A2494 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 37⏐⏐14. September 2007
B R I E F E
die Praxis aufsucht. Selbst der ange- dachte Morbiditätszuschlag würde beide Patienten gleichermaßen be- treffen. Ausgangspunkt der Überle- gungen war eine Musterpraxis mit 800 Behandlungsfällen im Quartal mit einer statistisch normal verteilten Morbidität. In der Realität sind Haus- arztpraxen aber höchst unterschied- lich ausgerichtet, insbesondere in den Großstädten . . . Praxen, die in kurzer Zeit viele unkomplizierte Patienten
„durchschleusen“, werden die Gewin- ner, Praxen mit vielen behandlungs- intensiven Patienten hingegen die Verlierer dieses Honorarsystems sein.
Da auch geplante Hausbesuche in den Pauschalen enthalten sein sollen, wird es sich der Hausarzt auch in Zu- kunft nicht leisten können, engma- schige Hausbesuche – z. B. zur Kran- kenhausvermeidung – durchzufüh- ren. In derselben Zeit kann er ein Vielfaches an Patienten in seiner Pra- xis behandeln. Die Zahl der Kranken- hauseinweisungen als auch die Ver- sorgung durch den kassenärztlichen Notdienst dürften deshalb ebenso zu- nehmen wie die Überweisungen an Fachärzte. Es wird viel lohnender sein, zehn Erkältungskranke zu be- handeln als beispielsweise einen schwerhörigen Patienten mit einer infektexazerbierten COPD.
Ein weiterer Aspekt, den ich an die- ser Stelle nicht vertiefen möchte, ist der, dass das Vorhalten bestimmter Leistungen genauso vergütet werden soll wie die Durchführung selbst. Es wird also keinen Unterschied ma- chen, ob der Hausarzt eine Ultra- schalluntersuchung selbst durchführt oder nur ein altes Gerät in seiner Ab- stellkammer stehen hat, also vorhält.
Ich meine, dass unser künftiges Ho- norarsystem Anreize setzen muss, um wirklich kranke, alte, multimor- bide und palliativmedizinische Pati- enten adäquat zu versorgen . . . Jedes Honorarsystem hat Vor- und Nach- teile, Gewinner und Verlierer und bietet Missbrauchsmöglichkeiten.
Insofern plädiere ich für eine intelli- gente Mischung aus alters- und mor- biditätsorientierten Pauschalen in Kombination mit Einzelleistungsver- gütungen für bestimmte Bereiche, wie z. B. Hausbesuche . . .
Dr. med. Michael Christian Schulze, MPH, Anna-Seghers-Straße 111, 12489 Berlin-Adlershof
PACKUNGSBEILAGEN
Seit Ende 2005 müs- sen die Beipackzet- tel bei neuen Arznei- mitteln auf Lesbar- keit und Verständ- lichkeit geprüft wer- den (DÄ 25/2007:
„Lesbarkeit auf dem Prüfstand“ von Sun- na Gieseke).
Compliance gefördert?
Auch ich als Ärztin muss oft mehr- mals nachlesen, welche Dosierung bei welcher Indikation die richtige ist, wie soll da, anhand einer Packungs- beilage, ein Patient mit Sicherheit die richtige Dosierung finden? In meinem Heimatland Norwegen muss man beim Ausfüllen eines Rezepts auch die Dosierung aufschreiben, für wie lange der Patient das Präparat einneh- men soll, und eventuelle Besonder- heiten, etwa Einnahme eine halbe Stunde vor dem Essen. Dies, zusam- men mit Namen und Geburtsdatum, wird auf ein Klebeetikett in der Apo- theke ausgedruckt und auf die Packung geklebt. Damit ist es für den
Patienten einfach zu entnehmen, wie oft und wie lange das Medikament eingenommen werden soll. Ein zwei- ter Vorteil ist, dass der Apotheker auch noch die Dosierung nachprüfen kann und bei eventuellen Unklarhei- ten auch beim Arzt nachfragen kann.
Und jeder kann auf der Packung le- sen, welcher Arzt die Medikamente verordnet hat. Vielleicht ist dann die Compliance besser zu sichern?
Kristin Livden Vogt,Reiherweg 14, 32427 Minden
EUROPÄISCHE UNION
Zur deutschen Rats- präsidentschaft im ersten Halbjahr (DÄ 26/2007: „Deutsche EU-Ratspräsident- schaft: Gemischte Bilanz“ von Petra Spielberg).
Mindestlohn für
„Abzocker“
Schön, was man EU-weit alles the- matisieren kann. Allerdings sollte man auch das Honorar der Ärzte eu- ropaweit diskutieren. Hierzu möchte ich ein Beispiel nennen: Ich bin von Beruf Radiologe, also professionel- ler „Abzocker“. Hier in Bayern be- komme ich (KV Mittelfranken: I.
Quartal 2007) zum Beispiel für einen Thorax in zwei Ebenen ganze 8,04 Euro (Regionalkasse) oder 9,39 Euro (Ersatzkasse). Für ein CT des Ge- hirns sind es 31,26 Euro (Regional- kasse) oder 36,37 Euro (Ersatzkas-
sen). Mit einem Zuschlag für die KM-Serie sind es dann (wenn ein Kon- trastmittel gegeben wird) 42,83 Euro bzw. 49,82 Euro . . . Für ein MRT im Budget gibt es satte 155,34 Euro für die komplette Untersuchung des Ge- hirns, bei zusätzlicher Kontrastmit- telgabe sogar 212,58 Euro . . . Das Budget für die MRT-Untersuchung ist in Bayern brutal gedeckelt und schnell erreicht. Wird das Praxis-In- dividualbudget überschritten, kostet das MRT keine 20 Euro mehr (!).
Bei diesen „Abzockerpreisen“ ist dringend zu fordern, dass wir auch auf diesem Sektor eine „europaweite Harmonisierung“ erreichen, damit ich mir nicht die Taschen so voll ma- chen kann. Deshalb fordere ich ei- nen „europäischen Mindestlohn für
‚Abzocker‘ und auch für seriöse Ärzte“ . . . Es ist wohl an der Zeit, dass die einzelnen Arztgruppen ihre Kassenhonorare quartalsweise in großen Tageszeitungen für die Be- völkerung veröffentlichen: jeweils in Euro (!) für das jeweils vorangegan-
Foto:Visum
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gerung, Unruhe) zur Einweisung.
Diese erfordern bei der Diagnostik in erster Linie Erfahrung, Geduld und ein individuell abgestimmtes Unter- suchungsprogramm in behutsamen Schritten, um zu verlässlichen Dia- gnosen und damit geeigneten Thera- pien zu kommen . . . Ein weiterer Aspekt ist der unscharf definierte Be- griff der geistigen Behinderung. Er ist weiter zu fassen als allgemein üb- lich. Menschen mit erworbenen Hirn- schädigungen (Trauma, Ischämie, Alzheimer) gehören genauso zu der im DRG-System benachteiligten Pa- tientengruppe wie Menschen mit schweren psychiatrischen Erkran- kungen oder fortgeschrittenen Sucht- erkrankungen. Nur eine politisch ver- ankerte Sicherung der Finanzierung für die Behandlung dieser Menschen kann einer fortschreitenden Benach- teiligung entgegenwirken. Hilfreich wäre zudem mehr medizinischer Sachverstand und Verständnis für die
komplexe Behandlungssituation bei den Kostenträgern und dem MDK.
Dr. med. Jörg Stockmann,Internistisches Zentrum für Behindertenmedizin, Evangelisches Krankenhaus Bielefeld, Maraweg 19, 33617 Bielefeld
Gründung einer Arbeitsgemeinschaft
Kai Harenski hat in seinem sehr auf- schlussreichen Beitrag zu Recht auf die oft unzureichende ärztliche und pflegerische Betreuung geistig behin- derter Menschen in Krankenhäusern hingewiesen. Die Krankenhausmedi- zin hat sich noch nicht auf die kosten- und zeitintensivere Versorgung geis- tig behinderter Menschen eingestellt.
Es wird in dem Beitrag auf eine not- wendige Verbesserung der Koopera- tion der Einrichtungen, in denen die Patienten leben, und der Kranken- häuser hingewiesen. Das setzt vor- aus, dass das betreuende Heimperso- nal neben der heilpädagogischen För- gene Quartal. Dann hört das endlich
mit den Betrugsvorwürfen gegen Ärzte auf. Wer betrügt hier eigent- lich wen?
Dr. med. Gerhard Walter,Radiologisches Zentrum, Hembacher Weg 22, 91126 Schwabach
GEISTIG BEHINDERTE
Ihre Behandlung im Krankenhaus erfor- dert engagiertes Personal, Zeit und mehr finanzielle Mit- tel (DÄ 27/2007:
„Geistig behinderte Menschen im Krankenhaus: Alles andere als Wunschpatienten“ von Dr. med. Kai Harenski).
Zustimmung
Dem Beitrag von Kai Harenski zur stationären Versorgung geistig behin- derter Menschen ist voll und ganz zu- zustimmen. In unserer Einrichtung
„Zentrum für Behindertenmedizin“
im Evangelischen Krankenhaus Bie- lefeld (Träger der Bodelschwingh- schen Anstalten Bethel) werden jähr- lich ca. 1 600 Menschen mit geistiger Behinderung stationär versorgt. Zwar ist derzeit noch eine Vergütung nach tagesgleichen Pflegesätzen möglich, jedoch wird seitens einiger Kosten- träger die stationäre Aufnahme als solche immer häufiger hinterfragt und die (zeitraubende) Überprüfung stationärer Behandlungsverläufe durch den MDK veranlasst. Offen- sichtlich wird dabei das vorrangige Ziel verfolgt, eine weitere Verkür- zung der stationären Verweildauer zu erzwingen. Leider scheinen viele Gutachter des MDK nicht zu verste- hen, dass eine „behindertengerechte“
Medizin Zeit benötigt: Zeit für Beob- achtung, um z. B. belastende und unnötige Untersuchungen mit hohem Risiko vermeiden zu können, Zeit für Genesung, die Wiederaufnahmen oder gar Komplikationen vermeiden kann. Standardprozeduren funktio- nieren natürlich auch bei behinderten Patienten, wenn klar diagnostizierte Krankheitsbilder vorliegen. Dies ent- spricht aber nicht der alltäglichen Er- fahrung in unserem Krankenhaus.
Oft führen unspezifische Symptome (Abgeschlagenheit, Nahrungsverwei-
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