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Archiv "Kunst und Eros und Sex" (03.11.1988)

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Giorgione (1478-1510): Ruhende Venus, Gemäldegalerie Dresden

KULTURN i TIZEN

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

D

ie bildende Kunst ist viele tausend Jahre alt, und es sieht jetzt so aus, als machten sich Al- terserscheinungen bei ihr be- merkbar. Es geht, wie bei al- ten Menschen auch manch- mal, ziemlich konfus und ver- quer zu. In diesem jetzigen chaotischen Zustand scheint uns die Kunst das Leichteste von der Welt zu sein. Jeder kann sie sofort handhaben und sich ohne Studien und Übungen von heute auf mor- gen zum Maler ernennen.

Doch schon für George Or- well zum Beispiel war sie die leichteste der Künste, ein Sammelbecken für alle Dilet- tanten, die in anderen Diszi- plinen — er meint natürlich zunächst die Literatur — keine Chance hätten. Als typischen Fall für solch professionelles Dilettieren beschreibt er in

„Days in Burma" die überall gestrandete und überall ver- sagende Mutter von „Eliza- beth" , die einzig und allein in der Malerei noch einen mög- lichen Beruf findet; Mutter Malerin und Tochter leben natürlich in großer Ar- mut . . . in Paris.

So wie Orwell denken vie- le Menschen von der Male- rei, ihr Ruf ist nicht immer der beste. Die Kunst und die Künstler müssen mit derarti- gen Vorurteilen leben, die sogar einen Kern Wahrheit enthalten, aber die Kunst, dieses uralte Medium, wird von Vorurteilen nicht be- rührt; sie nimmt sie eigentlich nicht einmal wahr. Anders verhält es sich da schon mit den neueren Konkurrenten Photographie und Film, denn hier tritt plötzlich eine Alter- native auf, und es wird dem Bildverlangen des Menschen gefälliger entgegengekom- men, als es die Kunst ver- mag: Die Kunst ist grob- schlächtiger.

Nehmen wir einmal die Venus von Willendorf, und vergleichen sie mit dem Foto eines Pin-up-Girls aus irgend- einem Magazin, so wirkt die Venus von Willendorf wie ein Feldstein, verglichen mit der Raffinesse, die eine heutige Venus auf einer Hochglanz-

Klaus Fußmann

seite an den Tag legt. Zwar ist der handgroße Fetisch mit den überschweren Brüsten, den überquellenden Hüften und dem großen Geschlecht Kunst, doch wer weiß: Vor dreißigtausend Jahren waren vielleicht ihre Reize von ähn-

lich verführerischer Wirkung wie die des Pin-up-Girls heu- te. In diesen frühen Zeiten war Kunst als Kunst noch nicht geboren, doch Eros waltete schon und ließ die frühen Bildhauer zum Bei- spiel die Venus von Laussel aus dem Fels heraushauen.

Er beflügelt den Maler, ein Gesicht und eine Gestalt besonders schön zu malen, waltet aber letztlich in der ganzen Malerei und läßt die Farben auf den Gemälden von Tizian und Giorgione er- glühen. Der Eros ist das Salz der Malerei, fast überall drängt er sich bei ihr ein. Seit je malen die Künstler den Menschen nackt ins Bild; die Frauen und Männer nackt beim Essen —, sie diskutieren auch oft unbekleidet und ar- beiten nackt. Man könnte sich fragen: Warum diese Vorliebe für die Blöße? Doch das fragen wir nicht, denn der

Mythos verhindert diese Frage.

Still und zäh lenkt der Mythos unser Handeln. Der Mythos lehrt uns, Mord und Totschlag als Grenzfälle, als Irrwege des Lebens zu verste- hen und beeinflußt uns auch

noch so, daß wir in der Dresdner Galerie Giorgiones

„Schlummernde Venus" oh- ne Scham betrachten. Der Katalog der Galerie rühmt die weiblichen Reize und spricht von der Schönheit dieser Frau — man könnte meinen, einen Text aus ei- nem gehobenen Männerma- gazin zu lesen — und doch spricht der Katalog im Na- men der Kunst. Dies ist mög- lich, weil es keine wirkliche Frau ist, die da vor uns liegt, sondern nur eine Allegorie.

Obwohl ein schönes italieni- sches Mädchen dafür Modell lag, sehen wir in der Liegen- den nur eine Göttin und da- mit eine Über- oder Unper- son. So als ob wir es mit einer Idee zu tun hätten (was doch angesichts des Bildes gar nicht geht), so sehen wir die Liegende an. Ihre Gestalt ist wunderbar ebenmäßig, und wie Perlmutt schimmert ihre

Haut, doch verführerisch wirkt sie eigentlich nicht auf uns. Sie ist eine Idealgestalt, sie ist Venus.

Ein Poster aus dem „Play- boy" mit einem ähnlich schö- nen Mädchen würden wir kaum für so unverfänglich halten, denn der Sex-Appeal eines solchen Mädchens ist nicht umhüllt vom Mythos.

Sex-Appeal ist eine Erfin- dung der Neuzeit, ist eine Tatsache.

Der Mythos hält von den erotischen Kunstwerken alle Anzüglichkeit fern, doch wie- viel muß er arbeiten, wenn wir in Florenz, im Bargello, vor Ammanati's „Leda mit dem Schwan" stehen! Hier ist nun in aller Offenheit ein sodomitischer Geschlechts- akt in verzückender Lust und sogar mit Sex-Appeal gemei- ßelt. Die ganze Skulptur wirkt mit ihrem polierten Mamor und in ihrer raffinier- ten Technik ausgefeilt manie- riert. Doch sagen wir auch hier nicht, die Plastik sei Por- nographie, sondern wir sa- gen, sie sei Kunst. Sie ist schon ein Grenzfall, ist sogar schon Sex, aber wie eine Tarnkappe schützt der Mythos das ungleiche Paar und macht den Sex unsicht- bar. Wie eine schimmernde Wehr umhüllt der Mythos die offen betriebene Sünde, und wir sehen die Sodomie nicht mehr: Wir sehen Kunst.

Manchmal versagt aber der Schutz des Mythos, und dann brechen die Dämme. So wurde Correggios Leda im religiösen Wahn von Ludwig d' Orleans, dem Sohn des da- maligen Regenten von Frankreich, mit einem Mes- ser attakiert. Ludwig zerstük- kelte das lächelnde Gesicht, weil er, als tief religiöser Mann, nur die Frivolität der ganzen Szene sah. Hier hatte der Schutz des Mythos nicht mehr ausgereicht. In der Ber- liner Gemäldegalerie zu Dah- lem hat das Bild nach einer langen Odyssee einen ruhige- ren Platz gefunden. (Der hübsche Kopf der Leda wur- de unmittelbar nach der Tat restauriert und später, im neunzehnten Jahrhundert,

Kunst und Eros und Sex

A-3078 (72) Dt. Ärztebl. 85, Heft 44, 3. November 1988

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Paul Wunderlich: Odaliske (nach Ingres), Lithographie, 1975

Foto: Karin Szkessy

noch einmal, und etwas aus dieser Zeit ist dabei einge- flossen: Nur bei genauer Be- trachtung fallen die leicht na- zarenischen Züge Ledas auf, die einen Hauch zu lieblich geraten sind.) Ein Unfall, verursacht durch Über- spanntheit oder durch zu gro- ßen Liebreiz der Darstellung.

Tiefer und, was die mo- derne Problematik betrifft, weiter dringt Palma Vecchio vor. Auf dem Gemälde „Ju- piter in der Gestalt Dianas wirbt um Kallisto" (Frank- furter Städel) hocken zwei füllige nackte Damen an ei- nem Bach; hinter ihnen schützt sie ein Gebüsch, Feig- wurz und Hahnenfuß bilden das Lager, auf dem sie sitzen.

Die Malerei vermittelt eine schwerfällige Sinnlichkeit, wie es venezianische Bilder aus dieser Zeit oft tun.

Jupiter, der sich in Diana verwandelt hat, schildert Kal- listo die Vorzüge der lesbi- schen Liebe, er überredet sie also zur Homosexualität, und man kann sich schon denken, daß Kallisto den Überre- dungskünsten eines Gottes —, und wenn er auch als Frau daher kommt, nicht widerste- hen wird.

Zu sehen sind aber zwei Frauen, die, schon entklei- det, sich bald der gleichge- schlechtlichen Liebe hinge- ben werden. Doch bevor wir den Titel gelesen haben, wis- sen wir, daß es so nicht sein kann, denn eine solche Dar- stellung wäre im sechzehnten Jahrhundert nicht erlaubt ge- wesen. Und die Situation ist ja auch dann tatsächlich nicht so, wie sie aussieht: Die Da- me im Purpurmantel ist in Wirklichkeit ein Herr, sie ist Jupiter. Damit ist die Welt wieder in Ordnung, obwohl nach wie vor dort eine Liebesszene zwischen zwei Frauen geschildert wird. Ei- gentlich erstaunlich, wie schnell Beruhigung eintritt, wird doch von der lesbischen Liebe nichts vertuscht, sie wird nur ein wenig entschul- digt.

Der Lauf der Zeit verän- dert außerdem manches.

Cranachs Bilder der Venus,

einst als Lustbilder eher heimlich gekauft, genießen jetzt wieder den vollen Schutz des Mythos. Doch auch die Vorstellung von ver- führerischen Reizen scheint sich geändert zu haben. Auf uns wirken die gotisch-grazi- len Damen mit dem Namen

„Venus" eher wie entkleide- te Madonnen, mit ihren gro- ßen Köpfen, kleinen Rümp- fen und ihren langen formlo- sen Beinen.

Normalerweise aber hat der offene Sex-Appeal kei- nen Zutritt zur Kunst. Er wird gefürchtet, weil er den Kitsch mitbringt und dieser

wiederum binnen kurzem alle dargestellten Objekte mit sei- nem schwülen Parfüm durch- dringt. Der Kitsch fängt fast immer mit einer peinlich ko- misch gemalten Venus an.

Schon viele Maler stürzten ab, als sie versuchten, den Grat zwischen Eros und Sex zu wandeln. Giorgione mit seiner „Schlummernden Ve- nus" ist traumhaft sicher dar- über erhaben, aber Ingres mit seiner „Odaliske" ist ge- fährdet, und Courbet, mit seinem „Frauenpaar" , ist ein Grenzfall. Im übrigen kämpf- te die offizielle Malerei des neunzehnten Jahrhunderts einen hoffnungslosen Kampf mit dem schlechten Ge- schmack, den sie fast immer bei der Erotik verlor. Man verstrickte sich tiefer und tie- fer im Dickicht der Gefühle, bis hin zu den nackt posieren- den Kommerzienrätinnen auf den Bildern von Mackart, wo

das angeblich Sinnliche eher komisch wirkt. Der Mythos bewahrte die Kunst im neun- zehnten Jahrhundert nicht mehr so recht. Mochte auch noch so sehr Adonis und Aphrodite attributiert sein, der schützende Schirm hatte seine Wirkung verloren;

heimliche Lusterwartung gleißte durch die Akte, und je mehr man das mit Mytho- logie zu vertuschen suchte, um so schlimmer wurde es.

Die Moderne ist viel strenger als das neunzehnte Jahrhundert und hat den Sex- Appeal aus der Kunst ver- bannt; die Angst davor war

zu groß, und nur die Porno- graphie, die ehrlichere Schwester des Sex-Appeals, durfte in der modernen Kunst verbleiben.

Die moderne Kunst hat ganz auf die Tarnkappe des Mythos verzichtet; Schieles magere Nymphen sind nur auf Sexualität kapriziert. Je- der lockende Blick fehlt da, und das Sexuelle hat pur — ohne jede Sentimentalität — in der Kunst Einzug gehal- ten. Für Pornographie gibt es mittlerweile in der Kunst kei- ne Schranken mehr, doch jetzt, am Ende der Moderne ist auch einiges aus der Mot- tenkiste des neunzehnten Jahrhunderts wieder da.

Manchem Maler geraten jetzt Busen und Beine allzu ver- führerisch, ob es sich um eine aufrechte Aktivistin aus der siegreichen Arbeiterklasse handelt oder um freizeit-ge- staltende Westlerinnen, die

Formen sind zu schmeichelnd geworden und sprechen wie- der die bekannt schwülstige Sprache des neunzehnten Jahrhunderts. Sogar der offe- ne Sex-Appeal eines Mel Ra- mos segelt jetzt als Kunst mit. Außerhalb der Kunst re- giert der Sex-Appeal unum- schränkt, und wir begegnen ihm auf Schritt und Tritt in Il- lustrierten, Filmen etc. Auf den Darstellungen dieser gro- ßen Medien gibt es nichts Mythologisches mehr, kein Amor verschießt seine Pfeile, und Aphrodite verbindet ihm nicht mehr die Augen. Man möchte dort die körperliche Schönheit pur. Ohne die Hil- fe des Mythos ist die Illusion des Schönen aber nur kurz, Enttäuschung folgt bald.

Doch wird auch hier die Ent- kleidung so unerbittlich vor- angetrieben, wie einst in der Kunst.

Anschrift des Verfassers:

Klaus Fußmann

Professor an der Hochschule der Künste in Berlin Grainauer Straße 19 1000 Berlin 30

Lettre: high text der taz

—In ein intellektuelles europä- isches Abenteuer hat sich

„die tageszeitung" gestürzt, das in Berlin und Hamburg erscheinende Kultblatt der jungen Linken: Lettre Inter- national (Dominicusstraße 3, 1000 Berlin 62) ist die deut- sche Ausgabe einer in Pa- ris gegründeten Kulturzeit- schrift, die nun in französi- scher, italienischer, spani- scher und deutscher Sprache erscheint. Im Editorial der Nummer eins heißt es zur Definition des Prograrhms, daß sich Personen mit den Erfahrungen des Prager Frühlings und des Herbstes 1968 mit anderen, für die der Mai 1968 wichtiger war, zu- sammengefunden haben, um eine deutsche Ausgabe dieser europäischen Zeitschrift her- auszugeben. Der Start ist ei- ne Vierteljahresschrift, die sich bei entsprechendem Abonnentenecho zu einer Monatsschrift entwickeln

möchte. r-h

Dt. Ärztebl. 85, Heft 44, 3. November 1988 (75) A-3079

Referenzen

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