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Zur seniitischeiT Lexikographie.
Bemerkxingen
zum chaldäischen Wörterbuche von Dr. J. Levy.
Von Dr. K. Kohler.
Das aramäische Litteraturgebiet ist trotz seiner ergiebigen Frucht-
barlteit noch zu wenig durch selbstständige Forschung angebaut, der
Stoff liegt noch zu roh und ungeordnet übereinander, und besonders
die Kritik hat hier ihren Beruf, zu sichten und vom gutem Metall
die Schlacken zu sondern, noch gar nicht genug ausgeübt. Das
erschwert das Geschäft des Lexikographen nicht wenig, der sich
noch mit so vielen falschen Lesarten, Glossen und Korruptelen un¬
wissender Abschreiber herumzuschleppen oder einen ganzen Augias¬
stall von herkömmlichen Irrthümern und Verkehrtheiten zu reinigen
hat. In der richtigen Behandlung des Stoffes aber, also in der
realen Seite, liegt vorzugsweise die Schwierigkeit der ost- oder
jüdisch-aramäischen Litteraturforschung. Es gehört nicht hloss eine
äusserliehe Belesenheit, sondern eine innige Vertrautheit mit dem
Geiste der Schulen von Nebardea, Sora und Pombedita dazu, um den
Sinn der Targumim und Midraschim, die Begriffswendungen und
eigenthümlichen Gedankenschnörkel der phantasiereichen Hagadah und
der haarspinnenden Halaeha zu erfassen und fassbar wiederzugeben.
Hierin hat sich denn auch offenbar Herr Rabb. Dr. J. Levy ein
dauerndes Verdienst um die jüdisch-aramäische Litteratur durch sein
Chaldäisches Wörterbucb zu den Targumim erworben,
indem er die engen Grenzen eines solchen Wörterbuchs weit über¬
schreitend, mit gediegenster Sachkenntniss und mit guter Methode
auch den ungeübten Forscher in das fremdartige talmudisch-mi-
draschische Gebiet einführt, so dass Mancher mit diesem sprachlicben
Ruderzeug versehen, schon eine Fahrt auf das weite „Meer des
Talmuds" wagen kann, obne auf Buxtorfischen Sandbänken stranden
zu müssen. Allein bei aller Anerkennung dieses praktischen Ver¬
dienstes, bei aller Würdigung der fleissigen Arheit uud Forschung
auf dem ganzen jüdisch-aramäischen Litteraturgebiet, die das Werk
voraussetzt, erheischt die wissenschaftliche Gerechtigkeit eine Beur-
Kohler, zur semitischen Lexikographie. 677
theilung der Arbeit nach ihren Ansprüchen und allgemeinen Grund¬
sätzen "
Die Aufgabe der Lexikographie selbst ist innner eine doppelte :
die formale Behandlung des Wortschatzes soll dahin streben,
einen Beitrag zur Geschichte des Sprachstammes, dem der einzelne
Dialekt angehört, zu liefern, während die reale Behandlung des¬
selben in den Gedankenkreis und die Kultur eines Volkes, wie die
letztere in der Litteratur desselben sich offenbart, einführen soll.
Halten wir hiernach die formale und reale Seite streng ausein¬
ander, so werden wir der ersteren, der etymologischen Behandlungs¬
weise weniger Lob spenden können.
Ueber die äussere Anordnung des Stoffes, die mebr dem prak¬
tischen Bedürfnisse als der wissenschaftlichen Forderung, in der
Aufstellung der Wortformen nach der alphabetischen Reibenfolge
sammt und sonders, anstatt nach der alphabetischen Wurzelformen¬
reihe, Rechnung trägt, wollen wir wenig Redens machen, wenn
wir uns auch schon aus dem Grunde dagegen aussprechen müssen,
weil man dann zu der gewiss unpraktischen Massregel gezwungen
ist, ganz identische Wortformen als besondere Stichwörter wegen
einer zufällig defectiven oder pleonastiscben Schreibart wiederholt
aufzuzählen und so das Material unnöthigerweise auszudehnen. Der
weniger kundige Leser, für den solches nothwendig erscheint, ver¬
liert höchstens die Einheit oder Identität der Formen dahei aus dem
Auge, wenn er z. B. S. 42 nssn und S. 52 noch ausführlicher nbn
besprochen sieht, oder S. 44'Nnn3N und S. 76 Nn-^N und NnnN,
wobei sogar die Consequenz vermisst wird. Ueberhaupt hätte init
dem Papier viel haushälterischer umgegangen werden können und
nicht jede sinnlose Variante in einem herbeigesuchten Manuscr. ge¬
nannt zu werden brauchen. Hier konnte der Verf. durch richtige
Verweisungen der Kürze wie der Deutlichkeit und Durchsichtigkeit gerecht werden.
Eine vollständige Principlosigkeit sehen wir im Gebrauche der
römischen Zahlen, nach welchen bald ähnliche Wortformen, bald
Stämme nebeneinander gereiht werden, vorwalten. Ganz sinn- und
zwecklos erscheint eine solche Scheidung z. B. des Nomens (N)a:)U =
Gutes vom Adjeetiv (N)aiu = der Gute, welche im status empha¬
ticus zusammentreffen — den, beiläufig bemerkt, der Verf fast im¬
mer für den status absolutus hinstellt! — durch I u. II. Man
begreift gar nicht, warum als Infinitiv „schützen" mit I und als
Nomen „Schutz" yy mit II bezeichnet ist und warum q'^'in scharf
= spitz und = schärfsinnig und = herbe durch I, II, III geschieden
werden, während oft das Fernliegende zusammengeworfen ist. Ueber¬
haupt aber sollte man auch bei der Auseinanderhaltung der ver¬
schiedenen Bedeutungen eines Wurzelwortes nicht so voreilig mit
1) Eine solche ist ihm von Geiger iu s. Zeitschr. B. V u. VI vorzüglich vom Standpunkt des Aramäismus aus geworden, auf die hier verwiesen sei.
Bd. XXUI. 44
678 Kohler, zur semitischen Lexikograithie.
der Scheidung der Stämme durch I u. II und gar III u. IV sein , wio
es niclit zum Vortheile der hehräisehen und semitischen Lexikogra¬
phie auch in dem Fürst'schen hebr. Wörterbuche geschieht. Da¬
durch zerreisst man bloss den sinnlichen Urbegriff, der dem gemein¬
samen einfachen Wurzelelement zu Grunde gelegen und sich in so
verschiedenartige Bedeutungen gewendet und gespalten hat, dass sie
dem oberliächlichen Blick einander ganz fern zu liegen scheinen.
Man darf sich eben nicht scheuen, in die innerste Werkstätte des
Sprachgeistes hinabzusteigen, wo aus dem roheu Stoff sinnlicher
Wahrnehmungen geistige Vorstellungen zusammengesetzt werden, die,
nach verschiedenen Richtungen hingewendet, verschiedenartige Be¬
griffswerthe annehmen. Hiebei ist gerade eine geschickte Vergleichung
der verwandten Dialekte nothwendig, um den wesentlichen Ilaupt-
begriff rein und losgeschält von seinen Nebenbedeutungen zu erhal¬
ten, dergestalt, dass wir sicher sein können, der Entwicklung des
Sprachgeistes auf der Spur zu sein und nicht unsren eignen Geist
der Sprache aufzuzwingen, wie das bei kühnen Combinationen gar
leicht der Fall ist. Sehen wir uns vergleichsweise die Form DU
S. 154 an: Dil I verursachen und s. f., c^a II 1., abschneiden.
2., stark sein. Dia III Knochen, Gebein. Dl^ IV das Wesen, Selbst.
Bei Dia III wird bemerkt, dass es, wie Dia" IV, eigentlich von Dia stark sein herkäme, und bei Dis IV das hebr. Dsy in der Bedeutung
vou Selbst und der Ausdruck II Kön. 9, 13 nibTOrr Dia „die höchste
der Stufen" verglichen. Eine Einheit ist hier" weder gesucht noch
gegeben. Dia heisst ursprünglich dick sein, und dieser Begriff geht
über zu dem der Stärke, Festigkeit, Zusammengebundenheit, dann
der Thätigkeit der Ueberwältigung, des Stossens, Tretens , Zertretens
und Zermalmens. Dia als Zeitwort heisst daher sowohl stark sein,
wie stossen , zu etwas hinstossen, Etwas zu Einem hinstossen , so
im Arab, crimen committere alicui und im Aram. verursachen; dann
auch ein Stück, Dia, einen Knochen abreissen und das ist schon
denomiiiativ. Jenes biblische mbym Dia heisst .aber nichts anderes
als „der Tritt" der Treppen oder Treppenstufe, deren man
sich in der Eile statt des Thrones bediente. - Vergleichen wir n:.; 1
liegen und N:a II beschämt werden, so liegen beule Begriffe genau
besehen durchaus nicht so fern von einander. Sich beugen ist der
Grundbegriff, und davon heisst "'lanN sich vor Scham niederducken.
Ebenso hat ■'EnoN sich schämen nut (lißsiv (s. II S. 18(i) gar nichts
zu thun, sondern abgeleitet vou •'Ep (1) zusammenthnn Iieisst es:
sich zusammenhocken vor Scheu. Falsch ausgedrückt ist es auch,
wenn S. 237 aan einen heiligen Weg machen und daher
auch 1., t a nzen " bedeuten soll; vielmehr heisst aann. am sich im
Kreise drehen, und weil man tanzend in feierlicher Procession zum
Feste zu wallfahrten pflegte (vgl. z. B. Psalm 42, 5), auch das
Wallfäbrtsfest feiern. Diese Wallfahrt fand alljährlich im 7ten ÄIo-
nate statt bei den Hebräern wie Phöniziern, uiul die ctt .-lir^o -
Freundschaftshütten , uuter denen man nachtete (so nämlich ist im
Kohler , zur semitischen Lcxikogi-aphie. 679
selbigen Vers für cniN nach LXX und Syrer, die a-'T^iN nDoa
haben, zu lesen), gaben dera an auch den Namen niDon an
Ilüttenfest i). Wir begegnen aber allenthalben solcher Unklarheit in der Begriffsentwicklung und Principlosigkeit in der Aufstellung
der Bedeutungen, dass man fast versucht wäre, auf jeder Seite zu
tadeln und zu verbessern. Thuen wir das Letztere ohne das Erstere.
mn arab. glühen, roth sein, steht, wie schon Prof. Fleischer
bemerkt, raituan j*i>, Wein, nicht in nächster Verbindung, wohl
aber seiner röthlichen Farbe wegen der Esel. I72n hat sich zur
Bedeutung von gähren, aufschwellen gesteigert, daher heisst I7jn
der Wein, der Gährende; I72n das Erdharz; liun Sauerteig und nach
einer anderen Seite hin : "i7:n Aufhäufung, Haufen und das denomin.
verb. "iWn zu Haufen machen , verwüsten , dann endlich iTpin dicker
Knoten oder Knollen. Dahin gehört Ninin das angebliche Kraft
und Ninin Fussgestell (S. 268 a). — Dass [cibii5i]on Schonung und
Friede ! nicht mit öaiog und Jor».. = heilig combinirt werden darf,
sondern in Oin abwehren, schonen seine Ableitung hat, ist schon
von Prof Fleischer gesagt. Richtiger wäre es gewesen, wenn zura
Zeitwort NOn das syrische |rr».. und arab. ^ ^-io^ schwach sein
herbeigezogen worden wäre, mit welchem Begriff des Sich Schwä¬
chens, Enthaltens das syrische )rr>.- uud f.mJ. = from m
7»
eig. enthaltsam , entscbieden zusammenhängt. Ja das ganze Wesen
der so vielfach besprochenen Essäer, die man zu N'<_DN Aerzten und
allem Möglichen schon gemacht hat, legt sich uns klar, wenn wir
den Begriff des j'pr»-'^ als den des Enthaltsamen, des dem Fleisch
und Wein, dera geschlechtlichen Uragang und s. f. Entsagenden ge¬
fasst haben. Wir begreifen dann, warum nach Epiphanius Haeres. 6,
der sie Ossaei nennt, sie sich arißaQoi, das heisst D"'rcn oder
Osseni, die Starken lieber nannten. Wir suchen alsdann, da
sie sprachlich kaum als hebräisch-jüdische Sprösslinge sich erweisen, ihren Ursprung auch nicht ira Judenthura, sondern in der syrischen
Wüste, dem Ereraitenleben, dem die Recbabiten (Jeremias 35) so
gut wie die arabischen Rähibs und zur Zeit des Mohammad die bis
zur Selbstentmannung (^^^Aai»-) sich schwächenden Büsser (vergl.
Sprenger, Leben Mohamm. 1 389) entwachsen sind. — Wie noch
oft ganz entgegengesetzte Begriffe beisararaen liegen und welche Vor¬
sicht zu deren Entwicklung gehört, beweist der Starara non, der
gut sein und schmähen bedeuten kann. Beides aber ist (nicht,
wie im Fürst'schen Lexic.) lon 1 neigen und lon 11 schneiden
„mit scharfen Worten", vgl. arab. (n. ixn, vÄ*a>), sondern
1) Vgl. aucb die Notiz von l'iof. Stern in d. Ocigcr'sclicn Zeitsclirift B. VI, 230.
44*
4 i
680 Köhler, zur semitischen Lexikographie.
vom Begriff des Neigens und Biegens abzuleiten, wovon rri'^pn der
Vogel Storcb mit dem gebogenen Hals, und lon Jemandem oder
Gott zugeneigt, gut und fromm sein und andererseits, vgl. nujn und
ein „schiefes Gesicht machen" beneiden, dann auch nieder¬
beugen vor Scham, sich schämen und beschämen im transitiven
Sinne. — Desgleichen müssen T?ü I verschliessen und niü H fort-
stossen, richtig nebeneinandergestellt, enger zusammengehören. Der
Grundbegriff ist in den gesammten verwandten Sprachen stossen,
drängen, wie die ganze Wurzelreihe von na, und davon verdrängen,
verfolgen — daneben die Thüre zustossen N^l?? T!''? verschliessen, auch oft elliptisch verschliessen. Aehnliches "ist bei plp stossen
(S. 322) der Fall, sb? piD heisst den Stein auf die Mündiing stos¬
sen, verschliessen und dav". p^ini verschlossener Ort. — Eine her¬
kömmliche ganz falsche Etymologie haben wir wegzuräumen für das
Wort übs von bba = schmücken, bekränzen, womit durch einen
kühnen Phantasiesprung das talmudische nbs, die Zuhörerschaft
bei der akademischen Vorlesung als die Gottesbraut, wie das Volk
Israel seit der allegorischen Deutung des Hohenliedes genannt
wird, zusammengestellt wird (S. 363). Bedeutete, wie allgemein
angenommen wird, fibs die Braut (aber auch Schnur), die Bekränzte
oder Sichbekränzende, so müsste sie nbibs heissen. nbs, von
bb3 einschliessen, bedeutet die den Bräutigam Einschliessende, von
der geschlechtlichen Seite hergenommen, und der Talmud hat für
die Begattung die sehr geläufige Redensart: Die That geschah wie
die Anbeftung eines nieiDisa binST? eines Schminkpinsels steckend
ira Schrainkrohre Makkot 7 a (von Dr. Ewald in s. Uebersetzung
zu Abodah Sarah p. 20 b S. 150 ist dies ganz falsch aufgefasst). —
Auch das Wort inn Bräutigam hat seinen ganz sinnlichen Ursprung
von inn arab. ^^^is>^ einritzen (beschneiden), so dass das jungfräu¬
liche Blut den Bund besiegelt. Auf diese mit der Beschneidung
zusammenbängende Bedeutung des Wortes wird Exodus 4, 25 un¬
verkennbar hingewiesen (Steiner hat hier im S chenkelscheu Bibel-
lexicon S. 408 Art. Beschneidung beinahe, aber nicbt ganz
das Richtige getroffen). Wie im Ferneren aus der Bedeutung Um-
rundung, Einsehluss auch der Begriff der den Redner umschliessen¬
den Versammlung im Worte nbs entsteht, ist aus corona klar. Höchst
wahrscheinlich ist auch das lateinische nubere viro nicht vom Um¬
hüllen des Schleiers , sondern des membrum virile ursprünglich her¬
genommen, uud der römische Schleier ist wie der hebräische Kranz
nur die symbolische Veredlung des Sinnlichen und allzu Natürlichen
im Sprachgebrauche. Wer seinen Sohn verbeirathete, führte ihn
G = ,
unter die Brautdecke, wie das arabische isS , die Deckende, Schwie¬
gertochter heisst. Nicht minder falsch ist eine andere herkömmliche Ableitung des Wortes 1731S, hebr. ias, wobei raan mit sonderbarer
4 i
Kohler, zur semitischen Lexikographie. 681
Einseitigkeit an den finsteren Jsjj! oder Mönch und gar an seine
schwarze Kutte denkt, während es doch die ganz gewöhnliche Be¬
zeichnung für den Priester bei den Syrern (J;joqo) ist und sonach
eine dem Priesterthum eigenthümliche Eigenschaft oder Thätigkeit
bezeichnen muss. Wer aber dem syrischen Götterdienst die Eigen¬
schaft der Finsterkeit und Traurigkeit beilegen will, dem rathen
wir, ihn sich etwas hesser anzusehen. Die Wurzel las, mit iaa
verwandt, heisst zusammenziehen, zusammendörren, verbrennen und
verkohlen. Das zusammengedörrte und verkohlte Opfer heisst
b'^bs = lias Aufgezehrtes und laia die Kohle , inaia Räucher¬
werk; der Priester, der die Opfer und den Weihrauch' zu verbren¬
nen und verkohlen zu lassön hat,' heisst iMisT = der Räucherer. —
Das Wort sna oder t«n3ns, Nachwuchs, hat mit nis so wenig wie
Nns, Schaar, Abtheilungj mit coetus (S. 394) einen 'etymologischen
Zusammenhang, vielmehr ist beides von nns abschneiden, abtheilen
herzuleiten. Letzteres heisst Ahtheilung und Ersteres Abschnitt und
wiederholter Schnitt vom Getreide. — In Nna (Band II S. 22)
stossen, reiben, begegnen sich die Begriffe: schlagen, abwehren und
reiben, erproben, wovon nnaia erprobt, bewährt, und abreiben,
abwischen und auslöschen aus der Erinnerung; dagegen hat -^m
(Nna III) nichts mit dieser Wurzel gemeint, sondern ist ein aus "'nNW con'trahirtes Particip von NnN zusammenheften. — pia II „abbüssen''
von der Sünde, auch „abtilgen von einer Schuld", hängt mit pia I
abwischen, rein abreiben enger zusammen, als (S. 72) angedeutet
wird. — Fälschlich wird S. 74 zum Stichwort NäM betasten das
talmudische ■'«to waschen herbeigezogen, welches zu Nni^ oder
Nnp waschen gehört und eine Partizipform von Pael = f<n^'3> con- trällirt zu liai: ist. — Die Wurzel lUp tritt uns S. 156 mit vielen
Bedeutungen entgegen, ohne dass eine Einheit derselben durchsich¬
tig wird. Zu der von Ohrfeigen, Schlagen hat Nöldeke in s. Beitr.
z. d. aram. Dialekt. Band XXII dies. Zeitschr. S. 516 das arab.
^^ixÄ verglichen. Wie aber schliesseu sich daran die Bedeutungen
zerstören, verhüllen, und Seite, ja Lohn, wie sie dem Worte hier
beigelegt werden? Aber gerade das Arabische gibt über diese Be¬
griffsentwicklung guten Aufschluss. mis, j.b.Ä heisst der Theil, die
eine Seite, i?;p von lü"J5 theilen , hebräisch icu; zutheilen und lüiilä Vertbeiler (nicht „Schreiber")- Daneben vertheilt sich der Begriff im Arabischen in: Einseitig sein. Etwas halb thun, halb sein u. s. f.
dann aber Einen auf die eine Seite, Wange schlagen. Das be¬
deutet i'^p denn auch im Aramäischen; die Aphelform i?:?« dage¬
gen bedeutet bei Seite schaffen, verhüllen, oder nach der Seite aus¬
dehnen, nicht „hüllenartig ausbreiten". I-JID Lobn kommt wieder
dem Begriff des Theils, Zugetheilten näher. — Bei der Begriffser¬
läuterung von r|ii: S. 337 merkt man den Mangel der nothwendigen
682 Köhler, zur semitischen Lexikographie.
Vergleichung des Arahischen drehen, wenden, zusammen¬
drehen =: winden , verknüpfen und auswinden , daher : läutern, rei¬
nigen (nicht mit qi\i3 zu comhiniren!) und aui' der anderen Seite
verbinden und zusammenlöthen. — 'Wie so yr.'~\ im Aramäischen
zu der Bedeutung Vertrauen haben gekommen ist, "während ym im
llebr. und Arabischen waschen bedeutet, wird uns nicht gesagt.
Offenbar ist es die Transposition von yin sich fest einstechen, arab.
ijo^ scharf auf Etwas versessen, begierig sein, daher im Aram.
auch feststehen, muthig, vertrauensvoll sein. — Ein Zusammenhang
zwischen d. hebr. api morsch, faul sein, und dem arab. Hals
ausstrecken und schauen ist schwer zu finden uud ist doch im Be¬
griff des Hohlseins, wonach aj^l oder apii im Aramäischen der
Schlauch und der aushöhlende flolzwurm heisst, vorhanden. Im
Arabischen heisst es eben höhlen, auswärts biegen.
Ilaben wir in den bisher angeführten Beispielen, die nocb sehr
vennehrt werden könnten, jene Einheit der Begriffsentwicklung ver¬
misst, welche die Vei-gleichung der Wurzelsippen in den verwandten Sprachen an die Hand gibt, so müssen wir auch vor einer Zusanimen- würf'elung von verschiedenen Wurzelformen in folgenden Beispielen
warnen. S. 8ßb wird Np^ia Leuchter vonyita glänzen, leuchten (wo¬
von yia glänzendes helles Linnen), mit Nrxia dem contrahirten De¬
minutiv von bija Zwiebel v. baa schälen Ns'^iitia in einen falschen Zu¬
sammenhang gebracht. Die Wurzel oba heisst zusammenballen, auf¬
werfen, und hat das Verbum sonach mit dem persischen NJa-^'Da ^Ai
Mantel (S. 143) nichts geraein. Von dem semitischen oba dagegen
wäre dann abzuleiten gewesen : Dba die ungeformte zusammenge¬
ballte Masse, Klumpen, auch obia 11 Kolben und ««■'ba die aufge¬
worfene Erdmasse, also Hügel, aber nicht „Tiefe und (Jraben"! —
Mit T : ähnlich sein (S. 179) ist das talmudiscbe -nui,• I * " das muthmasslich nicht verzehntete Getreide, nicbt zusammenzuhalten,
sondern wäre ricbtiger mit a'731 (S. 181b), vermischen, besonders
von der Priestergabe , combinirt worden , von dem es nur dialek¬
tisch abweicht nach bekannter Verwechselung des a» mit N. — S. 288
ist mit einer schlecht angebrachten Berücksichtigung der Punktation der Abschreiber "uin finster sein mit 'rjcn abnehmen (abhalten), mager
sein confundirt, und gehören all die angeführten Stellen mit der
Bedeutung Armuth und Elend zu "pn S. 272. —
Eine nicht genug zu rügende Eigenthümliehkeit des Verfassers ist es, durch Aufstellung sonderbarer, wissenschaftlich unbegründeter
Wort-Bildungen, durch .\nnabme von unorganischen Affixen und Prä¬
fixen wie IN, p, b, -6, oder Gaphel = Zapbelformen u. dgl. Kuriosi¬
täten augenblickli"cber Ilatblosigkeit in der Wurzelentwicklung zn
entgehen. Ein vorgesetztes Alif kennt die semitische Sprache, aber
Kohler , zur semitischen Lexikographie. 683
das hat nur den Zweck, den ersten unvokalisirten Consonanten an
Stelle des im Hebräischen gebräuchlichen Halbvokals Schewa zu
stützen, und hat nur vocalische Bedeutung. Sonstige unorganische
Ansätze kennt die semitische Sprache nicht, und wo sie angenom¬
men werden , bezeugen sie bloss — wir sehen natürlich von voka¬
lischen Stellvertretern mitten im Worte ab — die Ratblosigkeit der
wissenschaftlichen Behandluug. Wenn die Sprache einsilbige Wurzel¬
elemente zu zweisilbigen und zweisilbige zu dreisilbigen erweitert,
so thut sie das nach bewussten inneren Gesetzen, indem die neue
Silbe, von einem Konsonanten getragen, der Wurzelbedeutung eine
neue Wendung und NUancirung gibt, oder aber es geschieht durch
phonetische Erweiterung und Spaltung gewisser Doppellaute. So
hat z. B. sicherlich das Affix b besonders bei den Nominibus eine
ursprüngliche Deminutivbedeutung, was durch Nöldeke in Band XXII
S. 475 (vgl. Ewald Lehrb. S. 432) von Neuem bestätigt wird. So
konnte GNiu und ^Li dunkel, finster sein, links im dunklen Norden
liegen, daher unglückverheissend u. s. w. sein, zu hAiys> JU-ä sich
erweitern oder yna zu biyaa, DID zu bniD, "ywi zu bi'siDX und
Dlp. zu bioip sich ausdehnen. Andererseits" drängt sich ein "solcher flüssiger Zungenlaut wie b u. 3 u. "i zwischen die Wurzelelemente,
um den Verbalbegriflf an der Stelle der üblichen Dageschirung zu
verstärken; so z. B. Toba von -tm hart sein, r|ybT aus cirt
G, . o 1
glühen, nb'aB Aehre iüUi«, lasa^-iaa ^). Demnach wäre es wohl
richtiger gewesen, für baiaiN, der Maurer, die Wurzel aai, die
auch in aiait*, dem Namen für das steinige Tgaytuvlrig , vorhanden
und entschieden mit Dan, Steine werfen, verwandt ist, mit der
Affixhildung b— und dem prosthetischen Alif anzunehmen, als baa
mit einem unerwiesenen Artikel in herbeizuziehen. Auf selbiger
Seite (60) dürfte auch für bainiN der Stamm "^ni für die Bedeutung
des Zusammenfügens, Bauens, "Festmachens aus den verwandten
Stämmen im Arabischen "im, SU, mi zu erhärten sein, während
mit angenommenem Stamm bsi gar nichts gesagt ist. Dass NliffiS
der Balken von i^aa gerade sein und nicht von rv'iui mit vorge¬
hängtem D abzuleiten, ist bereits von Prof. Fleischer 1 S. 428 be¬
merkt. Ebensowenig hat N3nb das Kebsweib von in seinen Ursprung.
Hier ist vielmehr (vgl. Fürst's Lexic. s. v.) das arabische
sich zuneigen, angenehm sein zu vergleichen. -- Für i'i3a wälzen
liegt doch wahrlich ina mit derselben Bedeutung nahe genug, bei
dem häufigen Gebraucii des epenthetischen Nun im Aramäischen,
um nicht daraus erst eine Gaphelform von 113 schmieden zu
müssen. Eben so wenig berechtigt uns die einz'elne Form aiibs
glühen, eine Zapbelt'orm, entstanden aus an"j flammen, anzunehmen,
1) Vgl. Fürst's Lexicon zu den Buchstaben b und 3.
4 6 •
684 Kohler, zur semitischen Lexikographie.
vielmehr ist hier ariS schimmern durch das epenthetische b zur
Intensivform : glühen gesteigert — ana erregen , reizen ist nicht
„eine verstärkte Form von iia mit angehängtem a" noch ©aö ver¬
wirren herzuleiten „von laffl mit angehängtem vielmehr sind
das abgekürzte Reduplicatiorisformen und zwar erstere eine Trans¬
position von aai = aial und letztere = aujaia, von [n]au) irren,
irr machen. Dergleichen Reduplicationsform ist auch üJsiü verwirren, eigentlich hin- und hertreiben von 'ya'z'a hin- und herbewegen, vgl.
das hebr. aaia wild, ausgelassen hin- und hertreiben, womit das
Nomen isanj Ranke, Zweig als leicht hin- und herbeweglich zwar
zusammenhängt, wovon das Verbum jedoch nicht erst abzuleiten ist.
Äls recht beachtenswerth können wir nach all diesen Aus¬
setzungen dagegen die bei den ßuchstaben o u. la u. n gesuchte
Vereinfachung derWurzelelemente hervorheben, und ver¬
lohnt sich wohl der Mühe, diesen Gedanken etwas näher zu ver¬
folgen, weil er für eine tiefere semitische Sprachforschung und Sprach¬
vergleichung ausserordentlich fruchtbar sich erweist. Die vielfachen
Belege stellen die Annahme in der That als gesichert hin, dass
viele Verbalformen mit d als erstem Radikalbuchstaben urspr.
ba'Ep-Formen sind, die eine Neubildung angenommen haben.
So p-'lp, P"!!? leer sein von p^i ; ba? u. babap aus baa» u. baba rund
sein; irip=iliyD aus nny— liy Zeugniss ablegen eigentl. aufrecht
erhalten;'nip =ni'np aus nil riechen; iip verwesen aus Nil hau¬
s¬
chen, athmen (wovon nNil iü^ die Lunge) ; Nao gross, viel sein aus
Na ; cibo zusammendrehen aus cib ; i7:d blind sein aus i^^y , und so
könnten noch viele d"d auf einfachere Wurzeln zurückgeführt wer¬
den. Dass auch dem hebräischen Dialekt die Saphelf'ormen nicht
ganz unbekannt sind, zeigt sich, wie schou ganz richtig der Verf.
bemerkt, am Worte Qilirp Blindheit, das von 113 leuchten ab¬
zuleiten ist. Nur scheint iuis die Annahme, dass die Sprache hier
einen Euphemismus: hellsehend für blind machen, gebrauche, nicht
ganz das Richtige zu treffen. Die Intensivform schlägt ja oft in das Gegentheil um, was bei der Pielform sehr häufig ist '''): ipy, ffil/ä heisst die Wurzel ausreissen, entwurzeln, b;pp die Steine ausreissen,
entsteinigen und so heisst ii3p des Lichtes berauben, blenden.
N;i';i."n gehürt nicht daher, es "iieisst, wie I S. 245 richtig gesagt ist, "d"er weisse Staar, albugines oculorum. Dagegen möchte lin; iap der Blinde eigentlich der Geblendete, der zu viel Lichtstrahlen, mehr als er sollte, in sein Auge aufgefangen hat, bedeuten. Dasselbe gilt von iiiaia (S. 452), woselbst die talniudischenStellen: N^ajjii iii^aiä, NTOisi "iii-:a-d die Strahlen der Sonne, des Tages, 'ja'der"Nacht
(des hellen Mondes) die Blindheit bringen, oder i'elia'!} der Blen¬
der, Dämon der Blindheit, das Gesagte bestätigen. —'Eine andere
1) Ks niiisstc <loini eine dinlcklisclie Abiiiulenmg von anb'ij sein.
2) Vgl. Kwalcl liebr. Gr. i VH) p. 317. not. "
K 6 *
Kohler, ztir semitischen Lexikographie. 685
hebräische Saphelform dürfte in Tino Knospe , Fruchtknollen
liegen von n73, welcher Stamm im Arahischen (und Aethiopisehen)
zusammenhallen, dick werdeu bedeutet. — Von i23"d gilt dasselbe, was von D"B.p3\ü lassen, bleiben, lässt sich in pa, laiO (s. S. 451) in ia unwissend "sein, ci"]© stossen in qn, ata rein machen in ar,
rniii schärfen in tn=nn ü. s. f. auflösen, sö gut wie anb« von
anb flammen, üwö in tn^y verdunkeln und Tiniü frei machen in
Tnn. Fügen wir iioch hinzu, was der Verf nicht'erkannt hat, nsnu
entstanden aus liiVp aus iTsy sich irgend einer Richtung (Secte)
zuwenden, daher syr. die christliche Taufe annehmen,
sich eine falsche Stellung geben, dissimulare, und jüdisch-aramäisch
i^rnö.N einer nichtjüdischen religiösen Richtung sich zuwenden, und
•'1^4 (S- 45.6) schweben entstanden aus hnt , womit sogar inc I
werfen ( u. intö III Faden werfen — weben) zu combiniren wäre.
— Ganz besonderer Berücksichtigung werth scheinen uns die Neu¬
bildungen mit prosthetischem n , hervorgegangen aus der Medialform
des einfachen Stammes , wie iar aus nas nasn = naNns« sich Ge¬
winnst verschaffen, handeln, oder DiNn .Li" Zwilling sein von DNin
= DNinN sich zu Einem verbinden aus dni , nnn wandern aus nnsn ,
eine Beobachtung, die in Bezug auf das Arabische Fleischer schon
in d. Ber. d. phil.-histor. Kl. d. Sächs. Ges. d. 'Wiss. 1863 S. 146 f.
u. 1864 S. 317 gemacht hat, die aber des Weiteren noch ausge¬
beutet zu werden verdient. Denn im Grunde liegt den meisten
Wurzelwörtern mit erstem Radikal n eine solche Medialbildung ur¬
sprünglich zu Grunde. Man vergleiche aNn für sich etwas wollen
mit [n]aN; ban vermischen, auch würzen (vgl. dagegen S. 527a)
und syrisch (vgl. Nöldeke a. a. Orte S. 517) salzen mit bba; a'an
für sich fordern mit «ya; bnn mit bn anfangen; ban Vertrauen
haben mit ^ ; pn u. ipn festmachen mit ^a u. ip ; S'in ein¬
brechen mit yyi; ynn gerade aus laufen mit yn. Auch Dann ist
eine solche Medialform' von aan, werfen, aus einer fremden Sprache
Etwas zu sich, in seine Sprache herübersetzen, übersetzen. Bei
Dinn Grenze hätte die schon von Sachs in s. Beiträgen aufgestellte
Vermuthung, dass es von Din rubricare, roth anstreichen = ab¬
grenzen abzuleiten sei, berücksichtigt werden dürfen. —
An Wörtern zusammengesetzter Wurzel-Bildung ist die semiti¬
sche Sprachfamilie nicht reich, am meisten dürfte die nach der Seite
noch gar nicht genan untersuchte arabische Sprache in den viel¬
silbigen Stämmen deren aufzuweisen haben. Im Organismus der
Sprache liegt diese Bildung gar nicht, und es hat, wo eine solche
sich vorfindet, nur eine äussere Verschmelzung zwei voller Worte
stattgefunden, wie dies bei ■':7:bE aus 'rr'oN i.ribE n. dgl. (s. Ewald's
Lebrgeb. S. 27ü) im Hebräischen der Fall ist." Eine solche Ver¬
schmelzung zweier Wörter zu einem neuen Wort hat auch, was der
Verf , wie nahe es ihm auch gelegen, nicht erkannt hat, beim Worte
npiD, wofür sich noch das vollere "ppiE (s. S. 3üu) vorfindet,
686 Köhler , zur semitischen Lexikographie.
Statt gehabt. Es ist aus bn)? pne = Nackengelenk entstanden, welches der Verf. auf selbiger Seite aus" dem jer. Talmud Berach. 2, 8 citirt :
■)bnp p"iE heisst Einer, der auf dem Nackengelenk, Rücken liegt, und" daraus hat sich sogar ein Verhum ipnc auf dem Rücken liegen
gebildet. Dass die arabische Sprache im Völksmunde äbniiche Stüm-
melbildungen hat, braucht nicht erst gesagt zu werden. — Zurück¬
weisen müssen wir dagegen die Ableitung von bbnn« Aufseher,
Plural iibiann neben Nibsi):« aus «bs na Herr des" Ganzen , xa-
d-ohxog, weil eine solche Etymologie jeder Analogie entbehrt. Das
Wort ist ein echt hebräisches und zwar vom geschäftlichen Verkehr
hergenommen , wovon bDI handelnd umherwandern nbisn die Han-
delswaare und nbisna der Handelsplatz ganz geläuhge "Ausdrücke
waren. So war für" den Marktmeister oder Waarenaufseher die
stehende Bezeichnung bisn?:. Dieses Wort mit seiner Bedeutung
Aufseher erhielt sich uns iin Aramäischen.
Wir wenden uns nunmehr einem Gebiete der Sprachforschung
zu, das so voll von Klippen und Sandbänken ist, dass wohl wenige,
ja fast keiner, der es betreten, nicbt hie und da aufgefahren und
gestrandet wäre — es isf das Gebiet der Fremdwörter in den
aramäischen Idiomen. Dass der Verf. dieses Gebiet nicht
mit Glück bearbeitet hat, mochte ihm wohl selbst klar geworden
sein ; dass er aber so oft gescheitert ist und allenthalben unsicher
hin nnd her gesteuert hat, davon liegt der Grund in dem vollstän¬
digen Mangel einer wissenschaftlichen Methode; in der Ungeschick¬
lichkeit, zwiscben semitischen Wurzelwörtern mit ihren organischen
Bildungeri und ausländischen Lehnwörtern mit bereits fertigen For¬
men, aber neuhinzugetretenen Assimilationsbildungen, durch welche
die Volkssprache das Fremdwort, es gleichsam naturalisirend , sich
aneignet, zu scheiden, und endlich in der verkehrten und übertrie¬
benen Anwendung des noch heute nicht zur wissenschaftlichen Klar¬
heit gediehenen Prinzips der Einheit zwischen semitischen uud indo¬
germanischen Wurzelelementeu. Die nicht gründlich aus dein ganzen
Semitismus und besonders aus dem weitschichtigen reicben arabi¬
schen Wörterschatz geschöpfte Erfassung des aramäischen Dialekts
treibt den Verf nach Vorgang des durch tiefe classische Bildung,
aber nicht durch Kenntniss des Arabischen für die Behandlung des
Aramäismus vorbereiteten sei. Dr. Sachs, zur Sucht, üherall grie¬
cbiscbe Stämme aufzuspüren, wo ureigenste semitische Spracbbildun¬
gen vorliegen, zu denen nicht äussere Anklänge, sondern innere
wurzelhafte Zusammenhänge gesucht werden wollen. Diese Gräko-
mauic wird denn in der That auch von Prof Fleischer an verschie¬
denen Orten, wenn z. B. nas sammeln von äysigo), ana lernen,
eigentl. mit den Zäbnen zischen, tönen, von yijovg abgeleitet wer¬
den soll, gerügt, allein bei Weitem nicht oft genug. Denn ist es
nicht geradezu ein wissenschaftliches Cliaos, wenn n^is das griechi¬
sche Wort cerjQ Luft, für welche die semitische Sprachanscbauung
— man vergleiche ihre Kosmogonie — keinen Ausdruck hat, mit
Kollier, zur semitisciien Lexikographie. 687
TIN Licht und dieses mit aw wehen ^) und avQiog und aurora,
aura zusammengewürfelt wird, wie S. 15 geschieht? Oder ist die
Wurzel C]T )Qn nicht in der Bedeutung von stossen, zu einander-,
aneinanderstossen , bedecken, aus der sich der BegrifF Tafel, Brett,
Seite, Wand in r]T aus entwickeln konnte, ^io bedecken, be¬
graben, auf die unzweifelhafteste Weise im Arabischen und in ihren
Weiterbildungen im Hebräischen begründet, dass man das griechi¬
sche 'iStt(f'og Brett erst heranziehen muss, welches höchstens und
wahrscheinlich dem Worte oiBi Presstafel allein zu Grunde liegt?
Warum soll der Brief oder die Schrift nicht semitischen Ur¬
sprungs sein, wo aaa = uun — vergleiche nnD u. anD — ein¬
kratzen, einschreiben bedeutet und das arab. Jss> wirklich schrei¬
ben und _b=» noch heute Brief, Urkunde heisst, während legatum
oder actum, mit dem man es zusammenbringt, ganz fern abliegen?
Mit welchem Fug und Recht verweigert der Verf dem Worte bpn.
die Palme, das semitische Bürgerrecht und stempelt es zu einem
griechischen Wort SdxTvXog, während es als uraltes Wort in den
ältesten Eigennamen vorkommt und die Wurzelbedeutung schütteln
J,sJ im Arabischen aus den verschiedenen Begrilfsverzweigungen
percutere, abnuere u. s. f. hervorgebt? Auch npT der Einstecher,
die Hacke hat von npi und nicbt von SixelXa (s. Band I letzte
Seite) seinen Ursprung. — Warum "nD die Ummauerung und daher
ummauerte Stadt (p. 387) anstatt aus dem vorher entwickelten -ya
umgeben (womit allerdings das indogermanische circ — xtgx —
u. s. f zusammenhängen mag) entstanden, „wahrscheinlich das gr.
](aQaxwcig" sein soll, ist nicht einzusehen. Offenbar wurde der
Verf durch Nm'snD, welcbes wirklich das gr. ^agccxwfia Um-
schanzung von ^agax-öw (aber nicht xtgx —) einschneiden, ist,
zu dieser Verwechslung verleitet. Ebenso ist es nur ein zufälliges o
Zusammentreffen, dass mp , Nm^p , jO^'i der Topf von mp schwarz
werden am Feuer, ähnlich klingt wie xvrga eig. yyrga von x^'^
giessen und Beides nicht zu identificiren, wie II S. 346 geschieht. —
Andrerseits dürfte gerade der semitische Ursprung mancher griechi¬
schen Wörter, die als Erinnerungen aus dem Handelsverkehr und
aus dera noch älteren religiösen Zusammenhang mit dem phöni¬
kischen Volksstamm an der kleinasiatischen Meeresküste in der
Sprache der Griechen haften geblieben sind, von den Semitologcn
1) Es mag sein, dass das Woit lino auch uispriinglich nur den „Welier"
oder Wind, nie rnn hezeichnete, niclit aher den elementarischen üiStoff: Luft, zu dein erst philosophische Betrachtung es verfeinert hat , aher n^'N hat ehen schon diese letztere Bedeutuug.
688 Kohler, ztir semitischen Lexikographie.
stärker hervorgehoben werden. Dass ^iruv lat. tunica aus lins
Leingewand, ßaXtJafiov aus niaa, xituQig aus ins Krone und so
verschiedene Handelswaaren ihre Benennungen bei den Griechen den
Phöniziern verdanken, dass ferner mit den vielen phönikischen reli¬
giösen oder mythologischen Vorstellungen und Bräuchen viele Namen
für Musikinstrumente z. B. ba: vdßXiov, lisD xlvagtg, pira avgiy^,
rp rvfinavov sich einwurzelten, wird von den Indogermanisten gern
zugestanden. Sollte da nicht, so gut wie Jlivog und EvXtvog
(nach Movers), auch das nicht recht wurzelhaft im Griechischen
begründete Wort "EXeyog und Elegie aus dem semitischen ibs Klage¬
lieder singen, griechisch auch in ii.iw vorhanden, und zwar ans
N^bN, dem fremden Ohre lautend wie Elgo entstanden sein *)?
Ob' nicht auch dem Worte aico, griechisch ßcpoyyog Schwamm nach
Vergleichung der Wurzel jdd aufnehmen (siehe die II. S. 179 an¬
geführten Stellen aus der Mischnah) mit psD noo u. s. f, welche
allesammt aufnehmen, anschwellen bedeuten, eine ursprünglich semi¬
tiscbe Heimath gegenüber der sehr gezwungenen Etymologie bei den
Indogermanisten (Benfey) zuzuerkennen ist, wollen wir diesen For¬
schern zur näheren Untersuchung überlassen. Dagegen müssen wir
in dem mischnischen p-^y der Anker, welches der Verf nach tal¬
mudischer Etymologie mit ]is zurückhalten, zusammenbringt (S. 202),
das echt griechische Wort oicixio%' Anker von oia^ Steuer erken¬
nen (Berescb. ll'abba § H;{ Anl. steht dafür das ganz corrumpirte
paam). — Nicht erkannt hat der Verf. auch den fremden Ursprung
in dem häufig vorkommenden Zeitwort ibas Geräusch machen
und daraus einen Stamm Nba „verwandt mit Nip und JLs bip"
fabricirt (S. 364, vgl. S. 27!). Es ist aber das griechische byMta,
(wovon oyXog oibsiN das Volksgetümmel) Lärm machen, schreien,
das sich im Aramäischen vollständig eingebürgert hat. — Nicht zu
den Fremdwörtern zäblt das (S. 15) mit tvvoog der Gutgesinnte (!)
combinirte oris Herrscher , welches im Jerus. Targ. als tendenziöse
Umschreibnng von pnn "inb (Exod. 2, 16i, als welchen religiöse
Pietät den Schwiegervater Moses nicht angeseben wissen wollte, vor¬
kommt. Richtig bat schon Knobel in s. Konnnent. z. Exod. S. 19
in cris den Zwingherrn oder Gewalthaber von Midian , also ein
echt semitisches Wort, darin erkaimt nnd den oppressor mit dem
(ujywv und TVQuvvog, zn dem ihn der alexandrinische Dichter
Ezekielos inacht, verglichen.
Gehen wir nunmehr an die Durchmusterung der Fremdwörter,
für deren schlechtgelungeiie Erklärungen wir wenigstens gesichertere
geben zn können vermeinen :
1") Uclicr die Ktyniolngio drs gut grioclii'.flKMi i/.iyiior, clogiuni u. s. w.
vgl. 0. Curtius iu den lipriiddcu d. K. Süchs. Oes. der Wiss. l'lul.-hist. t'i.
1864, .S. 1 ir. K.
Kohler, zur semitischen Lexikographie. 689
I. S. 46 sb^bp-iaaN (nicht Blech von sb^bpiu mit der Vor-
schlagsilhe DN . sondern ," wie dieses mit abgeworfenemi ff) das griech.
öTQayyaXia Strick , Scldeife.
S. 49 ipirEDN (nicht cpoivixog (?) mit der Vorschlagsilbe ON !)
ütfiyyiov Schnur, Gurt um den Leib.
S. 53 NmirüEN ( nicht von änoreivw !) ist das griechische,
aber aramäisirte q>ceTVi] Krippe, Stall.
S. 56 pn-iDt» oder richtig geschrieben piiiBN Wächter (nicht
von ngouSia und nnooQcito !; ifQoiifiiov Besatzung.
S. 100 n^niba ist nicht Locke, sondern xoXoßovQog oder ab¬
gekürzt xöAoi'pog" Stutzschwanz , und dürfte die Lesart ni"iib3
sogar wahrscheinlicher sein. Mit Nnbais xg6ßv?Mg hat es , wie
Dr. Berles meint, nichts zu thun.
S. 177 niiab"'"! nicht Si]h'jT7jQ, sondern delator Verläumder und verallgemeinert: Unheilstifter, wovon das Verbum nubn mit Infinitiv
"Tiubn gebildet wurde.
S. 304 riibu dasselbe was NnibutJN mit abgeworfenem ff, das
aramaisirte arohj Kleid, nicht aber von bba decken.
ppTOiU (S. 65 a 3. 10) Liste, nicht TÖ^og , sondern tiuviaig
Censusliste.
S. 320. pana Pallast ist nach der Schreibung p'ann (Schemot
Rabba § 1) Thron , Pallast , eher mit k\A p aula regia, als mit
NiL^^lj (Fleischer I, 427a) zusammenzuhalten.
II. S. 181 bpEp Bank, Stuhl, nicht subsellium, sondern trans¬
ponirt aqiXag, oder es hat hier eine Formenvermischung beider
Worte stattgefunden, ähnlich wie wir finden in
NbiatilE (II. S. 217a) eine Verschmelzung von nQogßoh]
und TtQoßov'ir Vorbescbluss , gerichtlicher Rathsanschlag; desglei¬
chen in
"linDiiE S. 295 eine solche von tiqootoov snoi'-iE und ngü- ß-VQa Vorhof.
S. 292 opnE ernähren scheint am besten nach Mussafia's
Vorgang von 7iV()vog Brot, dah. Brot austheilen, ernähren, abzu¬
leiten zu sein, da 0~\^ theilen sich nicht nachweislich znr Be¬
deutung: vertheilen entwickelt hat, um es daraus entstanden sein
zu lassen , und Di'rn? findet sich ja gerade in dieser Anwendung :
Nahrung, Brot (auf"selbiger Seite).
S. 295 cons und NOlonE hat man zu unserer Verwunderung auch
noch nicht erkannt; es ist"das erstere, das Verbum, aus dem No¬
men entstanden, welches das griech. naoaariuu Auszeichimng, dann
Bekanntmachung, naoäaiiu.og bekamit, ist und davon also Dpn?
bekannt machen. Auch das Gegentheil von TraQccaijfiog ein L'n-
bekannter, gewöhnlicher Mensch, hat das Aramäische aus dem Grie¬
chischen adoptirt ohne dass man es bisher, unseres Wissens, er¬
kannt hat.
■>W3TSi« (welches II. S. 137 a und 139a mit a\SN „Laster" cr
690 Köhler, zur semitischen Lexikographie.
klärt wird"). Es ist der da^ri^og, der charakterlose, ungebildete, entgegengesetzt dem gelehrten und gebildeten Greis.
(S. 371b) kränken, eigentl. Stachelreden führen (nicht
aus a?)?'ärgern) eine Neubildung aus dem griech. xbvxqov Stachel,
welches auch in dem Sinne von x£vtqov /Awttj/S Stachelrede ge¬
braucht wird.
Dass das (S. 383 a) angeführte spsins Briefträger nicht das
gr. 7iQovo7/Tix6g ist , soudern nQovvtxog Pack-Träger ist , irren wir
nicht, schon irgendwo bemerkt '^). — Das längst als persisches
Wort erkannte onnc nccQccdeiaog pairidaeza Umzäunung = Garten,
sollte nicht wieder durch einen selbsterfundenen Stamm ons (S. 287 b) erklärt oder vielmehr nicht erklärt werden.
Dass ipnEnM Zufälle nicht top«/ na&Tjrtxai „unglückliche Zeit¬
ereignisse" (I. S. 206a) oder pnupos Brech- oder Arzneimittel
nicht von nrjXTOv abzuleiten ist (II. S. 284 a), sagt schon das
griechische Sprachgefühl. Vielleicht ist Letzteres aus anoxaß-aQOig
verderbt, Ersteres mit dem persischen j^*s, accedere zusammenzu¬
halten?
Das Verderbniss der unwissenden Abschreiber sollte
überhaupt mehr und öfter in Betracht gezogen werden. So ist
Npi:nN Schatzkammer nicht axrjvi] (I. S. 18 a), sondern Npna,
dasselbe persische Wort mit «>, welches in N-n und nt:3 ga'za
(nicht von Tj3 abzuleiten S. 148 b) und TjTDa schon der biblische
Aramaismus aus dem Persischen aufgenommen hat. So ist sicherlich
niinn (S. 206 a) ein leichterklärlicher Schreibfehler für T\'^-iT\, welches "(vgl. w. o. S. 193 b) = ainn Adiabene als Uebersetzung
von nein, wie jenes hier, erscheint. Ebenso wäre es wahrlich
eher gestattet (I S. 209) «inia pnpn als Uebers. von pnsa zer¬
stören in pnya zu verbessern, als die gesicherte Bedeutung von pm
fest sein (siehe die Fleiscbersche Anm. S. 424) zu ihrem Gegen¬
theil: zerstören umzukehren. Doch wir könuen unmöglich die Fehler
alle gutmachen , die der Verf durch die kritiklose Behandlung des
Targumtextes begangen hat. Der Mangel an Textkritik und Einblick
in die Geschichte der Exegese, der in der castellischen Methode
so viel Unheil angerichtet hat, ist noch nicht ganz gehoben, wenn
z. B. Nnyia Geschrei (S. 85) auch nach einer Targumstelle zu
1) Das in Rede stellende NpnnD ,,B.ite" steht mit dem griech. /loovftKOi in durchaus keinem Zusammenhang. Es ist der aram. Repräsentant des pers.
^jijji, dem pers. Namen des Karakal, des kleinen Thiers, welches als der beständige Begleiter und Diener des Löwen gilt. Das Wort ist nicht nur in das Chaldäiicbe , sondern aucb in das Arabische (oijijS) , nicht nur in der eigeutlichen , sondern auch in der abgeleiteten Bedeutung „Diener , Wegführer'' übergegangen. Das Thier selbst heisst im Türkiseben ^^^.'slj's Schwarzohr { = pers. {J^yi Sjk*».) , woraus das „Karakal ' erst verstümmelt ist; vgl. übri¬
gens das Weitere bei Lagarde, Abhandll. S. 76 f. K.
Holder, zur semitischen Lexikographie. 691
Jes. 30, 17 inn dNT hy inrisi wie ein Mast auf des Berges
Spitze, aucli die Bedeutung: Mast von yia „Schwirren" zuerkannt
wird, anstatt einzusehen, dass man äusserlich mit Juhel das
Wort yin combinirte , vermuthlich weil man den Mast 'des Schiffes,
wofür dieses gewöhnlich steht, auf Bergen nicht suchte. Der Syrer
hat sogar (mit Hiob 39, 8 Di^ri lini \ combinirend) einen Wild¬
esel daraus gemacht; oder wenn N^n^ya als Uebersetzung des niJana
in Hiob 40 und Ps. 50, 15 zum Nilpferd gleich diesem hebraisirteii
Worte gemacht wird. Bei alledem erkennen wir den hedeutenden
Fortschritt gegenüber der Buxtorfischen Behandlung des Textes an,
die oft gehandhabteii richtigeren Grundsätze, wie z. B. zu NfS
(I S. 87b) würdigend.
Die Ursache aber der bisher berührten Missgriffe in der ety¬
mologischen Behandlung liegt in dem Hauptfehler, einem Mangel,
der der aramäischen, und nebenbeigesagt auch der arabischen Lexi¬
kographie überhaupt anhaftet, dass der gesammte Wortschatz nicbt
a verbo construirt und von den Verbalwurzelbedeutungen aus das
einzelne Wort, sei es Namen- oder That- oder Beiwort, als Begriffs¬
bezeichnung zunächst seiner inneren sprachlichen Anschauung, nicht
seiner äusseren Bedeutung nach erklärt werde. Dadurch erst hört
die Lexikographie auf, eine rein technische Zusammenstellung von
Wortmassen zu sein und wird eine wirklich wissenschaftliche. Es
nützt uns oder befriedigt uns nicht zu wissen, dass sjnna der Bock
und NjiEU der Hase heisst; aber wir verstehen diese Woi'te erst,
wenn wir in ersterem den Querfeldeinläufer von nna und in letzterem
den Springer von teü, oder in Npii dem Blutigel, das Wort ybyi
den Blutsauger, erkennen. Und wir würden in i^et von bEi hin¬
zukommen, zuschütten, nach dem Hebräischen und Aethiopisehen, das
arabische Riijf Haufen, Schaar wieder erkennen, um dann erst in
ihm die aramäische Bedeutung: „Einige" klar vor uns zu haben.
Schlechterdings aber darf sich der Lexikograph nicht dabei beruhigen,
z. B. bei Tinb (S. 407) die Bedeutungen 1. einzig; 2. nur,
allein; 3. auch nacheinander aufzuzählen, sondern diese letzteren
scheinbar einander ganz entgegengesetzten Begriffe müssen als aus
einer einheitlichen Quelle fliessend dargestellt werden, also zunächst:
einzig, vorzüglich, ganz besonders, dann nach der einen Seite hin
ausschliesslich: allein und nach der andren einschliesslich: „ganz
besonders nocb, auch" bedeutend und daber bald = ~-\ und bald =
r|N gebraucht ^).
Sehr wünscbenswerth und leicbt wäre es dem Verf gewesen,
wenn er, was er freilicb durch fleissige Stellenangabe dem künitigen 1) Es mag sein, dass solclin Hidiandlungsweise der l-'bantasie und Combi¬
nationsgabe , die frcilieb in der gesetzlieli begründeten Spracbvergleiebung ibr Mass und ibre Scbranke bat, inuner einen grossen Spielraum lassen wird ; allein Erörterungen führen inniier , auch von Irrthümern unterlaufen, zur Klarheit und Wahrheit , Schweigen niemals.
692 Kohler, zur semitischen Lexikographie.
Forscher sehr erleichtert hat, den habylonischen oder ostaramäisehen vom palästinensischen oder westaramäischen Dialekt schärfer geschie¬
den hätte. Er hätte dann wohl mit grösserem Recht das Targum
zu den Sprüchen westararaäisch d. h. rein palästinensisch, als syrisch
genannt und in der dunklen schwerfälligeren Aussprache wie in den
sonstigen Eigenthümlichkeiten höchstens die Nähe des Syrischen ver¬
muthet. Andererseits wäre der Charakter der Abstumpfung der
Hauchlaute in Nns in xnN und Nn, nm in nn, sas in NS und der
dumpfen Vocalisation qiN' für rj«, b^ah für pan besser als dem
palästinensischen Dialekt eigenthümlich gekennzeichnet worden, denn
als blosser Schriftcharakter der jer. Targumim an einzelnen Orten.
Doch hat der Verf mit lobenswerthem Eifer dieser dialektischen
Verschiedenheit im Allgemeinem durch genaue Prüfung der Hand¬
schriften eine solche Aufmerksamkeit geschenkt, dass er auch hier
die Forschung um Vieles weitergefördert hat.
Wenden wir uns schliesslich noch der realen Seite zu.
Hier hat es in der That der Verf verstanden, uns in das ganze
Geistesleben der soferiscb-talmudischen Zeit einzuführen und mit
ihm ganz vertraut zu machen. Der Toii und der Geist der Schuleu
wie der Volksgeist wird durch reiche Belege aus Talmud und Mi¬
drasch erschlossen und ein tiefer Einblick in das damalige Kultur¬
leben uns eröffnet. Ganz so, wie wir in der Sprache einen Zu¬
sammenfluss der verschiedensten Elemente griechischen, persischen
und lateinischen Ursprungs sehen, so haben auch, um doch den
uns meist inleressirenden religiösen Theil herauszuheben, religiöse
und mythologische Vorstellungen der Perser, Griechen und Römer
an der sich uns hier offenbarenden Geistes-Kultur mit einflussreicher
Macht Theil genommen , und die gewaltige Geisteskraft des sieg¬
reich gewordenen Monotheismus konnte weder den Hang und die
Empfänglichkeit für die heidnischen Anschauungen ganz aus dem
Volksgemüth entfernen, noch die Aeusserungen der alten religiösen
Wurzeln, die bereits den Stempel des Ueberwundenen , des Aber¬
glaubens, trugen, ganz beseitigen. Allenthalben spucken noch die
Berggeister, die sna Schutzgeister. Man erzählt sich gläubig von
dem nian iS:na, dem Berggeist, dem gealterten nnian linN, den
man ehedem (^gl. Hiob 5, 23.) gefürchtet hat und der jetzt mit
dem Nabel angewachsen ist Kilaim 8, 5 (1 S. 298). Ja, die alt¬
bebräiscben Hausgötter finden noch ein ihnen heiliges Bett, das
«nan spny (S. I25l)) vor und merkwürdig genug! wenn dersn^an sna
das Haus'verlassen und ein Glied des Hauses gestorben ist, so kehrte
man das Bett um, ünd diese Sitte des r\'ciz- n^:?? erhielt sich und
galt durcb die ganze talmudische Zeit als streng heiliger Brauch. Und
die vielen wandernden Teufelsgestalten cn-a — man keimt sie beim
Nanien, trifft sie allenthalben (S. 474). Der oberste heist Aschma
daeva iNna-iN, nicht mehr bSTTj', das hebräische böse Prinzip ist
unterlegen , "Gott ist Allherr geworden , aber für den Aberglauben
Köhler, xur semüisehen Lexikographie. 693
musste der persische Dämon herhalten. Der Schöpfer des Lichts
und der Finsterniss, der Herr des Guten nnd des Bösen war Jahwe
durch Prophetenwort geworden, aber der hienieden waltende Voll¬
strecker hatte oder behielt seinen Antipart, der Heiland oder awtrjQ
den Antichrist. Aramainjus hiess der persische Hinderer des
Heils, ursprünglich nichts anderes als der indische und heb¬
räische Wolkenmachtgott am oder Drachen. aibin"it< oder mDbans
lautete das Echo im hebräischen Ohr und alsbald erzählte man von
dem NSiffii D-biniN , dass er das messianische Heil hintertreiben wolle,
dass der jüdische Heiland aber (natürlich nach dem Vorbild des per¬
sischen Ormuzd o. Ahoramasda) ihn tödten (S. 66 b. Natürlich können wir Herrn Dr. Grätz in seiner Combination von kQijfUM und laog nicht folgen). Interessant ist es nuu, wie man diesem persischen bösen Prin¬
zip Ahriman eine semitische Teufelin, die Nachtgöttin n^Vb zur Mut¬
ter beigab (I. S. 410 a) während man andererseits, da wo die bib¬
lische oder mesopotamisch semitische Paradiesessage so nahe die
persische berührt, die paradiesische Verführerin, die Schlange, zu
einem cimpiDN — Gottesleugner oder bösen Prinzip (I. S. 55 b)
machte, welche Ideenverschmelzung im samaritanischen lUnD für
wns — der Leugner und in der Uebersetzung biaON hostilisü
für Diny (nicht astutus!) so wunderbar nachklingt. Wir wundern
uns aber durchaus nicht, wenn sogar die griechischen Seejungfern
noch im jüdischen Volksgeiste Leben haben, die Nir n:a (S. 101b);
selbst der Di3ip/iN — Okeanos hat — man lese jene "merkwürdige
Midraschauslegung des Kampfes Gottes mit dem Meere und dem
Drachen (Hiob 26) in Schemot Rabbot § 15 Mitte! — sein Leben
erst allmählich im Volksgeiste ausgehaucht, und der Name Riesen¬
sohn Qib"ic:!i p ist dem irfib oder Krokodil geblieben (II. S. 311 a) Wie tief in der Sprache trotz alles geistigen Darüberhinwegeschrit-
tenseins eine Anschauung haftet, sehen wir an dem (S. 106a) an¬
geführten häufigen mischnaischen Ausdruck bsan n^a ein von selbst
ohne Menschenzuthat befruchtetes Feld im Gegensatz zum prib-ari n^a,
dem durch künstliche Kanäle das Wasser zugeführt wird. Der Verf.
meint jenes Feld des Baal bedeute das Feld des befruchtenden
Regens. Es mag sein, dass man sich im jüdischen Kreise diese
Namensbezeichnung so mundgerecht mache. Das Richtige sehen wir
dagegen von Merx in seinem trefflichen Artikel Baal in dem Schenkei¬
schen Bibellexicon (S. 322) erkannt, wo er in der arabischen Be¬
nennung >ij für den nur von Himmelswasser d. h. Regen getränkten Baum, einen altheidnisclier Vorstellung angehörigen Sprachgebrauch
bei den Syrern findet. Es bedeutet also byan nia — das Feld,
das der Himmelsgott Baal befruchtet. — Wir knüpfen sogar an
1) Auch ynian win wird sie daselbst im Rabbat S. 18 Eude genannt.
2) Auch dem zum Engel - SHIi^nn bS nSTOT? "|NbK — degradirten Liebesgott begegnen wir in Midr. Bereschit Eabb. S. '85.
Bd. XXIU 45
694 Kohler, zur semitischen Lexikographie.
diese übliclie Bezeiciinung im Volksmunde noch eine andere Ver¬
muthung, betreffend die Namenserklärung von Genezaret hebräisch
oder vielleicht richtiger phönikisch npisia jenem durch seine
Fruchtbarkeit und Anmuth vielgerühmten Gebiete, der schönsten
Gegend Palestinas nach ältesten wie neuesten Berichten, deren
Früchte auch die edelsten des Landes waren, wie der Midrasch zu
Genes. 49, 21 mittheilt. Einen „Garten Gottes" mochte man gerne
eine solche Gegend nennen und diese Benennung lag im alten phöni¬
zischen Namen vor: lljiN isa — Garten des Osyr ~ Ein ähn¬
licher Rest altheidnischer Benennungen, wie wir solche in uralten
Localnamen am allerersten zu suchen berechtigt sind, findet sich
auch in der targumiseben also volksthümlichen Benennung von
iaa "it^^y — NViasin ^13, äkexrgvoooTiohg , Hahnburg. Josephus
berichtet (s. Winer Artikel Eziongeher), dass der Ort noch den
Namen führe: BsQsvtxrj. Hier liegt entschieden ein Schreibfehler vor und zwar ein an jenes aramäische anklingende Wort : Ksgexvegiys
— Naii: Tjia Burg des Nerig. Dieser ai5 , der zabische Kriegsgott, ist kein anderer als der in dieser Gegend verehrte bai_: (s. Winer o. v.).
Dieser Gott des Kampfes, der kutäische Mars," ward unter der
Hahnsgestalt verehrt, wie uns von den Rabbinen (Sanhedrin 63 b)
berichtet wird und ohne Zweifel verdankt ihm der Hahn seinen
Namen iaa (s. 1. S. 124 a) und vielleicht auch Viaiin, wie wohl
letztere Bezeichnung „der Streitmacher" = älexrgwv "ihm an und
für sich eignen mag. Man sieht, wenn mau nur für solche Zu¬
sammenstellungen den offenen Sinn mitbringt, wie eigenthümlich der
sprachebildende und religiöse Geist sich begegnen und welche merk¬
würdige Dokumente ungelesen in den alten Eigennamen vor uns
liegen, oft aus einer Zeit stammend, wo die Geschichte noch zu
roh war, um andere Denkmäler zu hinterlassen. Im Volksgeiste
aber leben die Spuren der alten überwundenen religiösen Vorstellungen
fort und weil ihnen der rechte Boden fehlt, so hängen sie sich
parasitisch anderen Gedankenkreisen an, in verkümmerter Gestalt
fortwährend. Sicherlich gehören auch die Zauberer Joannes und
Jambres einem überlebten mythologischen Vorstellungskreise an,
vielleicht der Bahylonier, die wenigstens auch von dem Fischgotte
Oannes, einer noch sehr unklaren Figur, Wunderdinge allerlei Art,
auch dass er Gesetzgeber und Schrifterfinder u. dgl. war, erzählen.
Dies dünkt uns zum Mindesten annehmbarer als die s. v. Dip
(1, 337) vom Verf vorgebrachte Meinung, den Täufer Johannes und
Jesus als Sectirer isiipn in ihnen zu sehen, wobei, bei allem Radi¬
kalismus iu der Evangelienkritik , die Erwähnung derselben als
Zauberer neben Moses in II. Timoth. 3. 9 kaum denkbar wäre.
Doch scheiden wir vom Verfasser mit dem aufrichtigen Dank,
1) Der targuinischeii oder volksthümlichen Benennung vou TUP (welches Wort selbst mit Kirv^int verwandt sein mag).
2) Nocb heute heisst die Kuine Gansur.
KoIilcr, tur semitiscben Lexikographie. 695
vieles Neue von ihra erfahren zu haben und zu Vielem von ihm
neu angeregt worden zu sein. Möge auch diese Abhandlung zur
tieferen allgemeineren Erforschung der semitischen Culturgeschichte
einen Beitrag liefern und dem Einen den Eindruck der Fremd¬
artigkeit und Abenteuerlichkeit, den die mythologischen Forschungen
auf althebräischem Gebiete noch auf ihn ausüben, benehmen und
den Anderen dazu anregen, die gesammte semitische Philologie unter¬
schiedslos mit gleichem Maasse objectiver Gründlichkeit und Um¬
sicht zu behandeln und gegenseitig zu beleuchten. —
Nachtrag.
Erst jetzt ist mir die Anzeige Geiger's (Z.D.M.G. XEI, 372f.)
von Steinschneider's Jevish literature zu Gesicht gekommen.
Geiger bespricht darin die schon von S. Parchon im Namen
Hai's gegebene Ableitung des Wortes imitsm Apostat aus der
Schaf'elform des syrischen ,v^ ^ taufen d. h. eigentlich zur neuen
Religion übertreten als eine Contraktion aus i733>iiaM = der zum
Uebertritt in eine andere Religion Veranlasste und dann wirklich
Uehergetretene abgewiesen wird. Geiger spricht sich gegen diese
Ableitung aus. Allein ich glaube mit Unrecht. Auch die syrische
71 ^
Paelform in der Bedeutung von verstellen, sich verstellen,
heucheln oder Andere verstellen, verführen weist mit aller Ent¬
schiedenheit auf eine Schafelform von nay aufstellen, Stand nehmen
u. s. f hin.
Eine Parallele zu einer solchen Abwerfung des y durch Con¬
traction glaube ich ausser den oben angeführten in dem aramäischen
Worte NriDil — Laib Brod — gefunden zu haben. NnD^l entspricht
seiner Bedeutung nach ganz und gar dem arabischen v^aac^ , dessen
Wurzelwort riyi v_äcj zusammenballen (ein verstärktes i_A£^ t]yi
im Hebr. zusammenkommen, — fliessen) bedeutet. Davon heisst
im Aramäischen und Neubebräischen der Ziegelstein, der zusammen¬
geballte r]yi pl. Dicyn, und dieselbe Wortform des partic. passivi
riiyi hat das angeführte arabische Wort für Laib Brod. — Dem¬
nach ist es wohl nicht zu gewagt, wenn man nach der Analogie
des Arabischen die ursprüngliche Wortform Nnciyi — der eiuzelne
Laib Brod statuirt, aus der die Formen NnEPl'uncl nnD-) entstan¬
den sind.
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Bibliographische Anzeigen.
A Letter by Mär Jacob, Bishop of Kdessa, on Syriac Orthography;
also a tract by the same author , and a discourse by Gregory Bar Hebraeus on Syriac Accents. Now edited, in the original Syriac, from Mss. in th British Museum, with an Engish translation anil
notes, by George Phillips. To which are added Appendices.
Williams and Norgate, London 1869. (VIII und 84 u. 45 SS. in Oct.) Als Ref. vor Kurzem im Littera. Centralblatt 1869. (Nr. 28 Juli 3) die JI/fH'<i7*'scbe Ausgabe des Briefs von Jacob von Edessa besprach , wusste cr noeb nicbt, dass ungeführ gleicbzeitig damit eine Ausgabe derselben Scbrift von dem gelebrten Orientalisten G. Phillips in Cambridge ersebienen war. Er beeilt sich nun , aueb über diese zu berichten , nachdem er sie hat kennen lernen.
Uideugbar hat die englische Ausgabe, wie sie in allem Aeusseren weit stattlicher erscheint, auoh wesentliche innere Vorzüge vor der in Frankreich erschienenen.
Den Text des Briefes giebt Phillips sorgfältig nach einer Handschrift , die im Ganzen besser ist , als die von Martin zu Grunde gelegte und sich ausserdem durch zahlreiche beigescbriebene griechische Vocale und andre Lesezeichen, darunter hesonders viele RukkAch- und Qussäi-Punctc, vortbeilhaft auszeichnet;
einzelne auffallcude Lesarten aei Martin darf man jetzt wohl unbedenklich auf Versehen des Letzteren zurückführen. Dagegen wäre es ungerecht, zu behaup¬
ten, dass Martin's Ausgabe durch die Phillips'sche werthlos würde, vielmehr ergänzen sie sich gegenseitig. Durcb die Vergleicbung beider Ausgaben erken¬
nen wir nämlicb , dass die von Phillips aus der Hdschr. B gegebnen Varianten oft die besseren Lesarten sind, nämlich fast überall da, wo sie mit den Les¬
arten Martin's übereinstimmen. Auch sonst hat Martin hier und da einige gute Lesarten gegenüber Phillips z. B. l'wäth 5, 24 statt lau (Phillips 11, 14).
Ferner scben wir jetzt, dass sowohl die beiden Handschriften der Londoner Ausgabe wie die Vaticanische gewisse gemeinscbaftliche Fehler haben, von denen mindestens zum Theil nocb die fragmentarische Pariser Hdschr. frei ist; ich weise hier auf die früber a. a. O. besprochene Lesart suq qäma (Martin S. 2, 22, 25 Phillips S. 4, 17, 52) hin, welche in den Zusammenhang ganz anders passt als das auch von Phillips allein gegebne und gezwungen erklärte s u m - mivqä, ferner auf den nothwendigen Zusatz, den Martin S. 3 Anm. 2 aus jenem Codex verzeicbnet. Um so mehr mUssen wir freilich bedauern , dass die Les¬
arten dieser so vollständigen Hdschr. von Martin uur zum Theil angegeben sind;
vielleicht zeigt derselbe auch zu S. 4, 9 ff. Martin (S. 7 infr. Phillips') noch nicht die Umstellung , hinsichtlich deren der engliscbe Herausgeber (siehe die
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