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Reichweite und Grenzen des klassischen Pragmatismus

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Academic year: 2022

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Dr. Christian Thies, Institut für Philosophie, Universität Rostock, D-18051 Rostock

SS 2004, Proseminar/Kompaktkurs: Theoretische Philosophie 1 (= Wissenschaftstheorie)

Reichweite und Grenzen des klassischen Pragmatismus

1. Der Pragmatismus ist eine philosophische Strömung, die im deutschen Sprachraum viele Jahrzehnte missverstanden und unterschätzt, ja sogar angefeindet wurde. Erst in den letzten Jahren, seit den einflussreichen, aber konträren neo-pragmatistischen Positionen von Rorty und Putnam, wird diese Richtung auch bei uns ernst genommen. Tatsächlich stellt der Pragmatismus für viele philosophische Probleme einen sehr wichtigen Lösungsansatz zur Verfügung. – Hier kann nur etwas zum klassischen Pragmatismus gesagt werden, und auch nur zu wenigen wissenschaftstheoretischen Aussagen von William James. Die komplexeren Positionen von Charles S. Peirce und John Dewey muss ich vernachlässigen.

2. Der Pragmatismus ist anthropologisch weitgehend im Recht: Erkennen und Wissen entstehen sowohl phylogenetisch als auch ontogenetisch im Rahmen von Handlungszusammenhängen, als Mittel zum Überleben, bei kooperativen Tätigkeiten, als Reaktion auf Störungen usw. (Die interessanteste Weiterentwicklung des Pragmatismus im Rahmen der deutschen Philosophie findet sich deshalb in der Anthropologie von Gehlen.) Auch die Wissenschaften können als Handlungszusammenhänge thematisiert werden. Dies ist jedoch eher die Aufgabe der Sozialwissenschaften als der Philosophie.

3. Eine bedeutende Einsicht des Pragmatismus dürfte sein, dass es für wissenschaftliches Wissen immer einen Entstehungszusammenhang und einen Verwendungszusammenhang gibt. Wissen entsteht nicht im luftleeren Raum, Theorie und Praxis sind enger verknüpft als oft unterstellt. Die Auswahl der Forschungsobjekte und die Verwertung des wissenschaftlichen Wissens, so kann man aus dem Pragmatismus folgern, sollte sich an ausweisbaren normativen Kriterien orientieren. Auch James spricht davon, dass „Wahrheit eine Art des Guten“ sei. Das ist insofern richtig, als Wahrheit ein „Wert“ ist, den wir akzeptieren sollten.

4. Einleuchtender ist es aber, wie es James in „Das pluralistische Universum“ (dt. zuerst 1914, jetzt Darmstadt 1994) tut, zwischen vier Seiten der Rationalität zu unterscheiden:

intellektuell, ästhetisch, moralisch und praktisch. Für Entstehungs- und Verwendungszusammenhänge benötigen wir moralische und (in zweiter Linie) praktische Kriterien. Vieles spricht dafür, dass die modernen Wissenschaften nützlicher (im Sinne des Utilitarismus) sind als ihre Vorläufer. Man denke nur an die Erfolge der wissenschaftlichen Medizin (Verlängerung der Lebenserwartung, Absinken der Kindersterblichkeit u.ä.). Das inner-wissenschaftliche Kriterium sollte jedoch in erster Linie die „intellektuelle Rationalität“

sein, also die Wahrheit.

5. Als Wahrheitstheorie ist der Pragmatismus ungeeignet. Auf keinen Fall eignet sich Nützlichkeit (Brauchbarkeit, Lebensdienlichkeit u.ä.) zur Klärung des Wahrheitsbegriffs. Das belegt schon die folgende einfache Überlegung: In allen bekannten Sprachen ist „wahr“

(sofern es auf Aussagen bezogen wird) ein ein-stelliges Prädikat (x ist wahr), „nützlich“

hingegen zwei-stellig (x ist nützlich für A). Diese Differenz bleibt m.E. selbst dann bestehen, wenn man unter A alle Menschen aller Zeiten verstehen möchte.

6. Ein gewisses Recht hat der Pragmatismus aber sogar für interne Zusammenhänge. Wenn uns zwei wissenschaftliche Theorien zur Verfügung stehen, die sich beide empirisch bewährt haben, dann kann der Pragmatismus sekundäre Kriterien zur Verfügung stellen. Damit meine ich (pragmatische) Gesichtspunkte wie Einfachheit, heuristische Fruchtbarkeit, zweckmäßiger Theorieaufbau usw. Auch die Nähe zum common sense dürfte (wie James andeutet) ein weiteres Kriterium für wissenschaftliche Theorien sein. Wenn man möchte, kann man hier von der „internen Nützlichkeit“ einer Aussage oder einer Theorie sprechen (im Unterschied zur „externen Nützlichkeit“, die sich auf Verwendungszusammenhänge bezieht).

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