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Zulassung von Biozid-Produkten:

Exposition und Maßnahmen

J. Auffarth, K. Macho, D. Holthenrich, U. Schlüter, E. Lechtenberg-Auffarth

1 Einleitung

Im Februar 1998 haben das Europäische Parlament und der Rat in ihrer Richtlinie 98/8/EG [1] über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (Biozid-Richtlinie) deren Zulassung u. a. von einer Risikobewertung für Mensch und Umwelt ab- hängig gemacht. Mit Inkrafttreten des Biozidgesetzes [2], u. a. in Form der Neufassung des Chemikaliengesetzes [3], wurde die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Bereits auf dem Markt befindliche biozide „Altstoffe“ sollen von den EU-Mitgliedstaaten in einem 10-Jahresprogramm systema- tisch bewertet werden. Die notwendigen gesetzlichen Voraus- setzungen dafür wurden in zwei Review-Verordnungen getrof- fen [4]. Die deutsche Zulassungsstelle (Bundesanstalt für Ar- beitsschutz und Arbeitsmedizin – BAuA) und die beteiligten Einvernehmensstellen richten sich darauf ein, ab Frühjahr 2004 die ersten Anträge zu bearbeiten.

Grundlage der Bewertung eines bioziden Wirkstoffs und eines Biozid-Produktes sind die stoffinhärenten Eigenschaf- ten und die Exposition vor dem Hintergrund der im Zulas- sungsantrag beschriebenen Schutzmaßnahmen. Das gilt für alle „Lebensphasen“ des Biozids – die Herstellung des Wirk- stoffes, die Formulierung des Biozid-Produktes, seine Anwen- dung und Entsorgung (auch der behandelten Güter). Bereits vor Inkrafttreten der Biozid-Richtlinie war absehbar, dass mangels Daten und Methoden die Beurteilung der Anwender- exposition – der Belastung von Arbeitnehmern und Verbrau- chern – Behörden und Antragsteller gleichermaßen vor größte Schwierigkeiten stellen würde. In einem Bericht an die zuständige Generaldirektion XI hat die Biocides Steering Group den damaligen Stand des Wissens zusammengetragen und Lösungswege aufgezeigt [5].

Die Notwendigkeit, im europäischen Rahmen abgestimmt vorzugehen – gerade im Zusammenhang mit einem so sensi- blen Thema wie der Zulassung von Biozid-Produkten –, war evident, so dass die Kommission eine Expertengruppe mit der Erstellung einer einschlägigen europäischen technischen Regel (Technical Notes for Guidance, TNsG) beauftragte. Im Juni 2002 wurde das TNsG „Human Exposure to Biocidal Pro- ducts – Guidance on Exposure Estimation“ [6] vorgelegt und Anfang diesen Jahres von den zuständigen Stellen verab - schiedet.

Das Dokument behandelt die Ermittlung der (vorwiegend dermalen) Belastungen durch Biozide im Zusammenhang mit ihrer Verwendung durch Arbeitnehmer und Verbraucher wäh- rend der Anwendung, im Anschluss an die eigentliche Anwen- dung und bei bestimmten Tätigkeiten zur Entsorgung. Bezüg- lich der Herstellung von Wirkstoffen und Formulierungen wird auf das Technical Guidance Document (TGD) [7] verwiesen.

Teil 1 des TNsG enthält Hintergrundinformationen, Konzepte und Modelle zur Expositionsabschätzung, Teil 2 spezifische

Zusammenfassung Die Richtlinie 98/8/EG regelt das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten. Ihre nationale Umsetzung erfolgte durch das Biozid - gesetz, u. a. in Form der Neufassung des Chemikaliengesetzes, und die Bio- zidzulassungsverordnung. Nähere Angaben zum Zulassungsverfahren finden sich in einem die Richtlinie begleitenden europäischen Regelwerk, den Tech- nical Notes for Guidance (TNsG). Das TNsG „Human Exposure to Biocidal Pro- ducts“ gibt Anleitungen für die Expositionsabschätzung von Arbeitnehmern und Verbrauchern. Es beschreibt das methodische und spezifische Vorgehen bei der Ermittlung und Beurteilung der überwiegend dermalen Exposition.

Dieses Verfahren der Expositionsermittlung und -beurteilung ist über den Be- reich der Biozide hinaus von grundsätzlicher Bedeutung. In dem Dokument sind einige Verwendungsmuster für die verschiedenen bioziden Produktarten und die verfügbaren Expositionsdaten und -modelle zusammengestellt.

Empfohlen wird ein abgestuftes Beurteilungsverfahren, das vorhandene Expositionsinformationen optimal nutzt und aufwändige Messungen auf kritische Verwendungen beschränkt.

Authorisation of biocidal products: Exposure assessment and protective measures

Abstract Directive 98/8/EC concerns the placing of biocidal products on the market. In Germany it was brought into force by the Biocides Law, e. g. by amending the Chemicals Law, and the ordinance on the admission of biocide products. More detailed information about the authorisation process is seeked in the Technical Notes for Guidance (TNsG). The TNsG „Human Exposure to Biocidal Products“ covers the estimation of human exposure to biocides for specific use activities, during professional and non-professional application. The document contains fundamental concepts and specific guidance for the determination and evaluation of predominantly occuring dermal exposure. This procedure for exposure determination and evaluation is of fundamental importance not only for the issue of biocidal products. It contains pattern of use statements for several product types, the available exposure data, and a short description of database and mathematical models which may be used for exposure modelling. A tiered approach is recommended for exposure assessment making best use of the exposure in- formation available.

Anleitungen zur Ermittlung der Exposition und Teil 3 ausgear- beitete Beispiele. Den Zugang zu dem umfangreichen Doku- ment erleichtert eine Erläuterung, die derzeit erarbeitet und ins Internet eingestellt werden soll [8].

2 Informationen und Daten zur Beurteilung der Exposition

Wie und wie hoch welche Menschen im Zusammenhang mit der Anwendung von Biozid-Produkten durch die enthaltenen bioziden Wirkstoffe und sonstigen gefährlichen Inhaltsstoffe belastet werden, lässt sich nur beurteilen, wenn man alle Situationen erfasst, in denen eine Exposition auftreten kann.

Aus diesem Grunde werden für die Zulassung Angaben benö- tigt über

das (die) Verwendungsmuster des bioziden Produktes,

die betroffene(n) Bevölkerungsgruppe(n),

Dr. rer. nat. Jürgen Auffarth, Dr. rer. nat. Kornelia Macho, Dr. rer. nat. Dagmar Holthenrich, Dr. rer. nat. Urs Schlüter, Dr. rer. nat. Eva Lechtenberg-Auffarth, Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BAuA, Dortmund.

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die Aufnahmewege,

die jeweilige Höhe der Exposition.

Die verfügbaren Informationen sind von ganz unterschied- licher Aussagekraft. Vollständigkeit und Exaktheit der Anga- ben bestimmen maßgeblich, wie detailliert die Bewertung sein wird.

2.1 Verwendungsmuster

Die genaue Kenntnis des Verwendungsmusters (pattern of use) für das Biozid-Produkt spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Exposition. Klarheit sollte in folgen- den Fragen herrschen:

Welche relevanten Eigenschaften hat das Biozid-Produkt (z. B. physikalische Daten, Zusammensetzung, Konzentratio- nen, Dampfdruck)?

Wo und wie wird das Biozid-Produkt verwendet (Anwen- dungsort, Ausbringmethode)?

Von wem wird das Biozid-Produkt verwendet (Kollektiv, ggf.

Qualifizierung)?

Welche Tätigkeiten werden beim Umgang ausgeübt (Art, Dauer und Häufigkeit für jede Tätigkeit bzw. Phase vor, wäh- rend und nach der Anwendung)?

Welche Schutzmaßnahmen werden genau getroffen?

Wer könnte noch exponiert sein?

Das TNsG beschreibt Verwendungsmuster für fast alle der 23 Biozid-Produktarten, von denen angenommen wird, dass sie in der Praxis auftreten. Hierbei handelt es sich um Vor- schläge (default) nach Kenntnisstand der Autoren. Die ange- führten Beispiele sind weder vollständig noch umfassend und müssen im Lichte besserer Informationen überarbeitet wer- den. Nur wenige der beschriebenen Verwendungsmuster sind spezifisch für eine der 23 verschiedenen Produktarten. Auch in den Fällen, in denen man von einer allgemein guten Daten- lage sprechen konnte, muss davon ausgegangen werden, dass die spezifischen Verwendungsmuster u. a. saisonale, regio- nale oder lokale Unterschiede aufweisen. Um die Informa - tionslücken zu schließen, sollten Hersteller biozider Wirk- stoffe und Produkte bei der Erhebung der Daten eng mit den Verwendern zusammenarbeiten.

2.2 Beschäftigtengruppen

Die Risikobewertung muss berücksichtigen, welcher Teil der Bevölkerung exponiert ist. Belastungen durch Biozid- Produkte können am Arbeitsplatz, zu Hause durch die Verwen- dung von Verbraucherprodukten und/oder indirekt über die Umwelt auftreten, z. B. durch Rückstände in Luft, Wasser und Böden. Obwohl im TNsG Arbeitnehmer (professional user) und Verbraucher (non-professional user) angesprochen werden, soll im Folgenden ausschließlich von beruflich Belasteten die Rede sein. Am Arbeitsplatz unterscheidet man aus metho- dischen Gründen zwei Beschäftigtengruppen:

Anwender eines Biozid-Produktes sind unmittelbar oder primär exponiert.

Beschäftigte im Gefahrenbereich (während und nach der Anwendung) sind mittelbar oder sekundär exponiert.

Zu den primär exponierten Beschäftigten zählen alle Personen, die aus beruflichen Gründen Tätigkeiten im Zusam- menhang mit der Anwendung eines Biozid-Produktes ausfüh- ren. Innerhalb dieser Beschäftigtengruppe unterscheidet man hinsichtlich ihrer Spezialisierung zwei Kollektive. Beschäf- tigte (professional user) sind im Allgemeinen beim Umgang mit Gefahrstoffen gewissen Restrisiken ausgesetzt, die durch

die Anwendung von Schutzmaßnahmen vermindert werden können. Diese können auch persönliche Schutzmaßnahmen umfassen, wenn das für die jeweilige Tätigkeit vorgesehen ist. Der Beschäftigte wird aber nicht notwendigerweise Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit gefährlichen Biozid-Produkten haben. Dies gilt besonders, wenn die Ver- wendung dieser Produkte am Arbeitsplatz nicht routinemäßig erforderlich ist, z. B. bei gelegentlicher Verwendung von Insektiziden oder Desinfektionsmitteln. Dagegen werden spezialisierte Beschäftigte (specialised professional user) eher über spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit gefährlichen Biozid-Produkten verfügen, da deren Hand- habung zu ihrer täglichen Arbeitspraxis gehört (z. B. Schäd- lingsbekämpfer). Dementsprechend wird das Verwendungs- muster häufigeren und längeren Umgang mit Biozid-Produk- ten und ggf. auch komplexere Schutzmaßnahmen aufweisen.

Sekundäre Exposition ist alles, was nicht primär ist.

Sekundär exponiert können Beschäftigte sein, die

sich während der Ausbringung des Biozid-Produktes im Gefahrenbereich befinden (bystander) oder

nach der Anwendung durch Kontakt mit Produktrückständen in Berührung kommen.

Letzteres kann sich durch behandelte Materialien (impräg- nierte Hölzer, biozid ausgerüstete Textilien, Recycling ...), kontaminiertes Werkzeug oder in einer kontaminierten Umge- bung ergeben. Die Betrachtung des Lebenszyklus eines Bio- zid-Produktes von der Herstellung über die Verwendung bis zur Entsorgung führt oft zu wertvollen Hinweisen auf sekun- där exponierte Beschäftigte.

2.3 Aufnahmewege

Für Biozide gibt es verschiedene Aufnahmewege in den Körper: Einatmen, Hautkontakt und/oder Verschlucken. Die Gesamtexposition des Menschen gegenüber einem Biozid auf diesen drei Wegen entspricht der äußeren Belastung. Tritt keine äußere Belastung auf, erübrigt sich jede weitere Bear- beitung. Falls ein oder mehrere Aufnahmeweg(e) für das Bio- zid-Produkt identifiziert wurde(n), muss eine quantitative Ex- positionsabschätzung und Beurteilung für die vorhandenen Aufnahmewege vorgenommen werden. Das Ergebnis wird in der Risikobewertung veröffentlicht.

Meist spielt die inhalative Exposition bei der Gesamt- exposition gegenüber Bioziden eine eher untergeordnete Rolle. Ausnahmen sind z. B. Begasungen oder ganz allgemein Anwendungen flüchtiger Wirkstoffe in geschlossenen Räu- men. Die inhalative Exposition wird üblicherweise durch die Messung der Luftkonzentration in Atemhöhe der exponierten Person bestimmt. Sie wird in mg/m3 als zeitgewichtete mitt- lere Konzentration über einen festgelegten Zeitraum angege- ben und bezieht sich auf den Wirkstoff.

Die dermale Exposition steht bei bioziden Produkten und Wirkstoffen ganz im Vordergrund. Für die Erhebung der Expo- sition ist ohne Belang, ob die lokale oder systemische Wir- kung von Bioziden bewertet werden soll, ob der Stoff auf die Haut und/oder durch die Haut ins Körperinnere gelangt.

Wichtig ist dagegen die Unterscheidung zwischen poten - zieller und aktueller Exposition. Unter potenzieller dermaler Exposition versteht man die Menge eines Stoffes, die auf der Kleidung und auf der exponierten Haut über einen definierten Zeitraum haften bleibt. Üblicherweise wird als Maß die anhaf- tende Menge des Biozid-Produktes pro Zeiteinheit (mg/min) oder pro Tätigkeitszyklus (mg/Zyklus) angegeben. Als

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Bild 1

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Ermittlung der Höhe der Exposition.

aktuelle dermale Exposition bezeichnet man die – geschätzte – Menge eines Stoffes, die die Haut erreicht. Diese Größe ist abhängig von der Schutzwirkung der Kleidung und wird ange- geben als Menge des Biozid-Produktes auf der Haut pro Tag (mg/Tag).

Die Exposition durch Verschlucken ist die Menge einer Substanz, die über den Mund, jedoch nicht über die Atmung, in den Körper gelangt. Es gibt keine Standardverfahren, um die Höhe der Exposition über diesen Aufnahmeweg zu bestim- men. Quantitative Werte können in entsprechend angelegten Studien mit biological monitoring abgeleitet werden. Als Maßeinheit werden die Angaben (mg/Ereignis) und (mg/Tag) verwendet.

2.4 Höhe der Exposition

Aus den Informationen über das Verwendungsmuster las- sen sich mögliche Expositionsszenarien ableiten. Ein Szena- rium umfasst einen Kerndatensatz von Informationen und/

oder Annahmen, die die spezifische Verwendung des Wirkstof- fes in Form eines bestimmten Biozid-Produktes beschreiben.

Das Produkt, dessen Verwendung und die zu treffenden Schutzmaßnahmen werden charakterisiert. Die Expositions- szenarien werden evaluiert, um quantitative Abschätzungen für die Höhe der Exposition abzuleiten. Expositionsszenarien müssen realistisch und gut dokumentiert sein. Fehlen verläss- liche Daten, so sollten sie auf der Grundlage von begründeten Annahmen der vorhersehbar ungünstigsten Randbedingun- gen (reasonable worst case) generiert werden. Unfälle oder missbräuchliche Verwendungen werden dabei nicht betrach- tet.

Die primäre dermale Exposition ist abhängig von der Tätigkeit. Insgesamt muss eine Vielzahl von einzelnen Tätig- keiten betrachtet werden, die in den verschiedenen Arbeits- phasen anfallen.

In der Vorbereitungsphase (mixing and loading phase) wird u. a. das biozide Wirkstoff- oder Produktkonzentrat gehand- habt, ggf. eine gebrauchsfertige Lösung hergestellt und das Arbeitsgerät befüllt.

Die eigentliche Anwendungsphase (application phase) beinhaltet alle Anwendungsarten von Biozid-Produkten. Hie- runter können z. B. manuelle Tätigkeiten mit und ohne Werk- zeug, Eintauchen, Versprühen, Handhabung behandelter Ge- genstände oder maschinelle Bearbeitungen fallen.

Die Nachbereitungsphase (post-application phase) beinhal- tet beispielsweise Reinigung und Wartung von Ausrüstung und Werkzeug und die Beseitigung von Abfällen.

Die Unterscheidung der Arbeitsphasen ist insbesondere dann hilfreich, wenn man die jeweils vorherrschende Art der Exposition und die Aufnahmewege betrachtet. So kann bei- spielsweise in der Vorbereitungsphase die dermale Exposition gegenüber dem Wirkstoff-Konzentrat im Vordergrund stehen, in der Anwendungsphase die dermale und inhalative Exposi- tion gegenüber dem verdünnten Produkt und seinem Aerosol und in der Nachbereitungsphase die inhalative und dermale Exposition gegenüber dampfförmigen bzw. angetrockneten Produktrückständen. In allen Phasen können andere Beschäf- tigte sekundär exponiert sein, durch Kontakt mit kontami- nierten Oberflächen (Hände und Hand-Mund) oder durch Ein- atmen von Rückständen in der Luft. Den sekundär Exponier- ten ist gemeinsam, dass sie exponiert sind, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie sehen deshalb keine Notwendigkeit, sich zu schützen, und ergreifen keine besonderen Maßnahmen.

Wenn die infrage kommenden Szenarien detailliert erfasst sind, geht es im nächsten Schritt an die Quantifizierung der Exposition. Zunächst werden die expositionsrelevanten Tätig- keiten identifiziert und deren ungefähre Dauern und Häufig- keiten. Liegen eigene Messergebnisse nicht vor, kann man zur Berechnung der potenziellen Exposition tätigkeitsspezifische Expositionsdaten aus dem TNsG [6] oder aus anderen zuver- lässigen Quellen heranziehen. Sind keine Expositionsdaten verfügbar, wird es notwendig, die Expositionshöhe mithilfe geeigneter Modelle abzuschätzen. Dazu kann man aus einer Reihe von teilweise computergestützten datenbasierten Mo- dellen und mathematischen Modellen auswählen, die aller- dings für diese Zwecke sämtlich (noch) nicht validiert sind.

Die richtige Auswahl und Anwendung von Modellen erfordert viel Erfahrung und Einblick in die tatsächlichen Verhältnisse.

Abschätzungen der Exposition sind stets mit Unsicherheiten verbunden. Bei kritischer Würdigung von Qualität und Um- fang des verfügbaren Datenpools sollte Ergebnissen von repräsentativen Messungen der Vorzug gegeben werden. Die Vorgehensweise bei der Ermittlung der Höhe der Exposition ist in Bild 1 schematisch dargestellt.

Verwendungsmuster und Messdaten können im Rahmen von Arbeitsplatzmessungen an Modellarbeitsplätzen oder mit analogen Produkten erhoben werden. Expositionsdaten, die zur Risikobewertung vorgesehen sind, sollten vor ihrer Benut- zung sorgfältig überprüft werden. Anhand der zugehörigen Arbeitsplatzbeschreibung muss es möglich sein, die Exposi- tionen mit den Verwendungsmustern und Schutzmaßnahmen zu verknüpfen. Die Datenerhebung sollte bevorzugt mit stan- dardisierten Methoden durchgeführt werden, besonders im Hinblick auf die Probenahmestrategie und Messtechnik.

Stoffbezogene datenbasierte Analogiebetrachtungen und Modelle greifen auf Daten von ähnlichen Operationen unter Verwendung derselben oder ähnlicher Biozid-Produkte zurück. Hierbei handelt es sich um experimentell ermittelte Expositionsdaten, die in gezielten Untersuchungen an kon- kreten Arbeitsplätzen oder an Modellarbeitsplätzen erhoben worden sind. Mithilfe dieser Einzelstudien und Modelle kön- nen wahrscheinliche Expositionshöhen an Arbeitsplätzen vorhergesagt werden, bevor das Produkt vermarktet wird. Des

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Weiteren kann oftmals der Einfluss geänderter Verwendungs- bedingungen auf die Höhe der Exposition abgeschätzt wer- den. Im TNsG sind die derzeit verfügbaren Einzelstudien und datenbasierten Modelle zusammengeführt worden.

Des Weiteren bietet das TNsG Kurzbeschreibungen ver- schiedener mathematischer Expositionsmodelle an, deren Anwendbarkeit in diesem Zusammenhang geprüft werden sollte.

3 Stufenweise Beurteilung der Exposition

Bei der Risikobewertung vergleicht man die Höhe der Exposition (Ergebnis der Expositionsabschätzung) mit dem No-Observed-Adverse-Effect-Level NOAEL (Ergebnis der toxi- kologischen Dosis-Wirkungs-Prüfungen). Auf dieser Grund- lage lässt sich entscheiden, ob die vorgesehene Verwendung eines Biozid-Produktes keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten hat. Es kann sehr auf- wändig sein, repräsentative Expositionsdaten zu beschaffen.

Der Aufwand lässt sich nur in den Fällen rechtfertigen, in de- nen die Exposition mit entsprechend hohen Risiken verbun- den ist oder verbunden sein kann. Deshalb geht man stufen- weise vor, setzt die verfügbaren Informationen über die Expo- sition ein und prüft, ob bereits mit ihnen eine Entscheidung möglich ist. Falls nicht, werden zusätzliche Daten benötigt.

Es liegt dabei im Interesse des Schutzes der Beschäftigten, dass möglicherweise in der Praxis auftretende Abweichungen nur zur sicheren Seite hin toleriert werden.

In erster Näherung wird geprüft, ob die beabsichtigte Ver- wendung eines Biozid-Produktes auch unter ungünstigen Be- dingungen vertretbar ist. Bei Modellen werden Werte ange- nommen (defaults). Ergibt sich kein unannehmbares Risiko für die Beschäftigten, kann die Bewertung beendet werden.

Ist das nicht der Fall („Entscheidung nicht möglich“ oder „un- annehmbares Risiko“), muss die Expositionsabschätzung mit

detaillierteren Informationen wiederholt werden. In einer zweiten Stufe werden, falls erforderlich, spezifische Schutz- maßnahmen berücksichtigt. Nur bei kritischen Verwendungen werden Ergebnisse von Feldmessungen zur Entscheidung be- nötigt. Dieser iterative Prozess ist „risikogetriggert“, wobei die verfügbare Information optimal genutzt und unnötiger Messaufwand vermieden werden kann. Im Folgenden werden die drei Stufen näher beschrieben (vergl. auch Bild 2).

In Stufe 1 erfolgt die Expositionsabschätzung auf der Basis von groben Annahmen und sollte einfach gestaltet wer- den. Zur Beurteilung sollte in dieser Stufe ein Wert heran- gezogen werden

vom oberen Ende des Messdatenkollektivs einer einzelnen Expositionsstudie oder

vom oberen Ende eines datenbasierten Modells oder

von einer worst-case-Abschätzung als Ergebnis eines mathe matischen Modells oder datenbasierten Modells.

Dauer und Häufigkeit der Verwendung sollten auf begrün- deten Annahmen der vorhersehbar ungünstigsten Randbedin- gungen (reasonable worst case) beruhen. Hierbei werden Risiko mindernde Maßnahmen zunächst nicht berücksichtigt.

Führt die Expositionsabschätzung der Stufe 1 nicht zum Ergebnis „kein unannehmbares Risiko für die Beschäftigten“, folgt Stufe 2. Jetzt wird die Expositionsabschätzung detail- lierter und erfordert weitere spezifische Daten. Die Exposi - tionsstudien und/oder Modelle werden in gleicher Weise wie in Stufe 1 verwendet. Zusätzlich gehen nun spezifische Daten in die modifizierte Abschätzung ein, beispielsweise zur Dauer und Häufigkeit der Exposition und/oder zur Effektivität von Risiko mindernden Maßnahmen (ggf. persönliche Schutzaus- rüstung). Führt die in dieser Stufe abgeschätzte Expositions- höhe beim Vergleich mit dem NOAEL nicht zu einem akzepta- blen Ergebnis, wird Stufe 3 erforderlich. Die detaillierteste Stufe der Expositionsabschätzung erfordert gezielte Unter- suchungen an Modellarbeitsplätzen oder Feld-Arbeitsplatz- messungen unter Verwendung des zu bewertenden Biozid- Produktes oder eines Surrogates oder Tracers (Stoffe, die dem Analytiker die messtechnische Erfassung der Exposition er- möglichen). Die Messdaten müssen repräsentativ sein, alle expositionsrelevanten Tätigkeiten des Szenarios abdecken und das Verwendungsmuster detailliert beschreiben.

4 Arbeitsschutzmaßnahmen

Im Rahmen der Wirkstoffevaluation (Review-Programm) erhalten die Behörden umfangreiche Angaben zum Wirkstoff und zu mindestens je einem repräsentativen Produkt für jede Produktgruppe, für die eine Aufnahme des Wirkstoffs in die Anhänge I und IA der Richtlinie 98/8/EG beantragt wird. Die Angaben erlauben eine verlässliche Einstufung und Kenn- zeichnung des Wirkstoffs. Diese ist mit entscheidend für Auf- lagen bei der Zulassung der Produkte und sollte als Legalein- stufung im Rahmen der EU erfolgen.

Als Maßstab für den Arbeitsschutz und die Ableitung von Schutzmaßnahmen wird in der Regel ein toxikologisch abge- leiteter Grenzwert benötigt (für den inhalativen und derma- len Aufnahmeweg). Er ist im Sicherheitsdatenblatt zu über- mitteln und sollte möglichst zeitnah in einen rechtsverbind- lichen Grenzwert überführt werden.

Neben den Stoffdaten beschreibt der Antragsteller Schutz- maßnahmen für die Herstellung des Wirkstoffs und die

Bild 2

l

Abgestuftes Verfahren zur Beurteilung der Exposition.

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Formulierung und Anwendung des repräsentativen Biozid- Produktes. Die Weitergabe dieser Schutzmaßnahmen in der Verwenderkette wird unter anderem abgesichert durch das

„TNsG on Dossier Preparation“ [9]. In diesem wird die quali- tative Gleichwertigkeit der Angaben im Sicherheitsdatenblatt und in den Anmeldeunterlagen verlangt.

Die Zulassungsstelle kann von den Angaben des Antrag- stellers abweichende Schutzmaßnahmen als Auflage oder Be- dingung der Zulassung verlangen. Nach Erfahrungen aus ver- gleichbaren Regelungsbereichen werden für die Herstellung der Wirkstoffe und die Formulierung der Biozid-Produkte sol- che Forderungen eher die Ausnahme sein. Hier kann im Allge- meinen davon ausgegangen werden, dass die Arbeitgeber auf der Basis der vorliegenden Informationen über die Stoffwir- kung und im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorgaben ausreichende Schutzmaßnahmen treffen.

Bei der Verwendung von Biozid-Produkten muss je nach Produktart und Beschäftigtengruppe mit anderen Expositio- nen gerechnet werden als bei der Herstellung und Formulie- rung. Nur wenn die Expositionsabschätzung ergibt, dass die Produkte keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Ge- sundheit der Beschäftigten haben, wird die Zulassung ohne weitere Auflagen unter den Bedingungen, wie in den Anmel- deunterlagen beschrieben, erteilt. Ist dies nicht der Fall, wird eine Zulassung nicht oder nur unter Auflagen oder mit Bedin- gungen erfolgen. Maßnahmen auf der Ebene des Inverkehr- bringens beschreibt § 17 ChemG [3]:

Sachkunde – bereits notwendig für Schädlingsbekämpfung (GefStoffV § 15 e) [10] und Begasung (GefStoffV § 15 d) – ist auch für weitere Verwendungen von Biozid-Produkten denk- bar,

Umgangsbeschränkung auf Personen, die gesundheitlich geeignet erscheinen und die für den Umgang mit dem Biozid die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen,

Anforderungen an die Produktbeschaffenheit beim Inver- kehrbringen,

Erlaubnispflicht für die Verwendung.

Über die allgemeinen Kennzeichnungsvorschriften hinaus- gehende besondere Informationen über ein Biozid-Produkt sieht Art. 20 (3) der Richtlinie 98/8/EG vor – entweder auf dem Etikett oder auf der Verpackung oder an anderer Stelle (in einem beigefügten Merkblatt). Die Angaben betreffen u. a.

die Art der Zubereitung, Verwendungszwecke, Gebrauchs- anweisung, Aufwandsmenge und Einzelheiten über Vorsichts- maßnahmen.

Auch für den Umgang vor Ort können bereits bei der Zulas- sung konkrete Auflagen oder Bedingungen vorgeschrieben werden. In § 15 GefStoffV heißt es: „Bei der Verwendung von Biozid-Produkten ist ... ordnungsgemäß und nach guter fach - licher Praxis zu verfahren“ [10]. Gute fachliche Praxis ist bereits für einige Teilbereiche der Anwendung von Biozid- Produkten durch das existierende nationale Technische Regel- werk definiert. Eine Erweiterung und Harmonisierung auf EU- Ebene wird in Zukunft notwendig sein.

5 Fazit

Die gesetzlichen Weichen sind gestellt. In absehbarer Zu- kunft dürfen in Europa nur noch zugelassene Biozid-Produkte in Verkehr gebracht und verwendet werden. Behörden und In- dustrie bereiten sich gemeinsam darauf vor, die komplexen

Zulassungsverfahren für alte und neue biozide Wirkstoffe und Produkte mit Leben zu füllen.

Biozid-Produkte müssen wirksam sein. Sie müssen Schad- organismen abtöten, ohne dass sie unannehmbare Auswir- kungen auf die Gesundheit der Anwender haben. Bei gewoll- ter Wirkung ist das oftmals „nur“ eine Frage von Art und Aus- maß der Exposition. Die Abschätzung und Beurteilung der Ex- position wird somit zum Dreh- und Angelpunkt für Entschei- dungen von großer wirtschaftlicher und sozialer Tragweite.

Angesichts der bisher meist unvollständigen und unsicheren Daten über die Anwendung von Biozid-Produkten stellt dies eine Herausforderung dar für Industrie, Behörden und Wissen- schaft, der nur durch systematisches Auffüllen von Daten- lücken begegnet werden kann. Auf diesem Felde muss die er- folgreich begonnene europäische Zusammenarbeit verstärkt fortgesetzt werden.

Es wird „anwendungssichere“ Produkte geben, die vom Ge- setzgeber gestellte Anforderungen unmittelbar erfüllen. Bei anderen Produkten müssen vor einer Zulassung Wirkstoffaus- wahl, Produktformulierung, Anwendungstechnologie oder Schutzmaßnahmen (in dieser Rangordnung!) solange verbes- sert werden, bis die Belastungen der Anwender ein akzepta- bles Niveau nicht mehr überschreiten können. Berufliche An- wender können das Ihre dazu beitragen, indem sie Sachkunde erwerben, nach anerkannt sicheren Verfahren arbeiten und Schutzvorschriften zuverlässig beachten.

Literatur

[1] Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten. ABl.

EG Nr. L 123 vom 24.4.1998, S. 1-63, ber. ABl. EG Nr. L 150 vom 8. Juni 2002 (http://ecb.jrc.it/biocides).

[2] Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 98/8 des Europäischen Par- laments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (Biozidgesetz) vom 20. Juni 2002. BGBl. I, S. 2076.

[3] Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (ChemG – Chemika lien - gesetz). Fassung vom 20. Juni 2002. BGBl. I Nr. 40 vom 27. Juni 2002, S. 2090; 6. August 2002, S. 3082. Hinweise auf Änderungen vom 20. Juni 2002, BGBl. I Nr. 40 vom 27. Juni 2002, S. 2076.

[4] Verordnung (EG) 1896/2000 der Kommission vom 7. September 2000 über die erste Phase des Programms gemäß Artikel 16 Absatz 2 der Richt- linie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Biozid- Produkte (1. Review-Verordnung). ABl. EG Nr. L 228 vom 8. September 2000, S. 6-17. 2. Review-Verordnung: in Vorbereitung.

[5] Report to CEC DG XI from the Biocides Steering Group: Assessment of Human Exposure. Project 97/505/3040/DEB/2, October 1998; („Report 2000“ http://ecb.jrc.it/biocides).

[6] Technical Notes for Guidance: Human Exposure to Biocidal Products – Guidance on Exposure Estimation. June 2002 („Report 2002“ http://ecb.

jrc.it/biocides).

[7] Technical Guidance Document in support of Commission Directive 93/67/EEC on Risk Assessment for new notified substances, Commission Regulation (EC) No 1488/94 on Risk Assessment for existing substances and Directive 98/8/EC of the European Parliament and of the Council con- cerning the placing of biocidal products on the market. Part 2 Risk Assessment for Human Health (http://ecb.jrc.it/biocides).

[8] http://ecb.jrc.it/biocides.

[9] Technical Notes for Guidance on Dossier Preparation including pre - paration and evalua tion of study summaries under Directive 98/8/EC con- cerning the placing of biocidal products on the market. Part IIA Chapter VIII.8.1 (http://ecb.jrc.it/biocides).

[10] Verordnung zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (GefStoffV – Ge- fahrstoffverordnung). Neufassung vom 15. November 1999. BGBl. I 1999, S. 2233; 2000, S. 739, 747, 932, 1045; 4. Juli 2002, S. 2514; 6. August 2002, S. 3082; 13. August 2002, S. 3185; 15. August 2002, S. 3302; 27.

September 2002, S. 3777; 15. Oktober 2002, S. 4123.

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