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Erinnerungen an Carl Friedrich von Weizsäcker

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Erinnerungen an Carl Friedrich von Weizsäcker

Klaus Gottstein (München)

Mit 2 Abbildungen

Zusammenfassung

Auf Grund der Erinnerungen und des Tagebuchs des Verfassers wird über Begegnungen, Gespräche, Erlebnisse und gemeinsame Unternehmungen mit Carl Friedrich von Weizsäcker in fünf Jahrzehnten berichtet. Sie begannen im Wintersemester 1948/49 im Göttinger Max-Planck-Institut für Physik (Direktor: Werner Heisenberg), in dem Weizsäcker Leiter der theoretischen Abteilung und der Verfasser Diplomand, Doktorand und später Gruppen- und Abteilungsleiter war. In den 1960er Jahren ergab sich eine enge Zusammenarbeit mit Weizsäcker im Arbeitsaus- schuss und im Vorstand der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW). In den Jahren 1971–1974 bereitete der Verfasser als Wissenschaftsattaché an der Botschaft Washington Besuche Weizsäckers in den USA vor. Von 1974 bis 1977 arbeitete er eng mit Weizsäcker bei der Vorbereitung der Sitzungen des Beratenden Ausschusses für For- schung und Technologie (BAFT) zusammen, dessen Vorsitzender Weizsäcker war. Auch in den späteren Jahren gab es aufschlussreiche Gespräche und Korrespondenzen.

Abstract

Reminiscences and a diary of the author allow a report on meetings, conversations, experiences and joint underta- kings with Carl Friedrich von Weizsäcker during five decades. They began in the winter of 1948/49 in Göttingen in the Max Planck Institute for Physics where Werner Heisenberg was the director and Weizsäcker head of the Theory Division and where the author was graduate and post-graduate student and later group and division leader.

In the 1960s a close cooperation with Weizsäcker resulted from common membership in Working Committee and Board of the Federation of German Scientists (VDW). As Science Attaché at the Embassy in Washington from 1971 to 1974 the author prepared for Weizsäcker the programme of his visits to the U.S. From 1974 to 1977 he cooperated closely with Weizsäcker, preparing the sessions of the Advisory Committee to the Federal Minister of Research and Technology of which Weizsäcker was Chair. Also in later years there were illuminating discussions and correspondences.

1. Vorbemerkung

Ich erinnere mich an Begegnungen und Gespräche, die an vielen Orten und über einen Zeit- raum von mehr als einem halben Jahrhundert stattfanden, teils in Gesprächsrunden, teils unter vier Augen.

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2. Die Vielfalt der Interessen von Carl Friedrich von Weizsäcker

Die Themen dieser Gespräche waren sehr vielfältig. Sie betrafen manchmal auch organisa- torische oder taktische Fragen. Aber der wache Geist von Carl Friedrich von Weizsäcker, im Folgenden CFvW, nutzte jede sich bietende Gelegenheit, um den aus dem großen Fundus seines Wissens sich ergebenden Assoziationen zu folgen. Zum Beispiel entnehme ich mei- nem Tagebuch, dass CFvW sich im April 1963 bei einem Abendessen bei mir zu Hause in Gräfelfing bei München, bei dem er der einzige Gast war, innerhalb von vier Stunden zu den folgenden Themen äußerte:

– die Entwicklung der kindlichen Logik,

– die Bedeutung von politischer Wissenschaft für reale Politik, – die inhärenten Widersprüche im dialektischen Materialismus,

– die Philosophie von Georg Friedrich Hegel (1770 –1831) und Karl Marx (1818 –1883), – das Geschichtsbild von Adam Smith (1723 –1790) und Thomas Malthus (1766 –1834), – das Wesen politischer Utopien,

– der Einfluss von Ideen auf die praktische Politik (Beispiele: Christliches Mittelalter, Kom- munismus),

– die Politik der Bundesregierung, – die Pugwash-Bewegung,

– die verschiedenen Strömungen in der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW),

Abb. 1 Carl Friedrich von Weizsäcker inmitten von Institutsmitgliedern beim Sommerfest 1950 des Max-Planck- Instituts für Physik in der Walkemühle, Göttingen (Quelle: Klaus Gottstein)

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– die Frage, ob loyale Mitarbeit mit den Regierungen moralischen Protesten und Unge- horsamkeitsfeldzügen gegen Aufrüstung, Wehrpflicht usw. vorzuziehen sei (Weizsäcker bejahte diese Frage).

Jedes dieser Themen wurde, wenn auch kurz, in einer sehr kundigen und engagierten Weise abgehandelt.

Die Weite der Interessen und Kompetenzen Weizsäckers kam in den 1960er Jahren auch in den Themen der Vorträge und Tischgespräche zum Ausdruck, die ich anhörte. So war ich im Oktober 1963 Zeuge eines glänzenden Vortrags, den er im Hörsaal unseres Instituts über die Einheit der platonischen Physik und deren Beziehungen zu den Problemen der modernen Physik hielt; beim Mittagessen in der Institutskantine im Juli 1966 war das menschliche Ver- mögen des Sprechens und die Entwicklung der Sprachen das Gesprächsthema. Auf der Jah- resversammlung der VDW im Oktober 1968 hielt Weizsäcker einen einstündigen Vortrag über Weltsicherheit und europäische Sicherheit.

Aber auch auf dem Gebiet der praktischen Lebensklugheit konnte man von CFvW lernen.

Ein Beispiel dafür, dass CFvW auch bei tiefschürfenden Gesprächen den Blick für das Nahe- liegende nicht verlor, erlebte ich 1965 auf einer Autofahrt von Marburg nach Göttingen mit ihm und mehreren VDW-Mitgliedern. In Marburg hatten wir an der Jahrestagung der VDW teilgenommen, und die dort geführten engagierten Diskussionen über „Big Science“, Vor- standswahlen und andere akute Fragen wurden natürlich während der Fahrt fortgesetzt. Auch unser Fahrer, Horst Afheldt (*1924), beteiligte sich daran. Es war CFvW, dem auffiel, dass unsere Fahrtgeschwindigkeit nicht ausreichen würde, um Göttingen zu einem Treffen mit Professor Hartmut von Hentig (*1925) zur vereinbarten Zeit zu erreichen. Herr Afheldt wurde veranlasst, schneller zu fahren.

3. Religiöse Fragen

CFvW war erfolgreicher Physiker, aber er setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch mit Fragen der Religion und der Philosophie auseinander. Im Göttinger Max-Planck-Institut für Physik, in dem er Leiter der theoretischen Abteilung war, und an der Universität Göttingen hatte sich unter den Teilnehmern seiner Seminare ein fester Kreis von bewundernden Anhän- gern gebildet, so dass im Institut das Scherzwort umging: „Heisenberg hat Schüler, Weizsä- cker hat Jünger.“

Dies war der Hintergrund, vor dem ich es 1950 wagte, als gerade neu in die experimentelle Abteilung des Instituts eingetretener Diplomand an seine Tür in der theoretischen Abteilung zu klopfen und ihn um Rat in einer mich bedrückenden Angelegenheit zu bitten. Mich hatte beeindruckt, wie er die Grundlagen der Physik philosophisch hinterfragte und dass er auch das Christentum tiefgründig in sein Weltbild einbezog. Ich war unter dem Nationalsozialismus und im Kriege in Berlin in einer Gemeinde der Bekennenden Kirche aufgewachsen und hatte einem Evangelischen Jungenkreis angehört, der den Grundsatz hatte, dass es nicht darauf ankomme, das Leben zu genießen, sondern wie unser im Konzentrationslager inhaftierter Pfarrer Martin Niemöller (1892–1984) für Gottes Botschaft einzutreten und in der Gemein- schaft, in der man lebt, seine Pflicht zu tun. Meine mich beunruhigende Frage war: Darf man einfach Wissenschaft treiben, was ja keine Pflicht ist, sondern Spaß macht? Mir schien, dass Weizsäcker dieses Problem irgendwie gelöst hatte. Er arbeitete erfolgreich in der Physik, aber er beschäftigte sich auch mit der Bergpredigt und ihren Seligpreisungen.

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CFvW antwortete auf meine Frage sinngemäß, dass man im Leben das tun solle, was man gut könne und wofür man begabt sei. Dann erfülle man auch seine Pflicht gegenüber der Ge- meinschaft. Allerdings könne dies in manchen Fällen doch fraglich sein, wenn zum Beispiel die Begabung darin bestehe, einen Ball geschickt zurückzuschlagen, den ein anderer einem über ein Netz zuspiele, also etwa bei einem berufsmäßigen Tennisspieler. Ob dies ein Dienst an der Gemeinschaft sei, bleibe dahingestellt.

Ich ahnte damals nicht, dass Weizsäcker zu etwa dieser Zeit selbst in einer existen- ziellen Krise steckte. Dazu schrieb er später in seinem Buch Der Garten des Menschlichen:

„Die Erfüllung des Gebots der Bergpredigt ist, dass ich meinen Bruder liebe. ‚Selig sind die Friedensmacher‘. Dies lernte ich sagen und ein Stück weit denken. Aber bis zu meinem vierzigsten Jahr war das moralische Gesetz über mir. Ich wusste, was von mir verlangt war, und tat es nicht. Ich wusste, dass die Menschheit in die Katastrophe treibt, und dass ihr nur helfen kann, wer diesen Weg geht. Mit Depressionen quittierte ich, dass ich zur ‚Stütze der Gesellschaft‘ wurde. [...]“1

In einem Gespräch im Juni 1980 stellte ich CFvW die Frage nach der Haltung des Chris- ten zu den kommenden Menschheitskatastrophen. Diese Katastrophen (Nahrungsmangel, Umweltzerstörung, Atomkrieg usw.) sind ja aufgrund rein vernunftmäßiger Überlegungen zu erwarten. Ich mache an mir die Beobachtung, sagte ich, dass ich diese Katastrophen relativ gelassen erwarte, weil ich aus der Bibel ohnehin weiß, dass es mit der Menschheit kein gutes Ende nehmen wird. Das schließt nicht aus, dass man alles Menschenmögliche tut, um diese Katastrophen abzuwenden. CFvW erwiderte, dass er in den kommenden Ka- tastrophen keinen Weltuntergang, kein Ende sehe. Das Leben werde auch nach dem Dritten Weltkrieg irgendwie weitergehen. Man wisse nicht, welche Entwicklung die Menschheit nehmen werde. Es sei denkbar, dass der Tod seine Bedeutung verlieren werde. Schon jetzt könne man beobachten, dass es beim Tode von Menschen, die ein sehr erfülltes, segensrei- ches Leben gehabt hätten, zu einer großen Fröhlichkeit und Dankbarkeit der Hinterbliebe- nen komme, dass der Tod also seine Bedeutung verloren habe. Wer wisse, was es da noch für Entwicklungen geben werde!

4. Wissenschaft und Politik

Anfang 1952 hatte ich Gelegenheit, in einer gewissermaßen politischen Sache an CFvW he- ranzutreten. In einem Göttinger Kino wurde ein neuer Film des Regisseurs Veit Harlan (1899 –1964) aufgeführt, der in der Nazi-Zeit den berüchtigten Film Jud Süß produziert hat- te. Göttinger Studenten protestierten mit Transparenten dagegen und störten die Vorstellung mit Luftballons. Es kam zu Prügeleien mit Gegendemonstranten und zum Einschreiten der Polizei. In der Öffentlichkeit gab es Kritik an den protestierenden Studenten, zu denen auch ich gehört hatte, wegen Störung von Ruhe und Ordnung. Einige Göttinger Professoren ver- fassten jedoch eine Erklärung, mit der sie sich hinter die Studenten stellten, die demonstriert hatten. Zusammen mit meinem Con-Diplomanden und Freund Alfred Gierer (*1929), der heute in Tübingen lebt und seit Jahrzehnten Mitglied der Leopoldina ist, unternahm ich es, die in den Göttinger Instituten der Max-Planck-Gesellschaft tätigen Professoren ebenfalls zur

1 Weizsäcker 1977, S. 591.

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Unterschrift unter diese uns unterstützende Erklärung zu bewegen. CFvW unterschrieb ohne weiteres. Er habe sich über unsere Aktion gefreut, sagte er, da die Studenten im Allgemeinen heute zu zahm seien. Man müsse sich mit Antisemitismus und Nazismus auseinandersetzen und sie nicht als Komplex im Unterbewusstsein des Volkes schlummern lassen. Auch Werner Heisenberg (1901–1976) und Otto Hahn (1879 –1968) unterschrieben.

Zu einer engeren Zusammenarbeit mit CFvW kam es 1962. Ich hatte inzwischen in den international zusammengesetzten, sehr erfolgreichen Gruppen von Cecil F. Powell (1903 –1969) in Bristol und von Luis Alvarez (1911–1988) in Berkeley mitgearbeitet und leitete nun selbst in München eine Arbeitsgruppe mit zahlreichen internationalen Verbindun- gen. Im Sommer 1962 hatte ich während eines Urlaubs einige Gedanken darüber zu Papier gebracht, warum wohl in der Physik internationale Zusammenarbeit so unproblematisch und erfolgreich und in der Politik so schwierig sei, und wie man die Erfahrungen der Physiker in guter internationaler Kooperation für die Politik nutzbar machen könne. Meine Denkschrift gab ich CFvW zu lesen, der damals – obwohl Ordinarius für Philosophie in Hamburg – noch Mitglied unseres Münchener Instituts war und in jedem Jahr einen Monat bei uns verbrachte.

Mein Vorschlag war, eine unabhängige, internationale Institution der Wissenschaft zu gründen, die mit wissenschaftlichen Methoden politische Lösungen für die schwierigen Pro- bleme der Menschheit erarbeiten sollte. Ihre Erkenntnisse sollte sie dann zur Vermeidung von Zensur mit eigenen Nachrichtenmedien bekannt geben.

CFvW hielt die Idee nicht grundsätzlich für schlecht, aber er stellte realistische Fragen.

Wer soll die Stellen einer solchen Institution besetzen? Er habe, so sagte er mir, Angst vor der Mischung aus Unsinn und Wahrheit, die die Wissenschaftler der Institution erarbeiten und verbreiten würden. Wenn die Ergebnisse tatsächlich an den Kern der Probleme herankommen sollten, dann werden die materiellen Interessen der Staaten berührt werden, und die Wis- senschaftler werden genau den gleichen Schwierigkeiten gegenüberstehen, mit denen sich die Politiker ständig auseinanderzusetzen haben. Sollen hier Lösungen erzielt werden, dann genügen das Fachwissen, der gute Wille und das Prestige der Wissenschaftler nicht, es muss auch noch eine gute Kenntnis des politischen Handwerks, der ökonomischen, psychologi- schen und soziologischen Bedingungen des politischen Erfolgs hinzukommen.

Diese Ansicht vertrat CFvW auch in der VDW, in die ich dann – wohl das einzige konkre- te Ergebnis meiner Ferienbeschäftigung – aufgenommen wurde.

1970 erhielt ich das Angebot, als Wissenschaftsattaché an die Botschaft der Bundesrepu- blik Deutschland nach Washington zu gehen. Nach einigem Zögern nahm ich auf Rat mei- nes Institutsdirektors Werner Heisenberg und des Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Adolf Butenandt (1903 –1995), das Angebot an, weil dies auch im Interesse der MPG läge. Zu meinen Zuständigkeiten als Wissenschaftsattaché gehörten alle Fragen der Zu- sammenarbeit zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technologie, sowie die Betreuung der zahlreichen deutschen Wissenschaft- ler, welche die USA besuchten und sich von der deutschen Botschaft die Vermittlung von bestimmten Kontakten erhofften. Natürlich gehörte auch Weizsäcker zu diesen Besuchern.

Er war insbesondere an Gesprächen mit seinem alten Freund Henry Kissinger (*1923) und mit führenden Vertretern der amerikanischen Kernenergiebehörden und Wissenschaftsorgani- sationen interessiert. Um entsprechende Gesprächstermine bemühte ich mich und begleitete Weizsäcker dann bei solchen Besuchen.

Anfang des Jahres 1974 hatte der Bundesminister für Forschung und Technologie Horst Ehmke (*1927) die Idee, die Grundsätze der Forschungs- und Technologiepolitik der Bun-

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desregierung durch einen Beratenden Ausschuß für Forschung und Technologie (BAFT) über- prüfen zu lassen. Schon damals zeichneten sich die großen Herausforderungen für die Politik ab, die mit den Fortschritten in Wissenschaft und Technik verbunden waren. Als Vorsitzenden hatte Ehmke CFvW ausersehen, der diese Aufgabe sehr gern annahm, weil er darin wohl die Chance sah, seine Vorstellungen von wissenschaftlicher Politikberatung zu verwirklichen. Zu den vorgesehenen Beratungsthemen gehörten u. a. die folgenden Fragen:

– Ist es richtig, bei aufwendigen Projekten der Grundlagenforschung auch die gesellschaft- liche Relevanz als Kriterium für die staatliche Förderung zu benutzen?

– Wie könnte die sozialwissenschaftliche Begleitung der Programme und Projekte des Bun- desministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) organisiert werden, damit die gesellschaftlichen und sozioökonomischen Implikationen frühzeitig erkannt und berück- sichtigt werden?

– Welche derzeitigen Aufgaben der Großforschungseinrichtungen sollten eingeschränkt oder aufgegeben bzw. erweitert werden und welche Aufgaben sollten neu aufgegriffen werden?

Kurz nach der Berufung der 17 Mitglieder des Ausschusses durch Ehmke trat Bundeskanzler Willy Brandt (1913 –1992) zurück, Helmut Schmidt (*1918) wurde Kanzler, entließ Horst Ehmke und setzte Hans Matthöfer (1925 –2009) als Bundesminister für Forschung und Technologie ein. Matthöfer ließ den BAFT bestehen und berief ihn zu seiner ersten Sitzung am 24. Oktober 1974 nach Bonn ein.

CFvW fragte mich, ob ich nach dem bevorstehenden Ablauf meiner auf drei Jahre befris- teten Tätigkeit als Wissenschaftsattaché in Washington als sein Gast an sein Starnberger Max- Planck-Institut (MPI) kommen könne, um ihn bei der Arbeit für den BAFT zu unterstützen.

Der Präsident der MPG, das Direktorium des MPI für Physik und Astrophysik und Minister Matthöfer waren einverstanden, dass ich als eine Art Generalsekretär an allen Sitzungen des BAFT teilnehmen und die Aufgabe haben würde, zusammen mit einem Ministerialrat des Ministeriums die Sitzungsprogramme vorzubereiten und die Sitzungsprotokolle zu verfassen.

Auf diese Aufgabe bereitete ich mich vor, indem ich mich in Washington im Oktober 1974 in Gesprächen bei der National Academy of Sciences, der National Science Foun dation und bei zwei führenden Beratungsfirmen über das amerikanische Beratungswesen genauer infor- mierte. Dabei wurde mir immer klarer, wie ich CFvW kurz vor der ersten BAFT-Sitzung noch von Washington aus schrieb, dass in der Bundesrepublik Deutschland die einzelnen Probleme (Energieversorgung, Umweltschutz, Industrieforschung, Zukunft der Großforschungszentren, Humanisierung der Arbeitswelt, Sicherung der Geldwertstabilität, europäische Integration, Ost- West-Politik, Entwicklungshilfe usw.) allzu sehr isoliert betrachtet und angegangen werden, obwohl sie in Wirklichkeit alle zusammenhängen. In den USA versuche man, diese Zusammen- hänge zu berücksichtigen. Dabei war von „Systemanalyse“ und „Technology Assessment“ die Rede. Man müsse sich überlegen, wer in Deutschland diese „systemanalytische“ Arbeit werde leisten können. Das wurde dann auch eines der Diskussionsthemen des BAFT.

Natürlich wurde die Beratungstätigkeit des BAFT für Matthöfers Ministerium von der Öffentlichkeit kritisch verfolgt, was Weizsäcker zu dem Schüttelreim veranlasste „Das Haus wird durch die Ritze bespäht, wie es seine Spitze berät.“ Als einmal Fragen des Energiebe- darfs für Klimaanlagen in südlichen Entwicklungsländern zur Sprache kamen, dichtete er

„Ehe ich das Klima in Lima anklage, kaufe ich mir lieber eine Klimaanlage.“ Die hier zum Ausdruck kommende Freude am humorvollen Umgang mit der Sprache ließ ihn bei einem gemeinsamen Abendessen bemerken, dass der Kellner ihn als „Schnitzel“ bezeichnet habe.

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Der hatte ihn nämlich angesprochen „Sie sind wohl das Schnitzel“, als er die bestellten unter- schiedlichen Gerichte am Tisch der Gruppe ablieferte.

Der BAFT hat dann in den drei Jahren seines Bestehens – von Oktober 1974 bis Oktober 1977 – insgesamt 16 Plenarsitzungen durchgeführt. Dazu kamen Unterausschusssitzungen, Begehungen von Großforschungseinrichtungen und einige Spezialkonferenzen zu Fachthe- men im Energiebereich und zur technologischen Entwicklung in der Dritten Welt.

5. Rückblick

Bei einem Gespräch bei Tee und Keksen in seinem Privathaus in Söcking am 13. November 1991 fragte ich CFvW, was er – rückblickend auf die vergangenen Jahrzehnte – den politisch interessierten Wissenschaftlern heute zu tun empfehlen würde. Mir schiene, dass es auf das richtige Zusammenwirken von Wissenschaft, Politik und Ethik ankomme, unter besonderer Berücksichtigung der Psychologie, die ich als Teil der Wissenschaft ansähe. Meiner Meinung nach müssten auf Seiten der Wissenschaft Einrichtungen zur Leistung der Bringschuld der Wissenschaft (für politikrelevante wissenschaftliche Informationen) institutionalisiert wer- den und auf Seiten der Politik Einrichtungen zur Erfüllung der Holschuld für solche Infor- mationen. Ich sagte, es käme bei der Beratung letztlich doch nur darauf an, von Fall zu Fall potentielle Katastrophen zu vermeiden. CFvW widersprach dem nicht. Er sagte aber, er sei eigentlich an Einrichtungen und Institutionen nicht interessiert gewesen. Ihm sei es darauf angekommen, selbst Einfluss auszuüben. Er wäre eher am Amt des Bundeskanzlers als an dem des Beraters des Bundeskanzlers interessiert gewesen.

Zu Bundeskanzler Helmut Schmidt habe er ein gutes persönliches Verhältnis gehabt. (Als vielbeschäftigter Bundeskanzler nahm Helmut Schmidt sich sogar die Zeit, zu der Festschrift

Abb. 2 Carl Friedrich von Weizsäcker bei der Verabschiedung von Klaus Gottstein in den Ruhestand, München 6. Dezember 1991 (Quelle: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft)

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zum 70. Geburtstag von CFvW2 ein drei Seiten langes Vorwort zu schreiben.) Gelegentlich spielten Schmidt und CFvW Schach mit einander. Schmidt habe einmal gefragt, wie lange er sein Amt als Bundeskanzler noch ausüben solle. CFvW habe geantwortet, wenn einer sein Amt gut ausübe, solle er ruhig noch 10 Jahre weitermachen. Schmidt habe geantwortet: ‚Sie machen mir Angst. Das halte ich nicht aus!‘

Ich sagte CFvW, dass Regierungsberatung für mich stets die Bemühung bedeutet habe, nicht nur das eigene sehr begrenzte Potential, sondern das verfügbare Potential der organisier- ten Wissenschaft in verantwortungsvoller Weise für die Politik nutzbar zu machen. Dagegen hatte CFvW keine Einwände.

Zum Abschluss dieses Referats über meine Erinnerungen an CFvW möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass ich mich stets dankbar an die wichtige Rolle erinnere, die CFvW in meinem Leben gespielt hat. Er hat das Anliegen der wissenschaftlichen Regierungsberatung, über die ich anfangs nur theoretisiert hatte, ernstlich in Angriff genommen und in der Praxis ausprobiert. Ich durfte dabei mit ihm zusammenarbeiten. Darüber hat er sehr nette Worte auf dem Kolloquium „Die Rolle der Wissenschaft in der Politik und die Rolle der Politik in der Wissenschaft“ anlässlich meiner Emeritierung im Jahre 1992 gefunden, die im Vorwort der Publikation, in der die Kolloquiumsvorträge wiedergegeben wurden, festgehalten sind.3 Auch dafür bin ich ihm dankbar.

Literatur

Forschungsstelle Gottstein (Hrsg.): Die Rolle der Wissenschaft in der Politik und die Rolle der Politik in der Wissen- schaft. Ein Kolloquium. München: Forschungsstelle Gottstein 1992

Meyer-Abich, Klaus (Hrsg.): Physik, Philosophie und Politik. Festschrift für Carl Friedrich von Weizsäcker zum 70. Geburtstag. München: Carl Hanser 1982

Weizsäcker, Carl Friedrich von: Der Garten des Menschlichen. München: Hanser 1977

Prof. Dr. Klaus Gottstein Max-Planck-Institut für Physik Werner-Heisenberg-Institut

Föhringer Ring 6 80805 München

Bundesrepublik Deutschland Tel.: +49 89 605593 Fax: +49 89 3226704

E-Mail: Klaus.Gottstein@unibw.de

2 Meyer-Abich 1982.

3 Forschungsstelle Gottstein 1992.

Abbildung

Abb. 1  Carl Friedrich von Weizsäcker inmitten von Institutsmitgliedern beim Sommerfest 1950 des Max-Planck- Max-Planck-Instituts für Physik in der Walkemühle, Göttingen (Quelle: Klaus Gottstein)
Abb. 2  Carl Friedrich von Weizsäcker  bei  der Verabschiedung von Klaus Gottstein in  den Ruhestand, München 6

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