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Archiv "Regionale Unterschiede der Herz-Kreislauf-Mortalität in Deutschland" (26.02.1999)

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(1)

ls „die“ Erkrankungen des 20. Jahrhunderts in Deutsch- land gelten, wie auch in an- deren westlichen Industrienationen (4), Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Dies gilt auch, nachdem viele andere Todesursachen erfolgreich bekämpft wurden.

Obwohl während der letzten Jahrzehnte wichtige Erkenntnisse zu den Risikofaktoren und der Patho- physiologie gewonnen wurden und trotz großer Fortschritte bei den Möglichkeiten akuter Therapie, sind Herz-Kreislauf-Krankheiten noch immer für 40 bis 50 Prozent der Ge- samtmortalität bereits bei Erwachse- nen im mittleren Alter verantwort- lich (3).

Der regionale Vergleich von Mortalitätsstatistiken nach Todesur- sachen in Deutschland kann zu einer Hypothesenbildung bezüglich der Ursachen von Erkrankungen und so- mit zu einer Verbesserung von prä- ventiven Strategien beitragen.

Der internationale Vergleich

Die große Bedeutung der Herz- Kreislauf-Krankheiten für vorzeiti- gen Tod veranlaßte die Weltgesund- heitsorganisation, Ende der 70er Jahre die über zehn Jahre angeleg- te internationale MONICA-Studie (Monitoring of Trends and Determi- nants of Cardiovascular Disease) zu konzipieren (32, 33).

Diese systematische bevölke- rungsbezogene Studie ermöglicht ei- nen direkten Vergleich der standar-

disierten kardiovaskulären Erkran- kungsraten von 38 Zentren in 21 Ländern für die 35- bis 64jährigen Einwohner. Der MONICA-Basis- vergleich 1985 bis 1987 (Grafik 1) zeigte weltweit deutliche Unter- schiede im Auftreten des Myo- kardinfarktes mit den höchsten Ra- ten in Finnland (Männer) bezie- hungsweise Schottland (Frauen) und den niedrigsten Raten in China (Männer) beziehungsweise Spanien (Frauen).

Im Vergleich aller europäischen MONICA-Zentren zeigten sich aus- geprägte Unterschiede mit einem Trend vom Nordosten zum Südwe- sten (Grafik 1). Finnland mit der höchsten Belastung hatte ein zirka fünffach höheres Gesamtrisiko eines Myokardinfarktes, verglichen mit Spanien mit der niedrigsten Bela- stung. Vorläufige Zehn-Jahres- Trenddaten von 1985 bis 1995 erge- ben in den meisten MONICA-Zen- tren einen deutlichen Rückgang

Regionale Unterschiede

der Herz-Kreislauf-Mortalität in Deutschland

Stefan N. Willich

1

Hannelore Löwel

2

Wolfgang Mey

3

Christoph Trautner

1

In Deutschland weist die Mortalität der koronaren Herz- krankheit regionale Unterschiede mit einem maximalen Ri- sikoverhältnis von 2,2 zu 1 bei Männern und 2,7 zu 1 bei Frauen auf. Bei der zerebrovaskulären Mortalität beträgt das maximale Risikoverhältnis 2,0 zu 1 bei Männern und 2,3 zu 1 bei Frauen. Die Ursachen hierfür sind nicht geklärt.

Genetische Faktoren dürften kaum verantwortlich für klein- räumige Unterschiede innerhalb von Populationen sein.

Administrative Aspekte (wie Kodierung, Altersstandardi- sierung) kommen als beitragende Faktoren in Betracht. Der Einfluß medizinischer Akutversorgung auf die langfristige

Letalität ist nach bevölkerungsbezo- genen Studien unklar. Risikofaktoren,

Lebensstil und sozioökonomische Bedingungen stellen ver- mutlich die wichtigste Erklärung für regionale Unterschiede dar, modifiziert vielleicht durch Umwelteinflüsse. Detaillier- te Analysen der regionalen Unterschiede bei Herz-Kreis- lauf-Krankheiten und Risikofaktoren sind erforderlich und könnten Möglichkeiten für verbesserte präventive Strategi- en aufzeigen.

Schlüsselwörter: Herz-Kreislauf-Krankheit, Mortalität, regionale Unterschiede, Risikofaktor

ZUSAMMENFASSUNG

Regional Variations in Mortality of Cardiovascular Diseases in Germany

In Germany, the mortality from coronary heart disease demonstrates regional differences with a maximum risk ratio of 2.2 to 1 in men and 2.7 to 1 in women. The cerebrovascular mortality demonstrates a maximum risk ratio of 2.0 to 1 in men and 2.3 to 1 in women. The underlying reasons are not clear.

Genetic factors are unlikely to account for small area dif- ferences within populations. Administrative procedures (e. g.

coding, age standardisation) should be considered as contrib-

uting factors. The impact of acute medical care on long-term case fatality is unclear according to

population based studies. Risk factors, life style and socioeco- nomic circumstances are probably the most important expla- nation for regional variation, modified perhaps by environ- mental influences. Detailed analyses of regional variation in cardiovascular diseases and risk factors are needed and may indicate opportunities for improved preventive strategies.

Key words: Cardiovascular disease, mortality, regional variation, risk factor

SUMMARY

A

1 Institut für Arbeits-, Sozialmedizin und Epi- demiologie (Direktor: Prof. Dr. med. Stefan N. Willich, MPH, MBA), Klinikum Charité, Humboldt-Universität zu Berlin

2 GSF-Institut für Epidemiologie (Direktor:

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. H.-Erich Wich- mann), Neuherberg

3 Gesellschaft für sozialmedizinische For- schung (Vorsitzender: Dr. med. Wolfgang Mey), Suhl

(2)

beim Auftreten des Myokardinfark- tes um bis zu 50 Prozent (Hannelore Löwel). In einigen MONICA-Zen- tren jedoch (beispielsweise in China, dem Land mit dem ursprünglich ge- ringsten Risiko) zeigt sich im selben Zeitraum ein Anstieg beim Auftre- ten des Myokardinfarktes, der vor allem Frauen betrifft.

Auch bei dem Schlaganfall er- gab das MONICA-Projekt im Basis- vergleich für das Jahr 1985 über drei- fache internationale Mortalitätsun- terschiede, hervorgerufen durch aus- geprägte Differenzen bei der Inzi- denz (101 bis 285 pro 100 000 Män- ner und 47 bis 198 pro 100 000 Frau- en) und einer Letalität innerhalb von 28 Tagen mit 15 bis 49 Prozent

bei Männern und 18 bis 57 Prozent bei Frauen (30). Die nachfolgenden Zehn-Jahres-Trenddaten des Schlag- anfalls im finnischen MONICA- Projekt ergaben einen signifikanten Rückgang (31).

Vergleichende Analysen der Weltgesundheitsorganisation für die Jahre 1990 bis 1992 auf der Basis der nationalen Mortalitätsstatistiken stimmen mit den Ergebnissen des MONICA-Projekts in wesentlichen Punkten überein (24). Die Herz- Kreislauf-Mortalität wies für Män- ner vierfache und für Frauen sieben- fache Unterschiede zwischen eu- ropäischen Ländern mit einem aus- geprägten Gefälle vom Nordosten zum Südwesten auf.

Der nationale Vergleich

Die Daten von 1996 des Statisti- schen Bundesamts (direkt standardi- siert auf die Europabevölkerung 1976) lassen deutliche Unterschiede der Gesamtmortalität beim Ver- gleich der 16 deutschen Bundeslän- der erkennen (Tabelle). Diese Un- terschiede resultieren hauptsächlich aus den Schwankungen der Morta- lität durch Herz-Kreislauf-Krank- heiten (ICD-9-Diagnosen 390– 459), wohingegen die Schwankungen der Mortalität durch nicht Herz-Kreis- lauf-bedingte Krankheiten weniger ausgeprägt sind (Tabelle). Bei Herz- Kreislauf-Krankheiten beträgt der Variationskoeffizient 17,6 Prozent gegenüber 7,6 Prozent bei nicht Herz-Kreislauf-bedingten Krankhei- ten; die regionalen Mortalitätsunter- schiede sind demzufolge bei den Herz-Kreislauf-Krankheiten mehr als doppelt so stark ausgeprägt wie bei der Summe der anderen Todes- ursachen. Bei Männern und Frauen sind die relativen regionalen Unter- schiede vergleichbar. Obwohl von 1993 bis 1996 die Mortalität durch Herz-Kreislauf-Krankheiten in allen Bundesländern zurückging, blieben die relativen Schwankungen zwi- schen den Bundesländern erhalten (Grafik 2).

Die weitere Differenzierung der Herz-Kreislauf-Mortalität ergab die folgenden regionalen und krank- heitsspezifischen Trends. Die Morta- lität durch koronare Herzkrankheit (ICD-9, 410–414, 1996) zeigte für Männer und Frauen einen vergleich- baren geographischen Trend vom Nordosten zum Südwesten (Grafik 3 und 4). Das maximale Risikoverhält- nis der koronaren Mortalität lag für Männer bei 2,2 zu 1 (Brandenburg zu Hamburg) und für Frauen bei 2,7 zu 1 (Brandenburg zu Hessen). Die zerebrovaskuläre Mortalität (ICD-9, 430–438, 1996) zeigte ebenfalls re- gionale Unterschiede, jedoch einen geographischen Trend vom Osten zum Nordwesten (Grafik 5 und 6).

Das maximale Risikoverhältnis der zerebrovaskulären Mortalität lag für Männer bei 2,0 zu 1 (Thüringen zu Hamburg) und für Frauen bei 2,3 zu 1 (Thüringen zu Hamburg).

China, Peking Spanien, Katalonien Frankreich, Toulouse Schweiz, Vaud/Fribourg Italien, Friuli Deutschland, Augsburg Land Italien, Brianza Frankreich, Lille Schweiz, Ticino Frankreich, Oberrhein Deutschland, Rhein-Neckar Deutschland, Ostdeutschland Deutschland, Augsburg Stadt Belgien, Ghent Deutschland, Bremen Schweden, Göteborg Australien, Perth Jugoslawien, Novi Sad Belgien, Luxemburg Russland, Moskau (Intervention) Polen, Tarnobrzeg Neuseeland, Auckland Litauen, Kaunas Tschechien, Tschechoslowakei Russland, Moskau (Kontrolle) USA, Stanford Belgien, Charleroi Dänemark, Glostrup Island, Island Australien, Newcastle Polen, Warschau Schweden, Nordschweden Finnland, Turku/Loimau Kanada, Halifax Nordirland, Belfast Schottland, Glasgow Finnland, Kuopio Finnland, Nordkarelien

0 200 400 600 800 1 000 Myokardinfarkte pro 100 000 Einwohner

Frauen Männer Grafik 1

Weltgesundheitsorganisation-MONICA-Projekt: Basisvergleich 1985 bis 1987 für Myokardinfarkte (tödlich und nichttödlich) pro 100 000 in der 35 bis 64 Jahre alten Bevölkerung. Altersadjustierte jährliche Raten bei Män- nern und Frauen aller MONICA-Studienzentren, dargestellt mit Länder- und Zentrumsbezeichnung.

(3)

Regionale Unterschiede beste- hen sogar innerhalb einzelner Bun- desländer, wie am Beispiel von Sach- sen-Anhalt nachgewiesen werden konnte (15).

Bei der männlichen Bevölke- rung lag die Herz-Kreislauf-Morta- lität (ICD-9, 390 – 459) in den Städte- regionen signifikant niedriger und im Norden signifikant höher, verglichen mit dem durchschnittlichen Gesamt- wert. Wiederum zeigte sich ein geo- graphischer Trend vom Nordosten (höheres Risiko) zum Südwesten (geringeres Risiko).

Bei der weiblichen Bevölkerung ergaben sich ähnliche regionale Un- terschiede bei der Herz-Kreislauf- Mortalität, allerdings ohne statisti-

sche Signifikanz. Signifikante geogra- phische Unterschiede wurden auch innerhalb des Bundeslandes Thürin- gen beobachtet (16).

Mögliche Ursachen der regionalen Unterschiede

Die zugrundeliegenden Ursa- chen der regionalen Unterschiede bei der Herz-Kreislauf-Mortalität sind bisher nicht geklärt. Als mögli- che Ursachen kommen vor allem

„klassische“ Risikofaktoren, sozio- ökonomische Bedingungen, Umwelt- einflüsse, medizinische Versorgung, genetische Faktoren und administra- tive Aspekte in Frage(Textkasten).

Risikofaktoren, Lebensstil und sozioökonomische Bedingungen

Regionale Unterschiede von Herz-Kreislauf-Krankheiten sind oft mit unterschiedlicher Prävalenz der

„klassischen“ Risikofaktoren ver- bunden (8, 12).

Man geht davon aus, daß bis zu 50 Prozent der Unterschiede zeitli- cher Trends bei der Mortalität infol- ge von Herz-Kreislauf-Krankheiten durch die Modifizierung der bekann- ten Risikofaktoren erklärt werden können.

Aktuelle sozioökonomische Be- dingungen sind ebenfalls mit regio- nalen Unterschieden der Herz-Kreis- Tabelle

Kardiovaskuläre, nichtkardiovaskuläre und Gesamtmortalität pro 100 000 Personen in den Bundesländern Deutschlands

1

Bundesländer Kardiovaskulär2 Nichtkardiovaskulär2 Gesamt2

390–459 001–389, 460–999 001–999

Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen

Baden-Württemberg 364 (359, 370) 228 (226, 231) 529 (522, 535) 309 (304, 312) 893 (885, 901) 537 (532, 541) Bayern 413 (408, 418) 270 (267, 273) 521 (515, 527) 300 (296, 303) 934 (927, 942) 570 (565, 574) Berlin 423 (412, 433) 274 (269, 280) 591 (579, 603) 356 (348, 363) 1014 (998, 1029) 630 (621, 639) Brandenburg 551 (537, 565) 368 (360, 375) 605 (591, 620) 296 (288, 305) 1156 (1137, 1176) 664 (653, 675) Bremen 406 (386, 426) 235 (224, 245) 584 (560, 609) 332 (317, 348) 990 (959, 1021) 567 (548, 586) Hamburg 315 (304, 326) 202 (196, 209) 645 (629, 661) 376 (365, 386) 960 (940, 979) 578 (566, 590) Hessen 344 (338, 350) 217 (214, 221) 582 (574, 591) 353 (347, 358) 926 (916, 937) 570 (563, 576) Mecklenburg-

Vorpommern 522 (505, 539) 332 (323, 341) 686 (668, 705) 341 (330, 352) 1208 (1183, 1233) 673 (659, 687) Niedersachsen 401 (395, 407) 250 (246, 253) 568 (560, 575) 328 (323, 333) 969 (959, 978) 578 (572, 584) Nordrhein-Westfalen 449 (445, 454) 284 (281, 286) 553 (547, 557) 303 (301, 307) 1002 (995, 1008) 587 (584, 591) Rheinland-Pfalz 412 (403, 421) 263 (258, 268) 563 (553, 573) 314 (308, 320) 975 (962, 988) 577 (569, 584) Saarland 497 (478, 515) 310 (300, 321) 562 (542, 582) 304 (291, 316) 1059 (1032, 1085) 614 (598, 630) Sachsen 534 (525, 544) 327 (322, 332) 543 (533, 552) 285 (280, 292) 1077 (1064, 1090) 612 (605, 620) Sachsen-Anhalt 563 (550, 576) 345 (339, 352) 627 (614, 641) 318 (309, 325) 1190 (1172, 1209) 663 (625, 673) Schleswig-Holstein 423 (412, 433) 262 (257, 268) 542 (530, 554) 332 (324, 339) 965 (949, 980) 594 (584, 604) Thüringen 543 (529, 556) 343 (335, 350) 590 (576, 604) 313 (305, 322) 1133 (1114, 1152) 656 (645, 667) Deutschland 428 (426, 430) 272 (271, 273) 561 (559, 563) 316 (314, 317) 989 (986, 992) 588 (586, 589)

1Standardisierte Daten von 1996, 695% Konfidenzintervall; 2Mortalität (ICD-9-Diagnosen)

(4)

lauf-Mortalität assoziiert (9, 12, 21), während die Rolle psychologischer Faktoren unklar ist (27). Sogar Un- tersuchungen innerhalb einzelner Städte zeigten deutliche sozioöko- nomische Mortalitätsunterschiede, wie für Amsterdam berichtet (22).

Daß zudem fehlende soziale Kon- takte mit einem deutlich erhöh- ten Mortalitätsrisiko verbunden sein können, zeigen neue Follow-up-Er- gebnisse aus der MONICA-Region Augsburg (2).

Umwelteinflüsse

Umweltfaktoren wie Luftver- schmutzung, meteorologische Be- dingungen, möglicherweise Wasser- qualität und Lärm könnten zur Er- klärung der regionalen Schwankun-

gen von Herz-Kreislauf-Krankhei- ten beitragen. Das Auftreten des plötzlichen Herztodes und die kar- diovaskuläre Mortalität folgen – wie übrigens auch die Gesamtmortalität – einem saisonalen Muster mit rela- tiv geringerem Risiko im Sommer im Vergleich zum Winter (6, 19). Eine bevölkerungsbezogene Analyse al- ler Fälle des plötzlichen Herztodes in Berlin bestätigte diese Berichte ei- ner saisonalen Variation (p<0,001) mit der niedrigsten Zahl plötzlicher Herztodesfälle während der Som- mermonate und der höchsten Zahl

während der Wintermonate (34).

Die relative Risikodifferenz zwi- schen den Perioden Mai bis Juli und November bis Januar betrug 17 Pro- zent.

Die pathophysiologischen Ursa- chen dieser epidemiologischen Er- kenntnisse sind unklar. Als mögliche Erklärungen wurden Temperatur und andere meteorologische Ein-

flüsse vermutet. Einer Analyse in Thüringen zufolge stieg die tägliche Mortalität bei niedrigen und bei ho- hen Außentemperaturen an (17).

Dabei war die Mortalitätserhöhung bei Kälte ausgeprägter als bei Hitze und hielt noch an den Folgetagen an.

Vergleichbare Ergebnisse wurden für Männer und Frauen sowie für Personen im Alter unter und über 65 Jahren beobachtet. Diese Untersu- chungen basierten auf der meteoro- logischen Analyse mit der Berech- nungsziffer des predicted mean vote (PMV), die Temperatur, Feuchtig-

keit und Wind einschließt (10). Die- se Beobachtungen stimmen überein mit Berichten eines Zusammen- hangs zwischen Temperaturanstieg und kardiovaskulärer Mortalität in Barcelona (23). Auch in Chicago wurde bei Hitzewellen eine erhöhte Mortalität durch Herz-Kreislauf- Krankheiten festgestellt (26). Nach dem Einsetzen von Schneestürmen wurde ebenfalls eine erhöhte kardio- vaskuläre Sterblichkeit beobachtet (7), für die möglicherweise akute Be- lastungen wie Schneeschaufeln ver- antwortlich gemacht werden könn- ten (34).

Episoden von Luftverschmut- zung sind mit erhöhter Plasmavisko- sität verbunden, wie in einer Analyse der MONICA-Region Augsburg ge- zeigt wurde (20). Es ist zu vermuten, daß ein koronares Risiko somit indi- rekt aus Luftverschmutzung entste- hen kann, da Plasmaviskosität wie- derum als unabhängiger Risikofak- tor kardiovaskulärer Erkrankung gilt (11, 35).

Medizinische Versorgung In verschiedenen Ländern und selbst innerhalb einer Region gibt es oft deutliche Unterschiede bei der therapeutischen Behandlung akuter kardiovaskulärer Erkrankungen. So ergab ein Vergleich zwischen Regio- nen in Minnesota, USA, und Augs- burg eine etwa doppelt so hohe Rate von invasivem Vorgehen bei einem akuten Myokardinfarkt, einschließ- lich koronarer Angiographie, Bal- lon-Angioplastie und Bypass-Ope- ration (14, 25).

Die nachfolgende Kranken- haus- und Einjahresmortalität waren jedoch bei den beiden Patienten- gruppen fast identisch.

Andererseits kann auch die un- terschiedliche medizinische Versor- gung der verschiedenen Bevölke- rungsgruppen schon innerhalb ein- zelner Städte mit Unterschieden bei dem relativen Sterberisiko ver- knüpft sein (21).

Der Nutzen der medizinischen Versorgung spiegelt sich somit in der nachfolgenden Letalität auch lang- fristig nicht vollständig wider, das gilt zumindest für bevölkerungsbe- zogene Studien. Dies ist nicht über- Baden-Württemberg

Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenb.-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen Deutschland

0 100 200 300 400 500 0 100 200 300 400 500 600 700 Todesfälle pro 100 000 Einwohner

Bundesländer Frauen Männer

19961993 Grafik 2

Zeitlicher Trend der Herz-Kreislauf-Mortalität (ICD-9, 390–459) in den Bundesländern bei Frauen (linke Gra- fik) und Männern (rechte Grafik) (1993 und 1996, standardisierte Todesfälle pro 100 000).

Mögliche Ursachen der regionalen Unterschiede

! Risikofaktoren

! Sozioökonomische Bedingungen

! Umwelteinflüsse

! Medizinische Versorgung

! Genetische Faktoren

! Administrative Aspekte

(5)

raschend, da die klinischen Studien, die dem Nachweis des Nutzens von therapeutischen Optionen dienen, oft unter strikt standardisierten,

„idealen“ Umständen an selektiven Gruppen von Patienten durchge- führt werden.

Die Gesamtmortalität korona- rer Herzerkrankung resultiert haupt- sächlich aus Todesfällen bereits vor Krankenhausauf-

nahme (5, 13): Unge- fähr zwei Drittel der durch koronare Herz- erkrankungen verur- sachten Todesfälle tre- ten innerhalb der er- sten Stunden nach Einsetzen der Sym- ptome auf, noch bevor der Patient eine me- dizinische Unterstüt- zung erhalten kann.

Hinzu kommt, daß viele Fälle des plötzli- chen Herztodes bei Patienten ohne Ana- mnese einer Herzer- krankung auftreten, somit sind die Mittel einer effektiven Inter- vention bei diesen Pa- tienten sowieso sehr begrenzt (18).

Eine bestmögli- che Akuttherapie ist entscheidend für die Prognose von Patien- ten mit akuten Koro- narsyndromen. Akut- therapeutische Optio- nen scheinen auf Be- völkerungsebene aus den genannten Grün- den jedoch nicht zu

einer bedeutenden Reduzierung der Gesamtmortalitätsbelastung von Herz-Kreislauf-Krankheiten zu füh- ren.

Neben der Akuttherapie sind deshalb die präventiven Strategien außerordentlich wichtig bei der Bekämpfung von Herz-Kreislauf- Krankheiten.

Genetische Faktoren

Genetische Unterschiede spie- len sicherlich eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-

Krankheiten und erklären einen Teil der Risikodifferenzen zwischen ver- schiedenen Ländern.

Die großen Unterschiede, wie sie beispielsweise zwischen Finnland und Spanien bestehen, sind wahr- scheinlich auch mit genetischen Fak- toren verbunden, die die Vulnera- bilität für die Herz-Kreislauf-Krank- heiten und/oder die Gefahr von Ri-

sikofaktoren beeinflussen. Kurzfri- stige Trends, wie sie beispielsweise in der MONICA-Studie in einem Zeitraum von wenigen Jahren für Myokardinfarkt beobachtet wurden, dürften jedoch kaum durch die genetischen Einflüsse zu erklären sein.

Die genetischen Faktoren tragen somit aller Wahrscheinlichkeit nach zu den langfristigen Unterschieden im internationalen Vergleich bei. Sie bieten jedoch keine überzeugende Erklärung für die festgestellten kurz- fristigen nationalen Trends.

Administrative Aspekte Administrative Fragen, wie Un- terschiede beim Ausfüllen und Ko- dieren der Totenscheine, bei ICD- Diagnoseneinschluß, bei Analysen und statistischen Verfahren in unter- schiedlichen Bevölkerungen, sind wichtige zu berücksichtigende Fak- toren für regionale Unterschiede bei

Herz-Kreislauf-Krankheiten. Schon die Informationen über mögliche multiple Todesursachen gehen bei der Todesursachenstatistik oft verlo- ren (28). Dabei wäre gerade bei des- aggregierten Daten in kleineren Re- gionen die Berücksichtigung multi- pler Todesursachen methodisch vor- teilhaft (29). Auch die „Verlegen- heitsangabe“ einer unklaren Todes- ursache (wie Herzversagen) könnte die regionalen Unterschiede diagno- senspezifischer Sterblichkeit beein- flussen (1). Die administrativen und gesetzlichen Unterschiede bei der SCHLESWIG-

HOLSTEIN

NIEDERRSACHSEN

SAARLAND

Bremen Hamburg

279 - 213 245 - 278

211 - 244 177 - 210

143 - 176 Koronare Mortalität Männer (ICD 410 - 414)

MECKLENBURG- VORPOMMERN

BRANDEN- SACHSEN- BURG

ANHALT

SACHSEN THÜRINGEN

NORDRHEIN- WESTFALEN

HESSEN RHEINLAND-

PFALZ

BAYERN BADEN-

WÜRTTEMBERG

Berlin Grafik 3

Regionale Unterschiede der koronaren Mortalität (ICD-9, 410–

414) bei Männern in Deutschland (1996, standardisierte Todes- fälle pro 100 000 Männer, in Risikoquintilen unterteilt).

SCHLESWIG- HOLSTEIN

NIEDERRSACHSEN

SAARLAND

Bremen Hamburg

175 - 179 134 - 156

111 - 133 88 - 110

65 - 87 Koronare Mortalität Frauen (ICD 410 - 414)

MECKLENBURG- VORPOMMERN

BRANDEN- SACHSEN- BURG

ANHALT

SACHSEN THÜRINGEN

NORDRHEIN- WESTFALEN

RHEINLAND- PFALZ

BAYERN BADEN-

WÜRTTEMBERG

Berlin

HESSEN Grafik 4

Regionale Unterschiede der koronaren Mortalität (ICD-9, 410–

414) bei Frauen in Deutschland (1996, standardisierte Todesfälle pro 100 000 Frauen, in Risikoquintilen unterteilt).

Zerebrovaskuläre Mortalität Männer (ICD 410–414) Zerebrovaskuläre Mortalität Frauen (ICD 410–414)

(6)

Auswahl des Grundleidens für die offizielle Todesursachenstatistik zwischen West- und Ostdeutschland vor der Wiedervereinigung 1989 könnten zumindest einige der Unter-

schiede krankheitsspezifischer Mor- talität erklären. Die vorliegenden Daten von 1996 sollten jedoch nicht mehr durch diese früheren admini- strativen Differenzen beeinflußt sein (Tabelle).

Resümee

Die vorliegenden Analysen zei- gen in Europa, Deutschland und so- gar (weniger ausgeprägt) innerhalb einzelner Bundesländer ähnliche geographische Phänomene mit einem Trend vom Nordosten (höhere Bela- stung) zum Südwesten (niedrigere Belastung) bei koronaren Herz- krankheiten. Die deutlichen regiona- len Schwankungen der Mortalität von

Herz-Kreislauf-Krankheiten stellen einen Ansatz dar, die zugrundeliegen- den Ursachen zu untersuchen.

Genetische Einflüsse sind wahr- scheinlich keine Erklärung für eine

kurzfristige Änderung innerhalb der Regionen. Administrative Abläufe, wie das Kodieren von Totenscheinen und Analysen der Mortalitäts- und Morbiditätsdaten, sollten immer be- rücksichtigt werden, da sie zu einem Vergleich von „Äpfeln mit Birnen“

oder zumindest zu Fehlinterpretatio- nen führen könnten. Standardisier- te internationale Studien wie das MONICA-Projekt lassen jedoch den direkten Vergleich zu. Die medizini- sche Versorgung spielt eine wichtige Rolle. Möglichkeiten der Akutthera- pie bei Koronarsyndromen sind

zweifellos entscheidend für die kurz- fristige Prognose der Patienten, scheinen jedoch das Langzeitergeb- nis auf Bevölkerungsebene nicht wesentlich zu beeinflussen. Die re-

gionalen Schwan- kungen bei der Prä- valenz von Risiko- faktoren sind ver- mutlich die wichtig- ste Erklärung geo- graphischer Schwan- kungen der Morta- lität von Herz-Kreis- lauf-Krankheiten.

Zusätzlich zur Rolle der herkömm- lich definierten kar- diovaskulären Risi- kofaktoren der Er- krankungsbelastung sind Lebensstilvaria- blen und sozioöko- nomische Bedingun- gen von potentieller Wichtigkeit. Die Um- welteinflüsse müssen als mögliche beitra- gende Faktoren über- prüft werden.

Die kausale Be- ziehung und quanti- tative Verteilung der möglichen verant- wortlichen Ursachen müssen in künftigen Studien geklärt wer- den. Dieser Ansatz wird Möglichkeiten für verbesserte prä- ventive Strategien aufzeigen, beson- ders in Bevölkerungsregionen mit hohem Herz-Kreislauf-Risiko.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-483–488 [Heft 8]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Stefan N. Willich Institut für Arbeits-, Sozialmedizin und Epidemiologie

Universitätsklinikum Charité 10098 Berlin

Hamburg

114 - 126 101 - 113

88 - 100 75 - 87

62 - 74 Zerebrovaskuläre Mortalität Männer (ICD 430 - 438)

SCHLESWIG- HOLSTEIN

NIEDERRSACHSEN

SAARLAND

Bremen

MECKLENBURG- VORPOMMERN

BRANDEN- SACHSEN- BURG

ANHALT

SACHSEN THÜRINGEN

NORDRHEIN- WESTFALEN

RHEINLAND- PFALZ

BAYERN BADEN-

WÜRTTEMBERG

Berlin

HESSEN Grafik 5

Regionale Unterschiede der zerebrovaskulären Mortalität (ICD-9, 430–438) bei Männern in Deutschland (1996, standardisierte Todesfälle pro 100 000 Männer, in Risikoquintilen unterteilt).

Hamburg

94 - 105 82 - 93

70 - 81 58 - 69

46 - 57 Zerebrovaskuläre Mortalität Frauen (ICD 430 - 438)

SCHLESWIG- HOLSTEIN

NIEDERRSACHSEN

SAARLAND

Bremen

MECKLENBURG- VORPOMMERN

BRANDEN- SACHSEN- BURG

ANHALT

SACHSEN THÜRINGEN

NORDRHEIN- WESTFALEN

RHEINLAND- PFALZ

BAYERN BADEN-

WÜRTTEMBERG

Berlin

HESSEN Grafik 6

Regionale Unterschiede der zerebrovaskulären Mortalität (ICD-9, 430–438) bei Frauen in Deutschland (1996, standardisierte Todesfälle pro 100 000 Frauen, in Risikoquintilen unterteilt).

In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Herz-Kreislauf-Epidemiologie der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie

Zerebrovaskuläre Mortalität Frauen (ICD 430–438)

Zerebrovaskuläre Mortalität Männer (ICD 430–438)

Referenzen

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