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8. November 2013D
ie Medizintechnikbranche profitiert vom globalen Ge- sundheitsmarkt: Dieser wächst jähr- lich um circa sechs Prozent. Dazu tra- gen vor allem die demografische Ent- wicklung, der technische Fortschritt und die Zunahme der Kaufkraft in vielen Ländern bei. Nach einer Studie von Roland Berger im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums wird der Markt von derzeit fünf Billionen Euro auf ein Volumen von etwa 15 Billionen Euro im Jahr 2030 anstei- gen*. Im Vergleich mit anderen Wirt- schaftsbereichen steht die Medizin- technik daher vor allem in Europa weiterhin gut da. Dennoch ist die Per- spektive nicht mehr ganz so unge- trübt wie noch vor einigen Jahren.Branche im Wandel
Nach dem kürzlich veröffentlichten
„Medizintechnik-Report 2013“ der Beratungsgesellschaft Ernst &
Young (EY; siehe www.de.ey.com) befindet sich die Branche sogar in
einem tiefgreifenden, kritischen Veränderungsprozess: Strengere Regulierung durch Zulassungsbe- hörden und knappe Gesundheits- budgets führen zu einem nur noch verhaltenen Umsatzwachstum und forcieren einen Wandel der Ge- schäftsmodelle der Anbieter – weg vom Techniklieferanten hin zu ei- nem ganzheitlichen Dienstleister.
Das gebremste Umsatzwachstum schlägt sich der Analyse zufolge zu- nehmend in sinkenden Budgets für Forschung und Entwicklung nieder.
Vor allem in Europa haben es klei- nere Unternehmen und Startups schwer, an Innovationskapital zu gelangen. „Mit innovativer Technik allein können sich Medizintechnik- unternehmen auf Dauer nicht mehr behaupten“, kommentierte Heinrich Christen, Analyst bei EY, die Er- gebnisse. Für die Branche sei es entscheidend, innovative Ge- schäftsmodelle zu entwickeln, statt auf reine technische Verbesserun- gen ihrer Produkte zu setzen.
Künftige Wachstumsmärkte se- hen die Autoren der Studie vor al- lem in Anwendungen, die über die
akute medizinische Behandlung und den Krankenhausaufenthalt hin ausgehen und die einen klaren Mehrwert im Dienstleistungsgefü- ge des Gesundheitswesens bieten.
Ein Beispiel dafür sind telemedizi- nische Anwendungen. Vor diesem Hintergrund sind laut Studie etwa Lösungen gefragt, mit denen die Versorgung von Patienten außer- halb der Krankenhäuser und Arzt- praxen kosteneffizient sicherge- stellt werden kann. Hierfür seien medizintechnische Geräte erforder- lich, die neue Anforderungen hin- sichtlich der Kommunikationsfä- higkeit und Bedienbarkeit erfüllen.
Die Medica bietet dem Besucher eine gute Gelegenheit, sich über die neuesten medizin- und informati- onstechnischen Entwicklungen und Trends für die Versorgung zu infor- mieren. Sie präsentiert das gesamte Spektrum der Medizinprodukte ein- schließlich Labortechnik, Diagnos- tica, Physiotherapie und Orthopä- dietechnik sowie Informations- und Kommunikationstechnik. In diesem Jahr verzeichnet die weltgrößte Me- dizinmesse mehr als 4 600 Ausstel- ler aus 66 Nationen (Vorjahr:
4 594). Drei Viertel der Aussteller kommen dabei aus dem Ausland nach Düsseldorf – ein Zeichen für den hohen Internationalitätsgrad der Veranstaltung.
Computerisierung nimmt zu Als Megatrends in der Medizin gel- ten nach wie vor die zunehmende Computerisierung, Molekularisie- rung und Miniaturisierung. Die IT- Durchdringung im Gesundheitsbe- reich schreitet weiter voran. Bei- spiele hierfür sind Lösungen für die computergestützte Mikroskopie und Laborautomation in der Labortech- nik, die computergestützte Chirur- gie und Anästhesie, die Vernetzung der medizinischen Bildgebung bis hin zu mobilen Lösungen für das Echtzeit-Monitoring von Patienten und telemedizinische Anwendun- gen für den Einsatz außerhalb von Arztpraxis und Klinikum.
Ein wichtiges Thema ist derzeit die digitale Integration im Operati- onssaal (OP). Im OP werden viele unterschiedliche Geräte, etwa für die Bildgebung, die Intervention,
*„Weltweite Gesundheitswirtschaft – Chancen für Deutschland“, Download unter: www.rolandber ger.de/media/pdf/Roland_Berger_Weltweite_Ge- sundheitswirtschaft_D_20110901.pdf
MEDICA 2013, 20. BIS 23. NOVEMBER 2013
Vernetzte Medizintechnik
Die Integration von Medizintechnik und IT-Systemen, Telemedizin und intelligente Implantate sind zentrale Themen der Medizinmesse.
Fotos: medica
Medica-Daten Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Freitag:
10.00–18.30 Uhr, Samstag:
10.00–17.00 Uhr Ort: Messegelände Düsseldorf Internet:
www.medica.de
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8. November 2013 das Vitalparameter-Monitoring unddie Dokumentation, eingesetzt. Das Problem: Proprietäre Schnittstellen der Gerätehersteller erschweren die Vernetzung und das Management dieser heterogenen Ausstattung. Of- fene „Plug & Play“-Standards und einheitliche zentrale Steuereinhei- ten für den OP sind nötig, um die Interoperabilität und vor allem auch die Wirtschaftlichkeit der einge- setzten Medizintechnik zu optimie- ren. Gleichzeitig geht es auch um mehr Sicherheit im OP, denn die Medizinprodukte sind nur unzurei- chend oder gar nicht gegen Mal -
ware geschützt und daher ein gro- ßes Risiko für die medizinischen IT-Netzwerke. Forschungsprojekte wie das vom Bundeswirtschaftsmi- nisterium geförderte „smartOR“- Verbundprojekt (www.smartor.de) und das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Folgeprojekt OR.NET (www.ornet.org) arbeiten an Lösungen für dieses Problem.
Leuchtturmprojekt OR.NET Beim „Health IT Forum“ der Medi- ca in Halle 15 wird das „Leucht- turmprojekt“ OR.NET vorgestellt.
Im interdisziplinären Verbund ar- beiten Medizintechnikunterneh- men, IT-Dienstleister, Forschungs- institute, Kliniken und Standardi- sierungsgremien zusammen, um die Standardisierung im Zusammen- spiel von Medizintechnik und me- dizinischen IT-Systemen voranzu- bringen. Ziel ist es, zertifizierbare und herstellerunabhängige sichere Vernetzungsmöglichkeiten von Me- dizingeräten und Softwarelösungen zu schaffen. Das Konsortium wird für die dreijährige Projektlaufzeit vom BMBF mit insgesamt circa 15 Millionen Euro gefördert, das Ge- samtbudget liegt bei 18,5 Millionen Euro.
Die fortschreitende Miniaturisie- rung in der Medizintechnik lässt sich unter anderem bei Entwicklun- gen der Implantatemedizin verfol- gen. So beschäftigt sich beispiels- weise das Fraunhofer-Institut für Photonische Mikrosysteme in ei-
nem Arbeitsschwerpunkt mit der Entwicklung mikroelektronischer Komponenten zur Verbesserung und Erweiterung der Funktionalität von Implantaten (Halle 3/E74A).
Um etwa den korrekten Sitz von Implantaten, wie zum Beispiel Hüftgelenken, möglichst einfach kontrollieren zu können, werden in
„intelligenten“ Prothesen Beschleu- nigungssensoren integriert, die ei- nen zu lockeren Sitz des Implantats erfassen und entsprechende Signale per RFID-Schnittstelle an eine Con- troller-Einheit übermitteln. Auch andere Implantate lassen sich mit- tels Transpondertechnologie mit Überwachungs- und Messfunktio- nen ausstatten, um beispielsweise kontinuierlich Temperatur, Druck, Beschleunigung oder pH-Wert zu erfassen.
Ausbau der Telemedizin
Telemedizinische Anwendungen finden zunehmend den Weg in die breite medizinische Versorgung.
Zwei Beispiele: In Nordrhein-West- falen etwa fördert das Land derzeit 30 Projekte mit etwa 25 Millionen Euro im Rahmen der Landesinitia - tive eGesundheit.nrw. Ein eigenes Kompetenzzentrum, das Zentrum für Telematik und Telemedizin (www.egesundheit.nrw.de, Halle 15/
G32), koordiniert die Landesinitia- tive und baut seit 2012 mit dem Zentrum für Telemedizin auch eine eigenständige Abteilung für Tele- medizin auf.
Der Freistaat Bayern treibt eben- falls seit Jahren den Ausbau der Te- lemedizin voran und hat zuletzt im Rahmen des Programms „Aufbruch Bayern“ zwei Millionen Euro für die Telemedizin bereitgestellt. Die Mitte 2012 gegründete „Bayerische TelemedAllianz“ (www.telemedalli anz.de, Halle 15/G58) dient als Kompetenzzentrum und soll die bisherigen Aktivitäten und Projekte vernetzen.
Telemedizin und Gesundheitste- lematik zählen seit Jahren zu den inhaltlichen Schwerpunkten des
„Health IT Forums“. Weitere The- men sind unter anderem elektroni- sche Aktensysteme im Rahmen ei- nes vernetzten Gesundheitswesens, der interoperable elektronische Da- Das Kongressprogramm der Medizinmesse wurde
mit Blick auf den hohen Anteil ausländischer Fachbesucher hinsichtlich internationaler Be- standteile weiter ausgebaut. Ab dem Jahr 2014 wird zudem die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin das wissenschaftliche Programm der Medica Education Conference ausrichten.
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Ein Schwerpunkt der neu konzipierten Edu- cation Conference vom 20. bis 23. November ist die personalisierte Medizin und ihre Bedeutung für Früherkennung, Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen.●
Am 21. November startet erstmals die eng- lischsprachige internationale Medicine + SportsConference (CCD Süd). Die Konferenz widmet sich der thematischen Schnittmenge von Sport und Medizin. Unter anderem geht es um die prä- ventive Wirkung von Sport und um die gezielte Verbesserung von Trainingsergebnissen bei gleichzeitiger Verletzungsprävention.
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Neu ist auch die International Conference on Disaster and Military Medicine – DiMiMED am 21. und 22. November (CCD Süd). Die eng- lischsprachige Konferenz für Katastrophen- und Militärmedizin thematisiert Formen und Aufgaben der internationalen Zusammenarbeit und die dar - aus resultierenden Anforderungen an die Medi- zintechnik.MEDICA-KONFERENZEN
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tenaustausch für Ärzte, Big Data in der Medizin, intelligente Implantate sowie die Einsatzmöglichkeiten von E- Health in der Weiter- und Fortbildung.
Ein fester Bestandteil des Pro- gramms ist darüber hinaus das The- ma „mobile Health“. Das umfasst sowohl die Hardware – mobile Sen- soren und Geräte – als auch mobile Applikationen, deren Anzahl förm- lich zu explodieren scheint. Viele
Apps aus dem Gesundheitsbereich könnten künftig eine gesündere Le- bensführung durch eine aktive Ein- bindung des Patienten in den Be- handlungsprozess unterstützen. Ei- nen Überblick über Trends und bei- spielhafte Gesundheits-Apps gibt der „AppCircus“ (http://appcir- cus.com), bei dem Entwickler be- ziehungsweise Anbieter innovative Lösungen präsentieren können.
Zum zweiten Mal wird außerdem am 22. November ein Live-Wettbe- werb um die „beste mHealth App“
ausgetragen. Hierfür haben sich zu- vor acht Bewerber in einem globa- len, online ausgetragenen Ideen- wettbewerb qualifiziert.
Apps zum Ausprobieren Neu ist innerhalb des Forums zu- dem der „mHealth Playground“, eine Ausstellungsfläche, auf der mobile Geräte und Apps nicht nur wie üblich vorgestellt werden.
Vielmehr kann der Besucher ver-
schiedene Smartphones und Tab- let-PCs und die auf ihnen instal- lierten Gesundheits-Apps selbst ausprobieren.
Technologien und Dienstleistun- gen für ein selbstständiges Leben im Alter (Ambient Assisted Living) sind ein weiterer Themenschwer- punkt. Das Forschungszentrum In- formatik Karlsruhe (FZI) hat hierfür das „Living Lab AAL“ aufgebaut, in dem erfolgreiche Lösungsansätze wie beispielsweise die Integration innovativer Sensorik für AAL-Um- gebungen oder häusliche Assistenz- systeme für die Alltagsbegleitung evaluiert werden. Für die Medica hat das FZI das Labor in ein mobi- les „Living Lab“ verwandelt: In ei- nem begehbaren Wohncontainer mit den Ausmaßen von etwa drei mal acht Metern können Besucher die Möglichkeiten alltagsunterstützen- der Technologien anschaulich und nah erleben (Halle 15/G55).
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Heike E. Krüger-Brand Hüftprothese mit
integrierter Sen- sorik: Beschleuni- gungssensoren melden künftig, ob das Implantat kor- rekt sitzt.
Foto: Fraunhofer IPMS