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Archiv "Feinstaub: Grenzwerte überdenken" (27.01.2006)

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M E D I Z I N R E P O R T

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 4⏐⏐27. Januar 2006 AA165

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ahezu panikartig von Medien und Bevölkerung vor knapp einem Jahr diskutiert, wich das Thema

„Feinstaub“ bald der Angst vor Vogel- grippe und „Gammelfleisch“. Mittler- weile ist es still geworden um die Bela- stung der Luft mit Schadstoffteilchen, obwohl sie sich kaum vermindert hat.

Durchschnittlich zehn Monate könnten Europäer länger leben, wenn nicht so viel Feinstaub in der Luft läge, erklärte Dr. Michal Krzyzanowski von der Welt- gesundheitsorganisation (WHO) bei der interdisziplinären Feinstaub-Konfe- renz, die die Charité – Universitätsmedi- zin Berlin und das Bundesumwelt- ministerium in Berlin veranstalteten.

Nicht nur der Straßenverkehr und die Industrie sind für die hohe Schadstoff- belastung der Luft verantwortlich, son- dern auch das – aufgrund steigender Gas- und Ölpreise – Befeuern von Öfen und Kaminen. Gerade das Verbrennen von Holz führt zu hohen Feinstaub- Konzentrationen. Streumittel besitzen dagegen kaum gesundheitliche Rele- vanz, wie das GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit meldet.

Generell weise die Feinstaub-Diskus- sion eine Reihe von Missverständnissen und Fehleinschätzungen auf. Zu diesen gehören nach Ansicht von Prof. Dr.

med. Dieter Köhler, Präsident der Deut- schen Gesellschaft für Pneumologie, die von der Europäischen Union (EU) zum 1. Januar 2005 festgelegten Grenzwerte.

„Als Grenzwert zählt die Gesamtmasse der Feinstaub-Teilchen. Dabei werden die tatsächlich gefährlichen kleineren Partikel, die Ultra-Feinstaub-Teilchen, so gut wie nicht erfasst“, kritisierte der Pulmologe. Wenn man die Gefährlich- keit von Partikeln allein nach ihrer Masse beurteile, unterstelle man, dass ein grobes Feinstaub-Teilchen die glei- che Toxizität beinhalte wie eine Million Ultrafeinstaub-Partikel. „Das ist eine gefährliche Vereinfachung“, betonte

Köhler. Die bislang von der EU festge- legten Grenzwerte für Feinstaub reich- ten nicht aus, um die Toxizität der Fein- staub-Belastung abschätzen zu können.

Gemessen werden bei der Feinstaub- Bestimmung der Luft hauptsächlich Partikel mit einem Durchmesser von 0,1 bis zehn Mikrometer, nicht jedoch sol- che von weniger als 0,1 Mikrometer (sie- he DÄ, Heft 14/2005). Unberücksichtigt bleibt ebenso die chemische Zusam- mensetzung der Partikel. „Um zu beur- teilen, wie gefährlich Feinstaub für die Bevölkerung ist, sind jedoch nur diejeni- gen Partikel von Interesse, die biolo- gisch relevant sind“, erklärte Köhler. „Je

kleiner die Staubteilchen sind, umso größer dürfte das Gesundheitsrisiko sein, das sie bergen.“

Für Köhler steht fest: „Die Gesund- heitsrisiken durch Feinstaub lassen sich – selbst bei Einhaltung der EU-Grenz- werte – nicht senken, solange die ultra- feinen Staubteilchen nicht speziell un- tersucht und gemessen werden.“ Er for- dert zur Beurteilung der Luftqualität ei- ne Bestimmung der Größe der Partikel und ihrer chemischen Zusammenset- zung. Außerdem sei es erforderlich, die

gesundheitlichen Auswirkungen und Schädigungsmechanismen von Fein- und Ultrafeinstaub verstärkt zu erfor- schen. Nur so ließen sich sichere Emp- fehlungen für Feinstaub-Grenzwerte aussprechen.

Aufgrund ihres geringen Durchmes- sers können die Partikel besonders tief in die Lunge gelangen und dort zu Ent- zündungen führen. Partikel unter 2,5 Mikrometer vermögen sogar in die Lungenbläschen einzudringen. Epide- miologische Studien hätten Assoziatio- nen zwischen hohen Belastungen der Luft mit Schadstoffen und der Zahl der Todesfälle, Krankenhauseinweisungen und Arztbesuche gezeigt, berichtete Prof. Dr. med. Norbert Krug vom Fraun- hofer-Institut für Toxikologie und expe- rimentelle Medizin (Anderson et. al., WHO Task group 2005).

Vor allem bei Kindern, Senioren so- wie Menschen, die bereits unter Atem- wegserkrankungen leiden, seien Bron- chitiden, Symptomverstärkungen so- wie verminderte Lungenfunktionswerte

aufgetreten. Im Rahmen kontrollierter Inhalationsstudien fiel auf, dass beson- ders Dieselpartikel zu Änderungen der Lungenfunktion führen (Stenfors et al.:

ERJ 2004; 23: 82). Bei Gesunden riefen sie Atemwegsentzündungen hervor, die mit einer Vermehrung der Lympho- zyten, Neutrophilen, Zytokine sowie des Histamins und Fibrinectins am nächsten Tag einhergingen.

Asthmatiker reagierten dagegen nicht mit einer Entzündung der Atemwege auf die erhöhten Konzentrationen der

Feinstaub

Grenzwerte überdenken

Interdisziplinäre Feinstaub-Konferenz in Berlin legt Fehl- einschätzungen und Missverständnisse der Diskussion offen.

Geschwindigkeitsbegrenzungen sollen die Feinstaubbelastung vermindern.

Foto:ddp

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Dieselpartikel, sagte Krug. Stattdessen erhöhten sich ihr Atemwegswiderstand und die bereits bestehende Über- empfindlichkeit der Bronchien. Um entstehende Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, forderte Prof. Dr. med.

Christian Witt (Charité) regelmäßige Lungenchecks durch die Hausärzte.

Aber nicht nur die Lunge ist den schädigenden Wirkungen des Fein- staubs ausgesetzt. „Nanopartikel kön- nen auch direkt in das Herz-Kreislauf- oder sogar ins zentrale Nervensystem

übertreten“, berichtete Prof. Dr. med.

Holger Schulz vom GSF-Forschungs- zentrum. Zu den beobachteten kar- diovaskulären Reaktionen des mensch- lichen Körpers auf Feinstaub gehör- ten Vasokonstriktion, Herzrhythmus- störungen, eine endotheliale Dysfunk- tion, systemische Entzündungsreaktio- nen, Störungen des vegetativen Gleich- gewichts sowie eine Verstärkung der Gerinnung und atherosklerotischer Prozesse, die in der Folge zu Herzin- farkten führen könnten. Panisch sollte

das Thema „Feinstaub“ aber keines- wegs diskutiert werden, denn eines dür- fe nicht vergessen werden, warnte Dr.

Joachim Heinrich (GSF-Forschungs- zentrum): „Zu 93 Prozent halten sich Erwachsene in Europa in Innenräu- men auf.“ Auch wenn sich die epi- demiologische Forschung auf die Au- ßenluft konzentriere, sei auch in In- nenräumen eine hohe Feinstaub-Bela- stung anzutreffen – oftmals „hausge- macht“ durch Rauchen und Schimmel- pilze. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann M E D I Z I N R E P O R T

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ie internationale Geberkonferenz in Peking hat mit 1,9 Milliarden Dollar exakt die Geldsumme zu- sammengebracht, die nach Experten- meinung derzeit für den Kampf gegen die Vogelgrippe benötigt wird. So stellt die Weltbank 500 Millionen Dollar be- reit, die USA haben 334 Millionen Dollar und die Europäische Union 250 Millionen Euro für das Finanzpaket zu- gesagt. UN-Generalsekretär Kofi An- nan ist nur beizupflichten, wenn er er- klärt: „Es gibt keine Zeit zu verlieren.

Wir müssen sicherstellen, dass wir . . . (für eine eventuelle Pandemie) . . . be- reit sind.“ Diese konzertierte Aktion der Staatengemeinschaft und das große finanzielle Engagement innerhalb kür- zester Zeit ist im Sinne einer Infektions- prophylaxe vorbildlich. Zynisch ist je- doch die Aussage von EU-Gesundheits- kommissar Markos Kyprianou: „Nie zu- vor hat die Menschheit die Chance ge- habt, sich auf eine Pandemie vorzube- reiten, bevor sie tatsächlich eintritt.“

Diese Chance gab es unter anderem vor 25 Jahren, als HIV seinen weltwei- ten Feldzug antrat – und die Staatenge- meinschaft hat sie sträflich vertan.

Auch heute – angesichts weltweit 42 Millionen HIV-Infizierter, 25 Millio- nen Aidstoter und einer rasanten Aus- breitung des Virus in Staaten, die lange Zeit von der Epidemie verschont ge- blieben waren (China, Russland, Ost- europa et cetera) – reagiert die Welt nicht annähernd so einmütig und großzügig wie im Fall der Vogelgrippe.

Dabei sind seit 2003 nicht Millionen,

sondern 80 Menschen an den Folgen der Tierseuche gestorben.

Demgegenüber erscheint der Kampf der Staatengemeinde gegenüber HIV halbherzig. So versucht der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tu- berkulose und Malaria vergeblich, die von den Industriestaaten vollmundig und publicity-wirksam zugesagten Ein- zahlungen in voller Höhe – und nicht nur als Bruchteil – überwiesen zu be- kommen. Noch im Juli 2005 gab es die

bemerkenswerte Zusage der G-8-Staa- ten beim Gipfel in Gleneagles, dass alle Aidskranken bis 2010 eine antiretrovi- rale Therapie bekommen sollen. Dabei hat die WHO im Dezember eingeste- hen müssen, dass ihre „3 by 5“-Initiati- ve – wonach bis Ende 2005 drei Millio- nen HIV-Infizierte Zugang zu Aids- Medikamenten haben sollen – geschei- tert ist. Nur eine Million Betroffene er- halten eine antiretrovirale Therapie.

„Es ist nicht einsehbar, weshalb beim Management von Infektionskrankhei- ten mit zweierlei Maß gemessen wird“, sagt Prof. Dr. med. Norbert Brock- meyer, Sprecher des Kompetenznetzes HIV/AIDS (Bochum).Vielleicht gibt

es darauf mehrere Antworten:eine liegt in der Natur der HIV-Infektion, die erst nach Jahren zum Vollbild Aids und letztlich zum Tod führt; die vitale Ge- fährdung einer Influenza aber erleben die Menschen unmittelbar. Darüber hinaus wird die HIV-Infektion noch im- mer als typische Infektionskrankheit der Entwicklungsländer angesehen, die von den Industriestaaten weit entfernt ist. Doch das täuscht: Viele osteuropäi- sche Staaten mit hoher HIV-Prävalenz liegen Deutschland näher als die Türkei und die Vogelgrippe.

Obwohl derzeit völlig unklar ist, wann (oder ob überhaupt) eine welt- weite H5N1-Pandemie eintritt, laufen die Analysen über mögliche ökonomi- sche Auswirkungen in den Industrie- staaten auf vollen Touren: In Deutsch- land sei mit einem Schaden von etwa zwei Prozent des Bruttoinlandsproduk- tes zu rechnen, heißt es in einer Modell- rechnung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Es- sen). Das würde zu einer Rezession führen. International könnten sich die Kosten einer Pandemie auf 800 Milliar- den Dollar summieren.

In vielen Teilen Afrikas ist durch Aids das soziale und ökonomische Ge- füge längst zusammengebrochen; damit andere Kontinente nicht eine ähnliche Entwicklung nehmen, muss gegen HIV – wie auch gegen andere Infektions- krankheiten – mit einem Engagement der Staatengemeinschaft gekämpft werden, das dem der Vogelgrippe ent- spricht. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

Infektionsprophylaxe

Zweierlei Maß

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