§ 5 Meromorphe Funktionen auf beliebigen Gebieten
Wir wollen den Satz von Mittag-Leffler verallgemeinern, dazu ben¨ otigen wir aber noch ein kleines Hilfsmittel.
Sei G ⊂ C ein Gebiet. Unter einer kompakten Aussch¨ opfung von G versteht man eine Folge (K
n) von kompakten Teilmengen von G, so dass gilt:
1. F¨ ur alle n ist K
n⊂ K
◦n+1.
2. Die Vereinigung aller K
nergibt das Gebiet G.
Man ¨ uberlegt sich dann sofort, dass jede kompakte Teilmenge K ⊂ G in einer Menge K
nenthalten ist. Die Existenz solcher Aussch¨ opfungen ist trivial, man setze z.B.
K
n:= {z ∈ C : |z| ≤ n} ∩ {z ∈ G : dist(z, ∂G) ≥ 1/n}.
5.1 Lemma. Sei G ⊂ C ein Gebiet. Dann gibt es eine kompakte Aussch¨ opfungs- folge von G, die zus¨ atzlich
” Rungesch“ ist, d.h. f¨ ur die gilt: K b
n= K
n.
Beweis: Sei eine gew¨ ohnliche kompakte Aussch¨ opfungsfolge gegeben. Wir defi- nieren die gesuchte Folge (K
n∗) induktiv :
1. K
1∗:= K b
1.
2. Seien K
1∗, . . . , K
n∗gew¨ ahlt. Weil K
n∗kompakt ist, existiert ein λ
n∈ N , so dass K
n∗⊂
◦
K
λn.
Setze dann K
n+1∗:= K b
λn.
Dann ist die Folge (K
n∗) eine Rungesche Aussch¨ opfungsfolge.
5.2 Satz von Mittag-Leffler f¨ ur allgemeine Gebiete. Sei G ⊂ C ein Gebiet, P ⊂ G eine in G diskrete Menge, geschrieben als Folge (a
k), mit zugeh¨ origen Hauptteilen
h
k(z) =
mk
X
j=1
c
kj(z − a
k)
j.
Dann gibt es eine auf G meromorphe Funktion, die die Hauptteilverteilung l¨ ost.
Beweis: Ohne Einschr¨ ankung sei P unendlich. Sei K
neine Rungesche kompak- te Aussch¨ opfungsfolge f¨ ur G. Zun¨ achst teilen wir die nat¨ urlichen Zahlen in eine Familie von Indexmengen auf:
I
1:= {k ∈ N : a
k∈ K
1},
und I
n:= {k ∈ N : a
k∈ K
n\ K
n−1} f¨ ur n ≥ 2.
Jede Indexmenge I
nist endlich, weil die Folge (a
k) diskret in G ist. Nun setzen wir f
n(z) := X
k∈In
h
k(z)
(und insbesondere f
n:= 0, wenn I
nleer ist). Dann ist f
njeweils eine rationale Funktion mit Polen h¨ ochstens in K
n\ K
n−1.
F¨ ur n ≥ 2 ist f
nauf K
n−1holomorph. Deshalb ist der Satz von Runge anwendbar;
er liefert die Existenz einer rationalen Funktion R
nmit Polen in C \G, die folgender Absch¨ atzung gen¨ ugt:
|f
n(z) − R
n(z)| <
1 2
nf¨ ur z ∈ K
n−1. Setze dann
f(z) := f
1(z) +
∞
X
n=2
(f
n(z) − R
n(z)) .
Die kompakte Konvergenz folgt sofort: Ist K ⊂ G kompakt, dann gibt es ein n, so dass K ⊂ K
ngilt. Deshalb ist die Differenz f
ν− R
νholomorph auf K f¨ ur ν > n.
Außerdem wird die Reihe P
ν>n
(f
ν− R
ν) majorisiert durch P
ν>n
(
12)
ν. Also ist f eine auf G meromorphe Funktion mit gesuchter Hauptteilverteilung.
Bemerkung. Der Beweis f¨ ur C lieferte genaues Aussehen und genaue Absch¨ atzun- gen, sowie eine Konstruktion der meromorphen Funktion. Der allgemeine Beweis ist ein reiner Existenzbeweis.
Unser n¨ achstes Ziel wird es jetzt sein, den Produktsatz f¨ ur beliebige Gebiete zu beweisen.
5.3 Satz von Weierstraß (f¨ ur beliebige Gebiete). Sei G ⊂ C ein Gebiet.
Dann ist jede Nullstellenverteilung auf G l¨ osbar.
Beweis: Sei G 6= C , D ⊂ G diskret, unendlich, aber nicht diskret in C . Dass D in G diskret ist, ist notwendig zur L¨ osbarkeit der Nullstellenverteilung. Den endlichen sowie den in C diskreten Fall haben wir schon gel¨ ost.
(n
a)
a∈Dseien die Vielfachheiten, und D = {a
ν: ν ∈ N } sei als Folge geschrieben.
Wir k¨ onnen ohne Beschr¨ ankung der Allgemeinheit annehmen, dass jede Vielfach- heit gleich 1 ist, indem wir in der Folge den Punkt entsprechend oft vorkommen lassen.
Wir unterscheiden jetzt zwei F¨ alle:
1. Es existiert ein R > 0, so dass die zwei folgenden Bedingungen erf¨ ullt sind:
(a) D ⊂ D
R(0), also D beschr¨ ankt,
(b) C \ D
R(0) ⊂ G, d.h. G ist Umgebung von Unendlich.
2. G und D sind beliebig.
Zun¨ achst f¨ uhren wir den zweiten Fall auf den ersten zur¨ uck. Daf¨ ur w¨ ahlen wir ein a
0∈ G und ein r > 0, so dass D
r(a
0) ⊂ G, aber D
r(a
0) ∩ D = ∅ ist.
Dann definieren wir F (z) := 1
z − a
0und G
0:= F (G \ {a
0}). Mit R := 1/r ist f¨ ur G
0der erste Fall erf¨ ullt, denn mit z ∈ D ist |z − a
0| > r und deshalb |F (z)| =
|
z−a10
| < R. Also ist D
0:= F (D) ⊂ D
R(0) beschr¨ ankt und nat¨ urlich diskret in G
0. Ist z ∈ C \ D
R(0), also |z| > R, so setze man w := a
0+ 1/z. Dann ist |w − a
0| < r, w 6= a
0und F (w) = z, also w ∈ G \ {a
0} und z ∈ G
0.
Ist jetzt f eine L¨ osung f¨ ur D
0auf G
0mit der Zusatzbedingung
w→∞
lim f (w) = 1,
so ist f b := f ◦ F holomorph fortsetzbar nach a
0und nimmt dort den Grenzwert von f in Unendlich an. Weil der aber 6= 0 ist, hat f b genau die gesuchten Nullstellen in D.
Wenden wir uns deshalb dem ersten Fall zu, ohne zu vergessen, dass wir dort noch f¨ ur die Zusatzbedingung sorgen werden m¨ ussen.
Sei R > 0 wie gefordert. Dann ist C \ G ⊂ D
R, d.h. C \ G beschr¨ ankt. Außerdem ist C \ G nicht leer und abgeschlossen. Das bedeutet aber, dass C \ G kompakt ist.
Deshalb gibt es eine Folge b
νin C \ G, so dass δ
ν:= dist(a
ν, C \ G) = |a
ν− b
ν| ist.
Da D in G diskret ist, streben die δ
νf¨ ur ν → ∞ gegen Null.
Wir erinnern uns an die Funktionen
E
n(z) := (1 − z) · exp z + z
22 + · · · + z
nn
.
Ist |z| ≤ 1, so ist |1 − E
n(z)| ≤ |z|
n+1. Behauptung: Die Funktion
f(z) :=
∞
Y
ν=1
E
νa
ν− b
νz − b
νkonvergiert auf G kompakt, die Grenzfunktion ist holomorph und l¨ ost die gegebene Nullstellenverteilung.
Letzteres sehen wir sofort ein, denn falls das Produkt existiert, gilt f(z) = 0 genau dann, wenn z = a
νf¨ ur ein ν ist, also z ∈ D.
Zeigen wir nun die kompakte Konvergenz. Dazu sei K ⊂ G kompakt. Dann gibt es
ein ν
0, so dass |z − b
ν| > 2|a
ν− b
ν| = 2δ
νf¨ ur alle ν ≥ ν
0und alle z ∈ K gilt, denn
es ist |z − b
ν| ≥ dist(K, C \ G) > 0, die δ
νaber streben gegen Null. Es folgt
a
ν− b
νz − b
ν< 1
2 f¨ ur ν > ν
0, z ∈ K.
Dann gilt nach unseren ¨ Uberlegungen ¨ uber E
ν:
|1 − E
ν( a
ν− b
νz − b
ν)| ≤ ( 1 2 )
ν+1, und deshalb konvergiert die Reihe
∞
X
ν=1
1 − E
ν( a
ν− b
νz − b
ν)
auf K absolut gleichm¨ aßig. Daraus folgt, dass f holomorph auf G ist.
Behauptung: lim
z→∞
f(z) = 1.
Zum Beweis : Da |a
ν− b
ν| als konvergente Folge beschr¨ ankt und |z − b
ν| ≥ dist(z, C \ G) ist, strebt der Bruch X
ν(z) := a
ν− b
νz − b
νunabh¨ angig von ν f¨ ur |z| → ∞ gegen Null und E
ν(X
ν(z)) aus Stetigkeitsgr¨ unden gegen 1. Deshalb ist der Loga- rithmus dort definiert, und es gilt:
f (z) =
∞
Y
ν=1
E
ν( a
ν− b
νz − b
ν) = exp
∞
X
ν=1
log E
ν(X
ν(z))
!
| {z }
z.z.: dies strebt gegen 0
.
Wir benutzen jetzt wieder die fr¨ uher bewiesene Absch¨ atzung f¨ ur den Logarithmus:
Ist |u| klein genug, so gilt |log(1 + u)| ≤
32|u|.
F¨ ur u setzen wir u
ν(z) := E
ν(X
ν(z)) − 1 ein. Zu jedem ε (mit 0 < ε < 1) gibt es ein R = R
ε> 0, so dass |X
ν(z)| < ε f¨ ur |z| > R und alle ν gilt. Dann ist
|1 − E
ν(X
ν(z))| ≤ |X
ν(z)|
ν+1< ε
ν+1. Wir w¨ ahlen ε so, dass u
ν(z)
” gen¨ ugend klein“ ist, also
|log(E
ν(X
ν(z)))| ≤ 3
2 |E
ν(X
ν(z)) − 1| ≤ 3
2 ε
ν+1f¨ ur |z| > R und alle ν.
Dann ist
∞
X
ν=1
|log E
ν(X
ν(z))| ≤ 3 2
∞
X
ν=1
ε
ν+1= 3
2 ε
2· 1
1 − ε f¨ ur |z| > R.
Zu jedem δ > 0 kann man ein ε finden, so dass 3
2 ε
2· 1
1 − ε < δ ist, und dazu ein R > 0, so dass dann
∞
X
ν=1
|log E
ν(X
ν(z))| ≤ δ f¨ ur |z| > R ist. Daraus folgt die
Zusatzbedingung. Nun ist alles gezeigt, da der zweite Fall vollst¨ andig auf den ersten zur¨ uckgef¨ uhrt werden konnte.
5.4 Folgerung. Sei G ⊂ C ein Gebiet, f ∈ M(G) eine meromorphe Funktion.
Dann gibt es holomorphe Funktionen g, h ∈ O(G), so dass f = g
h deren Quotient ist.
Beweis: Sei (h
a)
a∈Ddie Hauptteilverteilung von f , (n
a) die Folge der jeweiligen Polstellenordnung. Dann kann (n
a)
a∈Dauch als Nullstellenverteilung angesehen werden. Nach dem allgemeinen Weierstraßschen Produktsatz gibt es eine passende Funktion h ∈ O(G), die die Nullstellenverteilung l¨ ost. Dann ist die Funktion g :=
h · f holomorph, da alle Pole behoben sind. Das bedeutet aber f = g h .
Bemerkung. In algebraischer Sprechweise bedeutet die Folgerung: Der Quoti- entenk¨ orper von O(G) ist M(G).
Wir kehren noch einmal zum Mittag-Leffler-Problem zur¨ uck:
Sei G ⊂ C ein Gebiet, P ⊂ G eine in G diskrete Menge, geschrieben als Folge (a
k)
k∈N, mit zugeh¨ origen Hauptteilen
h
k(z) =
mk
X
j=1