Frankreich, der unbekannte Partner
Wer weiß schon, daß von 1787 neuen Arzneistoffen, die zwischen 1961 und 1985 in die Therapie einge- führt wurden, 288 in Frankreich ent- wickelt wurden? Zum Vergleich: 247 neue Stoffe kamen aus deutschen Pharmaunternehmen. Frankreich und Deutschland liegen somit bei der Entwicklung nahe beieinander;
sie werden nur noch von den USA mit 422 neuentwickelten Stoffen übertroffen.
Pharma-Fachleute werden sol- ches selbstverständlich wissen, doch für viele ist Frankreich als führendes Industrie- und Forschungsland die große Unbekannte Ohnehin ist es erstaunlich, wie das Nachbarland für viele Deutsche, trotz der Touristen- ströme, ein unbekannter Nachbar geblieben ist.
Die Medica hatte sich in diesem Jahr Frankreich als Partnerland aus- gewählt. 37 der insgesamt rund 1250 Aussteller kamen von dort. Bei der Gelegenheit wurde eine Fülle von Informationen über Frankreich in die Öffentlichkeit geschleust. Frank- reich lieferte zum Beispiel 1988 Arz- neimittel im Werte von 618 Millio- nen DM in die Bundesrepublik und stand damit nach der Schweiz an zweiter Stelle in der Importstatistik.
Westdeutsche Pharmafirmen liefer- ten Produkte im Wert von 561 Mil- lionen nach Frankreich. Die Bilanz schlägt also zugunsten des westli- chen Nachbarlandes aus.
Umgekehrt sieht die Import/Ex- portstatistik bei der Medizintechnik aus. Die westdeutschen Lieferungen nach Frankreich lagen 1989 bei 288 Millionen DM, aus Frankreich ka- men lediglich Geräte im Wert von 65 Millionen DM in die Bundesrepu- blik.
Hier noch einige Angaben aus dem französischen Gesundheitswe- sen, die anläßlich der Medica be- kannt wurden und die vermutlich gleichfalls die wenigsten hierzulande kennen: In Frankreich wurden (1986) 307 463 Klinikbetten vorge- halten, in der Bundesrepublik waren
es (1988) 674 742 planmäßige Betten (Einwohnerzahl: Frankreich 55,3 Millionen, frühere Bundesrepublik Deutschland 61,7 Millionen). Die Verweildauer lag nach einer Uber- sicht der OECD im Jahre 1988 in Frankreich mit durchschnittlich 13 Tagen deutlich unter der in der Bun- desrepublik mit 17 Tagen, wobei zu berücksichtigen ist, daß es in Frank- reich in sogenannten „hospices" und
„maisons de retraite" insgesamt 112 879 Plätze für die teilstationäre Nachsorge sowie für geriatrische Pa- tienten gibt.
Insgesamt waren 1988 in Frank- reich 166 340 Ärzte tätig, was einer Dichte von einem Mediziner auf 333 Einwohner entspricht. Nur unwe- sentlich geringer ist die Arztdichte in der Bundesrepublik: 1988 entfiel auf 349 Einwohner ein Arzt bei insge- samt 177 001 berufstätigen Ärzten.
Drastische Unterschiede gibt es bei der Arbeitslosigkeit der Ärzte: In Frankreich waren es 1988 schät- zungsweise 20 000 Mediziner, die oh- ne Beschäftigung waren, in der Bun- desrepublik waren es im gleichen Zeitraum 8115, jedenfalls nach offi- ziellen Zahlen (hinzu kommt wohl eine ansehnliche Dunkelziffer). Das entspricht in Frankreich einer Ar- beitslosenquote von rund 12 Prozent, womit das Land innerhalb der Euro- päischen Gemeinschaft hinter Spani- en (22,2 Prozent) und Italien (14 Prozent) bereits an dritter Stelle liegt. Die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik liegt (ohne Dunkel- ziffer) bei 4,6 Prozent, was dem fünf- ten Platz entspricht. (Zum Ver- gleich: Nur Griechenland, Irland und Luxemburg hatten 1988 über- haupt keine arbeitslosen Ärzte ge- meldet.)
Französische Gesprächspartner kommen heute schnell auf die Auf- gaben, die sich den Deutschen im Osten stellen, zu sprechen. Dabei schwingt oft die Sorge mit, Deutsch- land werde darüber seine westlichen Nachbarländer und vor allem Frank- reich und auch seine Aufgaben in
Europa vernachlässigen. Diese kaum versteckte Sorge kam auch bei der Medica hoch. Der Geschäftsführer der Düsseldorfer Messegesellschaft, Horst Klosterkämper, erklärte nicht von ungefähr, man sei über die Part- nerschaft mit Frankreich (die in ei- nem förmlichen Vertrag im Mai die- ses Jahres in Paris besiegelt wurde;
dazu Heft 25/26) gerade heute sehr glücklich.
In einer Zeit, in der durch die Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands die europäische Öf- fentlichkeit mit besonderem Interes- se auf die Bundesrepublik schaue, habe die Medica ein wichtiges Zei- chen gesetzt. Wörtlich: „Das verein- te Europa und der europäische Bin- nenmarkt haben für uns nach wie vor einen hohen Stellenwert. Und bei al- ler Aufmerksamkeit, die den Län- dern Osteuropas zukommt und zu- kommen muß, dürfen die guten, freundschaftlichen Beziehungen zu unseren Nachbarn im Westen nicht vernachlässigt werden." EB
FERNSEHKRITIK
Studio 1 (Mittwoch, 22. Novem- ber, ZDF). München: Personaleng- pässe auf den Intensivstationen (in der Sendung ist sogar von „Chaos"
die Rede). Frankfurt: Notstand in den „ambulanten Diensten". Am Beispiel der beiden bundesdeut- schen Großstädte verdeutlichte die Sendung eindringlich die Probleme in der Alten- und Krankenpflege.
Nach möglichen Lösungen wurde Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm befragt. Sein Vorschlag: Der Pflegeberuf muß ideell und materiell aufgewertet werden. Schöne Worte, die den Betroffenen jedoch kaum ei- ne Hilfe bedeuten dürften. Daß
„Pflegenotstand" das Thema der 90er Jahre ist, bewiesen die im Stu- dio vorgestellten Ergebnisse der
„Forschungsgruppe Wahlen", wo- nach 61 Prozent der Befragten eine Vorsorge für den Pflegefall für sehr wichtig halten. Klaus Heckenhahn bekam die Problematik gut in den Griff; er zeigte die aktuellen Miß- stände auf, ohne Schreckensvisionen von einem bevorstehenden Kollaps heraufzubeschwören. Kli
Neue Zahlen aus dem französischen Gesundheitswesen
A-3910 (26) Dt. Ärztebl. 87, Heft 49, 6. Dezember 1990