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Ansprache zu 50 Jahre Austro-Danubia und 60. CVV in Freistadt.

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Bildung, Halbbildung, Unbildung

Ansprache zu 50 Jahre Austro-Danubia und 60. CVV 7. Mai 2016, Freistadt

Vor mehr als 220 Jahren hat Wilhelm von Humboldt seine „Theorie der Bildung des Menschen“

(1792/93)1 formuliert. Kern des Bildungsprozesses waren für ihn die Verknüpfung von Ich und Welt in freier Wechselwirkung. Kultur und Humanität können sich nur in der selbstbestimmten und autonomen Entfaltung der Kräfte entwickeln. „Bildung ist nichts anderes als eine endlich gewonnene Freiheit.“ (Wilhelm von Humboldt). „Das vernünftige Wesen ist nicht zum Lastträ- ger bestimmt.“ So formuliert es Johann Gottlieb Fichte in seiner „Bestimmung des Menschen“.

Er greift damit biblische Impulse auf. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Gal 5,1) Bildung meint eine Form der Selbstentfaltung und Weltorientierung. Bildung ist nicht nur Wissen zu erwer- ben, um abgerichtet oder gar dressiert zu sein. Bildung soll uns befähigen im Handeln freier zu werden etwa von Vorurteilen und Zwängen. Frei, d.h. nicht nur auf Belastungen und Prob- leme, nicht nur auf Krisen oder Schwierigkeiten fixiert zu sein, sondern auf die Chancen die in der jeweiligen Situation, auch in der jeweiligen Lebensphase da sind.

Theorie der Halbbildung

1959 schrieb Theodor Adorno seine Theorie der Halbbildung2. „Das Halbverstandene und Halberfahrene ist nicht die Vorstufe der Bildung, sondern ihr Todfeind“, warnt er. In der Mo- derne haben die Massenmedien, Radio und Fernsehen, laut Adorno die tradierte Bildungswelt zerstört: Sie wird verdrängt vom Geist der Kulturindustrie: das Apriori des eigentlich bürgerli- chen Bildungsbegriffs jedoch, die Autonomie, hat keine Zeit gehabt, sich zu formieren. Weil Bildung ein Erkennungsmerkmal der Elite sei, bestehen nach Adorno enorme gesellschaftliche Anreize, Bildung einfach nur vorzuschützen. Zugleich aber wächst mit dem Lebensstandard der Bildungsanspruch als Wunsch, zu einer Oberschicht gerechnet zu werden, von der man ohnehin subjektiv weniger stets sich unterscheidet.

Was genau meint Adorno mit Halbbildung? Halbbildung ist gereizt und böse; das allseitige Bescheidwissen immer zugleich auch ein Besserwissen-Wollen. Halbbildung ist die Sphäre des Ressentiments schlechthin. Halbbildung disqualifiziert sich durch ein Aussetzen des logischen Verstands: Die wahnhaften Systeme der Halbbildung sind der Kurzschluss in Permanenz. Es mangelt an Selbstreflektion. Die Tendenz zur Personalisierung: objektive Verhältnisse werden einzelnen Personen zur Last geschrieben oder von einzelnen Personen das Heil erwartet. Das Halbverstandene und Halberfahrene ist nicht die Vorstufe der Bildung, sondern ihr Todfeind: Bildungselemente, die ins Bewusstsein geraten, ohne in dessen

1 Wilhelm von Humboldt, Theorie der Bildung des Menschen, in: Werke in fünf Bänden. Hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel. Band I: Schriften zur Anthropologie und Geschichte. Darmstadt: 3. Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980, 234-240.

2 Theodor W. Adorno, Theorie der Halbbildung (1959), in: Gesammelte Schriften, Band 8: Soziologische Schriften 1, Frankfurt/M. 1972, 93-121.

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Kontinuität eingeschmolzen zu sein, verwandeln sich in böse Giftstoffe, tendenziell in Aberglauben. Ein halbgebildeter Mensch hat sich dasselbe Wissen angeeignet, über das auch ein Gebildeter verfügt, aber er gebraucht sein Wissen in verdinglichter, domestizierter Weise, z. B. indem er Phänomene rein mechanisch klassifiziert und subsumiert, anstatt sie in ihrer Lebendigkeit zu begreifen und sich anzueignen. Aufgrund dieser Starrheit ist der Halbgebildete sogar dem Ungebildeten unterlegen, denn dieser verfügt zwar nicht über das fachliche Hintergrundwissen, wohl aber über den naturwüchsigen unvoreingenommenen Blick und ist frei von jeglichem Narzissmus. „Unbildung, als bloße Naivität, bloßes Nichtwissen, gestattete ein unmittelbares Verhältnis zu den Objekten und konnte zum kritischen Bewusstsein gesteigert werden kraft ihres Potentials von Skepsis, Witz und Ironie – Eigenschaften, die im nicht ganz domestizierten gedeihen. Der Halbbildung will das nicht glücken.“3 Diese naive Unvoreingenommenheit ist dem Halbgebildeten durch sein verdinglichtes Verständnis von Wissen als bloßer Faktizität im Zuge seines Bildungsprozesses abhandengekommen.

Theorie der Unbildung ist der Titel des Buches, das Konrad Paul Liessmann 2006 veröffentlichte4. Das Problem unserer Epoche ist nicht Halbbildung, sagt er, sondern die Abwesenheit jeder normativen Idee von Bildung und belegt seine These mit einer Fülle empirischer Daten. Auch Thomas Ritzschels „Stunde der Dilettanten“ und Markus Hengstschlägers „Durchschnittsfalle“ (beide 2012) gehören in diese Linie. Die Titel sprechen für sich, der Tenor ist pessimistisch, vieles hat sich bewahrheitet.

Erwachsen glauben

Bei Bildung geht es wesentlich um die Aneignung eines Wissens, das es dem Menschen er- möglicht, das Leben sinnvoll zu gestalten. Wir brauchen Orientierungswissen, nicht bloß Stra- tegien des Handelns oder das Erlernen von Funktionen. Bildung im Sinne von Orientierungs- wissen hat sich Fragen zu stellen wie: Woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir?

Achtsamkeit, soziales Verantwortungsbewusstsein und Engagement, gelebte Solidarität, viel- fältige Beziehungsfähigkeit und Weltoffenheit sind grundlegende Ziele einer Persönlichkeits- bildung. Dazu gehören ebenso interkulturelle Bildungsarbeit oder der Bereich der Schöpfungs- verantwortung und der Umwelt. Bildung so verstanden verbindet Ästhetik, Ethik und Spiritua- lität: „Zu Zeiten sind wir Dachbewohner und pfeifen von allen Dächern. In anderen Zeiten leben wir in Kellern und singen, um uns Mut zu machen und die Furcht im Dunkel zu überwinden.

Wir brauchen Musik. Das Gespenst ist die lautlose Welt.“5 Ethik im Sinne von Gewissensbil- dung: Das Gewissen ist kein Handlanger der Eigeninteressen. Es gibt nicht die Erlaubnis für alles und jedes, es ist nicht die Instanz der Beliebigkeit oder der Auflösung der Normen. Das Gewissen ist der Ort der Erfahrung des Unbedingten, das uns in Anspruch nimmt. Es ist der Ort der Begegnung zwischen Gott und Mensch. Es geht um sittliche Urteilskraft, um ein Ge- wissensurteil, das nicht im Geschrei der Massen mitplärrt. Bei Gewissensbildung geht es also ganz und gar nicht um Willkür oder Unverbindlichkeit, auch nicht um eine Skepsis gegenüber Ethik und Moral. Es geht auch um Fragen des Rechts auf Leben, um Menschenwürde, um Gerechtigkeit, um die Gottesfrage. Letztlich bleibt jedes Verständnis von Bildung eindimensi- onal, wenn diese nicht als Entfaltung der Gottebenbildlichkeit eines jeden verstanden wird.

3 Adorno, Theorie der Halbbildung 104f.

4 Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft. Wien: Zsolnay 2006.

5 Ingeborg Bachmann, Die wunderliche Musik; in: Ingeborg Bachmann, Werke, Essays, Reden, Vermischte Schrif- ten, Hg.: Christine Koschel (u.a.) Band 4, 3. Aufl., München Zürich, 1982, 45-58, 54.

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Aufgabe der theologischen Ethik: „ein Bewusstsein von dem, was fehlt“ zu schaffen und „die Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ zu erhalten: „Gleichwohl verfehlt die praktische Vernunft ihre eigene Bestimmung, wenn sie nicht mehr die Kraft hat, in profanen Gemütern ein Be- wusstsein für die weltweit verletzte Solidarität, ein Bewusstsein von dem, was fehlt, von dem, was zum Himmel schreit, zu wecken und wach zu halten.“6 Damit ist eine Tiefendimension der menschlichen Koexistenzgestaltung angesprochen, die Frage nach Fundament und „Telos“

des Gemeinwesens. „Woraufhin“ und „warum“ soll Zusammenleben politisch gestaltet wer- den? Es gehört zu den Stärken des CV, dass die Säulen religio, amicitia, scientia und patria zusammengehören und nicht voneinander isoliert werden können. Wissenschaft steht im Kon- text von Ethik, von persönlichen Beziehungen und gesellschaftlicher und kirchlicher Verant- wortung.

Bildungsarbeit soll helfen, barbarische, gott- und menschenverachtende Ideologien zu durch- schauen. Ideologien sind falsche Bilder vom Menschen und seiner Welt, Bilder vom Men- schen, wenn Würde oder Verachtung zu einer Frage des Geschmacks und der Laune verkom- men, Leben oder Tod zur Frage des besseren Durchsetzungsvermögens wird, Wahrheit oder Lüge eine Frage der besseren Taktik, Liebe oder Hass eine Frage der Hormone, Friede oder Krieg eine Frage der Konjunktur. Konstitutiv für Ideologie in der negativen Prägung des Begrif- fes ist es, dass sie ein „besonderes Interesse als allgemeines“7 darstellt. Bildung soll jenseits von Fundamentalismus und permissiver Gleichgültigkeit zur Unterscheidung der Geister ver- helfen, zu einer Urteilskraft im persönlichen, aber auch im politischen Bereich. Dabei geht es um ein Sensorium, Entwicklungen, die im Ansatz schon da sind, aber noch durch Vielerlei überlagert werden, voraus zu fühlen. Sie blickt hinter die Masken der Propaganda, hinter die Rhetorik der Verführung, sie schaut auf den Schwanz von Entwicklungen. Bei der Unterschei- dung der Geister geht es um ein Zu-Ende-Denken und Zu-Ende-Fühlen von Antrieben, Moti- ven, Kräften, Strömungen, Tendenzen und möglichen Entscheidungen im individuellen, aber auch im politischen Bereich. Was steht an der Wurzel, wie ist der Verlauf und welche Konse- quenzen kommen heraus? Entscheidend ist positiv die Frage, was auf Dauer zu mehr Trost, d.h. zu einem Zuwachs an Glaube, Hoffnung und Liebe führt. Negativ ist es die Destruktivität des Bösen, das vordergründig unter dem Schein des Guten und des Faszinierenden antritt.

Bildung soll so gesehen ein Frühwarnsystem aufbauen und eine Stärkung des Immunsystems gegenüber tödlichen Viren sein.

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

6 Jürgen Habermas, Ein Bewusstsein von dem, was fehlt. Über Glauben und Wissen und den Defaitismus der modernen Vernunft , in: NZZ 10. Februar 2007.

7 Karl Marx, Die Deutsche Ideologie (1845/46), in: MEW 3, 48. Vgl. zum Ideologiebegriff: Richard Schaeffler, Ideo- logiekritik als philosophische und theologische Aufgabe, in: ThQ 155 (1975) 97-116; Bernhard Welte, Ideologie und Religion, in: CGG 21, 79-106.

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