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Archiv "Psychopharmaka für Kinder und Jugendliche: Eine kritische Bestandsaufnahme zur Verordnungspraxis" (25.12.1989)

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Psychopharmaka für Kinder

und Jugendliche

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Tilman J, Eiliger und Gerhard Nissen

ie Untersuchung ba- siert auf einer Analy- se des Datenbestandes des Arzneimittelindex 1985 der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-Arz- neimittelindex, 36) und entstand in.

Kooperation mit dem Wissenschaft- lichen Institut der Ortskrankenkas- sen. In den GKV-Arzneimittelindex gehen die ambulant vorgenommenen Verordnungen für alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenversiche- rung ein, daß heißt, es wird das Re- zeptaufkommen für mehr als 90 Pro- zent der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland mittels Stichprobenziehung erfaßt. Statio- när behandelte Versicherte bleiben unberücksichtigt; zudem ist eine Verkoppelung von personenbezoge- nen Daten, die den Zusammenhang zwischen Morbiditätsstruktur und Arzneimittelverordnungen aufklären könnte, aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Informatio- nen über (elterliche) „Selbstmedika- tion" von Kindern mit rezeptfreien Psychopharmaka, sogenannte „over- the-counter" (OTC) Medikation, sind über den Index nicht zu erhal- ten, jedoch scheint der Anteil der so bezogenen Präparate am gesamten Psychopharmakaverbrauch in der Bundesrepublik Deutschland relativ klein zu sein (96) und spielt insbe- sondere für den hier interessieren- den Altersbereich eine vergleichs- weise geringe Rolle (23).

Datenanalyse

Im Jahr 1985 entfielen von den insgesamt 654 Millionen Verschrei- bungen 17 Millionen auf die Gruppe

„Hypnotika/Sedativa" und 36 Millio- nen auf die Indikationsgruppe „Psy-

Eine kritische

Bestandsaufnahme zur Verordnungspraxis

Zu den umstrittensten pharmako- psychiatrischen Themen gehört der Einsatz von Psychopharmaka bei Kindern und Jugendlichen. In der Öffentlichkeit wie auch in der Ärzteschaft wird die Verordnung dieser Substanzgruppen bei kinderpsychiatrischen Störungen kontrovers diskutiert. Immer wie- der erscheinen in den Massenme- dien Meldungen, die über eine überzogene Verordnungspraxis von Psychopharmaka bei Kindern berichten. Manchmal wird das Schreckensbild des medikamen- tös „disziplinierten" und psycho- pharmakologisch gedopten Kin- des entworfen.

chopharmaka" der Roten Liste. Für die Altersgruppen unter 15 Jahren ergab sich ein Anteil von ca. 2,5 Pro- zent am Hypnotika-Verordnungsvo- lumen und ca. 1,6 Prozent an den ge- samten Psychopharmaka-Verord- nungen. Auf die 6- bis 14jährigen entfielen 0,026 Hypnotika-/Sedati- va-Verordnungen beziehungsweise 0,051 Psychopharmaka-Verordnun- gen pro Kopf und Jahr. Bemerkens- wert ist die Tatsache, daß trotz der ausgeprägten Knabenwendigkeit der meisten kinderpsychiatrischen Er- krankungen psychoaktive Medika- Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie (Direktor: Professor Dr. med. Gerhard Nissen), Universitäts- Nervenklinik der Bayerischen Julius- Maximilians-Universität Würzburg

mente insgesamt häufiger an Mäd- chen verordnet wurden.

Um eine von Arzneiform und Packungsgröße unabhängige Beurtei- lung altersspezifischer Verordnungs- profile leisten zu können, werden in- ternational (94) „rechnerische Tages- dosen" (DDD = defined daily dose) als therapeutische Maßeinheiten de- finiert. Trotz fehlender Altersadju- stierung und der besonderen Proble- matik dieser Größen für die pädo- psychiatrische Pharmakologie ergibt die Alters- und Geschlechtsverteilung der rechnerischen Tagesdosen pro Versicherten und Jahr ein anschau- liches Bild von der ärztlicherseits zu verantwortenden Psychopharmaka- expositon der Bevölkerung.

1985 wurden durchschnittlich 6,5 Tagesdosen (DDDs) Hypnotika/

Sedativa pro Versicherten verschrie- ben, die Altersgruppen 0 bis 5 Jahre und 6 bis 14 Jahre erhielten 0,51 be- ziehungsweise 0,21 Tagesdosen pro Kopf verordnet. Die Pro-Kopf-Ver- ordnung dieser Präparate lag dem- nach um den Faktor 10 beziehungs- weise 30 bei den Kindern niedriger als in der Gesamtbevölkerung.

Die Abbildung 1 veranschaulicht das altersabhängige Gefälle des Ver- ordnungsvolumens am Beispiel der Psychopharmaka. 16,2 Tagesdosen der in der Roten Liste unter der Rubrik „Psychopharmaka" aufge- führten Medikamente wurden 1985 durchschnittlich pro Versicherten verschrieben.

Kinder bis fünf Jahre lagen mit 1,1 Tagesdosen deutlich unter die- sem Wert, in der Altersgruppe 6 bis 14 Jahre wurden durchschnittlich 0,63 Tagesdosen pro Kopf verordnet.

Damit entfielen insgesamt nur 0,8 Prozent des Tagesdosenvolumens dieser Indikationsgruppe auf Kinder unter 15 Jahren.

A-3940 (32) Dt. Ärztebl. 86, Heft 51/52, 25. Dezember 1989

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Diskussion

Analysiert man diese relativ glo- balen Parameter unter qualitativen Aspekten, das heißt unter Beachtung des Spektrums der verordneten Arz- neimittel, so erkennt man, daß Phy- topharmaka und Homöopathika ei- nen hohen Stellenwert für die ver- schreibenden Ärzte haben (Abbil- dung 2).

Nootropika wie Pirazetam (Nootrop®, Normabrain®) und Pyri- tinol (Encephabol®) werden insbe- sondere Schulkindern verordnet, auch die Verordnungszahlen dieser Präparategruppe gehen in die Stati- stiken der Psychopharmaka-Ver- schreibungen an Kinder wesentlich ein. Die verbrauchsepidemiologische Bedeutung von Psychopharmaka im eigentlichen Sinne, das heißt von Antidepressiva, Neuroleptika, Tran- quilizern und Psychostimulantien, nimmt sich demnach weit bescheide- ner aus, als die oben genannten An- haltszahlen vermuten lassen und die öffentliche Diskussion oft nahelegt.

Besonders hinsichtlich der Ver- breitung der Stimulantientherapie beim hyperkinetischen Syndrom des Kindes droht sich ein falscher Ein- druck festzusetzen, der in keiner Weise den wirklichen Verordnungs- daten entspricht: Die Verschreibung von Psychostimulantien an Kinder bewegte sich 1985 an der statisti- schen Nachweisgrenze, das heißt, die Daten waren aufgrund der geringen

l Antidepressiva

Psychopharmaka-Tagesdosen nach Altersgruppen rechnerische Tagesdosen (GKV-Arzneimittelindex)

je Versicherten 1985

70

D

alle Versicherten

weibl. Versicherte

D

männl. Versicherte -

60

50 - -

L

40 - -

30 1- c r-

~

20 L r-

~m~ =

. .tiiTi ~ Aillll2 f-

IR ~ R r ~ - ~ '--- " - - - -

10 0

0 5 15 20 30 40 50 60 70 80 Jahre

Abbildung l : Arzneiverordnungsprofil nach Alter und Geschlecht: Verordnete Psychophar ~ maka·Tagesdosen (DDD) je Versicherten (GKV·Arzneirnittelindex 1985)

Verordnungszahlen kaum mehr sta- tistisch auswertbar. Hochgerechnet ergaben sich 12 400 Verordnungen für Methylphendidat (Ritalin®), 4800 beziehungsweise 4600 V erord- nungen für Pemolin (Tradon®) und Dimethylaminoäthanol (Deanol Ri- ker®) und 1000 Verordnungen für Fenetyllin (Captagon®). Legt man eine tägliche Dosis von 20 mg und ei- ne Behandlungsdauer von 150 Tagen zugrunde, dann wären 1985 827 Kin- der mit Methylphenidat (Ritalin®) behandelt worden, das heißt 1 von 10 000 Kindern.

Neuroleptika Tranquilizer

Auch wenn man Vergleichsda- ten aus N ordamerika, die eine 100- bis 300fach höhere Verordnungshäu- figkeit dort belegen (5, 32, 45, 49, 50), mit dem Argument zurückweist, daß der Einsatz dieser Präparate in den USA häufig großzügiger gehand- habt wird, sollten doch die epidemio- logisch ermittelten Inzidenzraten für das hyperkinetische Syndrom für die Interpretation dieser Daten Berück- sichtigung finden. Die häufig geäu- ßerte, manchmal auch polemisch vorgetragene Sorge, diese Substan- zen würden unkritisch von Ärzten verordnet (85-90), scheint augen- blicklich vom epidemiologischen Standpunkt aus eher weniger be- gründbar zu sein, als die Befürch- tung einer vielleicht sogar unzurei- chenden und dem Stand der Wissen- schaft nicht entsprechenden Versor- gung dieser Kinder.

l Hypnotika (ohne Benzodiazepine)

0 0 5 Jahre

p

Stimulantien 0 6-14

h 111 15-20

Nootropika

Phytopharmaka, Homöopathika

0 400 800 1200 1600 2000 ODDs (in 1 000)

Abbildung 2: Verordnete Tagesdosen verschiedener psychopharmakalogischer Substanz- gruppen (in 1000 DDDs; GKV-Arzneirnittelindex 1985)

Bezüglich der Anwendung von Antidepressiva im Kindesalter muß nach den vorliegenden Studien (zum Beispiel 23, 38) davon ausgegangen werden, daß diese Substanzen vor- rangig zur Behandlung der Enuresis verabreicht werden. Nach einer un- veröffentlichten Studie des Instituts für medizinische Statistik (IMS, Frankfurt) werden zirka 80 Prozent der Kindern verordneten Antide- pressiva für diesen Indikationsbe- reich eingesetzt, das heißt Imipramin Dt. Ärztebl. 86, Heft 51152, 25. Dezember 1989 (33) A-3941

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(Tofranil®) steht für die Altersgrup- pe 6 bis 14 Jahre in seiner Eigen- schaft als klassisches Enuresis- Therapeutikum an der Spitze der am häufigsten verordneten Psychophar- maka.

Bei den Neuroleptika spielen nichtpsychiatrische Indikationen ei- ne nicht unwesentliche Rolle im Kin- desalter. So wird die am häufigsten eingesetzte Substanz dieser Gruppe, das Promethazin (Atosil®), unter an- derem bei Asthma bronchiale, spa- stischer Bronchitis, Allergie, Kineto- sen und Pruritus verordnet. Auch Tranquilizer der Benzodiazepin- gruppe haben Indikationsbereiche, die über kinderpsychiatrische Stö- rungen hinausreichen, so daß es schwerfällt, ihren verbrauchsepide- miologischen Stellenwert im Kindes- alter gegenwärtig exakt zu bestim- men.

Generell wird man in Anbe- tracht der unzureichenden Datenba-

sis (Fehlen indikations- und dia- gnosebezogener Verordnungsdaten) und der Komplexität definitorischer Probleme (Homöopathika als Psy- chopharmaka!) allenfalls in grober Annäherung davon ausgehen kön- nen, daß höchstens zwei Prozent bis vier Prozent aller Kinder eine psy- chopharmakologische Therapie im eigentlichen Sinn im Jahr erhalten.

Verbreitete Schätzungen, die größ- tenteils auf nicht repräsentativen Untersuchungen an Patientenpopu- lationen beruhen und einem erheb- lichen Stichprobenfehler unterliegen (3, 23, 38), wären danach um etwa den Faktor 10 bis 20 nach unten zu korrigieren.

Diese empirisch fundierte Kor- rektur widerlegt die überwiegend auf Schätzungen beruhende gängige Kolportage, wonach in der Bundes- republik Deutschland ein horrender Psychopharmakakonsum bei Kin- dern ärztlich unterstützt wird. Sie

berechtigt aber nicht dazu, der Frage nach dem Wert oder Unwert des Einsatzes von Psychopharmaka bei Kindern auszuweichen. Denn immer wird man bedenken müssen, daß ei- ne psychopharmakologische Inter- vention nur eine symptomatische Maßnahme darstellt, die in den jün- geren Altersgruppen unter beson- ders kritischer Beachtung des Grundsatzes des „nil nocere" abzu- wägen ist.

Die Zahlen in Klammem beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordem über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Dipl.-Psych.

Tilman J. Elliger Klinik und Poliklinik

für Kinder und Jugendpsychiatrie Universitäts-Nervenklinik

Füchsleinstraße 15 8700 Würzburg

Adjuvante Chemotherapie des operablen Magenkarzinoms

411 Patienten wurden nach Gastrektomie wegen eines Adeno- karzinoms randomisiert einer pro- spektiven Untersuchung mit adju- vanter Chemotherapie zugeteilt.

Nach einem Nachuntersuchungszeit- raum von mindestens 5 1/2 Jahren konnte keine längere Überlebensra- te nach adjuvanter Behandlung mit 5-Fluorouracil und Mitomycin C mit oder ohne einen Induktionszyklus mit 5-Fluorouracil, Vincristin, Cy- clophamid und Methotrexat im Ver- gleich zur alleinigen Operation fest- gestellt werden.

Es ereigneten sich 366 Todesfäl- le, darunter 22 therapiebedingt. Die Analyse der Prognosefaktoren zeig- te, daß das Stadium der Erkrankung, Beteiligung von Lymphknoten und Befall der Resektionsgrenze sowie Tumorreste signifikante Determi- nanten für die Überlebenschance sind. Ein Gewichtsverlust vor der Operation hatte einen signifikanten unabhängigen Einfluß auf die Über- lebensrate. So kommen die Autoren

zu dem Schluß, daß die Kombination von präoperativen Symptomen und intraoperativen Befunden verwendet werden kann bei der Einzelentschei- dung für radikale oder palliative Verfahren. Lng

Allum, W. H. et al.: Adjuvant Chemother- apy in Operable Gastric Cancer, Lancet I (1989) 571-574.

Dr. Michael T. Hallissey, Department of Surgery, Queen Elizabeth Hospital, Bir- mingham B15 2TH, Großbritannien.

Wismut doppelblind gegen C. pylori

100 konsekutive Patienten mit duodenalem Ulkus und Campylobac- ter-pylori-Infektionen wurden nach- untersucht zur Feststellung, ob nach Beseitigung des C. pylori eine Aus- heilung des Ulkus oder ein Rezidiv eintrat. Die Patienten wurden ran- domisiert einer achtwöchigen Be- handlung mit Cimetidin oder kollo- dialem Wismut-Subcitrat (CBS) zu-

geteilt mit gleichzeitiger Gabe von Tinidazol oder Plazebo vom Tag 1 bis einschließlich Tag 10. C. pylori persistierte bei allen mit Cimetidin und bei 96 Prozent mit Cimetidin und Tinidazol behandelten Patien- ten, war jedoch bei 27 Prozent der Patienten der CBS/Plazebo-Gruppe und bei 70 Prozent der CBS/Tinida- zol-Gruppe nicht mehr nachweisbar.

Wenn C. pylori weiterhin persi- stierte, heilten 61 Prozent der duo- denalen Ulcera aus, jedoch 84 Pro- zent rezidivierten innerhalb eines Jahres. War C. pylori nicht mehr nachweisbar, heilten 92 Prozent der Ulcera aus (p < 0,001), und nur 21 Prozent rezidivierten innerhalb des 12monatigen Nachuntersuchungs- zeitraumes (p < 0,0001). Lng

Dr. Marshall, B. J. et al.: Prospective Dou- ble-Blind Trial of Duodenal Ulcer Relapse after Eradication of Campylobacter Pylori.

Lancet II, 1988, 1438-1441.

Dr. Barry J. Marshall, Box 145, Depart- ment of Internal Medicine, University of Virginia, Charlottesville, VA 22908, USA.

A-3944 (36) Dt. Ärztebl. 86, Heft 51/52, 25. Dezember 1989

Referenzen

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