• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Ärztliche Versorgung: Frühzeitige Signale für den drohenden Ärztemangel" (17.05.2002)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Ärztliche Versorgung: Frühzeitige Signale für den drohenden Ärztemangel" (17.05.2002)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

W

ährend seit Jahren bundesweit von einer „Ärzteschwemme“

die Rede ist, häufen sich in jüngster Zeit Meldungen, dass in weiten Regionen, vor allem in den neuen Bun- desländern, die ambulante ärztliche Versorgung nicht mehr sicherzustellen ist. Völlig unbemerkt blieb dagegen, dass sich spätestens seit dem Jahr 2001 auch in den Krankenhäusern ein zuneh- mender Mangel an Ärzten zeigt. So können beispielsweise in der Lausitz und im südlichen Mecklenburg viele Assistenzarztstellen nicht mehr besetzt werden, was zu einer hohen Arbeitsbe- lastung der dort tätigen Ärzte führt (Überstunden, keine Freizeit, kein Ur- laub).

Dieser zunehmende Mangel spiegelt sich eindrucksvoll im Anzeigenteil des Deutschen Ärzteblattes wider. Zählt man die von den Krankenhäusern in den Heften 3, 4 und 5 der Jahrgänge 1994, 1995, 1996 sowie 2000, 2001 und 2002 ausgeschriebenen Stellen1, so wird die Zunahme der Stellenangebote be- sonders deutlich (siehe Tabelle 1).

Das Stellenangebot für Assistenzärz- te und Ärzte im Praktikum (ÄiP) hat sich weit mehr als verdreifacht. Dabei fällt auf, dass im Zeitraum 1994/96 vor- wiegend ÄiP gesucht wurden, während 2002 die Suche nach Assistenzärzten im Vordergrund steht. Dies ist offenbar darauf zurückzuführen, dass zahlreiche Assistenzärzte Positionen von Ober- und Chefärzten übernommen haben.

Aber auch hier hat sich das Angebot

um mehr als 60 Prozent erhöht. Es hät- te eher abnehmen müssen, denn im ver- gleichbaren Zeitraum nahm die Dichte der Krankenhausbetten, berechnet auf die Einwohnerzahl, um weit mehr als zehn Prozent ab.

Junge Ärzte:

Geänderte Präferenzen

Allen unmittelbar am Patienten tätigen Ärzten wird ihre berufliche Arbeit durch die Parolen der Krankenkassen vergällt. Wenn es schon alte Ärzte kränkt, ständig als „Kostentreiber im Gesundheitswesen“ und als „sonstige Akteure“ beschimpft zu werden, dann müssen junge Menschen umso mehr ir- ritiert sein. Zur Zeit des Stellenmangels mussten junge Assistenzärzte gratis ar- beiten. Ärzte im Praktikum wurden und werden, zumindest in Berlin, regel-

mäßig als Stationsärzte eingesetzt. Sie wissen, dass eine solche Tätigkeit für sie rechtlich nicht zulässig ist. So verwun- dert es nicht, dass junge Ärzte nach Er- halt der Approbation ins Ausland oder in die Industrie gehen, wo sie nicht dis-

kriminiert werden. Heute bieten sich dem approbierten Arzt viel mehr Mög- lichkeiten als noch vor dreißig Jahren.

Schon seit Jahren war abzusehen, dass es infolge des außergewöhnlichen Altersaufbaus der deutschen Bevölke- rung ab dem Jahr 2000 zu einem Rück- gang von Beamten kommen würde.

Der erste geburtenstarke Jahrgang 1935, durch die nationalsozialistische T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 2017. Mai 2002 AA1349

Ärztliche Versorgung

Frühzeitige Signale für den drohenden Ärztemangel

Nicht nur der kontinuierlich wachsende Stellenmarkt im Deutschen Ärzteblatt deutete in den letzten Jahren auf eine Trendwende beim ärztlichen Arbeitsmarkt hin.

1 Die Stellenanzeigen der Krankenhäuser und Kliniken wurden als jeweils nur eine Stelle gezählt. Da es aus- schließlich um die Patientenversorgung ging, wurden wissenschaftliche Assistenten und Ärzte für Controlling nicht berücksichtigt.

´ Tabelle 1CC´

Stellenangebote und Ärzte-Arbeitsmarkt

Stellenangebote im Krankenhaus Neuzugänge in

Deutschen Ärzteblatt2 betten je der Altersgruppe

Anzahl der Assistenz- Fachärzte, 10 000 65 bis unter 70

Jahr Seiten ärzte und AiP Oberärzte, Einwohner Jahre (Mindest-

Chefärzte anzahl – Männer)3

1993 77,4

1994 87 111 187 75,9 + 51 200

1995 85 98 171 74,6 + 88 100

1996 126 135 219 72,5 + 33 000

Summe 1994/96 298 344 577 + 172 300

2000 201 366 266 68,0 + 74 000

2001 270 501 355 . . . + 105 200

2002 294 646 340 . . . + 121 200

Summe 2000/02 765 1 513 961 . . . + 300 400

Werte 2000/02 257 % 440 % 167 % 88 %3 174 %

als Prozentsatz der Werte der Jahre 1994/96

Annemarie Wiegand

2 Stellenangebote: Summen der Stellenangebote der Hef- te 3, 4 und 5 des Deutschen Ärzteblattes des betreffen- den Jahres; ebenso wird die Zahl der Seiten als Summe dieser Hefte wiedergegeben.

3 Von 1993 zu 2000 (spätere Zahlen sind noch nicht ver- fügbar)

(2)

Geburtenpolitik ausgelöst, vollendete im Jahr 2000 das 65. Lebensjahr und schied damit aus dem Be- rufsleben aus. Diese Pen- sionswelle zieht sich bis mindestens zum Jahr 2006 fort, denn dann vollendet der letzte geburtenstarke Jahrgang 1941 das 65. Le- bensjahr. Vorsorge wurde in keinem Bereich getroffen (zum Beispiel Lehrer) und selbstverständlich auch nicht in der Medizin.

Die Belastungen, welche durch das abrupte Aus- scheiden aus der Berufs-

stätigkeit für die Gesellschaft entste- hen, dokumentiert die letzte Spalte in der Tabelle 1(Neuzugänge4).

Es ist wenig glaubhaft, dass diese Zahlen den Politikern nicht bekannt sind. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass die enorme Zunahme an freien Arztstellen an deutschen Krankenhäu- sern dem Bundesgesundheitsministeri- um oder den Krankenkassen nicht auf-

gefallen sein sollen. Leider aber betrei- ben die Krankenkassen – das ist ihre Kostendämpfungspolitik – energisch die Schließung von Krankenhäusern.

Dies wird teilweise auch geschehen, und zwar wegen des Mangels an Klinik- ärzten. Wie die Bevölkerungsstatistik

beweist, wird dieser Mangel demnächst bundesweit einsetzen.

Eigentlich müssten diese Zahlen den Verantwortlichen verdeutlichen, dass in Deutschland nicht nur dringend mehr Ärzte ausgebildet werden sollten, son- dern dass auch die Arbeitsbedingungen sofort verbessert werden müssen. Dazu gehört auch, dass es den Vertragsärzten wieder gestattet sein muss, nach dem vollendeten 68. Le- bensjahr weiter kas- senärztlich tätig zu sein.

Beispiel Berlin

Dass die Politik un- verdrossen Kosten- dämpfung im Gesundheitswesen be- treibt, beweist das Beispiel Berlin. Um 95 Millionen Euro einzusparen, plant der hoch verschuldete Berliner Senat, eine der beiden Universitätskliniken, und zwar das in Steglitz gelegene Klini- kum Benjamin Franklin der Freien Universität, zu schließen. Zur gleichen Zeit fordern die Berliner Krankenkas- sen den Abbau von mindestens 1 000 Krankenhausbetten im Bereich der Universitätskliniken. Der Hauptgrund:

Die AOK Berlin ist fast pleite. Dies würde aber das Ende beider Kliniken, auch der Charité, bedeuten.

Schon jetzt sehen sich Wissen- schaftler aller Bereiche nach anderen beruflichen Möglichkeiten auch im Ausland um – nicht zuletzt deshalb, weil in der gesamten Region Berlin-

Brandenburg schon jetzt die stationäre Versorgung als ungesichert bezeichnet wer- den muss.

Zwischen 1996 und 2000 wurden in Berlin noch- mals 17 Prozent aller Kran- kenhausbetten (bundesweit sechs Prozent) abgebaut, vorwiegend zur Rettung der AOK Berlin und mit Billi- gung des Senats.

Besonders in der Chirur- gie ist die Lage seit Jahr- zehnten untragbar, denn bereits 1982 lag Berlin (West) mit der Gesamtzahl seiner operativen Betten unter dem Bundesdurchschnitt5 (siehe Tabelle 2).

Große Empörung

Die Empörung in der Bevölkerung über diese neuen Krankenhaus- schließungspläne ist groß. Zu frisch noch ist die von den Krankenkassen und vom Senat erzwungene Schließung des Krankenhauses Moabit am 31. Ok- tober 2001 in Erinnerung. Dieses wirt- schaftlich arbeitende Krankenhaus wur- de durch Nichtbezahlung der Rechnun- gen durch die Krankenkassen in den Bankrott getrieben. Schulden der Krankenkassen an das Krankenhaus:

11,5 Millionen Euro.

Nicht nur aus Brandenburg, sondern auch aus anderen Bundesländern hört man, dass die Methode der Kranken- kassen, Krankenhäuser durch Nichtbe- zahlung der Rechnungen in die Knie zu zwingen, weit verbreitet ist.

Der Berliner Senat, nicht nur die SPD, sondern auch die CDU, klatschte Beifall. Inzwischen wurde festgestellt, dass die Bausubstanz Moabits ausge- zeichnet ist – im Gegensatz zur Feststel- lung 1998. Derzeit bestehen Pläne, das Bundeswehr-Regierungskrankenhaus dorthin umziehen zu lassen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 1349–1350 [Heft 20]

Anschrift der Verfasserin:

Dr. med. Annemarie Wiegand Flotowstraße 6

10555 Berlin T H E M E N D E R Z E I T

A

A1350 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 2017. Mai 2002

4Um zu ermitteln, wie viele Männer mindestens in den Jahren 1994 bis 1996 und 2000 bis 2002 ihr 65. Lebens- jahr vollendeten, musste mit Fünf-Jahresblöcken gerech- net werden, denn das verfügbare Zahlenmaterial (1994/96 Zahlenangaben der Todesursachenstatistiken, 2000/02 Langzeitprognose „Entwicklung der Bevölke- rung Deutschlands von 1998 bis 2050“) besteht aus die- sen Blöcken. Daher kann man nur berechnen, wie viele Menschen (hier Männer, da sich zur Zeit in den leitenden Positionen der Krankenhäuser vorwiegend Männer befin- den) mindestens n e u das 65. Lebensjahr vollendet ha- ben. Es bleibt unberücksichtigt, wie viele Männer in die Gruppe der 70- bis unter 75-Jährigen überwechselten und wie viele durch Tod ausschieden.

5Krankenhausplan für das Land Berlin 1986, Tabelle 14

´ Tabelle 2CC´

Krankenhausbetten je 10 000 Einwohner (Stand 31. Dezember 2000) insgesamt davon Chirurgie

Deutschland 68,0 16,6

Berlin 68,9 15,4

Berlin und Brandenburg 66,1 15,0

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE