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Archiv "Primärer Hyperparathyreoidismus: Heute ein meist asymptomatisches Krankheitsbild" (06.12.2002)

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Academic year: 2022

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D

ie präzise Kontrolle der extrazel- lulären Calciumkonzentration spielt eine bedeutende Rolle für eine Vielzahl physiologischer Prozes- se, wie zum Beispiel die Blutgerinnung sowie die normale Funktion von Neu- ronen, Herz-, Skelett- und glatter Muskulatur. Bereits ein geringer Ab- fall der Serumkonzentration für Calci- um führt zu einer Erhöhung der in- testinalen Absorption sowie der rena- len Reabsorption und zu einer ver- mehrten Freisetzung von Calcium aus dem Knochen. Umgekehrt hat eine er- höhte Serumcalciumkonzentration ei- ne verminderte intestinale Absorption beziehungsweise Freisetzung aus dem Knochen sowie eine vermehrte renale Calciumexkretion zur Folge (18) (Grafik 1). Die hormonelle Steuerung wird überwiegend durch Parathormon (PTH, Synthese in den Nebenschild- drüsen) und Vitamin D3 (1, 25-Dihy- droxycholecalciferol, Synthese des ak- tiven Metaboliten in den proximalen Tubuli der Nieren), weniger durch

Calcitonin (Synthese in den C-Zellen der Schilddrüse) realisiert (17). In den C-Zellen der Schilddrüse führt eine Erhöhung der Serumcalciumkonzen- tration über die G-Protein-gekoppelte Aktivierung des Calcium-Sensing-Re- zeptors (CaR) zur Stimulation der Se- kretion von Calcitonin (16, 17). Die Sekretion von PTH durch die Neben- schilddrüsen wird invers reguliert. Ein geringer Anstieg der Serumcalcium- konzentration und die damit verbun- dene Aktivierung des CaR haben eine potente Hemmung der PTH-Sekreti- on zur Folge. Umgekehrt stimuliert ei- ne niedrige Calciumkonzentration die Synthese und Sekretion von PTH (15).

Bei Patienten mit primärem Hyperpa- rathyreoidismus (pHPT) ist die nor- male Regulation der PTH-Sekretion gestört. Trotz einer erhöhten Serum- calciumkonzentration weisen diese Patienten unverhältnismäßig hohe

(normale oder erhöhte) PTH-Spiegel auf und leiden an indirekten Folgen dieser PTH-Sekretionsstörung durch die Wirkung auf andere Organe.

Bei mehr als 80 Prozent der Patien- ten mit pHPT ist ein singuläres Adenom der Nebenschilddrüsen die Ursache (91). Somatische Mutationen in einzelnen Zellen können Protoonko- gene anschalten oder Tumorsuppres- sorgene inaktivieren mit konsekutiv erhöhter zellulärer Proliferation. Die monoklonale Expansion dieser Zellen resultiert im klinisch diagnostizierba- ren Tumor. Für die Mehrheit der Ne- benschilddrüsenadenome im Rahmen eines pHPT konnte ein monoklonaler Ursprung nachgewiesen werden (9, 65, 89). Die genetischen Veränderungen in Nebenschilddrüsenadenomen rei- chen von partiellem Verlust, Aberrati- on bis zur Vermehrung von Chromo- somenabschnitten. Allelverluste auf Chromosom 11 sind die am häufigsten festgestellte genetische Veränderung in benignen Nebenschilddrüsenade-

Primärer

Hyperparathyreoidismus

Heute ein meist asymptomatisches Krankheitsbild

Zusammenfassung

Die Symptomatik des primären Hyperparathy- reoidismus (pHPT) hat sich in den letzten Jah- ren deutlich gewandelt. Häufig werden Patien- ten aufgrund zufällig entdeckter erhöhter Se- rumcalciumwerte zur weiteren endokrinologi- schen Diagnostik überwiesen. Viele Patienten klagen über unspezifische Symptome wie Mü- digkeit, Abgeschlagenheit und Interesselosig- keit. Drei Viertel der Patienten sind asympto- matisch, wenn man von den obigen unspezifi- schen (neuropsychiatrischen) Symptomen ab- sieht. Verlaufsuntersuchungen von asympto- matischen Patienten über zehn Jahre zeigen nur in etwa 27 Prozent der Fälle eine deutliche Progredienz der Erkrankung. Die kurative The- rapie des pHPT ist die Parathyreoidektomie.

Die zunehmende Zahl von asymptomatischen Patienten sowie die geringe Progredienz der Erkrankung werfen die Frage auf, ob diese Pa- tienten chirurgisch behandelt werden sollten.

Bisphosphonate, Östrogene und selektive Östrogenrezeptormodulatoren sind mögliche

neue medikamentöse Therapieansätze. Calci- mimetika agieren als allosterische Aktivatoren des Calcium-Sensing-Rezeptors und haben in kleineren Studien eine Senkung von Serumcal- cium- und Parathormonwerten bei Patienten mit primärem und sekundärem Hyperparathy- reoidismus gezeigt.

Schlüsselwörter: primärer Hyperparathyreoidis- mus, Calcium, Parathormon, Vitamin-D-Mangel, Symptomatik, Therapie

Summary

Primary Hyperparathyroidism: A Mostly Asymptomatic Disease

The clinical picture of primary hyperparathy- roidism (pHPT) has changed. Nowadays, pHPT has become a more and more asymptomatic disorder often diagnosed by routine biochemi- cal screening of serum calcium concentra- tions. Many patients complain of nonspecific symptoms such as fatigue, forgetfulness, and

lack of interest. Three quarters of patients are asymptomatic/do not have symptoms attrib- utable to pHPT. The course of pHPT is rather benign. Less than 27 per cent of patients show evidence of disease progression over a 10-year follow-up period. The curative treatment of pHPT is parathyroidectomy. The growing percentage of asymptomatic pa- tients and the benign course of pHPT raise the question whether these patients could be monitored without any surgical intervention.

In small trials, patients with mild pHPT have been successfully treated with bisphos- phonates, estrogens and selective estrogen receptor modulators. Newer drugs such as calcimimetics are allosteric activators of the calcium-sensing receptor. Calcimimetics lower serum calcium and parathyroid hormone concentrations in patients with primary and secondary hyperparathyroidism.

Key words: primary hyperparathyroidism, calci- um, parathyroid hormone, vitamin D deficiency, diagnosis, therapy

Medizinische Klinik III, (kommissarischer Direktor: Prof.

Dr. med. Ralf Paschke), Universität Leipzig

Susanne Miedlich

Christian A. Koch

Ralf Paschke

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nomen (5, 33, 72). Darüber hinaus fand man somatische Mutationen im MEN-1-Gen, lokalisiert auf Chromo- som 11q13, in bis zu 27 Prozent von sporadischen Nebenschilddrüsentu- moren (19, 34, 46, 65). Die Mehrzahl dieser Mutationen sind inaktivierend, das heißt, sie führen zu Deletionen von Aminosäuren und damit zur Trun- kierung des resultierenden Proteins.

Man nimmt an, dass es sich beim MEN-1-Gen um einen Tumorsuppres- sor handelt. Nach dem „Zwei-Hit“- Modell von Knudson kommt es zur Inaktivierung eines Tumorsuppressor- gens nach Mutation in einem Allel (erster Hit) und Verlust des Wildtyp- Allels (zweiter Hit) (53).

In weniger als 5 Prozent der Neben- schilddrüsenadenome fand man ein Rearrangement von Abschnitten des kurzen und des langen Arms von Chromosom 11 (8, 9). Durch dieses Rearrangement wird die 5'-regulatori- sche Region des PTH-Gens vor ein Gen gebracht, das als Cyclin D1 iden- tifiziert wurde (66). Da Cyclin D1 eine entscheidende Rolle für die Progressi- on des Zellzyklus spielt, wird ange- nommen, dass diese genetische Verän- derung zur Wachstumsinduktion und Tumorentstehung führt (73).

Für die Mehrzahl der Nebenschild- drüsenadenome im Rahmen eines pHPT ist die molekulare Ursache je- doch nicht bekannt. Die Vielfalt der bisher detektierten chromosomalen Veränderungen spricht für heterogene genetische Defekte (5, 33, 72).

Bei 15 bis 20 Prozent der Patienten mit pHPT findet man eine Hyperpla- sie oder multiple Adenome der Ne- benschilddrüsen (91). Vererbbare Syn- drome, welche bei etwa 20 Prozent der Patienten mit Hyperplasie der Neben- schilddrüsen vorkommen können, um- fassen die multiple endokrine Neopla- sie Typ 1 (MEN 1) und Typ 2a (MEN 2a), die familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie (FHH) und den neo- natalen primären Hyperparathyreoi- dismus (NPHPT) sowie das Hyperpa- rathyreoidismus-Kiefertumor-Syndrom (HKTS) (63). MEN 1 und FHH sind die häufiger vorkommenden Syndro- me. Dabei findet man bei einem fa- miliären isolierten pHPT in etwa 20 Prozent der Familien Keimbahnmuta-

tionen im MEN-1-Gen (63). NPHPT und HKTS findet man extrem selten.

Die Häufigkeit eines pHPT im Rah- men der MEN 2a beträgt weniger als 25 Prozent; medulläres Schilddrüsen- karzinom und Phäochromozytom do- minieren hier (35, 86). Verantwortlich für diese Syndrome sind Keimbahn- mutationen im MEN-1-Gen (MEN 1), im RET-Protoonkogen (MEN 2), im Calcium-Sensing-Rezeptor (FHH, NPHPT), und einem bisher unbekann-

ten Gen auf Chromosom 1q21-32 (HKTS) (63). Nur sehr selten findet man Nebenschilddrüsenkarzinome als Ursache des pHPT (91). Die MEN 1 ist bis zum 50. Lebensjahr zu 100 Pro- zent penetrant (14, 62). Der jüngste bisher berichtete Patient war 5 Jahre alt (98). Die Häufigkeit einer Keim- bahnmutation im MEN-1-Gen in ei- nem Patienten mit pHPT, der bei ne- gativer Familiengeschichte als spora- disch angenommen wird, ist etwa 1 Prozent (100). Eine Suche nach MEN- 1-Keimbahnmutationen sollte daher erfolgen bei Patienten mit

> MEN-1-typischen Tumoren (zum Beispiel pHPT, gastroenteropankreati- sche Tumoren, Hypophysenadenom) und einem Alter von weniger als 30 Le- bensjahren oder einer für MEN 1 posi-

tiven Familienanamnese oder multifo- kalen Tumoren,

>Manifestation von mindestens zwei MEN-1-typischen Tumoren, und

> Rezidiven von MEN-1-typischen Tumoren, um dadurch noch asympto- matische Familienmitglieder rechtzeitig zu diagnostizieren und therapieren (14, 51).

Bei der MEN 2 kommt ein pHPT nur im Rahmen der MEN 2a vor (35, 87).

Ein pHPT kann bei der MEN 2a früh (nach dem zehnten Lebens- jahr) auftreten (35, 44). Dabei wird empfohlen bei RET- Keimbahnmutationen im Ko- don 634 nach dem zehnten Le- bensjahr jährlich nach einem pHPT zu fahnden, während bei Keimbahnmutationen in den Kodons 609, 611, 618, 620, 790, und 791 eine derartige Untersuchung (Serum Calci- um, intaktes PTH) alle zwei bis drei Jahre erforderlich wird (14, 55). Die chirurgische Indikation ist dabei identisch mit der beim sporadischen pHPT (70, 79, 101). Da in der MEN 2 ein medulläres Schild- drüsenkarzinom der häufigste und bösartigste Tumor ist und meist vor einem Phäochromo- zytom oder pHPT auftritt, sollten alle Patienten mit me- dullärem Schilddrüsenkarzi- nom auf eine RET-Keim- bahnmutation getestet wer- den. Die Wahrscheinlichkeit eine sol- che bei einem augenscheinlich (nach Familienanamnese) sporadischen me- dullären Schilddrüsenkarzinom zu fin- den, ist etwa 7 Prozent (30). Die gleiche Empfehlung gilt für offensichtlich iso- lierte und nichtfamiliäre Phäochromo- zytome, da wie kürzlich gezeigt wurde, ein Phäochromozytom sich klinisch vor einem medullären Schilddrüsenkarzi- nom in der MEN 2 manifestieren kann (69). Eine Mutationsanalyse auf RET- Keimbahnmutationen ist jedoch nicht indiziert bei Patienten mit einem offen- sichtlich sporadischen pHPT, da sich ein solcher in der MEN 2a nicht vor einem medullären Schilddrüsenkarzinom ma- nifestiert (14).

Der pHPT gehört zu den häufigen endokrinen Erkrankungen. Seine Prä- Regulation der Serumcalciumkonzentration durch PTH 1,

1, 25-D3 (25-Dihydroxycholecalciferol) und Calcitonin in Darm, Nieren und Knochen; 25-D3, 25-Hydroxychole- calciferol; Ca2+e, extrazelluläre Calciumkonzentration;

PO4, extrazelluläre Phosphatkonzentration; CaR, Calci- um-Sensing-Rezeptor; +, stimulativer Effekt; –, hemmen- der Effekt

Ca2+e Grafik

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valenz beträgt ungefähr 0,2 bis 0,4 Pro- zent. Frauen sind zwei- bis dreimal häu- figer betroffen als Männer (49). In der Mehrzahl der Fälle wird die Diagnose nach dem 40. Lebensjahr gestellt. Eine Verlaufsbeobachtung von asymptoma- tischen Patienten mit pHPT bestätigt nur bei 27 Prozent der Patienten eine Progression der Erkrankung über einen Zeitraum von zehn Jahren. Eintritt in die Menopause und jüngeres Alter sind Risikofaktoren für eine Progredienz des pHPT (95).

Symptomatik des pHPT

Die klassische Symptomtrias „Stein-, Bein- und Magenpein“ im Sinne einer Nephrolithiasis, der Osteitis fibrosa cy- stica sowie Dyspepsie oder Ulcera ven- triculi (6, 11) findet man heute eher sel- ten. Dabei bleibt anzumerken, dass

„Magenpein“ im Rahmen eines pHPT eigentlich nur bei gleichzeitiger MEN 1 mit erhöhter Gastrinbildung (Zollin- ger-Ellison-Syndrom) vorkommt. Häu- fig wird der Verdacht auf einen pHPT aufgrund zufällig festgestellter erhöh- ter Serumcalciumwerte ausgesprochen.

Diese Entwicklung des pHPT zu einem oligo- bis asymptomatischen Krank- heitsbild wird zumindest teilweise auf die routinemäßig durchgeführte auto- matisierte Bestimmung der Serum- elektrolyte, inclusive Serumcalcium, Mitte der 70er-Jahre zurückgeführt, mit dem Resultat einer deutlich frühe- ren Diagnosestellung. So wurde in ei- ner Populationsstudie der Mayo-Clinic (Rochester, Minnesota) nach Einfüh- rung der Autoanalyzer eine temporäre Zunahme der Inzidenz des pHPT von 15/100 000 auf 112/100 000 Personen- jahre beobachtet (106). Bei genauer Befragung der Patienten mit pHPT gibt die Mehrzahl allerdings doch Beschwerden an (42, 43, 60). Über- raschenderweise klagten Patientinnen mit pHPT im Vergleich zu einer ge- sunden Kontrollgruppe weniger über klassische Symptome (Nierensteine, Knochen-, Gelenkschmerzen). Dafür wurden Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Reizbarkeit und Mangel an sexuel- lem und emotionalem Interesse häufi- ger als bei den Kontrollpersonen ange- geben (60).

Die Entwicklung des pHPT zu ei- nem oligo- bis asymptomatischen Krankheitsbild macht deutlich, dass Se- rumcalcium und gegebenenfalls PTH nicht nur bei Patienten mit Dyspepsie, Nierensteinen und/oder Osteoporose bestimmt werden sollte, sondern die Verdachtsdiagnose pHPT auch bei Pa- tienten mit weniger typischer Sympto- matik wie Abgeschlagenheit, Müdig- keit, Reizbarkeit und Interesselosigkeit mit in Erwägung gezogen werden soll- te.

Diagnostik des pHPT

Die typische Laborkonstellation, die si- cher für einen pHPT spricht, sind ein er- höhter Serumcalciumwert und ein dazu unverhältnismäßig hoher (normal oder erhöht) PTH-Spiegel sowie ein ernied- rigter Serumphosphatwert. Damit ver- bunden ist eine erhöhte renale Calci- um- und Phosphatausscheidung (Text- kasten 1). Gelegentlich wird jedoch ein normaler Serumcalciumwert bei einem PTH-Wert im oberen Normbereich ge- messen (31, 37, 61, 105). Differenzialdia- gnostisch ist hier ein sekundärer HPT, zum Beispiel im Rahmen eines Vita- min-D-Mangels, in Betracht zu ziehen.

Meist lässt sich anhand des ionisierten

Serumcalciumspiegels die Diagnose stellen, welcher im Falle eines primären HPT erhöht ist beziehungsweise im oberen Grenzbereich liegt (36). Beim sekundären HPT ist der ionisierte Se- rumcalciumwert erniedrigt oder im un- teren Grenzbereich messbar. Serum- phosphat (erhöht beim renalen sekun- dären HPT) und Urincalcium (ernied- rigt beim renalen sekundären HPT) können die Diagnose weiter erhärten.

Eine wichtige Differenzialdiagnose der Hypercalcämie, insbesondere bei hospi- talisierten Patienten, ist ein maligner Tumor (Lungen-, Brustkarzinom, My- elom, Lymphom). Typisch für diese Pa- tienten ist ein supprimierter PTH-Wert sowie eine erhöhte Konzentration des PTH-related Peptide (PTHrP). Weite- re eine Hyperkalzämie verursachende Faktoren sind Zytokine (zum Beispiel IL-1, IL-6, TNF-α) und seltener 1, 25- Dihydroxycholecalciferol (96).

Steht die Diagnose pHPT fest, folgt eine klinische Evaluation des Patienten (Textkasten 2). Die Nierensonographie erlaubt die Detektion von Nierenstei- nen. Eine sonographische Untersu- chung des Halses ist aus zweierlei Gründen indiziert. Erstens können da- mit vergrößerte Nebenschilddrüsen und Adenome lokalisiert werden. Die Sensitivität des Ultraschalls wird zwi- schen 36 und 75 Prozent angegeben (57, 81). Ein fehlender Nachweis patho- logisch vergrößerter Nebenschilddrü- sen schließt die Diagnose pHPT nicht aus. Prinzipiell wird die Diagnose auf- grund der pathologischen Laborpara- meter gestellt. Zweitens sollte sonogra- phisch eine genaue Beurteilung der Schilddrüse vorgenommen werden. Ei- ne Koinzidenz von pHPT und thyreoi- Diagnostische Kriterien des pHPT

>Serumcalcium, ionisiert

>PTH oder normal

>Serumphosphat

>Urincalcium

>Urinphosphat Textkasten 1

Klinische Evaluation von Patienten mit pHPT

>Anamnese*1

– Klassische Symptome: Knochenschmerz, Nierenkolik, muskuläre Schwäche, Depression, Hypertonus, Dyspepsie, Pankreatitis, Gicht, Pseudogicht, Polydipsie, Polyurie, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Pruritus

– Assoziierte Symptome: Abgeschlagenheit, Vergesslichkeit, Konzentrationsschwäche, Schlaflosigkeit, Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, Interesselosigkeit, Arthralgien

>EKG (eventuell Verkürzung der QT-Zeit, Bradyarrhythmie)

>Creatinin-Clearance

>Sonographie von Schilddrüsen, Nebenschilddrüsen und Nieren

>Knochendichtemessung distaler Radius, proximaler Femur, LWS

*1modifiziert nach Hasse et al., Exp Clin Endocrinol Metab 1976; 43: 428–435 Textkasten 2

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daler Autonomie oder euthyreoter nodulärer Struma (Differenzialdiagno- se nach funktioneller Beurteilung, Be- stimmung von TSH, fT4, 99mTc-Szinti- graphie) ist gerade in Mitteleuropa nicht selten und sollte parallel der chir- urgischen Intervention zugeführt wer- den (24, 25, 52).

Eine computertomographische oder nuklearmedizinische Lokalisation von Nebenschilddrüsenadenomen ist pri- mär nicht indiziert. Die Erfolgsquote der bilateralen explorativen Parathy- reoidektomie durch einen erfahrenen, endokrinen Chirurgen liegt bei etwa 95 Prozent (23, 57, 99). Bei der Planung von Nachoperationen aufgrund von Rezidiven erweist sich möglicherwei- se die präoperative Lokalisation der meist solitären Nebenschilddrüsenade- nome mittels 99mTc-Sesta-MIBI-Szin- tigraphie als günstig (20, 21).

Zur weiteren klinischen Beurteilung des Patienten gehört die Knochendich- temessung. Eine Reduktion der Kno- chendichte um mehr als zwei Standard- abweichungen im Vergleich zur alters- entsprechenden Normalbevölkerung (Z-Score) stellt bei sonst asymptomati- schen Patienten mit pHPT eine Opera- tionsindikation dar (siehe NIH-Kriteri- en). Ein Problem hierbei ist die Defi- nition der „Normalbevölkerung“, ins- besondere bei älteren Individuen, die auch andere Ursachen für einen Kno- chenverlust (zum Beispiel Menopause, Vitamin-D-Mangel) aufweisen kön- nen. Die Knochendichtemessung sollte im Bereich des proximalen Femur, des distalen Radius und der LWS vorge- nommen werden. Typisch für den pHPT ist eine kortikal betonte Osteo- penie. Spongiös betonte Knochen des Stammskeletts, zum Beispiel die LWS, sind meist weniger betroffen (93).

Auf röntgenologische Untersuchungen, welche Veränderungen im Sinne einer Osteitis fibrosa cystica sichtbar ma- chen, kann bei fehlender Symptomatik verzichtet werden. Während Patienten mit renalem sekundären oder tertiären HPT meist ausgeprägte radiologische Veränderungen im Bereich der Kno- chen aufweisen, findet man bei den meist oligosymptomatischen Patienten mit pHPT nur sehr selten röntgenologi- sche Zeichen einer Osteitis fibrosa cy- stica (11).

Therapie des pHPT

Die kurative Therapie des pHPT besteht in der Parathyreoidektomie der patholo- gischen Nebenschilddrüsen. Die Opera- tion ist explorativ. Nach Exstirpation ei- nes Tumors durch den Chirurgen erfolgt die intraooperative Schnellschnittunter- suchung durch den Pathologen. Darüber hinaus sollten die übrigen Nebenschild- drüsen makroskopisch durch den Opera- teur und im Zweifelsfall mikroskopisch (Biopsie) durch den Pathologen begut- achtet werden, um multiple Adenome oder eine Nebenschilddrüsenhyperplasie (in 15 bis 20 Prozent der Patienten) auszuschließen. Intraoperative PTH-

Schnelltests (Ergebnis innerhalb weniger Minuten) ergänzen die Schnellschnittbe- urteilung des Pathologen (12, 20). Ein in- traoperativer Abfall des PTH-Wertes, der größer ist als 50 Prozent, bestätigt den Therapieerfolg. Ob Sensitivität und Spezifität sowie Kosten dieses Assays in Zukunft die Schnellschnittbeurteilung ersetzen können, muss in prospektiven Studien untersucht werden.

Die Entwicklung des pHPT zu einem oligo- bis asymptomatischen Krankheits- bild sowie die geringe Progredienz der Erkrankung bei diesen Patienten führte zur Fragestellung, wann und bei welchen Patienten eine Operation indiziert ist. Ei- ne Konsensuskonferenz der National In- stitutes of Health (Oktober 1990, Bethes- da, USA) hat daher folgende Kriterien definiert, welche die Entscheidung für ei- ne Operation bei asymptomatischen Pa- tienten erleichtern sollen (1). Eine Ope- ration ist anzustreben bei

> einer Erhöhung der Gesamtcalci- umkonzentration um > 0,25 bis 0,4 mmol/L oberhalb des Referenzberei- ches,

> einer Reduktion der Creatinin- Clearance um > 30 Prozent,

> einer erhöhten renalen Calcium- ausscheidung > 400 mg/d,

>einer Reduktion der Knochendichte um mehr als zwei Standardabweichun- gen im Vergleich zur altersentsprechen- den Population (Z-Score),

> Patienten, bei denen eine regel- mäßige ambulante Kontrolle nicht ge- währleistet werden kann,

>Patienten mit Operationswunsch,

>Patienten mit Begleiterkrankungen, die eine medizinische Überwachung komplizieren können,

>Patienten jünger als 50 Jahre (Text- kasten 3).

Patienten, die ambulant überwacht werden, sollten calciumreiche Kost ver- meiden oder im Falle von komplizieren- den Erkrankungen (Erbrechen, Diar- rhö, Immobilisation) besonders engma- schig untersucht werden, um hyper- kalzämische Krisen zu vermeiden. Diu- retika, insbesondere Thiazide (Calcium- retention), sollten nur mit Vorsicht ver- ordnet werden. Halbjährlich sind Wie- dervorstellungen empfohlen. Hierbei sollten neben klinischer Symptomatik und Untersuchung Serumcalcium, Crea- tininclearance und Urincalcium kontrol- liert werden. Alle ein bis zwei Jahre soll- te die Knochendichte gemessen werden.

Aufgrund der aktuellen Forschungser- gebnisse im Hinblick auf unspezifische Symptomatik, natürlichen Verlauf der Erkrankung und neue, minimalinvasive Operationstechniken wurden diagnosti- sche und therapeutische Strategien bei Patienten mit asymptomatischem pHPT kürzlich erneut debattiert (pHPT Workshop, April 2002, Bethesda, USA).

Diskutiert wurde, ob neuropsychiatri- sche Symptome, vertebrale Osteopenie, Perimenopause und Vitamin-D-Mangel als Indikationen zur Operation einge- führt werden sollten. Ein entsprechen- des Update der NIH-Kriterien ist in Kürze zu erwarten. Ein weiterer Schwer- punkt dieser Konferenz war, ob und wenn ja, wie Patienten mit oligo- und asymptomatischem pHPT medika- mentös behandelt werden können. Stu- dien von sorgfältig ausgewählten Patien- Operationsindikationen bei

asymptomatischem pHPT*1

>Serumcalcium > 0,25–0,4 mmol/L oberhalb des Referenzbereiches

>Creatinin-Clearance < 70 Prozent

>Urincalcium > 400 mg/d

>Knochendichte < 2 SD der altersentsprechen- den Norm (Z-Score)

>schlechte Compliance

>komplizierte Begleiterkrankungen

>Alter < 50 Jahre

*1modifiziert nach NIH-Konsensuskonferenz, Ann Intern Med 1991; 114: 593–597

Textkasten 3

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ten mit pHPT beschreiben positive Ef- fekte von Bisphosphonaten, Östroge- nen, selektiven Östrogenrezeptormodu- latoren (SERM), Vitamin D und Calci- mimetika (Textkasten 4).

Die potente antiresorptive Wirkung von Bisphosphonaten am Knochen geht mit einer Senkung des Serumcalciums einher. Eine Anwendung bei Patienten mit pHPT erschien deshalb naheliegend.

Allerdings war die Senkung des Serum- calciums mit einer Stimulation der PTH- Sekretion verbunden, was eine Langzeit- therapie zu limitieren schien (2, 3, 29, 41, 54, 59, 80, 82). Erst kürzlich konnte je- doch in zwei Pilotstudien gezeigt wer- den, dass trotz Erhöhung der PTH-Wer- te nach zwei Jahren Therapie mit Alen- dronat oder Etidronat eine Zunahme der Knochendichte nachweisbar war (47, 82). Diese Stoffgruppe scheint sich daher als medikamentöse Alternative zur Operation bei Patienten mit mildem pHPT anzubieten. Die Ergebnisse wei- terer, prospektiver Studien bleiben ab- zuwarten, bevor eine eindeutige Emp- fehlung gegeben werden kann.

Die hohe Prävalenz des pHPT bei postmenopausalen Frauen sowie die nachweisliche Progredienz der Erkran- kung nach der Menopause deuten auf ei- ne pathophysiologische Bedeutung des Sexualhormonstatus hin. Mehrere Studi- en zeigten positive Effekte einer Hor- monersatztherapie bei postmenopausa- len Patientinnen mit pHPT. Neben einer Reduktion der Calciumausscheidung und des Knochenstoffwechsels hatten die Patientinnen mit Hormonersatzthe- rapie einen Knochendichtezuwachs im Vergleich zu einer Abnahme der Kno- chendichte bei nicht behandelten Pati- entinnen (28, 39, 48, 64, 71, 88). Basales Serumcalcium und PTH blieben unver- ändert. Ob eine Hormonersatztherapie die calciumabhängige Suppression der PTH-Sekretion direkt beeinflusst, kann aufgrund inkonsistenter Studienergeb- nisse bei postmenopausalen Frauen nicht sicher beantwortet werden (13, 75, 108). Der fehlende Nachweis von Östro- genrezeptoren in humanem Neben- schilddrüsengewebe spricht dafür, dass genannte Effekte der Östrogene bei Pa- tientinnen mit pHPT am ehesten auf die bekannte antiresorptive Wirkung der Östrogene am Knochen zurückgeführt werden können (74, 85).

Eine, im Hinblick auf die Wirkung am Knochen ähnliche Stoffgruppe sind se- lektive Östrogenrezeptormodulatoren (SERM). Sie wurden primär eingeführt zur Behandlung von Patientinnen mit Mammakarzinom (27). Ihr Wirkungs- prinzip beruht auf einem antagonisti- schen Effekt am Östrogenrezeptor in Brustgewebe und einem agonistischen Effekt im Knochen. Aufgrund der osteo- protektiven Wirkung (Knochendichtezu- nahme und Senkung des Frakturrisikos) wurde diese Stoffgruppe erst kürzlich für die Therapie und Prävention der post- menopausalen Osteoporose zugelassen (26, 32). Ähnlich der Therapie mit Östro- genen konnte in Pilotstudien von Patien-

tinnen mit mildem, asymptomatischen pHPT eine Reduktion von Knochen- stoffwechselmarkern, der Calciumaus- scheidung im Urin sowie ein signifikan- ter Knochendichtezuwachs verzeichnet werden (56, 107). Eine Bestätigung die- ser prinzipiell positiven Ergebnisse in größeren Studien steht allerdings noch aus. Östrogene und SERM können dem- zufolge für postmenopausale Patientin- nen mit mildem pHPT eine medikamen- töse Alternative zur Operation bieten.

Die Gabe von Vitamin D führt insbe- sondere bei älteren Patienten mit Osteo- porose zu einer Zunahme der Knochen- dichte und Senkung des Frakturrisikos (4, 104). Dies ist auf eine hohe Prävalenz von Vitamin-D-Mangel bei älteren Indi- viduen zurückzuführen (22, 67, 76, 83, 90). Selbst bei noch „normalen“ 25-OH- Vitamin-D-Spiegeln um 77 nmol/L (30 ng/mL) kann ein Knochendichteabfall bei ansteigenden PTH-Werten auftreten (22, 40). Die Verordnung von Vitamin D bei Patienten mit pHPT erschien primär kontraindiziert aufgrund des Risikos ei- ner hyperkalzämischen Krise. Anderer- seits zeigen Studien eine positive Korre- lation zwischen Vitamin-D-Mangel und

Schwere des pHPT (77, 94). Darüber hinaus beschreibt eine kürzlich veröf- fentlichte Studie, daß die Therapie eines Vitamin-D-Mangels auch bei Patienten mit pHPT zu einem signifikanten Kno- chendichtezuwachs führt. Serumcalci- um- und PTH-Werte blieben unverän- dert. Allerdings entwickelten drei von fünf Patienten eine Hyperkalziurie (50).

Aufgrund der Gefahr einer Nephroli- thiasis und der geringen Erfahrungen mit Vitamin D (n=5) kann eine Therapie mit Vitamin D bei Patienten mit pHPT nicht empfohlen werden. Diese Ergeb- nisse weisen allerdings darauf hin, dass der Ausgleich eines Vitamin-D-Mangels auch im Falle eines pHPT zu einer Ver-

besserung der klinischen Bildes führen kann. Vitamin-D- und Calciummangel werden auch als ursächliche Faktoren für die deutlich schwereren Krankheits- verläufe des pHPT in Indien und China diskutiert (10). Die allgemein übliche Restriktion der Ernährung im Hinblick auf Calcium und Vitamin D bei Patien- ten mit pHPT kann daher nicht mehr aufrecht erhalten werden. Im Gegenteil, eine ausgewogene calcium- und Vita- min-D-haltige Ernährung ist zu empfeh- len. Auf eine zusätzliche Verabreichung von Calcium- oder Vitamin-D-Präpara- ten sollte jedoch verzichtet werden.

Das Wissen um die potente Hem- mung der PTH-Sekretion durch die G-Protein-gekoppelte Aktivierung des Calcium-Sensing-Rezeptors initiierte die Suche nach Rezeptoragonisten. NPS R-467 und NPS R-568 sind kleine orga- nische Moleküle, welche den Rezeptor in Anwesenheit von Calcium aktivie- ren, das heißt ihre Bindungsstelle unter- scheidet sich von der des primären Ago- nisten Calcium. Sie werden daher als al- losterische Aktivatoren bezeichnet (68).

Diese so genannten Calcimimetika hem- men die PTH-Sekretion und die zellulä- Konservatives Management von a-/oligosymptomatischen Patienten mit pHPT

>Ausgewogene Calcium- und Vitamin-D-haltige Kost, ausreichend Hydratation

>Vermeidung von Diuretika, insbesondere Thiazide

>Halbjährige Wiedervorstellung (Serum- und Urincalcium, Creatinin-Clearance, Knochendichte alle ein bis zwei Jahre)

>Eventuell Östrogene oder SERM bei postmenopausalen Patientinnen mit pHPT

>Eventuell Bisphosphonate, Calcimimetika (präliminare Ergebnisse) Textkasten 4

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re Proliferation in hyperplastischen Ne- benschilddrüsen in vitro und in vivo (68, 84, 102, 103). Klinische Studien bestäti- gen eine deutliche Hemmung der PTH- Sekretion bei Patienten mit sekundärem und primärem HPT (7, 38, 92). Ob Calci- mimetika für eine medikamentöse The- rapie des oligo- und asymptomatischen pHPT infrage kommen, muss jedoch in Langzeitstudien gezeigt werden.

Der medikamentösen Therapie steht eine frühzeitige operative Behandlung gegenüber. Kürzlich konnte in einer retrospektiven Studie gezeigt werden, dass unter Berücksichtigung so genann- ter unspezifischer Symptome wie Mü- digkeit, Vergesslichkeit, und Antriebs- schwäche von insgesamt 582 Patien- ten mit pHPT und 116 präoperativ als asymptomatisch deklarierten Patienten, tatsächlich nur 9 Prozent asymptoma- tisch waren und insgesamt 81 Prozent al- ler Patienten postoperativ eine Besse- rung ihres Wohlbefindens angaben (43).

Dabei war die chirurgische Komplika- tionsrate gering mit nur einem post- operativ permanent hypoparathyreoten Patienten. Zusammen mit Berichten über eine Reversibilität einer linksven- trikulären Hypertrophie nach Parathy- reoidektomie bei einem pHPT (97) und einer erhöhten Mortalität bei Patienten mit (unbehandeltem) pHPT (45, 58) er- gibt sich die Frage, ob und wann man ei- nen oligo- oder asymptomatischen pHPT chirurgisch behandeln sollte (78).

Zusammenfassung

Die Entwicklung des pHPT zu einem oligo- beziehungsweise asymptomati- schen Krankheitsbild weist darauf hin, dass auch bei Patienten mit relativ un- spezifischen Symptomen wie Abgeschla- genheit, Müdigkeit, Reizbarkeit und In- teresselosigkeit eine Messung der Se- rumcalciumkonzentration erwogen wer- den sollte. In grenzwertigen Fällen soll die Bestimmung des ionisierten Serum- calciums in Verbindung mit Serumphos- phat und intaktem PTH-Wert die Dia- gnose erhärten. Der kurative Therapie- ansatz des pHPT ist nach wie vor die Operation, die Exstirpation der patholo- gisch vergrößerten Nebenschilddrüsen.

Der steigende Anteil von oligo- oder asymptomatischen Patienten und der

häufig wenig progrediente Verlauf der Erkrankung werfen die Frage nach dem adäquaten Operationszeitpunkt auf, zu- mal der pHPT mit einer erhöhten Mor- talität verbunden ist. Zur konservativen Therapie bieten sich bei postmenopau- salen Patientinnen mit pHPT Östrogene und SERM an mit Reduktion der Kno- chenstoffwechselparameter, Knochen- dichtezuwachs und ohne Beeinflussung von Serumcalcium- und PTH-Werten.

Prinzipiell sollten Patienten unter Beob- achtung und/oder medikamentöser The- rapie des pHPT engmaschig (alle sechs Monate) überwacht werden, um eine Progredienz der Erkrankung rechtzeitig zu erkennen und hyperkalzämische Kri- sen zu vermeiden.

Manuskript eingereicht: 12. 6. 2002; revidierte Fassung angenommen: 29. 8. 2002

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 3340–3346 [Heft 49]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit4902 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Ralf Paschke Medizinische Klinik III Universität Leipzig Philipp-Rosenthal-Straße 27 04103 Leipzig

E-Mail: pasr@server3.medizin.uni-leipzig.de Weitere Informationen im Internet:

www.emedicine.com www.endotext.org

Da die Durchführung einer magnetre- sonanztomographischen (MRT-) Unter- suchung in der Vergangenheit bei Pati- enten mit Herzschrittmachern als ab- solut kontraindiziert galt, blieb dieser Patientengruppe (zurzeit etwa 300 000 Schrittmacherträger in Deutschland) bis- lang ein Untersuchungsverfahren ver- wehrt, das in den letzten Jahren einen zunehmend wichtigen Stellenwert in der bildgebenden Diagnostik eingenom- men hat. So ist die MRT inbesondere in der Diagnostik und präoperativen Pla- nung zerebraler, intraspinaler und mus- kuloskeletaler Prozesse in der Regel das bildgebende Verfahren der ersten Wahl, spielt aber auch eine zunehmend wichti- gere Rolle in der Mamma-, Leber- und kardiovaskulären Diagnostik.

In den letzten Jahren wurden meh- rere Einzelfallberichte über Patienten mit moderneren mikroprozessorgesteu- erten programmierbaren Schrittmacher-

systemen publiziert, bei denen eine MRT- Untersuchung komplikationslos durch- geführt werden konnte. In der vorliegen- den Arbeit wurde erstmals eine systema- tische Analyse der MRT-Kompatibili- tät von Herzschrittmachern (SM) bei 0,5 Tesla in vitro durchgeführt sowie auf- grund der Analyse dieser Ergebnisse ei- ne klinisch praktikable Untersuchungs- strategie zur Durchführung von MRT- Untersuchungen bei Schrittmacherpati- enten abgeleitet und an einem größeren Patientenkollektiv angewendet und über- prüft.

Methode

Im experimentellen Teil wurden an ei- nem Phantommodell insgesamt 21 ver- schiedene SM-Modelle und 44 SM- Elektroden an einem 0,5-Tesla-MRT- System untersucht. Die Auswirkungen der magnetischen und elektromagneti-

Magnetresonanztomographie

bei Patienten mit Herzschrittmachern:

Experimentelle Studien und klinische Untersuchungen bei 0,5 Tesla

Referiert

(7)

schen MRT-Felder auf das Schrittma- chersystem wurden nach folgenden Ge- sichtspunkten analysiert: Beschädigung von SM-Komponenten sowie der Ge- samtintegrität des SM, Beeinflussung des SM-Programms/Änderung pro- grammierter SM-Parameter, Reed- schalter-Verhalten im statischen Ma- gnetfeld, Interferenz der MRT-Felder mit der SM-Wahrnehmungsfunktion, Induktion von SM-Tachykardien so- wie Erwärmungen der SM-Elektro- den. Basierend auf den Erkenntnissen dieser In-vitro-Studie wurden im klini- schen Teil 51 MRT-Untersuchungen bei 44 Patienten mit implantierten Herzschrittmachern und aus klinischen Gründen dringlich indiziertem MRT wie folgt durchgeführt: Die spezifische absorbierte Leistung (SAR) der ver- wendeten MRT-Sequenzen wurde auf jeweils maximal 0,6 W/kg limitiert, um hochfrequenzbedingte Erwärmungen der SM-Elektroden zu begrenzen. Zum Ausschluss von Wahrnehmungsfehlern hat sich das folgende Vorgehen für die überwiegende Mehrzahl der aktuell im- plantierten SM-Modelle als praktikabel erwiesen: Vor der MRT-Untersuchung wurden die Schrittmacher in einen asynchronen Modus (A00, V00 oder D00) programmiert, wobei die pro- grammierte Frequenz oberhalb der Ei- genfrequenz des Patienten gewählt wurde, um konkurrierende Rhythmen zu vermeiden. Absolut schrittma- cherabhängige Patienten, das heißt Pa- tienten ohne hämodynamisch suffizien- ten Eigenrhythmus, wurden aus Sicher- heitsgründen ausgeschlossen. Während der MRT-Untersuchung wurden EKG, Pulsoxymetrie und Kapnographie der Patienten durch einen Kardiologen überwacht.

Ergebnisse

Beschädigungen von SM-Komponen- ten, Induktionen von SM-Tachykardien sowie Beeinflussung des SM-Pro- gramms mit Änderungen oder Verlust programmierter Daten wurden im Rah- men der In-vitro-Testung in keinem Fall (n = 0/21) beobachtet. Bis dato war man davon ausgegangen, dass der Reed- Schalter – ein magnetempfindlicher Sensor im Schrittmacher – durch das starke statische Magnetfeld des MRT

grundsätzlich magnetisch aktiviert und somit die Wahrnehmungsfunktion des Schrittmachers ausgeschaltet wird. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten jedoch überraschenderweise, dass die Aktivie- rung des Reedschalters während einer MRT-Untersuchung nicht zwangsläufig erfolgte (Reed aktiviert: 69 Prozent, Reed deaktiviert: 31 Prozent), von der genauen Position im Magnetfeld abhängt und im Einzelfall nicht vorhersehbar ist.

Diese Beobachtung hat wichtige Sicher- heitsimplikationen: Da die für die Orts- kodierung eingesetzten gepulsten MRT- Gradientenfelder ähnliche Frequenz- spektren und Amplituden wie die physiologischen kardialen Signale auf- weisen, können bei deaktiviertem Reed- schalter potenziell gefährliche – teilwei- se komplette – Inhibitionen des Schritt- machers sowie getriggerte Stimulationen während der MRT-Untersuchung auf- treten. Programmierte man dagegen die SM vor der MRT-Untersuchung in einen asynchronen Modus (A00, V00 oder D00), war unabhängig vom Verhal- ten des Reedschalters eine regelrechte festfrequente Stimulation gewährlei- stet. Hochfrequenzbedingte Erwärmun- gen der SM-Elektroden waren abhängig vom spezifischen Elektrodenmodell, der Lokalisation der Elektrodenschleife im Hochfrequenzfeld sowie der über- tragenen elektromagnetischen Energie beziehungsweise der spezifischen absor- bierten Leistung (SAR) der jeweiligen MRT-Sequenz und konnten im un- günstigsten Fall den Patienten gefähr- dende Größenordnungen (lT bis 23,5 °C im Zentrum des Hochfrequenz- feldes bei SAR von 1,3 W/kg) erreichen.

Eine Limitierung des SAR-Wertes auf 0,6 W/kg begrenzte die Sondenerwär- mung in vitro auf maximal 8,9 °C, wobei bei der Mehrzahl der Elektrodenmodel- le (n = 40/44) aus biophysikalischer Sicht sicher unbedenkliche Werte (lT < 5 °C) gemessen wurden. Im klini- schen Teil wurden alle MRT-Patienten- untersuchungen (n = 51/51) unter den geschilderten Sicherheitsvorkehrungen komplikationslos ohne Störungen der Schrittmacherfunktion auf Hard- oder Software-Ebene, Anhalt für Schädigun- gen von SM-Komponenten oder der Gesamtintegrität des SM-Systems sowie ohne Nachweis induzierter Rhythmus- störungen durchgeführt. Programmierte

Daten, Reizschwellen und Elektroden- impedanzen zeigten sowohl in der Kon- trolle unmittelbar nach der MRT-Unter- suchung sowie in den zur Erfassung po- tenzieller Langzeitschädigungen durch- geführten drei Monatskontrollen keine signifikanten Änderungen.

Schlussfolgerung

Ohne Anwendung spezifischer Vor- sichtsmaßnahmen sind die wesentlichen – potenziell lebensbedrohlichen – Ri- siken bei MRT-Untersuchungen von SM-Patienten die „Vortäuschung“ kar- dialer Eigenaktivität durch die ge- pulsten MRT-Felder mit resultieren- der Inhibition des Schrittmachers sowie die hochfrequenzbedingte Erwärmung der SM-Elektroden, wobei im ungün- stigsten Fall im Phantommodell Tempe- ratursteigerungen lT von 24°C bei ei- ner Feldstärke von 0,5 Tesla sowie von 75°C bei 1,5 Tesla auftreten können. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass MRT-Untersuchungen bei Patienten mit Herzschrittmachern an einem 0,5- Tesla-System bei sorgsam selektionier- ten Patienten und gegebener dringli- cher klinischer Indikation durchgeführt werden können, wenn geeignete Unter- suchungsstrategien und Vorsichtsmaß- nahmen (Programmierung des Schritt- machers in einen asynchronen Modus zum Ausschluss von Wahrnehmungsfeh- lern, Limitierung der SAR-Werte der MRT-Sequenzen zur Begrenzung der Sondenerwärmung, adäquates Patien- ten-Monitoring zur Rhythmuskontrol- le, kardiologisches Stand-By mit allen Möglichkeiten der Reanimation) be- folgt werden. Diese Diagnostik sollte nur an mit der spezifischen Problematik erfahrenen Zentren in enger interdis- ziplinärer Zusammenarbeit zwischen Radiologie und Kardiologie erfolgen.

Herzschrittmacher sollten somit nicht mehr grundsätzlich als eine absolute Kontraindikation für eine MRT-Unter- suchung bei 0,5 Tesla angesehen wer-

den. som

Sommer T, Vahlhaus C, Lauck G, et al.: MR imaging and cardiac pacemakers: In vitro evaluation and in vivo studies in 51 patients at 0,5 T. Radiology 2000; 215: 869–879.

Priv.-Doz. Dr. med. Torsten Sommer, Radiologische Uni- versitätsklinik, Sigmund-Freud-Straße 25, 53105 Bonn, E-Mail: t.sommer@uni-bonn.de

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