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Haupttexte der Literaturgeschichte

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Haupttexte der Literaturgeschichte

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IV. Gotthold Ephraim Lessing: Miss Sara Sampson

Mit der Veröffentlichung von Miss Sara Sampson begründet Lessing 1755 die Tradition des bürgerlichen Trauerspiels in Deutschland und vollzieht eine radikale Abkehr von der frühaufklärerischen Denkweise, wie sie sich etwa in den Texten von Johann Christoph Gottsched manifestiert.

Der Begriff der Empfindsamkeit bildet diesbezüglich den Kern des Wandels, aus dem sich die zentralen Veränderungen erklären lassen: In der Abkehr von Rationalismus und damit impliziertem Dualismus (Körper/Geist, Tugend/Laster etc.) wertet Lessing die Emotionalität auf.

Tugendhaftigkeit heißt in diesem Kontext nun seinen Empfindungen nachzugehen. Die dualistische Unterscheidung in gut oder schlecht wird im Blick auf die Annahme eines ›moral sense‹ aufgelöst.

Während das Drama bisher der Darstellung von Unerschütterlichkeit (Ataraxie) diente, wird Empathie zum entscheidenden Ziel. Das Theater soll sowohl Gefühle darstellen, als auch die dargestellte Empfindung auf den Zuschauer bzw. Leser übertragen (siehe Lessings Saiten-Beispiel).

Mit ebendiesem Fokus lässt sich auch der Paradigmenwechsel des bürgerlichen Trauerspiels erklären: Themen und Personal verschieben sich vom öffentlichen Raum ins Private. Die Figuren sind nicht länger idealisierte Typen sondern mittlere Charaktere, die eine Vorgeschichte haben und ein hohes Identifikationspotential bieten. An die Stelle der öffentlichen Person des Herrschers als Hauptfigur tritt die Tochter, welche als Inbegriff des Privaten und Behüteten zu begreifen ist.

Die Aufwertung der auf Empfindungen basierten Handlungen ist als absolut anzusehen, was in Miss Sara Sampson noch einmal deutlich unterstrichen wird: So vergleicht Sara sich mit ihrer

Rivalin und will zwischen ihrer beider Geschichten differenzieren. Diese zweiwertige Ethik hat in Lessings Weltsicht jedoch keinen Bestand mehr und Sara stirbt auf der Bühne.

Zitate

Johann Christoph Gottsched: Erste Gründe der gesamten Weltweisheit

»alle freye Handlungen [sind] schon an sich selbst gut oder Böse«.1

»Die Tugend ist eine Fertigkeit seine Handlungen nach dem Gesetze der Natur einzurichten«.2

Laster = »Fertigkeit dem Gesetze der Natur zuwieder zu handeln«.3

1 Gottsched, Johann Christoph: Erste Gründe der gesamten Weltweisheit [...]. Band 2. Frankfurt am Main 1965 (Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1733/34), S. 18.

2 Ebd. S. 34.

3 Ebd. S. 38.

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IV. Lessing: Miss Sara Sampson WS 2012

Haupttexte der Literaturgeschichte

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Gotthold Ephraim Lessing: Miss Sara Sampson

»Ich würde doch lieber von einer lasterhaften Tochter, als von keiner, geliebt sein wollen.«4

»MELLEFONT. […] Sara Sampson, meine Geliebte! Wie viel Seligkeiten liegen in diesen Worten!

Sara Sampson, meine Ehegattin! − Die Hälfte dieser Seligkeiten ist verschwunden! Und die andre Hälfte − wird verschwinden. − Ich Ungeheuer!«5

»SARA [...] Wenn ich der Marwood Erfahrung gehabt hätte, so würde ich den Fehltritt gewiss nicht getan haben, der mich mit ihr in eine so erniedrigende Parallel setzt. Hätte ich ihn aber doch getan, so würde ich wenigstens nicht zehn Jahr darin verharret sein. Es ist ganz etwas anders, aus

Unwissenheit auf das Laster treffen; und ganz etwas anders, es kennen und dem ungeachtet mit ihm vertraulich werden.«6

» SARA [...] Wenn zum Exempel, ein Mellefont eine Marwood liebt, und sie endlich verlässt: so ist dieses Verlassen, in Vergleichung mit der Liebe selbst, etwas sehr Gutes. Es wäre ein Unglück, wenn er eine Lasterhafte deswegen, weil er sie einmal geliebt hat, ewig lieben müsste.«7

»SIR WILLIAM. [...] Wenn sie mich noch liebt, so ist ihr Fehler vergessen. Es war der Fehler eines zärtlichen Mädchens, und ihre Flucht war die Wirkung ihrer Reue. Solche Vergehungen sind besser, als erzwungene Tugenden - Doch ich fühle es, Waitwell, ich fühle es; wenn diese Vergehungen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsätzliche Laster wären: ach! ich würde ihr doch vergeben.

Ich würde doch lieber von einer lasterhaften Tochter, als von keiner, geliebt sein wollen.«8

»SIR WILLIAM. Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause?

WAITWELL. Ohne Zweifel hat Mellefont mit Fleiß das allerelendeste im ganzen Städtchen zu seinem Aufenthalte gewählt. Böse Leute suchen immer das Dunkle, weil sie böse Leute sind. Aber was hilft es ihnen, wenn sie sich auch vor der ganzen Welt verbergen könnten? Das Gewissen ist doch mehr, als eine ganze uns verklagende Welt. - Ach, Sie weinen schon wieder, schon wieder, Sir! - Sir!

SIR WILLIAM. Laß mich weinen, alter ehrlicher Diener. Oder verdient sie etwa meine Tränen nicht?

WAITWELL. Ach! sie verdient sie, und wenn es blutige Tränen wären.

SIR WILLIAM. Nun so laß mich.«9

Gotthold Ephraim Lessing: 17. Literaturbrief: ›Den 16. Februar 1759‹

»›Niemand, sagen die Verfasser der Bibliothek [der schönen Wissenschaften und der freyen Künste], wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.‹

Ich bin dieser Niemand; ich leugne es gerade zu. Es wäre zu wünschen, daß sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten, oder sind wahre Verschlimmerungen.«10

4 Lessing, Gotthold Ephraim: Miss Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen. Anmerkungen von Veronika Reichel. Stuttgart 2003, S. 6.

5 Ebd. S. 67.

6 Ebd. S. 86.

7 Ebd. S. 79.

8 Ebd S. 6.

9 Ebd. S. 5.

10 Lessing, Gotthold Ephraim: Briefe, die neueste Literatur betreffend. Siebzehnter Brief. In: ders.: Literaturhistorische und ästhetische Schriften. Herausgegeben von Albert Meier unter Mitarbeit von Maike Schmidt. Stuttgart 2006, S. 35- 37, hier S. 35.

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IV. Lessing: Miss Sara Sampson WS 2012

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»[Gottsched] wollte nicht sowohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen seyn. Und was für eines neuen? Eines Französierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses

französierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sey, oder nicht.«11

»Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmerken können, daß wir mehr in den Geschmack der Engländer, als der Franzosen einschlagen;«12

»Wenn man die Meisterstücke des Shakespear, mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen seyn, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat.«13

Gotthold Ephraim Lessing an Moses Mendelssohn, 2. Februar 1757

»Es ist bekannt, dass, wenn man zwei Saiten eine gleiche Spannung gibt, und die eine durch die Berührung ertönen lässt, die andere mitertönt, ohne berührt zu sein.«14

Gotthold Ephraim Lessing an Friedrich Nicolai, November 1756

»Wenn es also wahr ist, daß die ganze Kunst des tragischen Dichters auf die sichere Erregung und Dauer des einzigen Mitleidens geht, so sage ich nunmehr, die Bestimmung der Tragödie ist diese:

sie soll unsre Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, erweitern. Sie soll uns nicht blos lehren, gegen diesen oder jenen Unglücklichen Mitleid zu fühlen, sondern sie soll uns so weit fühlbar machen, daß uns der Unglückliche zu allen Zeiten, und unter allen Gestalten, rühren und für sich einnehmen muß.

[...] Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmuth der aufgelegteste. Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter.«15

Alexander Pope: Vom Menschen / Essay on Man

»That REASON, PASSION, answer one great aim;

That true Self-love and Social are the same;

That Virtue alone makes our bliss below;

And all our knowledge is, ourselves to know.«16

Christian Fürchtegott Gellert: Vorrede zur Sammel-Ausgabe seiner Komödien (1747)

»Sollten einige an der Betschwester, dem Loose in der Lotterie und den zärtlichen Schwestern überhaupt tadeln, daß sie eher mitleidige Thränen als freudiges Gelächter erregten: so danke ich ihnen zum voraus für einen so schönen Vorwurf.«17

11 Ebd. S. 36.

12 Ebd.

13 Ebd.

14 Lessing, Gotthold Ephraim: Brief an Moses Mendelssohn, 2. Februar 1757. In: ders.: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Bd. 3 Werke 1754-1757. Hg. von Conrad Wiedemann. Frankfurt 2003, S. 711-714, hier S. 713.

15 Lessing, Gotthold Ephraim: Brief an Nicolai, Nov. 1756. In: ders.: Literaturhistorische und ästhetische Schriften.

Herausgegeben von Albert Meier unter Mitarbeit von Maike Schmidt. Stuttgart 2006, S. 23-26, hier S. 24f.

16 Pope, Alexander: Vom Menschen / Essay on Man. Übersetzt von Eberhard Breidert. Mit einer Einleitung

herausgegeben von Wolfgang Breidert. Englisch − deutsch. Hamburg 1993 (Philosophische Bibliothek 454), S. 100 (IV v. 395-398).

17 Gellert, Christian Fürchtegott: Vorrede. In: ders.: Gesammelte Schriften. Hg. von Bernd Witte. Bd. 3 Lustspiele.

Berlin 1988, S. 328-330, hier S. 330.

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