A 2088 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 42|
19. Oktober 2012Das Leser-Forum
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URTEIL
Die Krankenkasse muss nach einem Urteil des Landesso- zialgerichts Baden- Württemberg auch dann eine Stamm- zelltransplantation bezahlen, wenn die Wahrscheinlichkeit der Heilung nur zehn Prozent beträgt (DÄ 35–36/20112: „Umstrittene Metho- de: Im Zweifel für die Hoffnung“ von Jens Flintrop).
Gesicherte Heilungschance?
Nach Bewertung der behandelnden Ärzte lag die Heilungschance für die Patientin bei zehn bis 20 Pro- zent, was von den Gerichtsgutach- tern bestätigt wurde. Unter anderem
durch Daten der Deutschen ALL- Studiengruppe (GMALL) zu 19 ALL-Patienten, die wegen therapie- refraktärem ALL-Rezidiv allogen transplantiert wurden, lässt sich ei- ne gesicherte Heilungschance aber nicht belegen. Das Resümee der Autoren lautet: „Patients who fail reinduction chemotherapy have a poor prognosis with a five-year OS (overall survival) of eight percent, suggesting that HSCT (haematpoi - etic stem cell transplantation) in these cases is not beneficial.“ Der eine Patient, der die Kaplan-Meier- Kurve nach 60 Monaten bei acht Prozent hielt, verstarb nach 72 Mo- naten. Der MDK hatte in seinem Gutachten somit die Bewertung der Autoren der GMALL übernommen.
Die Entscheidung des LSG Baden- Württemberg, dass eine gesicherte
Heilungschance von zehn bis 20 Prozent bei fehlender therapeuti- scher Alternative eine Leistung der GKV begründet, wurde vom MDK im Gerichtsverfahren immer unter- stützt. Bei nicht ausreichend gesi- chertem Nutzen erscheint es nach Bewertung des MDK hingegen sinnvoller, anstelle von Heilversu- chen Patienten in klinische Studien einzubringen. Nur so können Er- kenntnisse gewonnen werden, die entweder eine Therapieverbesse- rung ermöglichen oder begründen, Patienten außerhalb klinischer Stu- dien eine Belastung durch für sie nicht nützliche Behandlungen zu er- sparen.
Literatur beim Verfasser
Prof. Dr. med. Axel Heyll, Leiter des Kompetenz Centrums Onkologie der Medizinischen Dienste, KC Onkologie, MDK Nordrhein, 40210 Düsseldorf
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HORMONTHER A PIE
Die „Women‘s Health Initiative“ - Studie löste 2002 ei- ne Diskussion über Nutzen und Risiken der Hormontherapie aus; eine Bilanz aus heutiger Sicht (DÄ 33–34/2012: „Post- menopausale Therapie mit und ohne Hormone: Was in der Praxis heute zählt“
von Maria J. Beckermann).
Drei Anmerkungen
Für den Artikel von Maria Becker- mann möchte ich mich ausdrücklich bedanken!
Ich finde es erfreulich und wichtig, im DÄ eine kritische, unabhängige und gut recherchierte Zusammenfas- sung zu diesem Thema zu finden, da gerade die Hormontherapie doch häu- fig immer noch für Irritationen sorgt.
Ich habe zu dem gut lesbaren Arti- kel lediglich drei Anmerkungen an- zufügen:
• Am Beispiel Presomen den Rück- gang der Verordnungen von HRT anschaulich zu machen, ist mit ei- nem Bias insofern verbunden, als die equinen Östrogene ja ohnehin in dieser Zeit aus der Mode gekom- men sind und sicher häufig durch modernere Präparate ersetzt wur- den.
• Beim Vergleich der beiden Studi- en zu den koronaren Herzkrankhei- ten sind folgende Ergebnisse miss- verständlich:
In der WHI wird ein erhöhtes Risi- ko von 39 statt 33 Frauen angege- ben, jeweils bezogen auf 10 000 Frauen. In der Subgruppenanalyse (?) 2007 wird die Gruppe zitiert, die angeblich das geringere Risiko durch zeitnahe Therapie hat. Die wird mit 39 beziehungsweise 51 er-
krankten Frauen bezogen auf 3 608 beziehungsweise 3 529 angegeben.
Hochgerechnet auf 10 000 Frauen würde das aber eine Ereignishäufig- keit von circa 120 beziehungsweise 150 Frauen auf 10 000 Frauen erge- ben. Oder sind die Zahlen schon hochgerechnet?
• Dann heißt es wiederholt: Die NNT (number needed to treat) be- trägt . . . wo es eigentlich heißen müsste: Die NNH (number needed to harm) . . .
Elisabeth Steinle-Paul, 70190 Stuttgart
Erstaunt und verzweifelt
Immer wieder erstaunt mich, mit wie wenig wir uns zufrieden geben.
Evidenzbasierte Medizin kann nur einfachste Zusammenhänge deuten, und alles andere fällt dann großzü- gig unter den Tisch. Schade finde ich, dass heute nach zehn Jahren
O O
D H S n N d a heutigerSicht (DÄ 33
B R I E F E
noch immer nicht kritischer mit der WHI-Studie umgegangen wird.
Schließlich: Hier wurden den fal- schen Patienten (weit jenseits der Menopause und frei von Wechsel- jahrsbeschwerden) zur falschen Zeit (Durchschnittsalter 65 Jahre!) die falschen Medikamente (nicht individualisiert, oral, hochdosiert, synthetisches Gestagen . . .) zuge- mutet. Wie richtig ist es, eine über- gewichtige, diabetische, hypertone, über 70 Jahre alte jahrzehntelange Raucherin im Zustand nach Herzin- farkt in Studien zu Wechseljahrs- HT aufzunehmen? Wenn es sich nicht um multimorbide ältere Frau- en, sondern um an Wechseljahrsbe- schwerden leidende junge Frauen um die 50 geht, macht das Sinn.
Dass die WHI-Daten genügend va- lide sind für eine S3-Leitlinie, lässt nicht nur mich (ver-)zweifeln.
Wann kommt die Studie, in der Zweier- oder Dreierkombis von Antihypertonika, vielleicht kombi- niert mit einem Statin, an junge, gesunde, normotone Freizeitsport- ler verabreicht werden? Diese Da- ten sind dann problemlos auf eine ähnlich differente Gruppe in „Leit- linientreue“ zu übertragen, wie es in der HT-Debatte geschieht. Neben- bei (noch ein Lehrstück bezüglich EbM) sterben heute mehr Frauen an den Folgen einer Osteoporose als an Brustkrebs, und hier erkennt sogar die Autorin die positive Wir- kung der HT an. Und immer wieder sitzen massivst unter Nebenwirkun- gen von Medikamenten leidende Patientinnen vor mir. Ein Kollege hat ihnen aufgrund der großen Krebsgefahr die HT ausgeredet und alternativ den unter HT beschwer- defreien Patientinnen Schlafmittel und Psychopharmaka verschrieben.
Ich habe für mich nach bestem Wissen und Gewissen entschieden, welches der bessere Weg ist.
Dr. med. Claus Daumann, Facharzt für Gynäkolo- gie und Geburtshilfe, 86732 Oettingen
Keine überragende Kompetenz
Vor knapp zehn Jahren hätte der Artikel von Frau Kollegin Becker- mann gut ins Bild gepasst. In das Bild einer zunächst begründet
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