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LITERARISIERUNG DER GESQHICHTSSCHREIBUNG AM
BEISPIEL DER ÖAZAVATNAMES (Resümee)
Von Barbara Flemming, Leiden
Die türkischen gazavätnämes können nicht einwandfrei einer der histori¬
schen Quellengruppen zugeordnet werden. Dennoch werden noch vor allem
historische Gegebenheiten in den jeweiligen Werken gesucht. In den wis¬
senschaftlichen Ausgaben von gazavätnämes betonen die Herausgeber
(Levend, Gallotta, Inalcik, Olgun/Parmaksizoglu) die „Nähe"
ihrer Quellen zu den jeweiligen historischen Vorgängen. Tatsächlich kön¬
nen die älteren gazavätnämes zusätzlich, neben anderen Quellen, lür selbst¬
erlebte historische Vorgänge ergänzend herangezogen werden. Nachdem
man aber die Bestandteile herausgearbeitet hat, denen man historischen
Quellenwert zuerkennt, bleibt ein - oft heruntergespielter - Restbestand
an „unhistorischem" Material übrig, der unleugbar ebensosehr TeU der
untersuchten Texte ist. Hier setzt die literaturgeschichtliche Betrachtung
ein. Die Erzählungen haben ihre fernen Vorgänger in ursprünglich münd¬
lich überlieferten Erzählungen und Sagen über die magäzi, die Eroberungs¬
züge des frühen Islams, in arabischer und persischer Sprache. Wie die The¬
matik der gazavätnämes im Lauf der Jahrhunderte nicht gleich blieb, so
änderte sich auch der Stil. Beides ist gebunden an den Zweck, den die
Erzählungen jeweils hatten. Den alten gazavätnämes schreibt man den ein¬
fachen StU der Volkserzählungen zu. Bestimmte Umstände, zum Beispiel
die Ausbreitung des lesenden Publikums, haben aber eine größere Vielfalt
zuwegegebracht. Das Ziel war durchweg, Belehrung und Erbauung, aber
auch Spannung und ästhetisches Vergnügen zu erzeugen. Die Autoren lite-
rarisierten die Kriegs- und Siegeserzählungen. Sie bedienten sich dafiir der
Bildersprache, die die romantische Mesnevi-Literatur eingefiihrt hatte. Da
die gazavätnäme-hitersituT einen außerordentlichen Reichtum an Themen,
Stoffen und Formen aufweist, kann sie offensichtlich auch literargeschicht-
lich nicht auf einmal in ihrem Gesamtumfang erfaßt werden. Man muß das
Material untergliedern und kann sich dabei von formalen Gegebenheiten,
vom Stil etwa, leiten lassen, aber auch von inhaltlichen Elementen. Hier
kann die strukturahstische Märchenforschung Anregungen geben. Indem
wir Motive und Attribute isolieren und vergleichen, vor allem aber auch auf
die Funktionen der Handlungen achten, die sich abspielen, können wir den
historischen und den literarischen Gehalt der gazavätnämes besser von¬
einander abgrenzen und einer gattungsmäßigen Definition näher kommen.
Man sollte sich sicher hüten vor einer ausschließlich literarischen Behand¬
lung. Es geht aber auch nicht an, die Überlieferung nur an der „Wirklich¬
keit" zu messen, ohne ihren volkskundlichen Charakter zu berücksichti¬
gen. Derm auch wenn man literarische und historische Methoden ange¬
wandt hat, bleibt ein unerklärter Rest, der uns zeigt, daß die Analyse noch
nicht beendet ist. Hier kann die ethnologische und folkloristische Betrach¬
tungsweise zu einer Ordnung und Gliederung der gazavätnämes beitragen.
Nützlich ist dabei die Pionierarbeit von H. Özdemir, der sechs altosma-
356 B. Flemming, Literarisierung der Geschichtsschreibung
nische Chroniken, die den gazavätnämes nahestehen, nach volkskundlichen
Gesichtspunkten untersucht hat.
Das Ziel sollte eine integrierende Betrachtungsweise sein, bei der alle
Aspekte des jeweiligen Textes die Auftnerksamkeit bekommen, die sie ver¬
dienen.
(Eine erweiterte Bearbeitung des DDT-Vortrages soll in der Zs. SAECU¬
LUM erscheinen).
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DIPLOMATISCHE ANALYSE EINER OSMANISCHEN
FÄLSCHUNG* (Resümee)
Von Vanöo BoSkov, Skopje
Der Gegenstand der Änalyse ist ein 'ahd-näme Mehmeds II., das in der
jugoslawischen Historiographie als FojniCka ahd-nama ( 'ahd-näme von Foj-
nica) bekannt ist. Mit dieser Urkunde wurde die Rechtsgrundlage der bos¬
nischen Franziskaner zu Beginn der osmanischen Herrschaft geregelt.
Die Änalyse ergibt folgende Schlußfolgerung: Das von Mehmed II. un¬
mittelbar nach der Eroberung Bosniens im Jahre 1463 für die bosnischen
Franziskaner erlassene 'ahd-näme ist früh verlorengegangen. Die wichtig¬
sten Verfügungen des 'ahd-näme sind in einem Fermän Bäjezids II. aus dem
Jahre 1483 erhalten geblieben. Der Text aus dem Fermän bildete die
Grundlage für die Ausarbeitung des vorhandenen 'ahd-näme von Fojnica;
als Vorbild dienten die 'ahd-nämes seit der Zeit Bäjezids II. Darauf weisen
zwei diplomatische Formeln hin: erstens die Form der Einleitungsformel
und zweitens die Stelle des Treueides; beide Elemente entsprechen genau
den 'ahd-nämes, die nach der Regierungszeit Mehmeds II. entstanden sind.
Das einzige Element in dem 'ahd-näme, dessen Vorkommen weder in
einem 'ahd-näme noch in einem Fermän bestätigt wird, ist die Promulgatio.
Ihr Inhalt scheint seinen Ursprung in lateinischen Urkunden zu haben.
Was Datatio und Locatio anbelangt, so sind sie auf Grund von Kloster¬
überlieferungen über die Eroberung Bosniens und über das Zusammentref¬
fen von Mehmed und Fra Angelo Zvizdic, dem Obersten der Franziskaner
in der Zeit der türkischen Eroberung, im Feldlager Milodra^ entstanden.
Was Zeit und Ort der Entstehung der Fälschung angeht, so sind das
Ende des 16. oder der Anfang des 17. Jhs. in Dubrovnik oder Venedig
wahrscheinlich.
Demnach ist das 'ahd-näme von Fojnica eine Fälschung mit realem
geschichtlichem Inhalt, d. h. eine Fälschung, die auf Grund der authenti¬
schen Urkunde, in diesem Fall der Urkunde Bäjezids IL, entstanden ist.
Das bedeutet, daß das 'ahd-näme insgesamt nicht authentisch, der Text der
Privilegien aber authentisch ist.
* Serbokroatische Version des Referats: Pitanje autentiinosti Fojniöke ahd-name Mehmeda II iz 1463. godine (Zur Frage der Echtheit des Fojnicaer 'ahd-näme Meh¬
meds II. aus dem Jahre 1463). In: Godiänjak Druätva istoriöara Bosne i Hercego¬
vine XXVIII-XXX, 1977-1979 (Sarajevo 1979), S. 87-105.