auf- nahme einer Erwerbstätigkeit zu verstehen, die „Initiative des Indivi- duums"82 also, und damit zugleich die Freiheit von staatlichem Arbeits- oder Berufszwang (Art. 12 Abs. 2 GG) sowie auch das Recht, überhaupt keinen Beruf wählen, erlernen oder ausüben zu wollen (negative Berufs- freiheit)83. Gegenüber staatlichen Maßnahmen der Berufslenkung mit erdrosselnder Wirkung gewährt Art. 12 Abs. 1 GG dann Bestandsschutz,

80 Die wirtschaftspolitische „Offenheit" des Grundgesetzes besteht vor allem darin, daß es keinem wirtschaftstheoretischen „Modell" folgt (weder der „neolibe- ralen" noch einer „sozialistischen" Konzeption), sondern konkrete Freiheiten verbürgt, deren personaler Kern in jedem Wirtschaftssystem gewahrt bleiben muß. Stattdessen wird mit dem Systemargument auch bei der Interpretation des Art. 12 GG „in weitem Umfang auf die von der materialen Verfassungstheorie der Weimarer Jahre mit Recht bekämpfte Methode zurückgegriffen, Grundrechte als Bestätigungen oder Modifikationen des bestehenden spezialgesetzlichen Rechts- zustandes anzusehen" (so bereits Ehmke [Fn. 78], S. 56; vgl. auch S. 41 ff.).

81 Kritisch schon Scheu η er (¥n. 77, S. 68): „Man hat aus Art. 12 eine,Berufsfrei- heit', d. h. eine Zulassungsfreiheit für selbständige Gewerbetreibende gemacht".

82 Vgl. W. Hamel, Das Recht der freien Berufswahl, DVB1.1958, S. 37 ff.

83 Vgl. BVerfGE 58, 358 (364).

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