V A R I A
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ie Spindel aus Glas, Stahl und Sonnen- licht besticht durch ihr ungewöhnliches Aussehen. Im Erdge- schoss erkennt man erst, welch großes Gebäude sich hinter ihr in die alte Bausubstanz schmiegt. Eine Glaswand gibt den Blick auf die Rückseite des Zeughauses frei.Auf der breiten, flachen Wendeltreppe schreitet der Besucher nach oben in die er- ste Etage. Von dort an scheint die Treppe hinter Glas außen weiterzuführen, wird zum Dach und findet ganz oben in einem Rund ihren Abschluss.
Treppen, Wände und Durch- brüche führen zu ständig wechselnden Perspektiven. Die umliegenden Gebäude spie- geln sich in den riesigen Glas- flächen, die auch den Blick zum Himmel freigeben. Die Sonne und leichte Schatten spielen im Innenraum. Die Wände, soweit nicht aus Glas, sind mit weißem Kalkstein verkleidet, was die helle Leich- tigkeit des Gesamteindrucks vollendet. Man begreift, war- um Ieoh Ming Pei ein „Meister des Lichts“ und „Magier des Raumes“ genannt wird.
Doch wirkt das Gebäude auch beunruhigend. Überall blickt man durch niedrige Glasgeländer nach unten; die leichte Verunsicherung kann sich bis zum Erschrecken stei- gern. Kein Raum ist recht- eckig, alle erscheinen mit ungleichen Winkeln, so- gar der Fahrstuhl hat
eine rhombische Grundfläche.
Am bestimmendsten wirkt das Dreieck. Im Grundriss er- scheint das Gebäude dreieckig, wie mit einem vorgelagerten Perpendikel.
Im Untergeschoss, in das man mit einer langen Rolltrep- pe gelangt, sind ein großer Ausstellungsraum, ein Audito- rium für Vorträge und Filme, der Museumsshop und die Garderoben untergebracht.
Von dort führt ein unterirdi- scher Gang zum Zeughaus.
Abends leuchtet die gläserne Spindel von innen. Der Anbau wird zur Bühne, der Besucher zum Akteur: Die Zeughaus- wand, sonst unbeachtet trotz ihrer Schönheit, kommt durch das Licht des Pei-Baus opti- mal zur Geltung. So ist der Stadt Berlin auch Schlüters Zeughaus noch einmal ge- schenkt worden, zumal der Schlüterhof durch eine Glas- überdachung jetzt ganzjährig nutzbar ist.
Pei wurde 1917 in Kanton/
China geboren. In den 30er- Jahren ging er in die USA, wurde Bauingenieur und stu- dierte dann Architektur bei Walter Gropius. Auch Le Cor- busier hatte großen Einfluss auf ihn. Peis Leidenschaft sind Museen. Etwa ein Dutzend hat er gebaut, darunter 1964 die John F. Kennedy-Bibliothek (Boston) und 1983 bis 1989
die Glaspyramide im Pariser Louvre.
Das Zeughaus,in den Jahren 1695 bis 1706 erbaut,ist das ein- zig erhaltene profane Barock- gebäude in Berlin. Dort befin- det sich eine ständige Ausstel- lung zur deutschen Geschichte;
der Pei-Bau ist für Wechselaus- stellungen gedacht. Von der Idee im Jahr 1995 bis zur Fer- tigstellung 2003 war es ein schwerer Weg. Inkognito wan- derte Pei mehrmals durch Ber- lin, bis er im Platzgefüge Neue Wache, Zeughaus und Kastani- enwäldchen, etwas ferner Mu- seumsinsel und Inselbrücke, den Genius Loci der rechten Stelle erkannte. Die Ausstel- lungsfläche ist mit 2 700 Qua- dratmetern nicht groß, dafür hat das Museum einen exklusi- ven Standort. Der Hauptaus- stellungsraum ist im Unterge- schoss. Die darüber liegenden Räume sind unterschiedlich groß; insgesamt sind auf vier Etagen Ausstellungen möglich.
Mit der Ausstellung „Idee Eu- ropa“ wurde der Bau eröffnet.
Der Museumsbau ist Peis er- stes und einziges Werk in Deutschland. Er hat die strenge Architektur des Bauhauses weiterentwickelt, und nach ei- nem Umweg über Amerika und China kommt das, was von Deutschland einst ausging, wie- der zurück. Erst im Winter, wenn die Bäume entlaubt sind, wird man den neuen Pei-Bau von Unter den Linden aus er- blicken können.Die runde Sitz- bank unten im Glasturm wird sicher zum beliebten Treff- punkt werden. Maja Rehbein
Verunsicherung
Pei-Bau
Leichte
Der Museumsbau in Berlin ist Peis erstes und einziges Werk in Deutschland.
Öffnungszeiten: Täg- lich 10 bis 18 Uhr, wechselnde Abend-
veranstaltungen.
Eintritt zwei Euro, Jugendliche bis 18 Jahre frei. Internet:
www.dhm.de/ausstel lungen/ pei_museums
bauten Feuilleton
Nur wer weiß, wo er den Pei-Bau suchen muss, wird ihn fin- den: So bescheiden und harmonisch fügt sich das relativ klein erscheinende Gebäude in seine Umgebung ein.
Foto:Ulrich Schwarz
Fotos:DHM
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A3116 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003