Äsungsgewohnheiten und Cadmium-Konzentrationen bei Rehen (Capreo/us capreo/us) aus dem Saarland *
von Prof. Dr. Paul MüLLER
Wegen ihrer flächendeckenden Verbreitung (von den Marschen Nord - deutschlands bis oberhalb der Waldgrenze in den Alpen), ihrer hohen Populationsdichte und leichten Verfügbarkeit (im Jagdjahr 1983/84 wur - den mindestens 686 714 Rehe in der Bundesrepublik Deutschland ge...!
schossen; im gleichen Jagdjahr wurden allein im Saarland 1 241 weib- liche und 727 männliche Rehe als Fallwild gemeldet), ihrer relativ klei - nen Territorien und Aktionsräume (je nach Biotopstruktur zwischen 6 bis 30 ha) und als Nahrungsmittel für den Menschen sind Rehe (Capreo/us capreo/us) besonders interessante und "praktikable" Orga- nismen für die überwachung von Umweltchemikalien in Nahrungsnetzen (HOLM und BOGEN 1983, KLEIMINGER 1983, MüLLER 1984). In den letzten Jahren konnten wir auch durch Untersuchungen an markierten und mit Radiosendern ausgestatteten Rehen Zusammenhänge zwischen der Schadstoffbelastung von Biotopen und Rehen aufklären. über ei - nige Ergebnisse sei im folgenden am Beispiel des Cadmiums kurz be- richtet.
1. Rehe reichern Cadmium besonders in den Nieren an
Rehe, Hasen oder Wildschweine reichern, ähnlich wie die Mehrzahl aller bisher untersuchter Säugetiere, Cadmium in den Nieren in höheren Kon - zentrationen an als in anderen Organen. Im Gegensatz zu Laborratten, bei denen die rechte Niere höhere Anreicherungsraten aufweisen soll (nach Fütterungsexperimenten ; vgl. MANGLER et al. 1984) akkumulie- ren sowohl die Nieren von Hasen, Bisamratten, Rehwild fast "gleich- mäßig", wobei bei einzelnen Tieren sowohl die linke, als auch die rechte Niere höhere Konzentrationen aufweisen kann (Tab. 1; Abb. 1).
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Mitteilungen im Rahmen des Umweltprobenbank-Projektes der Bundes - regierungTab. 1 : Schwermetall konzentrationen (mg / kg Frischgewicht) in Nieren von Wildschweinen au s dem Saarland (Warndt ; Nr. 1- 9) und Lothr ingen (Gondre ville ; Nr. 10- 12 ; Stichproben 1984)
Cd Pb Zn Cu
Nr . Alt e r /Sex linke r e chte linke recht e linke rechte linke rechte
Niere Niere Nier e Niere
er 2 J ahr e 2,82 2,6 7 0, 0 3 0 , 0 3 20 , 3 19,5 6 ,2 6,0 2 0 + Fr is chlin g セゥAN@ 1, 33 0 , 03 0 , 05 18,6 20 ,3 4, 8 5, 1 3 0 + 1 Jahr 2, 40 2,39 0,02 0,0 2 23,5 22, 7 5, 6 5, 5 4 0 3 J ahr e 8,12 7,63 0,05 0 ,0 1 2 4 ,5 23, 1 4,5 4 , 4 5 er 2 Ja hr e 3,43 3,25
<
0, 01 0,0 1 21,3 20,3 6,4 6 , 3 6 er 2 Jahre 3,96 4 ,21<
0,0 1 0,01 NANセ NANSN@ 19,1 3,8 3,9 7 c3 2 Jahre 1 ,6 6 1, 78 0,05 0,06 18,6 19,1セ@
3,5 8 er Jahr 1,89 1,85セッNz@
0,07 20,6 22,6 6,4 6,5 9 er 2 Jahre 3,8 4 4,28 0,07 0,07 20 , 4 20,1 4,3 4,2 10 J Frischling 1,72 1 , 65 0 , 01 0,0 1 28,8 28,5 5 , 4 5,6 11 セ@ Fr is chling 1,41 1,45 0,01 0, 01 26,0 28,7 7,4 7 , 9 12 cf 2 Jahre 2 ,53 2 ,72 0,01 0 , 02 29 , 8 32,5 セ_@ 1 0,6346
Gehirn
< 0,01
H「・セN@ n =10 aus Völklingen
variieren die Cd-Werte in den Nieren von 0,60 bis 6,1)
Le ber 0,15 -0 ,24
Lunge 0.03
Milz
セ@ 0,01
Abb. 1: Cadmium-Konzentrationen (mg/kg Frischgewichtl in verschie- denen Organen unterschiedlich alter Rehe (Kitze bis 8-jäh-
2. Die Cadmium-Konzentrationen nehmen mit dem Alter zu
Obwohl wir bei Schwermetallen oder bei Chlorierten Kohlenwasserstoffen Akkumulations- und Eliminationsmechanismen kennen, nehmen die Cad - mium - Konzentrationen beim Rehwild altersabhängig zu und erreichen bei saarländischen Rehen auf industrienahen Standorten Werte von über 7 mg/kg Frischgewicht. Diese Werte sind, im Vergleich zu anderen Land - schaften der Bundesrepublik Deutschland, keineswegs außergewöhnlich hoch (HOLM und BOGEN 1983, MOLLER 1984, MOLLER et al. 1984). Sie werden darüber hinaus von den Akkumulationsraten bei anderen saar- ländischen Tierarten übertroffen (z . B. Fuchs), wobei nicht immer die Stellung in der Nahrungskette di e Konzentrationshöhe bestimmt (Abb. 2).
3. Rehe reichern mehr Cadmium an als Rinder
Von zahlreichen Organismen ist eine selektive Anreicherung für bestimm- te Schwermetalle nachgewiesen (u.a . Pilze, Isopoda). Bei Säugern ist die Cadmium-Aufnahme nicht nur von den artspezifischen Resorptions - verhältnissen im Magen-Darmtrakt abhängig, sondern naturgemäß auch von der Nahrungszusammensetzung und der organochemischen Bindung des Cadmiums in der Nahrung.
1982/83 von uns im Landkreis Stade durchgeführte Vergleichsuntersu- chungen an Rindern und Rehen zeigten , daß in vergleichbaren Belas- tungsgebieten Rehwild immer höhere Cadmium-Konzentrationen aufweist als Rinder. Die Nahrungszusammensetzung der Rinder (z.B. Anteil Grünlandfutter/lmportfutter) konnte dabei nicht in allen Fällen aufge- klärt werden. Wichtig ist jedoch, daß bei den Individuen, die auch tatsächlich nur "im Landkreis Stade weideten", diese Korrelation ein- deutig zutraf (Abb. 3).
4. Die Cadmium-Konzentrationen werden von den Äsungspflanzen ge- steuert.
1984 konnte von uns der Nachweis erbracht werden, daß beliebte Äsungs - pflanzen des Rehwildes tatsächlich höhere Cadmium-Konzentrationen auf- weisen als andere Pflanzenarten des gleichen Standortes. Seit langem ist bekannt, daß Rehwild neben Pilzen sehr gerne A rt emisia v ul gari s , Achillea millefolium oder Epilobium an g ustifa lium äst (vgl. u. a. HOLZ - HAUSEN 1970, KLOTZLI 1965, STUBBE und PASSARGE 1979). Bekannt war ebenfalls, daß insbesondere die Galmeipflanzen (Galmei = Zn CO 3 )
als Varietäten oder Rassen einer Art, sehr hohe Schwermetallgehalte tolerieren können, ohne geschädigt zu werden (u.a. Vio la c alaminaria, Thlaspi alpestre, Minuartia v erna, Silen e c u c ubalu s ). Sie verstanden es,
"eine direkte Konfrontation großer Schwermetallmengen mit allen im Plas- ma befindlichen Proteinen auszuschließen" (ERNST 1974, 1976) .
Durch vergleichende Untersuchungen von SÄNGER (1985) konnte nun in unserem Institut nachgewiesen werden , daß auf 5 Vergleichsstandorten im Saarbrücker Raum bevorzugte Rehäsungspflanzen besonders viel Cad- mium anreicherten (Abb. 4) . Dadurch erhärtet sich der Verdacht, daß die Äsumgspflanzenselektion durch das Rehwild entscheidenden Einfluß auf die Akkumulationsraten des Cadmiums hat. Erklärungsversuche fü r Rückstandsunterschiede zwischen "Wald- und Feldrehen" müssen deshalb,
348
8 7 6 5 4
3 2 1
neben dem Einfluß von Emittenten- und Nutzungsstrukturen, in Zu- kunft verstärkt die verschiedenen Akkumulationsraten der Äsungs- pflanzen an den Untersuchungsstandorten berücksichtigen. Nur dann lassen sich regionale Belastungsunterschiede klarer als bisher heraus- arbeiten.
mg Cd
I
kg Frischgewicht• •
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Alter
Abb. 2: Zusammenhang zwischen Cd-Konzentration (mg Cd/kg Frisch- gewicht) in den Nieren und dem Alter von 54 saarländischen Rehböcken (1982-1984)
x : y:
Mittelw.
2.500000 1.879074
Varianz 4.29245 1.97743 Regressionsgleichungen*
y= 0.521327 +0.54310*x x= 0.284728 +1.17892*y Korrelationskoeffizient Antei I erklärter Varianz Signifikanztest :
T -Statistik: 9.62040404447 Mit 52 Freiheitsgraden
Mittl. Abweichung Var. Koeff.
2.0718236 1. 4062116
0.8434125 1.2426308
82.87 % 74.84 %
0.800167666834 64.0268295047 %
MG/KG FG
8
11
5
4
3 6
0 Q 6
o RINDER ISTADE o REHE ISTADE 6 REHE I SAARLAND
6 6
6
セ@ 6
0
a
R .. 0,379 R = 0,755 R· 0,701
N. 49 N· 10 N - 22
o REHE ISTADE (1982/83 ) UND SAARLAND
0
0 0
6 0 0
RINDER ISTADE
6 0 0 .-.-.- .
_.
350
8 9-
_ · - · -tJ Mセ@-f -f
MMッMMセ@
セ@
0 0 0o 4 6 8 9 10 11 12 ALTER
Abb. 3: Regression zwischen Cadmium - Konzentration in Nieren in mg / kg FG und Alter in Jahren
IN JAHREN
セ@-... t:n E c: QJ .
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MO セッZ^@,v> " QJU ,,-
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セL@
Saponaria offieinalis Berteroa ineana Oenothera biennis Melilotus alba Verbaseum thapsus Eehium vulgare Seneeio jaeobaea Erigeron annuus Tanacetum vu19are Artemi si a vul gari sGeranium robertianum Oenothera biennis Medieago lupulina Erigeron annuus c。セー。ョオャセ@rapuneulus Crepis eapillaris Senecio jacobaea
Poa compressa Berteroa ineana Eryilobiul'l angustifolium Creni s capi 11 ari s Artemi si a vul gari s
Oenothera biennis Tanacetum vulgare Crepis capillaris Hordeum murinum Erigeron annuus
Hyperieum perforatum Creois capillaris Aehillea millefolium Plantago lanceolata Seneeio jacobaea J C セ@E a.. c c Q) Q)'" C I.. Q) 0 "0"0 Q) C ._ ro .r:'" u JI'J JI'J JI'J I...r: Q) U >:.91 C rn .-I.. C Q) 0> '';:
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l{) (')5. H öchste Cadmium-Rückstände aus Völklinger Revieren
Räum liche Unterschiede in der Cadmium-Belastung des Rehwildes zeichnen sich mit wachsendem Probenmaterial immer deutlicher ab.
Dabei liegt naturgemäß bisher nur in der Jährlingsklasse ausreichend gesichertes statistisches Material vor (vgl. auch KLEIMINGER 1983).
Jährlinge aus Völklingen (Wehrden, Werbeln, Geislautern) und dem Staatsforst Warndt unterscheiden sich nur geringfügig (Warndt 1,40 + 0,65 mg / kg FG; Völklingen 0,85 + 0 , 41 mg/kg FG).
In der Altersklasse über vier Jahre liegen die Konzentrationen in beiden Räumen bisher immer über 4 mg / kg FG. "Spitzenreiter" waren ein etwa 8- jähriger Bock aus Völklingen (24.07.1983) mit 7,03 und ein etwa 10- jähriger Bock aus Völklingen (16 . 05.1984) mit 7,20 mg / kg FG. Deutlich niedriger sind die Konzentrationen bei 5- bis 6- jährigen Böcken aus der "emittentenfernen" Feldflur von Schmelz (1,05 bis 1,91 mg / kg FG) oder dem Bliesgau bei Mimbach (0,43 mg / kg FG).
Jährlinge aus Wadrill lagen unter 1,05, aus dem Kirkeler Wald unter 1,20 mg / kg FG.
Literatur
ERNST, W. (1974) : Schwermetall vegetation der Erde. Fischer, Stuttgart.
ERNST, T. W. (1976) : Wieviel Schwermetalle können die Pflanzen "ver- tragen"? Umschau 76 (11) : 355- 356.
HOLM, J. und BOGEN,C . (1983) : Erkennung und Beurteilung von flächenhaften Schwermetall - und Pestizidkontaminationen beim Wild.
Forschungsbericht Bundesministerium für Jugend, Familie und Ge- sundheit, pp. 233.
HOLZHAUSEN , U. (1970) : Asungsbedingungen des Rehwilds (Revier Ahnsen) . Fachwiss. Arbeit für Biol., PH Lüneburg .
K LE IMI NGER, J. (1983) : Untersuchungen über die Eignung von frei - lebenden Wildarten als Bioindikatoren zur Erfassung von flächen - haften Schwermetallkontaminationen in Niedersachsen. Diss . Tier- ärztl. Hochschule Hannover.
KLOTZLI, F. (1965) : Qualität und Quantität der Rehäsung in Wald - und Grünlandgesellschaften des nördlichen Schweizer Mittellandes . Diss. Zürich.
MANGLER, B. , FISCHER, G. und CLASSEN, H .- G. (1984) : Untersu- chungen zur chronischen Toxizität von Cadmium be i Ratten nach Verabreichung im Trinkwasser : vorläufige Ergebnisse . In: Schad - stoffe in der Umwelt 36 : 205 - 214 , Hohenheim .
MULL ER, P. (1984) : Jagd-ünd Umweltrisiko. Der Saarjäger 1 : 6- 27 . MULLER, P . (1984) : Cadmium - Rückstände im Rehwild . Die PIrsch 5 :
676- 677. -
MULLER, P., FLACKE , W. , KRUGER, J. und HUBSCHEN , J. (1984) : Okologische Belastungsanalyse Landkreis Stade. pp. 644, Stade .
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SÄNGER, M. (1985): Rückstandsanalytische Variabilität von Ruderal- pflanzen auf unterschiedlich stark kontaminierten Probeflächen (Cd, Zn). Diplomarbeit, Institut für Biogeographie, Universität des Saar- landes, Saarbrücken.
STUBBE, Ch. und PASSARGE, H. (1979) : Rehwild. Neumann - Neudamm, Melsungen.
Anschrift des Verfassers :
Prof. Dr. rer. nat. Paul MULLER
Direktor des In'stituts für Biogeographie der Universität des Saarlandes 6600 Saarbrücken
Schriftleitung: Dr. Harald SCHREI BER
Verlag: Eigenverlag der DELATTINIA, Fachrichtung Biogeographie, Universität des Saarlandes, 6600 Saarbrücken 11
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