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D Gut gestorben, Gunther?

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Academic year: 2022

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Medien, Moden, Medizin

arf ein Mathematiker in das Diagnostik-Gärt- chen von Medizinern und Psychologen ein- dringen? Ja, man darf sein eigenes Hirn ge- brauchen. Auch wenn es auf dem Spiel steht. Ob man es zerstören darf, ist eine andere Frage. Meinte Gunther Sachs wirklich, durch die «Lektüre einschlägiger Publi- kationen» könne er eine Demenz selbst diagnostizie- ren? Nun, laut wissenschaftlicher Datenlage sind es die Betroffenen selbst – und die ihnen Nahestehenden –, die in der präklinischen Phase von Demenzen subtile Veränderungen in der Vitalität, Stimmung, Impulskon- trolle und im Sozialverhalten bemerken sowie die ko- gnitiven Defizite, für deren Erfassung neuropsychologi- sche Instrumente noch nicht sensitiv genug sind. Aber wenn nun «nur» eine affektive Störung vorlag, welche Pharma(ka)freunde gerne als «heilbar» bezeichnen?

Abgesehen davon, dass Depressionen oft in der Früh- phase von Demenzen auftreten, wusste Gunther, was eine Depression für den Erkrankten und seine Umge- bung bedeutet. Er wusste auch, dass es keine wirkliche Therapie der Demenz gibt und dass die Auswirkungen auf den Kranken und sein Umfeld gravierend sind.

Gunther verlor im Alter von 26 Jahren den depressiven Vater zum zweiten Mal – durch Suizid. Dieser war schon einmal aus dem Leben seines damals dreijährigen Sohnes gegangen, als er sich scheiden liess. Gunther, ein extravertierter, sprach- und wortgewaltiger Unter- franke, ein exzellenter, bestens vernetzter Zuhörer, lebte trotzdem ein kreatives, arbeitsreiches, erfolg - reiches Leben. Ja, er stellte sich «grossen Heraus - forderungen» – lebenslanges Lernen, Globetrotten, Erobern, Ausprobieren. Firmen führen. Kunst sammeln.

Forschen. Drei Ehen, die letzte davon über 42 Jahre.

56 Jahre lang Vater. Preise und Ehrungen. Der Fotograf, Filmer, Kunstsammler und Sportler, einst Junior-Europa- meister im Zweierbob, zeichnete sich durch Feinfühlig- keit und Körperbewusstsein aus und wird genau ge- merkt haben, wie ihm Namen, Erinnerungen, Sprache

und Bilder verloren gingen. Sehr klar schreibt er in sei- nem berührenden Abschiedsbrief, dass der Verlust seines durch Bildung erworbenen «Schatzes», die ge- störte Kommunikation, der Autonomie- , Kontroll- und Würdeverlust für ihn untragbar wären. Es sei «das ein- zige Kriterium», welches ein selbst gesetztes Lebens- ende legitimiere. Der Enkel des Erfinders des «Frei- laufs» war ein Freidenker, der sich die Freiheit des Freitods nahm. Stets holte er Expertenrat bei wichtigen Entscheidungen ein – vermutlich auch hier. Es ist unwahrscheinlich, dass er seine Befürchtungen nicht mit befreundeten Ärzten, Wissenschaftlern bespro- chen und seinen Abgang nicht mit Juristen geplant hat.

Die Trauer um ihn, die Wut, dass wieder ein besonderer Mensch nicht mehr da ist, die Erschütterung, die jeder Suizid in empathischen Menschen auslöst, gibt uns nicht das Recht, Menschen das Recht zur Selbsttötung abzusprechen. Aber diskutieren darf und muss man es, speziell als Hausarzt. Fast täglich sprechen Patienten das Thema an, kläre ich ihre Suizidalität ab. Da lässt man sich die Vor- und Nachteile von Erschiessen, Erhängen, Pillenschlucken und Springen erklären, und staunt, dass sogar schwerst Depressive in ihrer Verzweiflung noch an andere denken, welche die Leiche dann entsorgen müssten oder die durch den Suizid «Kollateralschä- den» erleiden könnten. Die Furcht begleitet mich, dass jemand einmal dann doch nicht anruft, bevor er erneut versucht, sich zu töten. Oder dass Gunther – wie so oft in seinem Leben – andere inspiriert, es ihm nach - zumachen. Deshalb spreche ich jetzt oft über ihn mit meinen suizidgefährdeten Patienten. Und ob man das Geschenk des Lebens bei Nichtgefallen retournieren darf. Ich weiss es nicht und möchte nicht urteilen müssen.

Gut gestorben, Gunther?

ARSENICUM

D

398

ARS MEDICI 10 2011

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