DAS EMPORKOMMEN DER ALAWITEN ALS EIN POLITISCHER
MACHTFAKTOR IM GEGENWÄRTIGEN SYRIEN*
von Nikolaos van Dam, Den Haag (Niederlande)
Das Jahr 1963, in dem die Ba'th Partei in Syrien die Macht ergriff, war hinsicht¬
lich der Vertretung spezifischer religiöser, regionaler, sozio-ökonomischer und poli¬
tischer Gruppen der Bevölkerung ein wichtiger Wendepunkt in der modernen Ge¬
schichte dieses Landes. Dies erhellt sich durch eine statistische Untersuchung der respektiven gesellschaftlichen Stellung der Mitglieder wichtiger syrischer politischer
Machtgruppen, wie zum Beispiel der syrischen Regierungen oder der syrischen re¬
gionalen Führungen der Ba'th Partei'.
Mit der Machtübernahme der Ba'thisten nach dem 8. März 1963 haben sich die
Verhältnisse zwischen Sunniten und Nicht-Sunniten, Stadt- und Landbewohnern, reicheren und ärmeren Leuten, konservativen und progressiven politischen Gruppen drastisch geändert. Dies zeigte sich in der Zusammensetzung der syrischen politi¬
schen Elite, die sich gleichzeitig drastisch änderte. In der Periode zwischen den Jah¬
ren 1942 und 1963 nahmen besonders Sunniten, Stadtbewohner (an erster Stelle
Damaszener und zweitens Leute aus der mit Damaskus rivalisierenden Stadt Alep¬
po), Personen der wohlhabenden Klassen und konservativen politischen Parteien,
die meisten und wichtigsten Stehen in syrischen Machtstellungen ein. Gleichzeitig waren Mitglieder religiöser Minoritäten (und besonders diejenigen der heterodoxen
islamitischen Gemeinschaften), und Landbewohner herheblich unterrepräsentiert in
diesen Stellungen. Mitglieder dieser Minoritäten wurden sowohl in politischer als
auch in sozio-ökonomischer Hinsicht bei den anderen erwähnten Bevölkerungsgrup¬
pen oft diskriminiert und hintangestellt.
In der Periode nach dem 8. März 1963 kehrten sich die Verhältnisse zwischen
den oben erwähnten Gruppen drastisch um. Das geht unter anderem aus der Tatsache
hervor, daß seitdem vor allem heterodoxe Moslems (besonders Alawiten und nach
ihnen Drusen und Ismä'iliten) und Bewohner armer Gegenden (besonders aus der
Latakia-Region) einen starken Aufschwung erhielten und in den wichtigsten syri¬
schen Machtstellungen überrepräsentiert waren. Auch wurde das syrische politische
Leben nach dem Jahre 1963 überwiegend von Personen aus dem niedrigen Mittel¬
stand und aus progressiven politischen Parteien beherrscht. Das starke Emporkom-
* Zusammenfassung von: The Rise of the Alawis as a Political Power Factor in Contemporary Syria.
1 Für weitere Information siehe: Nilcolaos van Dam, Sectarian and Regional Factionalism in the Syrian Pohtical Elite, The Middle East Journal, 1978 (forthcoming); and Nikolaos van Dam, De Roi van Sektarisme, Regionalisme en Tribalisme bij de Strijd om de Politieke Macht inSyrie (1961-1976), Disseitaüon,Amsterdam 1977. S. 31-45,196-202.
XX. Deutscher OrientaMstentag 1977 in Erlangen
Das Emporkommen der Alawiten 555
men in der Periode nach dem 8. März 1963 von Bewohnern des Landes und den
oben erwähnten religiösen Minoritäten kann als eine Art Nationaler Emanzipation interpretiert werden.
Sektarischer und regionaler Faktionalismus in der syrischen politischen Elite ha¬
ben in hohem Maße zu einem starken Emporkommen der Alawiten als einem politi¬
schen Machtfaktor seit 1963 beigetragen^. Nach der Machtübernahme von Ba'thisti- schen Offizieren 1963 entwickelte sich innerhalb der Armee und der Partei-Organi¬
sation der Ba'th ein Kampf um die Macht zwischen Mitgliedern der Ba'thistischen
politischen Machtelite selbst. Abgesehen von ideologischen Unterschieden kam die¬
ser Kampf um die Macht in der Form sektarischer, regionaler und tribaler Frak¬
tionsbildungen zum Ausdruck.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1965 nahmen die sektarischen Spannungen in
der syrischen Armee infolge der Manipulationen mit sektarischen, regionalen und
tribalen Loyalitäten dermaßen zu, daß eine weitgehende Polarisation zwischen
Sunniten einerseits und Mitgliedern religiöser Minoritäten (besonders Alawiten, Drusen und Isma'iliter) andererseits stattfand. Diese sektarische Polarisation kulmi¬
nierte am 23. Febmar 1966 in einem militärischen Staatsstreich, wo der sunnitische
syrische Präsident General Amin al-Hafiz abgesetzt wurde, und resultierte in der
Ausschaltung der wichtigsten mit ihm verbundenen Sunnitischen Offiziersfaktio- nen.
Hiermit war der Kampf um die Macht keineswegs beendigt. Im weiteren Teil des
Jahres 1966 und der ersten Hälfte des Jahres 1967 wurden einige der wichtigsten Drusischen Offiziersfaktionen aus der syrischen Armee und der Partei-Organisation
der Ba'th entlassen, nachdem eine Anzahl von ihnen anfangs September 1966 einen
abortiven Staatsstreich begangen hatte, der eine Art von Alawitisch-Drusischer sek¬
tarischer Polarisation verursachte. Seitdem konnten die Dmsischen Offiziere als
separate Machtblöcke nicht weiter eine ernsthafte Bedrohung fiir die übriggebliebe¬
ne syrische politische Machtelite bilden.
Im Verlauf der Jahre 1968 und 1969 wurden die wichtigsten Ismä'ilitischen und
(überwiegend Sunnitischen) Hawrani Faktionen aus der Syrischen Armee und der
Ba'th Partei gesäubert.
Die Folge der oben erwähnten Entwicklungen war, daß einige Alawitische Offi¬
ziersfaktionen, die den vorangegangenen Kampf um die Macht überlebt hatten, sich
jetzt in einer beherrschenden Stellung befanden und daß sich der weitergehende
Kampf um die Macht seitdem überwiegend zwischen Mitgliedern der Alawitischen
Gemeinschaft selbst abspielte.
Am 13. November 1970 wurde die Macht mittels eines Staatsstreiches durch die
(überwiegend Alawitische) Offiziersfaktion von General Hafiz al-Asad monopoli¬
siert, der einige Monate später Syriens erster Alawitischer Präsident wurde. Er
durchbrach damit die syrische Tradition, welche forderte, daß die Präsidentschaft
immer von einem Sunniten erfüllt werden solle. Weiterhin betonte er dadurch in
einer symbolischen Weise die Tatsache, daß die Alawiten in politischer Hinsicht eine
2 Für weitere Informationen siehe Nikolaos van Dam, The Stmggle for Political Power in Sy¬
ria (1961-1977). A Study on the Role of Sectarianism, Regionalism and Tribalism in Politics, London (Croom Helm Ltd.) 1978 (forthcoming).
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deutliche Evolution durchgemacht hatten, von einer diskriminierten, in sozio-öko¬
nomischer Hinsicht zurückgebliebenen religiösen Minorität zu einer national eman¬
zipierten Bevölkemngsgmppe in einer dominierenden Stelle.
Durch die beherrschende Stelle der Offiziersfaktion von Hafiz al-Asad in der Pe¬
riode nach dem 13. November 1970 wurde die Möglichkeit für Nicht-alawitische
Offiziere, aufs Neue unabhängige Machtblöcke zu bilden, welche die Stehe des
ständigen Regimes in ernsthafter Weise bedrohen könnten, wesentlich verkleinert.
Eventuelle Gefahr für eine Bedrohung der Stellung des al-Asad kam denn auch be¬
sonders von der Seite von Offizieren aus der Alawitischen Gemeinschaft. Dies zeigte
besonders die Tatsache, daß in der wichtigsten, seit November 1970 in Syrien auf¬
gerollten und gegen al-Asad gerichteten Verschwörung hauptsächlich Alawitische Offiziere und bürgerliche Ba'thisten aus der Latakia-Region beteiligt waren. Dies geht aus den Verhaftungen und Entlassungen hervor, die in derselben Periode in der Armee und in der Ba'th Partei stattfanden.
Um seine Machtstellung auch gegen Personen aus seiner eigenen religiösen Ge¬
meinschaft zu sichern, fing al-Asad nach dem Jahre 1970 an, sich in verstärktem
Maße auf Personen zu stützen, mit denen er so enge als mögliche Beziehungen
unterhielt, wie mit Personen aus seinem eigenen Stamm oder Dorf.
ZUR SIEDLUNGSVERTEILUNG NACH HÖHENSCHICHTUNG IN MITTEL-NEPAL*
von Walter A. Frank, Bonn
Nepal ist ein Land extremer Gegensätze. Auf die nur etwa 150 km seiner nord¬
südlichen Breite gibt es Höhenunterschiede zwischen 70 m und fast 9000 m ü.M.,
mit allen auf der Erde vorkommenden Klimaten und der zugehörigen Flora und
Fauna. Nicht weniger differenziert ist die Bevölkerungsstruktur dieses kleinen Lan¬
des. Die etwa 13 Mill. Bewohner der 145.000 qkm Landesfläche weisen physiologi¬
sche Merkmale aller drei Basis-Rassen der Menschheit auf. Der Hohe Himalaya am
Nordrand des Landes ist von Menschen mongoliden Typs mit tibetischer Sprache
und Kultur besiedelt, im breiten Gürtel des Pahar-Mittellandes findet sich ein bun¬
tes Gemisch von Völkerschaften teils mongolid-palämongolider Physis (tibeto-bir¬
manische Sprachen), teüs europiden Typs (indo-arische Sprache), und die Tief¬
ebenen des tropischen Terai am Südrand sind von einer indiden Bevölkerung durch¬
setzt mit melaniden Gmppen besiedelt.
Seit 1969 versuche ich, mittels einer Ethno-Demographie die tatsächliche ethni¬
sche SiedlungsverteUung festzustellen und statistisch auszuwerten. Hierbei halte ich
mich bei meinen Erhebungen und Darstellungen an das Nepal eigene Panchayat-
Verwaltungssystem, nach dem das Land in 14 Zonen und 75 Distrikte eingeteüt ist,
wobei als unterste Ebene die Gemeinde (Gaon Panchayat) fungiert. Da geschlossene
Siedlungsgebiete ethiüscher Gruppen nicht aufzufinden sind - oder doch nicht
mehr aufzufinden sind - ergaben sich erhebliche Schwierigkeiten bei der graphi¬
schen Darstellung der Ergebnisse, vor allem in den Landkarten, die von jedem der
untersuchten Distrikte zur Sichtbarmachung der ethnischen Verteilung angefertigt werden. Wohl sind gewisse Majoritäten in gewissen Gebieten festzustellen, doch gibt es kaum ein Dorf mit eiiüieitlicher Bevölkemng.
Neben der flächenmäßigen Verteüung der Ethnien lag unter diesen Umständen
die Frage nahe, wie weit auch eine vertikale Siedlungsschichtung nach Ethnien
festzustellen sein würde, zumal Toni Hagen und andere Autoren an bestimmten
Hängen eine solche Schichtung gefunden hatten nach dem groben Muster: je mon-
golider, um so höher — je europider, um so tiefer wohnten die Gruppen. Deshalb
wurde auch für jede der erhobenen Gemeinden die Höhe festgestellt und das ganze
Entnommen der ethno-demographischen Atheit Ethnische Grundlagen der Siedlungsstruktur in Mittel-Nepal, Innsbruck-München 1974, und ausführhcher behandelt und mit zahlreichen graphischen Darstellungen versehen in Distribution of Jats According to Settlement Alti¬
tudes in Middle-Nepal, Internationales Asienforum, 3/4, München 1977.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen